CALLEJON

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Zurück in die Dystopie

Die Düsseldorfer zieht es nach „Fandigo“ zurück in das Reich der Fantasie, in der düstere Zeiten herrschen und die Gesellschaft kein Auffangbecken mehr bietet. Über das neue Album „Metropolis“ haben wir diesmal mit Gitarrist Berni gesprochen.

Metropolis“ hieß auch der erste Science-Fiction-Film der Weltgeschichte. Worin wart ihr die Ersten? Habt ihr irgendeine Pionierarbeit geleistet?

Ich glaube, wir waren tatsächlich eine der ersten Bands, die deutsche Texte hatte in dem Genre. Metalcore ist das ja weitestgehend. Klar gab es damals schon irgendwie deutschsprachige Metalbands, RAMMSTEIN kennt sowieso jeder, ist klar. Ich glaube, NARZISS, eine Band aus der Ecke Jena, die hatten auch schon deutsche Texte. Aber abgesehen davon ... Ich weiß nicht, ob wir da jetzt wirklich mit die Ersten waren, aber wir haben zumindest dazu beigetragen, dass Metal auch so was wie eine ironische Brechung haben kann. Dass nicht alles immer nur ernstgemeint sein oder sich quasi alles wirklich nur um ernste Themen drehen muss. In unserer Anfangsphase gab es da zumindest nicht so viele andere Bands, bei denen es auch so war.

Wo du gerade eure Anfangsphase erwähnst: Die war ja hier und da ein wenig holprig. Magst du da mal ein bisschen in Erinnerungen schwelgen und uns teilhaben lassen?
Das ist jetzt schon echt lange her ... Es gab damals alle diese Strukturen, wie es heute immer der Deal ist, nämlich dass man schon relativ viel selbst machen kann, weil es gute Plug-ins und andere digitale Studioelemente gibt, digitale Amps und all so was, noch nicht. Das war alles ein bisschen komplizierter. Ins Studio zu gehen, war unfassbar teuer. Es war einfach eine andere Zeit. Aber wir haben das damals gar nicht hinterfragt. Wir haben einfach gemacht und unsere Kohle zusammengelegt und sind ins Studio gegangen, um da unser Erspartes auf den Kopf zu hauen und „Willkommen im Beerdigungscafé“ aufzunehmen. Und dann gab es noch kein Facebook beziehungsweise das war noch keine große Sache in Deutschland. Instagram gab es sowieso noch nicht. Irgendwann gab es MySpace, Emopunk.net ... Aber eigentlich konnte man sich als Band nur etablieren, wenn man viel auf Tour gefahren ist. Und wir sind auch viel auf Tour gefahren! Das hat bedeutet, auch wirklich irgendwo in den letzten Truckerklos zu spielen. Das hat aber natürlich schon ein Stück weit Bock gemacht, und wir waren da auch noch sehr jung und uns war vieles demnach noch scheißegal. Das war definitiv schon eine lustige Zeit. Es hat uns auf jeden Fall geholfen, die Band ein bisschen bekannter zu machen, es hat aber auch unsere Perspektive auf das Musikmachen sehr geprägt, weil wir gemerkt haben, es macht uns einfach viel Bock, live zu spielen und ein echtes Bandleben zu führen, auch wenn es vielleicht nicht so glamourös ist, wie man sich das in seinen wildesten Fantasien manchmal ausmalt.

Nach drei Jahren kommt ihr jetzt wieder zurück zum Thema Utopie/Dystopie. Wie kommt es, dass ihr bei diesem Motiv irgendwie hängengeblieben seid?
Utopien und Dystopien, das ist so etwas, das uns wohl immer auch beschäftigt. Das ist an sich schon eine sehr interessante Frage, an der man auch selbst, wenn man die Welt kritisch betrachtet und sich mit dem aktuellen Zeitgeschehen beschäftigt, nicht immer vorbeikommt. Wenn man zum Beispiel überlegt, was das eigentlich für eine Zeit ist, in der wir gerade leben. Unsere Realität ist eine sehr krasse Umbruchphase für alle möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen. In den letzten Jahren oder Jahrzehnten hat sich alles sehr beschleunigt, und irgendwie ist es ja so, dass dystopische Filme, dystopische Romane, dystopische Comics allgemein eine Sache sind, die uns immer auch schon geprägt haben und was die Menschen immer schon geil fanden. Das CALLEJON-Album „Metropolis“ hat außer dem Namen und einem Teil der Thematik nicht sehr viel gemein mit dem Film von Fritz Lang. Es ist quasi eine fiktionale Welt für sich, die sehr dystopisch ist, sehr düster, auch sehr comicartig. Irgendwo zwischen „Sin City“, „Batman“ ... Das sind alles Dinge, mit denen wir uns seit unserer Jugend in Form von Filmen, Büchern, Comics oder Musik auseinandersetzen. Deshalb ist es ein Thema, das immer auch eine gewisse Rolle spielt.

Würdest du sagen, dass wir selbst auch in einer Art Dystopie leben?
Ich glaube, das kommt sehr stark darauf an, wen du fragst. Wenn du ein Kind in Aleppo fragst, das quasi sein ganzes Leben nur Krieg kennt, dann ist das mit Sicherheit eine so schreckliche Realität, dass das zumindest teilweise als Dystopie bezeichnet werden könnte. Eine Dystopie ist vielleicht noch etwas umfangreicher vom gesellschaftlichen Ausmaß her. Für viele Menschen ist die Realität demnach schon eine Dystopie. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass man in einer globalisierten Welt deutlich mehr darauf achten muss beziehungsweise es sich bewusster werden lassen sollte, wie es ist, in einer relativ stabilen Demokratie zu leben. Und gerade dass es diese beiden Perspektiven gibt, sollte uns immer vor Augen führen, dass unsere Welt auch schneller ins Wanken geraten könnte, als wir das jetzt vielleicht für möglich halten. Die Entwicklungen in den USA zum Beispiel, so was kann einem schon Angst machen. Ich glaube also, so pauschal kann man die Frage nicht beantworten. Alle Gesellschaften dieser Welt sind ja auch irgendwie miteinander verflochten, und es gibt Strukturen, wie sie miteinander im Diskurs stehen. Demnach ist das eine sehr, sehr schwierige Frage. Ich glaube, ich würde sagen, für uns ist es so, dass wir nicht in einer Dystopie leben und wir sehr froh sein können, dass wir uns auf sehr weitreichende Freiheitsrechte berufen können, die wir vielleicht als selbstverständlich erachten, aber bei denen man sich immer bewusst sein sollte: Dafür haben Leute sehr lange und sehr hart für kämpfen müssen, damit sie heutzutage so etabliert sein können.