CRO-MAGS

Foto© by Ash Settantuno

Sounds of NYC

„Ich lebe in einer spanisch geprägten Nachbarschaft. Was du hörst, ist eine christliche Prozession, die direkt unter meinem Fenster entlang lief. Wenn ich in den Straßen unterwegs war, nahm ich alle möglichen Sounds mit dem Telefon auf, um den Hörer in mein Umfeld mitzunehmen. Jedenfalls passen diese religiösen Gesänge gut an den Schluss von ‚One bad decision‘ und klingen cool!“, sagt Harely Flanagan.

One bad decision“ – im Grunde handelt jeder Song auf „In The Beginning“ von Entscheidungen. Die meisten davon wiegen schwerer als die Wahl eines Albumtitels.

Wir hatten einige Vorschläge auf dem Tisch. Es war meine Frau, die feststellte, dass es keinen besseren Titel geben könnte, denn offensichtlich ist dies ein Neuanfang! Auf dem Cover sieht man wiederum das besetzte Haus, in dem ich lebte, als es mit den CRO-MAGS losging. Da schließen sich Kreise, und ich schreibe heute mit derselben Motivation wie damals. Dieses Rad kann nicht neu erfunden werden, aber verbessert! Dafür habe ich mir angesehen, was einen CRO-MAGS-Song ausmacht. Da sind zum Beispiel diese großen Intros, wir waren wohl die erste Hardcore-Band, die das gemacht hat, und das findet man heute wieder.
Entstehen konnten CRO-MAGS nur in dieser Zeit und Stadt. Vermutlich wäre irgendwer auch woanders auf einen ähnlichen Sound gekommen, aber es wäre nie dasselbe gewesen. Die Band lässt sich von unserer damaligen Lebensrealität nicht trennen, sie war eine Reaktion darauf.

Diese Realität brachte dich in viele Extremsituationen. Deine Songs geben Rat, wie damit umzugehen ist.
Ich bin kein Geschichtenerzähler, meine Texte handeln von realen Erlebnissen. Das unterschied die CRO-MAGS schon am Anfang von Tourpartnern wie METALLICA. Ich meine, ich liebe METALLICA, aber ich könnte keine Fantasystory wie „Creeping death“ schreiben. Meine Texte entstehen wie der von „Two hours“: Ich wurde auf dem Heimweg, zusammen mit meinen Kindern, von einer Gruppe aggressiver Typen angegangen. Es ist keine gute Idee, meine Kinder anzufassen, sage ich dir! Ich war fast so weit, auf die loszugehen, als ich mich fragte: Wo willst du in zwei Stunden sein? Zu Hause bei deiner Familie oder in einer Zelle? Ich bin dann gegangen und habe die Kerle stehen lassen. Die Message lässt sich auf viele Situationen übertragen: Ist es das wert? Das habe ich auch meinen Kindern erklärt, die natürlich wussten, ich hätte auch anders gekonnt. Schließlich kamen wir gerade von der Kampfsportschule! Ich bin nicht über alles glücklich, was ich in meiner Jugend getan und erlebt habe. Als ich ein Skinhead war, ging es nicht um Style oder Musik, ich war einfach ein gewalttätiger Hooligan! Einiges aus dieser Zeit verfolgt mich bis heute, davon handelt „PTSD“, das steht für Posttraumatische Belastungsstörung. Ob man im Afghanistankrieg war oder Gangmitglied oder im Gefängnis, manches schleppt man für immer mit sich herum. Umso wichtiger sind kluge Entscheidungen. Jeder kann sein Leben ändern! Nur Idioten halten fest an dem Image, das sie von sich verbreiten wollten, als sie jung waren. Sie waren Hare Krishna, als sie 15 Jahre alt waren, und verkaufen den Leuten Jahrzehnte später immer noch, sie würden an den Mist glauben? Sie waren in einer beschissenen Gang und denken heute noch, das wäre ein prima Lebensstil? Glauben die wirklich denselben Quatsch mit fünfzig, den sie mit zwanzig glaubten?

Fertig aufgenommen war „In The Beginning“ schon im letzten Spätsommer. Was passierte seitdem damit?
Es war die richtige Entscheidung, den Release bis in dieses Jahr zu schieben. Während der Aufnahmen stand eine Deadline, die mir immer unangenehmer wurde. Ich wollte mehr Zeit, um die Musik mit etwas Abstand hören zu können. Man muss sich hohe Standards setzen, ich habe dann auch einige Gesangsspuren neu aufgenommen. Außerdem blieb so genug Zeit, die Reihenfolge der Songs auszuprobieren und sie mit den Samples zu verbinden, über die wir sprachen.


Es gibt eine Überschneidung mit einem anderen Projekt des letzten Jahres. Du hast in einem Gangsterfilm gespielt und den Score dazu geschrieben. „Between wars“ stammt von diesem Soundtrack.
Diese Arbeit hat für mich sehr viele Türen aufgestoßen, das meine ich vor allem in kreativer Hinsicht. Das Projekt fand abseits von der Band statt, das hat mir viel Freiheit verschafft, mich von den Einschränkungen des Genres zu lösen. Mir wurde klar: Ich kann auch ein Cello einsetzen, warum denn nicht? Dazu muss ich sagen, dass ich Hardcore schon gegen Ende der Achtziger als repetitiv und langweilig empfand. Wenn man mit MINOR THREAT und den BAD BRAINS aufwuchs, ist man schwer zu beeindrucken. Das letzte BODY COUNT-Album fand ich aber sehr gut. Nein, das vorletzte war es, das vor „Carnivore“. Das lief rauf und runter, bis ich dachte: Das muss aufhören, dieser Scheiß beeinflusst schon mein eigenes Songwriting! Es ist mir schon passiert, dass ich zum Beispiel viel RED DEATH hörte und kurz darauf ein Riff schrieb, das verdächtig nach denen klang. In dem Fall hat mir der RED DEATH-Sänger, als ich ihm davon erzählte, aber versichert, dass das kein Problem gewesen wäre. Das Riff käme vermutlich ganz ursprünglich sowieso von mir!

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs wird New York City von der Pandemie hart getroffen. Die CRO-MAGS waren eine der ersten Bands, die eine Show kurzerhand vor Internetkameras verlegten.
Ich habe gesehen, wie mein direkter Nachbar unter einer Sauerstoffmaske abgeholt wurde, und zur Zeit stehen vor jeder Leichenhalle der Stadt Kühltrucks! Die Sache ist ernst und wird uns noch eine Weile einschränken. Die Menschen werden neue Wege finden müssen, für uns war die Show für ein Online-Publikum neu. Ich durfte nicht vergessen, dass es mehr als nur eine Probe ist, um nicht vor 200.000 Leuten in der Nase zu bohren! Die Krise wird aber vorübergehen, und dann kann ich wohl gleich zwei Doppelalben rausbringen. Ich habe so viel Musik geschrieben, aktuell bin ich bei 27 Songs! Ich mache momentan kaum was anderes, als Musik zu schreiben und zu trainieren – außer vielleicht, zu viele Online-Schlagzeug-Lehrvideos zu gucken!