CITIZEN

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Im Glashaus

Man kann getrost sagen, dass keine CITIZEN-Platte klingt wie eine andere. Was mit „Youth“ noch im Post-Hardcore gestartet ist, bewegt sich auf ihrem aktuellen, dritten Album „Life In Your Glass World“ deutlich im Indierock, ist vielleicht sogar etwas für den Dancefloor. Schon beim Vorgänger „As You Please“ deutete sich an, dass die Brüder Nick und Eric Hamm sowie Sänger Mat Kerekes nie auf der Stelle treten. Warum ihn die Reaktionen auf seine Musik noch lange beschäftigen und wieso CITIZEN mittlerweile nur noch als Trio unterwegs sind, erklärt Mat im Interview.

Mein erster Gedanke bei „Life In Your Glass World“ war: Wow, hier hat sich ja einiges getan. Schließlich fängt die Platte mit den wahrscheinlich tanzbarsten Beats an, die bis jetzt von CITIZEN zu hören waren.

Wir waren nie eine Band, die sich nicht getraut hat, Neues auszuprobieren. Wir hätten es uns auch recht leicht machen und eine Platte wie „Youth“ noch eine Million Mal aufnehmen können. Aber schon vor sechs Jahren war uns bewusst, dass wir diesen Sound irgendwie hinter uns gelassen haben. Unsere musikalischen Interessen hatten sich geändert und wir haben gemerkt, dass es uns guttut, etwas zu machen, auf das wir Bock haben– nicht das, was von uns erwartet wurde. Darum hat sich CITIZEN nie wirklich wie ein Job anfühlt, bei dem wir irgendwelche Ziele erreichen müssen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals mit einer Band auf Tour sein würde. Zumindest wären wir wahrscheinlich gerade auf Tour, gäbe es diese verdammte Pandemie nicht. Uns geht es darum, im Flow zu bleiben und das zu tun, was sich als gut für uns herausgestellt hat. Natürlich sind wir besonders jetzt sehr dankbar, dass es Leute gibt, die an dem interessiert sind, was wir veröffentlichen.

Wie kommt es, dass ihr jetzt nur noch zu dritt unterwegs seid?
Die Pandemie hat Ryland, unserem ehemaligen Gitarristen, gewissermaßen die Augen geöffnet. Er brauchte etwas Stabilität in seinem Leben, schließlich hat er vor kurzem geheiratet. Seine Prioritäten haben sich einfach verschoben. Mit unserem Drummer Jake sind wir langfristig menschlich einfach nicht auf einen Nenner gekommen. So bleiben also noch wir drei und damit gleichzeitig die Gründungsmitglieder der Band. Ich schreibe ja die Songs, von den Drumparts über die Gitarren bis hin zu den Lyrics. Daran hat sich seit unserer ersten Platte nichts geändert.

Viele der neuen Sachen wirken so, als sei hier ein Drumcomputer für den Beat verantwortlich.
Als ich die Drumparts geschrieben habe, ist mir aufgefallen, wie müde ich von diesen hektischen Schlagzeug-Fills war. Da gab es eine Menge Rock-Referenzen in unseren alten Songs. Dieses Mal wollte ich das vermeiden. Wir kreierten also einen simplen Drum-Loop und haben ihn dann im Studio eingespielt. Fills haben wir nur eingesetzt, wenn wir es für absolut notwendig hielten. Unser Hauptaugenmerk lag darauf, dass die Drums den Songs vor allem viel Dynamik verleihen, so ähnlich wie bei MINISTRY oder den GORILLAZ.

Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?
Es existieren tatsächlich Menschen, die sich über unseren Schlagzeugstil ihre Gedanken machen. Das ist echt krass. Irgendwo bin ich auf den Kommentar gestoßen, dass es ja kein Wunder sei, dass die Drums jetzt weniger aufwändig und hektisch klingen, schließlich hätten wir ja zwei Mitglieder verloren. Es gäbe also weniger Input. Dem kann ich nur entgegnen, dass er vollkommen falsch liegt. Es war eine bewusste Entscheidung, um am Ende den anderen Instrumenten auf „Life In Your Glass World“ mehr Raum zu lassen. Und außerdem stammen die Drums auf den alten Platten auch alle aus meiner Feder. Das Argument kann ich also nicht gelten lassen.

Je simpler die Songstrukturen sind, desto besser können sich die Lyrics entfalten, oder?
Da gibt es sicher unterschiedliche Vorstellungen. Ich höre lieber einen Song mit guten Melodien und Texten, als dass jemand ein abgefahrenes Gitarren- oder Drumsolo spielt. Grundsätzlich habe ich mittlerweile meine Art Songs zu schreiben so angepasst, dass ich selbst zufrieden sein kann mit dem Ergebnis. Das war nicht immer so.

Du hast dir in deiner Garage ein eigenes Studio eingerichtet und dort auch „Life In Your Glass World“ aufgenommen. Inwieweit hat sich die Atmosphäre auf das Ergebnis ausgewirkt?
In erster Linie war es super komfortabel, aus dem Bett direkt ins Studio gehen zu können. Hier gibt es keine Fenster, so dass es sich manchmal wie eine eigene Welt anfühlt, in die wir uns zurückziehen konnten. Das war deshalb so wichtig, weil im Vorfeld der Aufnahmen bei uns so viel passiert ist. Die Entscheidung, Jake aus der Band zu werfen, der ja ein langjähriges Mitglied von CITIZEN war, hat ebenfalls dazu geführt, dass wir uns noch mehr auf uns selbst konzentrieren wollten. Dazu kommt, dass ich mir Auszeiten vom Schreiben und Produzieren nehmen konnte, ohne dabei den Zeitdruck zu verspüren, den du im Studio ja latent hast. Zwischendurch habe ich mal einen ganzen Monat pausiert, weil ich einfach keine Kraft und Motivation mehr hatte. Nick und Eric sind sehr sensibel damit umgegangen. Ich denke, dass man „Life In Your Glass World“ auch anmerkt, wie persönlich die Platte geworden ist.

Die Texte auf dem Album klingen teilweise recht verbittert. Kannst du mir erklären, was hinter dieser Zeile aus „I want to kill you“ steckt: „I just want to play God for myself / I just want war and nothing else“?
Am Ende des Tourzyklus zu „As You Please“ waren wir alle in der Band sehr erschöpft, es fühlte sich so an, als würden die Leute permanent immer mehr von uns erwarten. Es gab Situationen, in denen waren die Fans sehr penetrant und unhöflich. Wahrscheinlich haben sie es gar nicht so wahrgenommen. Sie haben ihr Verhalten bestimmt nicht wirklich reflektiert. In „I want to kill you“ geht es darum, die Kontrolle über sein Handeln wiederzuerlangen und nicht vor anderen auf die Knie zu gehen und sich anzubiedern. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich bin unendlich dankbar dafür, die Welt bereisen und vor Leuten Musik machen zu können. Irgendwie hat es sich aber am Ende nicht mehr unbeschwert und gut angefühlt. Es war, als könnten wir den Erwartungen an uns nicht mehr gerecht werden und jeden Abend immer gute Laune versprühen. Vielleicht hatten wir es vorher auch schlicht übertrieben. Grundsätzlich nehme ich mir die Reaktionen unserer Fans sehr zu Herzen. Wenn da also jemand ist, der oder die sagt, dass ich ein Arschloch sei, nur weil ich kein Foto mit ihnen gemacht habe, denke ich hinterher länger darüber nach, als es vielleicht gesund ist. Genau das Gleiche passiert, wenn ich lese, dass jemand unsere Songs scheiße findet. Mittlerweile habe ich die Einstellung, dass es eigentlich egal ist, was andere über unsere Musik denken. Schließlich haben sie sie nicht geschrieben, sondern wir. „I want to kill you“ ist aus der Frustration entstanden, dass ich das Gefühl hatte, von mir würde zu viel verlangt.

Hast du Angst, dass du die Gedanken, die du während des Schreibens hattest, nie wieder loswirst?
Überhaupt nicht. Musik hat auf mich eine kathartische Wirkung. Es ist ja auch nicht so, dass ich hier sitze und mich die ganze Zeit nur aufrege. Solche Songs zu schreiben, bedeutet für mich gleichermaßen loszulassen und mich zu befreien. Und das fühlt sich am Ende wieder gut an.

Also ist „Life In Your Glass World“ auch ein Wink mit dem Zaunpfahl an all jene, die ihre Grenzen nicht kennen?
Mich beschäftigen Situationen, die ich im Zusammenhang mit CITIZEN erlebe, schon eine ganze Weile. Auch Dinge, die im Internet gesagt werden, bleiben bei mir immer etwas länger haften. Es gab unterschiedliche Situationen bei unseren Konzerten, in Florida oder auch in Kansas, in denen einzelne Leute einfach unhöflich und respektlos waren. Sie haben sich wie Arschlöcher verhalten. Als ich sie darauf angesprochen habe, haben sie total pikiert und verständnislos reagiert und mich dann bei Twitter als arrogantes Arschloch bezeichnet. Ich habe es einfach satt, unfair behandelt zu werden und habe mein Verhalten in dem Sinne auch schon angepasst. Wenn etwas nicht richtig ist, spreche ich es an. Aber ich bin auch nicht mehr so offen und gesprächig wie vor einiger Zeit. Der Titel der Platte kann auf verschiedene Weise verstanden werden. Zum einen leben wir in Toledo, Ohio, der sogenannten Stadt aus Glas. Andererseits habe ich das Gefühl, in einem Glashaus zu sitzen, in dem jede Bewegung beobachtet und kommentiert werden kann, ohne dass die Menschen sich wirklich die Zeit nehmen, mal darauf zu schauen, was ihr Verhalten alles bewirken kann.