Bei FLIPPER denken viele zuerst an diesen düsteren, deprimierende Sound mit stoischem Rhythmus, dazu wahlweise Geschrei oder mit tonloser Stimme vorgetragene Texte über Selbstmord, Seuchen, Ökokatastrophen und Krieg, alles unterlegt von ungezähmtem Gitarrenlärm. Zugegeben, das klingt auf dem Papier nicht wirklich vergnüglich. Auch die Geschichte von FLIPPER ist nicht wirklich vergnüglich: Will Shatter, damals Frontmann und Texter von FLIPPER, starb im Jahr 1987 an einer Überdosis Heroin. Bruce Loose, der andere Sänger und Songwriter in der Band, erlitt 1994 bei einem Autounfall eine schwere Rückenverletzung, so dass er nicht mehr in der Lage ist, auf Tour zu gehen. Doch jetzt hat sich Ersatz gefunden in Gestalt von David Yow, bekannt als Sänger von JESUS LIZARD und SCRATCH ACID, der sich eine Auszeit von seiner Schauspielkarriere genommen hatte, um im Sommer 2019 FLIPPER in Deutschland auf ihrer Tour zum vierzigjährigen Jubiläum zu begleiten. Aus diesem Anlass sprachen wir mit FLIPPER-Mitbegründer und Schlagzeuger Stephen DePace.
Stephen, soviel ich weiß, hast du mit Will Shatter in einer der Besetzungen von NEGATIVE TREND gespielt und Will hat noch eine Weile weitergemacht, nachdem du rausgeschmissen wurdest. Aber wie kam es, dass ihr FLIPPER gegründet habt? Wie hat sich die eure spezielle Herangehensweise an die Musik entwickelt, was steckt hinter der FLIPPER-„Philosophie“?
Die dritte Besetzung von NEGATIVE TREND löste sich auf und Will Shatter kam irgendwie mit einem Kerl namens Ted Falconi zusammen. Ich kannte Ted, NEGATIVE TREND hatten mal einen Auftritt mit einer seiner Bands. Er spielte bei RAD COMMAND und noch bei einer anderen, an die ich mich gerade nicht erinnern kann. Sie kamen in Kontakt mit Ricky Williams, der in einer wirklich großartigen Band namens THE SLEEPERS sang. Ich glaube, ich war der Letzte, der an Bord kam. Wenn ich mich recht erinnere, traf Ted Falconi mich irgendwo auf einer Party und sagte, dass er, Will und Ricky einen Schlagzeuger bräuchten, und fragte mich, ob ich vorbeikommen könnte, um mir das mal anzuschauen. Also habe ich das gemacht und wir fingen an zu proben und haben sofort die ersten Songs geschrieben. Wir hatten uns keine Gedanken darüber gemacht, wie die Band klingen sollte oder über den Musikstil, die Einstellung oder irgendetwas anderes. Es gab keinen Plan, wir kamen einfach in einem Proberaum zusammen und fingen sofort an, Lärm zu machen, also buchstäblich. Verstärker aufgedreht, dazu ein kickender Beat, und Ricky sang gleich drauflos. Wir begannen schnell, uns Songs auszudenken. Nach zwei oder drei Proben hatten wir schon eine Handvoll ziemlich guter Songs beisammen.
Hat eines von diesen Stücken überlebt?
Wir haben davon nie etwas aufgenommen. Wir spielten sie mit Ricky bei den wenigen Shows, die wir mit ihm gemacht haben. Aber als er die Band verließ, hörten wir auf, die Songs zu spielen.
Vorher hat Ricky sich aber noch den Namen FLIPPER ausgedacht, richtig?
Es gibt dazu auch eine kleine Hintergrundgeschichte. Wir waren gerade mit dem Spielen von irgendeinem Song fertig und es gab einen ruhigen Moment zwischen den Songs. Will Shatter wandte sich an uns alle und sagte: „Nun, das scheint zu funktionieren!“ Es herrschte eine gute Stimmung im Raum, wir mochten uns alle und verstanden uns gut und daraus entstand Musik. Also blickte Will uns direkt an und sagte: „Wir brauchen einen Namen. Habt ihr Ideen?“ Es folgten ein paar Sekunden der Stille und dann war Ricky Williams der Erste, der sich zu Wort meldete und sagte: „Wie wäre es mit FLIPPER?“ Ich erinnere mich sehr lebhaft daran. Wir alle hielten für einen Moment inne und es tauchten keine weiteren Vorschläge auf, also sagten wir alle: „Okay.“ So einfach war das. Die Hintergrundgeschichte dazu war, dass Ricky den Namen „Flipper“ liebte. Er hatte zu Hause eine wahre Menagerie von Haustieren – Katzen, Hunde, Goldfische, Eidechsen, Vögel, was auch immer. Und alle wurden „Flipper“ genannt. Ich fand das erst viel später heraus. Leute, die ihn gut kannten, erzählten mir, dass alles bei ihm „Flipper“ hieß. Deshalb schlug er natürlich den Namen auch für die Band vor, haha. So ist das also entstanden. Leider liebte Ricky auch Drogen. Er stand auf Downer. Er hatte Ärzte an der Hand, die ihn mit Rezepten versorgten für alle möglichen Downer. Er hatte eine Menge Pillen und ich glaube, er nahm auch Heroin. Wie auch immer, wir haben jedenfalls einige Shows gespielt, ich kann mich nicht erinnern wie viele – aber einen Auftritt werde ich nie vergessen.
Warum?
Ricky war ein begnadeter Frontmann. Er war ein wirklich guter Sänger, ein großartiger Texter, er besaß eine großartige Ausstrahlung. Und er hatte so einen wirklich coolen Move drauf, bei dem er den Mikrofonständer ergriff und ihn herumschwang. Das war irgendwie seine Rockstar-Nummer auf der Bühne. Und bei einem Auftritt traf er Will Shatter mit dem Fuß dieses schweren Mikrofonständers und schlug ihn bewusstlos. Er behielt davon eine Narbe zurück, mindestens zwei Zentimeter lang – direkt zwischen seinen Augen. Es war ein perfekter Schlag! In dem Moment haben wir Ricky noch nicht gefeuert, aber kurz darauf, es war unmöglich, mit ihm zu arbeiten. Er tauchte nicht bei den Proben auf – entweder war er zu spät oder kam gar nicht. Und er war eine wandelnde Katastrophe, so ungefähr der „Sid Vicious“-Typ. Er hatte immer ein paar Mädchen im Schlepptau – er nannte sie seine Betreuerinnen –, die mit ihm durch die Gegend zogen, manchmal eine unter jede Schulter geklemmt, so hielten sie ihn aufrecht und liefen mit ihm herum. Ich erinnere mich, dass ich ihnen irgendwann eine Ansage machte. Ich glaube, das war, weil er wieder viel zu spät zur Probe gekommen und viel zu durcheinander war, als dass man mit ihm reden konnte. Ich hatte langsam genug davon. Also sagte ich zu den Mädchen: „Passt auf, wir haben morgen Abend um 18 Uhr Probe und wenn er nicht um Punkt sechs hier ist, ist er gefeuert. Also sagt ihm das, sobald er zu sich kommt.“
Und was passierte dann?
Am nächsten Tag wartete ich um sechs an der Laderampe des Proberaums. Dann tauchten die Mädchen plötzlich auf. Sie waren genau zur richtigen Zeit da. Sie fuhren mit dem Auto bis zur Laderampe und Ricky hockte bewusstlos auf der Rückbank. Sie sahen mich an und meinten: „Er ist pünktlich hier!“ Sie dachten, alles sei gut, sie haben ihn pünktlich hergebracht. Sie zerrten ihn buchstäblich aus dem Auto und warfen ihn auf die Laderampe. Er war bewusstlos. Ich bugsierte ihn auf einen Rollwagen, schob ihn nach drinnen und kippte ihn dort auf den Boden. Er blieb bewusstlos liegen. Ich schaltete ein Mikrofon ein, legte es an seinen Mund und er schnarchte, haha. Wir konnten ihn über die PA-Anlage schnarchen hören und mussten alle lachen. Aber wir erklärten den Mädchen: „Es tut uns leid, doch wir sind fertig mit ihm. Wann immer er aufwacht, sagt ihm einfach, dass es vorbei ist.“ Das war also das Ende von Ricky bei FLIPPER. Wir hatten eine Handvoll Shows mit ihm gespielt und vielleicht zehn Songs mit ihm geschrieben, das war’s. Ich erinnere mich nicht genau, wie Bruce Loose dann in die Band kam, aber plötzlich war er da und so blieb das Line-up auch für die nächsten sieben Jahre.
Stimmt es, dass Ted als Soldat in Vietnam gewesen war? Ich weiß nicht, ob es da was zu erzählen gibt, aber mich interessiert, wie sich sein Gitarrenspiel entwickelt hat. Denn niemand, den ich kenne, spielte damals auf diese laute Art und Weise Gitarre. War das schon immer so?
Das war schon so ganz am Anfang von Teds musikalischer Karriere. Und ja, er war Vietnam-Veteran, und war für drei verschiedene Einsätze in Vietnam. Als er zurückkam, ging er auf die Kunsthochschule und irgendwann machte er einen Abschluss in Kunst oder Musik oder so. Er beschäftigte sich an der Hochschule sowohl mit Kunst als auch mit Musik, und wurde dann selbst Dozent. Er hatte mit dem Kerl zusammenstudiert, der später Target Video gründete, Joe Rees. Als sie ihren Abschluss hatten, gründete Joe seine Firma und Ted hing erst mal ab. Zu dieser Zeit waren THE MUTANTS eine der angesagtesten Bands, die waren unglaublich, eine bunte Truppe, sehr gute Songs. Ted war mit einem von den Jungs befreundet. Er besuchte diesen Kerl, der eine riesige Modellflugzeugsammlung besaß – Modellflugzeuge zu bauen war sein Hobby. Und er ließ Ted in seiner Werkstatt wohnen. Da standen auch ein paar E-Gitarren herum und Ted hatte noch nie eine E-Gitarre in der Hand gehabt. Wie gesagt, er hatte in der Schule Musikunterricht gehabt, hatte aber keine Erfahrung mit elektrisch verstärkten Instrumenten. Ich denke, er spielte dort mit Synthesizern herum, so dass vielleicht ein Teil des Noise-Faktors daher kommt. Ted hängte sich eine Gitarre um, drehte den Verstärker auf und fing an, darauf Krach zu machen. Er verliebte sich irgendwie in diese Art von Lärm, den er mit einer E-Gitarre erzeugen konnte, besonders mit seinem Stil. Solange ich ihn kenne, hat er noch nie so etwas wie einen traditionellen Gitarrenstil gespielt. Ich denke, er benutzt die E-Gitarre im Grunde als „Krachinstrument“. Er holt den Sound heraus, den er aus seinen Verstärkern und Verzerrungsboxen, seiner Gitarre und was auch immer haben will. Er weiß, was Akkorde sind, aber die Art und Weise, wie er mit dem Plektrum umgeht, ist einzigartig. Niemand sonst macht das. Er hackt die Saiten irgendwie weg, anstatt sie anzuschlagen. Ich weiß nicht, wie ich es besser erklären soll, aber er verfügt über einem ganz und gar einzigartigen Stil. Es gibt niemanden, der so spielt wie er; man kann nicht mal wirklich beschreiben, was er genau tut.
Ich habe seine Gitarrenparts von Live-Aufnahmen nicht mit den Studioaufnahmen verglichen. Macht er das Gleiche, wenn er den Song live spielt?
Ja. Bei Studioaufnahmen ist es in der Regel jedoch mehr als ein Track. Er doppelt die Spuren, um es noch ein wenig „voller“ klingen zu lassen. Er versucht, das auch live hinzubekommen, ich glaube, er spielt bevorzugt mit zwei Verstärkern. Meistens kann er das nicht, wenn wir auf Reisen sind. Aber er spielt gerne durch zwei getrennte Verstärker und stellt einen etwas cleaner und einen „dreckiger“ ein, so dass er die beiden kombinieren kann. Aber im Studio spielt er einen cleanen und einen wirklich verzerrten Track ein und mischt die beiden. Ein cleaner Track von Ted ist aber nicht mit einem cleanen Track von jemand anders zu vergleichen. Ein cleaner Track von Ted klingt verzerrter als alles, was andere Gitarristen je fabriziert haben. Wenn man im Studio die Tracks mischt, spielt man jedes Instrument solo ein, dreht ein paar Regler und bekommt so jeden Sound, den man haben möchte. In meinem Fall, beim Schlagzeug, hat jede Trommel, an der sich ein Mikrofon befindet, ihre eigene Spur; wir nehmen mit 24 Spuren auf, also kann man mit 24 Mikrofonen arbeiten. Ich nutze etwa zehn Tracks nur für die Drums und dann stelle ich alles so ein, wie ich es haben will. Ted hantiert mit mindestens zwei verschiedenen Tracks parallel, eine Spur, die er mit uns zusammen aufgenommen hat, ergänzt er noch durch ein, zwei weitere, um sie in Schichten übereinander zu lagern. Und wenn man nur ausschließlich seine Gitarrensounds über die Lautsprecher hört, ohne irgendwelche anderen Instrumente, scheint es das Abgedrehteste zu sein, was man in seinem Leben je gehört hat. Der ultraverzerrte Sound plus seine Art, wie er mit der Gitarre Geräusche macht. Es ist echt bizarr. Aber wenn man dann alle Instrumente zusammenführt, dann passt plötzlich alles und es ergibt Sinn. Weil jetzt ein Bass dabei ist, von dem die eigentliche Melodie kommt, und das Schlagzeug, das den Rhythmus liefert, der Gesang oben drauf, und das in Kombination mit dem ganzen Noise – und es funktioniert irgendwie!
Welche Unterschiede gibt es zwischen Will und Bruce als Songwriter? Ich bin vor allem ein Fan von Wills Songs wie „Shed no tears“ oder „Life“, wo es heißt: „Life is the only thing worth living for.“ Speziell in Wills Songs steckt so viel drin, die Texte wirken bis ins Letzte durchdacht ... das ist gewissermaßen Punk mit existenzialistischer Tiefe.
Nun, wir hatten Glück, denn wir hatten zwei Leute für den Job statt nur einen, jeder von ihnen mit seinem eigenen Stil, seiner eigenen Philosophie und seinem eigenen Humor. Und sie schrieben die Texte. Es gab uns eine zusätzliche Vielfalt. In neun von zehn Fällen sang derjenige den Song, der ihn auch geschrieben hatte. Es gab vielleicht ein oder zwei Ausnahmen davon, wo der eine den Text des anderen sang. Aber sie hatten beide unterschiedliche Persönlichkeiten und kamen mit unterschiedlichen Texten an. Will schrieb „Life“ und auch „Shed no tears“, und er sang beide Lieder. Und es hat alles funktioniert – wenn man sich das Album „Generic Flipper“anhört, gab es da zwar zwei verschiedene Sänger, aber es klang alles wie FLIPPER. Will Shatter war etwas zynischer, schrieb aber gleichzeitig so was wie „life is the only thing worth living for“, was ziemlich ergreifend ist. Heute mehr denn je. Wir haben so viele Leute aus unserer Szene verloren, so viele Leute sind viel zu früh gestorben – manche aufgrund einer Krankheit, viele wegen Drogen und Alkohol. Das Leben ist immer noch das Einzige, für das es sich zu leben lohnt! Ich wünschte, die Leute hätten damals darüber nachgedacht und nicht mit dem angefangen, was sie am Ende getötet hat. Wie auch immer, wir haben das in unsere Aktivitäten zum vierzigjährigen Jubiläum übernommen, das ist so etwas wie unser Motto, und damit feiern wir alle, die noch am Leben sind. Darum ging es mir, als ich diese Sachen zum vierzigjährigen Jubiläum veröffentlichte.
Ich würde dich gerne nach einer bestimmten Live-Aufnahme fragen, eine Version von „Ever“, die 1982 auf der „Eastern Front“-Compilation erschienen ist. Was war da los, erinnerst du dich?
Ja, das tue ich! Das ist eine erstaunliche Aufnahme, ich liebe das. Jedes Mal, wenn ich mir diese Aufnahme anhöre, werde ich fast verrückt. Also ja, der Song erschien zuerst auf der „Eastern Front“-Compilation, später, etwa 1986, brachten wir eine eigene Zusammenstellung heraus, mit dem Titel „Sex Bomb Baby“. Sie enthält Singletracks und Stücke, die auf verschiedenen Compilations rauskamen. Das ist einer davon. Und ich erinnere mich genau, bei diesem Song sind so viele Dinge passiert, es ist unglaublich, da steht ein Typ neben der Bühne, erfindet seine eigenen Texte, das hier sei das „Punkrock Woodstock“ und so weiter, es war perfekt. Und dann dreht die Menge durch, und man bekommt das Gefühl, als würde er genau davon erzählen, was da gerade vor sich geht ... Das war Punkrock.
War das typisch für FLIPPER-Shows, dieses Ausmaß an Anarchie?
Absolut. Und so wurden FLIPPER bekannt – unsere Shows waren unberechenbar, wild und verrückt. Als wir anfingen, wurde alles „Punkrock“ genannt. Und dann gab es noch New Wave und dann Hardcore. Das New-Wave-Zeug war irgendwie anders, aber es kam nach dem Punkrock, daraus wurde der kommerzialisierte „Punk Lite“-Stil, den Plattenfirmen bevorzugten, der poppige Sound und der New-Wave-Trend. Und dann entstand aus der Punk-Szene auch der Hardcore, daraus wurde ein eigener Stil, sowohl in Bezug auf die Musik als auch auf die Klamotten, das war fast wie eine Uniform. Ursprünglich war Punkrock sehr vielseitig. Jede Band war anders. Niemand kam jemals auf die Idee, wie jemand anderes klingen zu wollen. Hardcore-Musik wurde zu einer eigenständigen Sache, wozu gehörte, dass immer alles das gleiche Tempo haben musste, super schnell. Aber diese langsame, melodische, schmutzige Musik, die FLIPPER gespielt haben, stach sowohl in der Punk-Szene als auch in der Hardcore-Szene hervor. Die Hardcore-Szene hat gegenüber Punkrock irgendwann die Oberhand gewonnen: Alles war Hardcore. Und dadurch waren wir erst recht etwas Besonderes. Mit Punk und Hardcore assoziierte man diese schnelle Musik, aber wir machten einfach das, was wir immer taten, und hoben uns wirklich von der Masse ab. Unsere Shows waren chaotisch und verrückt, also denke ich, dass die Hardcore-Crowd und andere Bands genau deswegen immer noch Respekt vor uns hatten. Wir wurden „die verhassten FLIPPER“ genannt oder „die Band, die du gerne hasst“. Und so wie ich das verstanden habe, wurden wir einerseits abgelehnt, weil wir nicht diesen typischen Hardcore-Sound bedienten, es andererseits bei uns aber auch mehr Chaos gab als bei ihnen. Die Hardcore-Szene hatte die Pits und die Schlägereien und was sonst noch abging. Das war ziemlich wild und verrückt, aber es war auch ziemlich gewalttätig. Aber FLIPPER standen nie für Gewalt. Unser Chaos war mehr ein „lustiges“ Chaos, wenn wir unser Publikum zu uns auf die Bühne ließen, um herumzutanzen, zum Stagediven, sie konnten sich das Mikrofon schnappen und mitsingen. Die Leute brachten sogar ihre Instrumente mit. Ja, es gab ein wenig Gewalt hier und da, aber es war nie wirklich Teil unserer Show. Gelegentlich passierte es einfach. Die meiste Gewalt, die jemals bei einer FLIPPER-Show vorkam, ging von uns selbst aus. Es gab eine Handvoll Shows, bei denen wir uns auf der Bühne prügelten. 1992 waren wir mit THE DWARVES auf Tournee und wir fingen an, uns gegenseitig zu verprügeln. Ich erinnere mich, dass ich in einen Club ging, und THE DWARVES waren vor uns angekommen. Wir gingen hinein und sie saßen alle an der Bar, sahen uns an und sagten: „Ihr seid verrückt! Ihr sollt andere Leute verprügeln, nicht euch gegenseitig!“ Haha! Ja, es gab eine Menge Chaos, aber wirklich gutes positives Chaos. Zumindest zu 90%.
Die Band war irgendwie heftig, aber ich fand FLIPPER nie wirklich deprimierend. Wie hat sich das damals für dich angefühlt, bei FLIPPER zu spielen?
Super spaßig! In den frühen Tagen von FLIPPER waren wir wirklich sehr begeistert davon, in der Band zu spielen und in der Szene in San Francisco unterwegs zu sein. Und wir haben ernsthaft geprobt – ich denke, die meisten Bands in San Francisco haben es ziemlich ernst damit gemeint, Songs zu schreiben und kreativ zu sein. Ich weiß zumindest, dass wir es so gehalten haben, wir haben in den ersten Jahren hart gearbeitet. Wir hatten einen strengen Probenplan. Wir probten drei Abende pro Woche, Montag, Mittwoch und Freitag. Dann gingen wir normalerweise ins Mabuhay, um eine Show zu sehen und uns zu unterhalten. Das war auch so eine Sache, als Band auszugehen und irgendwie als kleine Gang aufzutreten, um sich zu vernetzen und uns mit anderen Musikern auszutauschen. Wir alle liebten es, in der Band zu sein, wir wollten so viel wie möglich spielen und wollten auch außerhalb von San Francisco auftreten. Ted und ich liebten es rauszukommen und unterwegs zu sein, aber es dauerte eine Weile, bis wir das tun konnten. Wir konnten in San Francisco ziemlich viel spielen und uns weiterentwickeln. Aber wir haben es letztlich Jello Biafra zu verdanken, dass wir irgendwann auch von San Francisco außerhalb spielen konnten. Die DEAD KENNEDYS gingen auf eine große USA-Tournee, bevor wir es taten; ich denke, sie waren die erste Band aus San Francisco, die wirklich auf eine große US-Tour ging. 1981 hatte er auf Alternative Tentacles die „Let Them Eat Jellybeans!“-Compilation veröffentlichte, mit unserem Song „Ha ha ha“ als Opener, irgendwie wurden wir zu Jellos Lieblingsband. Er ging also auf seine erste Tournee, und immer, wenn er in einem Radio- und Presseinterview gefragt wurde, welche anderen Bands ihm gefallen, wer sonst noch in San Francisco angesagt war, antwortete er: „FLIPPER.“ So machte er unseren Namen überall in den Staaten bekannt. Als wir schließlich auf Tour waren, lief es extrem gut. Zu jeder Show unserer ersten Tour als Headliner kamen jede Menge Leute. Nach unserer Rückkehr waren Bruce und Will irgendwie angepisst von dem Erfolg. Sie wollten nicht auf diese Weise erfolgreich sein. Sie wollten nicht berühmt werden. Also machten sie erst mal dicht und ließen fortan alle Möglichkeiten für die Band sausen. Sie taten das immer wieder, sie sagten immer bloß: Nein, nein, nein, fick dich, geh weg. Was für Chancen sich uns auch boten. Aber FLIPPER hatte trotz der beiden Jungs Erfolg.
Die beiden haben die Texte geschrieben, und die waren für mich immer das Wichtigste bei FLIPPER, also waren sie auch Teil des Erfolgs von FLIPPER, oder nicht?
Natürlich hat der Erfolg von FLIPPER mit ihnen zu tun, und mit Ted und mir, aber sie sprachen sich beide gegen den Erfolg aus! Beide zogen es vor, zu Hause in San Francisco zu bleiben und lokale Shows zu spielen, sie genossen es nicht gerade, auf Tour zu gehen. Sie wollten nicht in der ganzen Welt bekannt sein. Sie wollten nicht größer sein, als man innerhalb von San Francisco werden kann. Das war jedenfalls mein Eindruck, und ihr Verhalten ließ keinen anderen Schluss zu ... Zudem neigte Bruce zunehmend zur Selbstzerstörung. Ich will nicht sagen, dass das eine bewusste Entscheidung, aber er entwickelte einen ziemlich selbstzerstörerischen Lebensstil. Er begann, mit Heroin herumzuspielen, wollte dann davon loskommen und versuchte, es sich mit Hilfe von Speed abzugewöhnen. Schließlich landete er wieder beim Heroin, dann war er wieder auf Speed. Es war ein ewiges Hin und Her. Aber vor ein paar Jahren schaffte er es, clean zu werden, es sah wirklich gut aus für ihn. Er hatte wieder geheiratet. Seine erste Frau war ein Junkie, sie landeten gemeinsam im Drogensumpf, seine zweiten Frau nicht. Die beiden heirateten und sie wurde schwanger. Aber wie das bei so vielen Junkies ist, werden sie erst clean, dann wollen sie doch wieder high sein und nehmen natürlich die gleiche Dosis wie gewohnt. Aber wenn sie sich dann die gleiche Menge injizieren, tötet sie das, weil sie es nicht mehr vertragen. Das ist Will passiert. Er hatte Pläne, aus San Francisco in irgendeinen Vorort zu ziehen, ein normales Eheleben mit Kind zu führen und so weiter. Aber er beschloss, noch einmal high zu werden. Leider war niemand da, der ihn hätte retten können. Als seine Frau nach Hause kam, fand sie ihn auf dem Küchenboden. Bruce hatte schon häufiger eine Überdosis überlebt. Er hat einen sehr selbstzerstörerischen Weg eingeschlagen. Und es ist für ihn leider nicht gut ausgegangen.
Wir müssen ein paar Jahre nach vorne springen. Bruce hat sich nach dem 1993er Album „American Grafishy“ bei einem Autounfall am Rücken verletzt, aber er hat es dann geschafft, sich für Shows im CBGBs und das Album „Love“ von 2009 aufzuraffen, als FLIPPER wieder zusammenkamen. Aber wie kommt es, dass jetzt David Yow am Mikro steht?
2012 wurden Bruces Rückenprobleme wieder schlimmer. Es war wirklich hart für ihn. Und obwohl sein Rücken etwas gerichtet worden war, tat ihm das Reisen im Tourbus und das Spielen jede Nacht immer noch nicht gut, das dann seinen Tribut forderte. 2012 war er dann irgendwie fertig. Und plötzlich bekam ich aus heiterem Himmel einen Anruf von unserem italienischen Booking-Agenten, der sagte, es gäbe jemand, der drei Shows in Italien mit uns veranstalten wollte. Er würde auch alle Kosten tragen: Er wollte uns einfliegen, uns in Hotels unterbringen, uns von Stadt zu Stadt fahren, uns versorgen und uns eine Gage zahlen, so dass wir mit Geld in der Tasche heimfahren könnten und eben eine Woche Urlaub in Italien gehabt hätten. Ich sagte: „Wow, das würde ich wirklich gern machen.“ Also kontaktierte ich Bruno DeSmartass, unseren Interimsbassisten, und ich rief Ted an. Ich sagte: „Hey, wir bekommen diese Gelegenheit, würdet ihr das machen wollen?“ Sie sagten: „Ja, aber wir haben keinen Sänger!“ Ich sagte: „Okay, ich weiß. Ich wollte wissen, ob ihr dabei seid, und jetzt lasst mich darüber nachdenken, wen wir als Sänger bekommen können.“ Und dann ging ich zu zu einem Konzert der alten San-Francisco-Band CHROME. CHROME waren damals auf Subterranean Records; sie waren Labelkollegen von uns. Sie spielten in einem Club in L.A.. Ich schaute mir also die Show an und irgendwann meinten sie: „Wir haben einen Gastsänger und er wird einen Song mit uns spielen.“ Und das war David Yow. David war bei SCRATCH ACID und JESUS LIZARD. Er war ein Freund von ihnen, deshalb spielte er diesen einen Song mit ihnen. Ich sah zu und dachte: Wow, vielleicht würde es mit ihm klappen. Ich rief am nächsten Tag einen der Jungs von CHROME an: „Hey, ich denke darüber nach, David Yow zu fragen, ob er diese drei Shows in Italien mit uns spielen würde, könnte ich seine Nummer haben?“ Ich hinterließ eine Nachricht auf seiner Mailbox und er rief am nächsten Tag zurück. Er sagte: „Hey, ich habe deine Nachricht abgehört, das wäre toll! Ich würde mich geehrt fühlen, diese Shows mit FLIPPPER zu machen – das wäre fantastisch.“
© by - Ausgabe # und 28. November 2019
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Norbert Johannknecht
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #77 April/Mai 2008 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Joachim Hiller