FRIEDEMANN

Foto© by Lord Canis

Nicht der Nabel der Welt

Nach über zwanzig Jahren war es im Sommer 2023 plötzlich vorbei mit COR von der Insel Rügen, als deren Sänger man Friedemann über zwei Jahrzehnte vor allem wahrgenommen hatte. Seit geraumer Zeit aber ist der Punkrock-Singer/Songwriter mit den markanten Gesichtstätowierungen auch solo unterwegs, so dass man sich keine Sorgen machen musste, dass mit der Band auch deren Frontmann verschwinden würde. Mit „Alles richtig naiß hier?!“ ist nun – Wahnsinn! – eine Triple-Live-LP erschienen, die Friedemann so präsentiert, wie man ihn idealerweise wahrnimmt: auf einer kleinen Bühne.

Friedemann, zuerst müssen wir über COR sprechen. Die Meldung zum Ende war sehr knapp. Was war geschehen?

Es hat nicht mehr gepasst und die Vorstellungen der Bandmitglieder zur Zukunft, zum Touren und anderen bandbetreffenden Dingen lagen zu weit auseinander. Damit wir nicht in die Peinlichkeit geraten, die ein unwürdiges, stotterndes Ende so mit sich bringt, haben wir die Band aufgelöst. Ich habe eine neue Band am Start, ein Trio namens KODDER. Punkrock. Single ist aufgenommen und kommt im September, Platte und Tour kommen im Frühjahr 2025.

Parallel zu COR warst du schon eine ganze Weile solo unterwegs. Du akustisch, das ist schon was anderes als das lärmige Miteinander einer elektrisch verstärkten Rockband. Was fehlt dir, was nicht?
Ich kann die Message besser rüberbringen. Die Leute hören zu und können etwas für sich mitnehmen. Friedemann-Konzerte bestehen aus Musik, Sounds und Geschichten. Ohne Belehrungsfaktor, aus meiner Sicht erzählt und immer unter der Bedingung, dass ich nicht der Nabel der Welt, sondern nur ein Mensch von Millionen bin, der auf der Suche ist. Ich liebe am Solo-Konzert die Ruhe, die Melancholie und die Ausgewogenheit des Sounds sowie die Möglichkeit, wirklich zu singen und die Botschaft ankommen zu lassen. Leider setzt das Ganze dann wirklich interessierte Zuhörer voraus, jede akustische Störung ist da sehr schnell nervend. An den Band-Geschichten liebe ich den Lärm, die Kraft, die Energie und die Möglichkeit, mich auszukotzen. Leider geht dann im Wust manchmal die Botschaft unter.

Du hast mit „Alles richtig Naiß hier?!“ gerade ein Triple-LP-Live-Album am Start. Wie kommt man denn auf so eine Idee?
Musik ist meine Liebe. Ich toure viel und die Quintessenz von allem sind für mich Live-Konzerte, da sie den jeweiligen Stand der Dinge dokumentieren. Sie sind Zeitreisen. Ich habe bereits zwei Live-Solo-Alben gemacht, die alle ausverkauft sind, und wollte jetzt einfach mal den aktuellen Zustand von „Friedemann“ dokumentieren. Ich bin seit 2019 allein auf Tour und so ist es die erste Live-Platte, die ich komplett solo eingespielt habe, ohne Mitmusiker. Meine Konzerte sind lang, ich spanne einen Bogen, der jeden Abend je nach Laune und Verfassung anders ausfällt, und ich wollte diese Reise komplett weiterreichen und nicht stückeln. Das heißt wir haben alles so gelassen, wie es passiert ist, haben es abgemischt und fertig. Mehr live geht nicht und das passt halt nur auf drei Platten oder zwei CDs. Da denke ich nicht groß über Kosten, Sinn und Unsinn nach, sondern mache es, weil ich es irgendwie muss.

Du warst schon immer sehr DIY unterwegs, hast mit verschiedenen Labels gearbeitet, jetzt aktuell mit Weird Sounds. Wie kam’s?
DIY überfordert mich zur Zeit extrem. Ich habe keine Mitstreiter, mache alles allein und mir fehlt manchmal einfach die Kraft. So suche ich mir Unterstützer, die von ihrer Grundhaltung zu mir passen und mir Arbeit abnehmen. Andre von Weird Sounds mag meine Musik, hat den Kopf an und das Herz auf, also gehen wir ein Stück des Weges gemeinsam.

Wie muss ich mir deine Solo-Touren vorstellen? Bist du ganz allein mit dem Auto unterwegs und pennst bei Freunden auf dem Sofa?
So ähnlich. Ich fahre meistens allein, habe eine komplette Anlage im Bus, so dass ich unabhängig bin und überall spielen kann, wo eine Steckdose ist. Wenn ich ankomme, brauche ich eine halbe Stunde und bin spielbereit. Das ist oft vom Gefühl her mehr Punkrock als mit der Band. Ich schlafe oft bei Veranstaltern oder Freunden. Hotel brauche ich nicht, wenn ich vor Ort einen ruhigen, dunklen, sauberen Raum und eine Dusche habe. Mein Essen habe ich für alle Notfälle in einer Kühlbox dabei und zur Not schlafe ich im Bus. Ich bin gern bei Menschen und auch gern allein, rede gern, schweige gern, alles zu seiner Zeit und in selbstbestimmten Dosen. Nach dem Gig fahre ich oft nachts weiter und schlafe einfach am nächsten Veranstaltungsort und bin dann zum Gig ausgeruht. Eine gute Sache, dieses Vagabundentum.

Was denkst du, was würde der Friedemann von vor zwanzig Jahren vom heutigen Friedemann halten, seiner Musik, den Texten?
Es ist verrückt, dass frage ich mich auch oft. Ich weiß, es klingt sehr unwahrscheinlich, aber ich habe mich von den Ideen meines 14-jährigen Ichs nicht weit entfernt. Meine Eltern haben zu DDR-Zeiten immer gern die ROLLING STONES, die BEATLES oder Bruce Springsteen gehört. Und so bin ich auch von dieser Musik geprägt und habe schon immer querbeet gehört, und das zu jeder Zeit. Mein Vater hat Reinhard Mey gemocht und ich auch. Klar, wahrscheinlich wären dem jüngeren Friedemann die Solo-Sachen auf Dauer zu anstrengend und zu wenig offensiv wütend, aber die Melancholie und die Zweifel würde er gut nachvollziehen können.

Und wie ist das Leben so auf Rügen, einem Ort, der wie so viele Inseln medial immer die Kategorie „Ferieninsel“ verpasst bekommt? Obwohl da ja auch ganz normale Menschen leben, die nicht immer Ferien haben.
Ein schwieriges Thema, das ich unmöglich in ein paar Zeilen quetschen kann. Zum einen ist das hier mein Zuhause, es ist wunderschön und die Natur wunderbar. Ich liebe die Seeluft, die Wälder und Strände. Allerdings weckt das auch Begehrlichkeiten bei Menschen mit Geld. Ich habe nichts gegen sanften Tourismus, der als Lebensgrundlage für die Einheimischen dient, aber ich hasse die „Wir pressen alles aus dem Stück Land heraus“-Mentalität und diesen Tourismus-Turbokapitalismus, der so viel Natur unwiederbringlich zerstört, der nur Wachstum und Umsatz kennt und alle Bedürfnisse von Mensch, Tier und Umwelt ignoriert. Es gibt dafür hier und auch in anderen Landstrichen auf dieser Welt genügend negative Beispiele, wo die maximale touristische Ausbeutung eines Gebietes dieses an den Rand des Kollapses bringt. Das steht uns hier meiner Meinung nach bevor.

Auch bei euch in Meck-Pomm sind in Juni Kommunalwahlen ... man ahnt, wie das für die AfD ausgehen wird. Wie ist die Stimmung und wie kommt man als „Andersdenkender“ da, wo man ja wohnt, mit „denen“ klar? Das ist ja ein Thema, mit dem sich viele von uns dieser Tage auseinandersetzen müssen.
Bei einem ungefähren Zuspruch von 40% kann ich davon ausgehen, dass eine Menge der Menschen, die mich und meine Familie umgeben, die unsere Freunde oder Bekannten oder Kollegen sind, diese Partei wählen oder mit ihr sympathisieren. Das ist schwer zu ertragen. Ich kann die Frustration der Menschen in Teilen verstehen, aber die Lösung ihrer Probleme finden sie höchstwahrscheinlich nicht im AfD-Wahlprogramm. Ich spiele viel in der Provinz und oft sind auch Menschen im Publikum, die politisch nicht so denken wie ich. Da kommt man dann oft ins Gespräch, kann sich austauschen und versuchen, Sichtweisen zu ändern. Das ist für mich auch Antrieb, diese Musik zu machen. Leute mitnehmen, überzeugen und mit Argumentation gewinnen. Es gibt sehr viele, die nicht verloren sind, die wir aber verlieren, weil wir mit ihnen nichts zu tun haben wollen. Das ist in meinen Augen oftmals ein Problem linker Politik und linken Engagements: Sie wollen die Gesellschaft verändern und nehmen den Großteil dieser Gesellschaft gar nicht mit. Sie sickern nicht ein und versuchen, die Gesellschaft von innen heraus zu verändern, sondern stehen am Rand und belehren. Das stößt eher ab, als dass es Menschen mit sich reißt. Der ewige Fehler. Klar ist das schwere Alltagsarbeit, die niemand beklatscht, die kaum wahrgenommen wird, die aber meines Erachtens ein wichtiger Schritt in Richtung Bekämpfung des Rechtsrucks der Gesellschaft ist.