Für Nathan Gray ist das neue selbstbetitelte Album seiner Band BOYSETSFIRE das positivste, was sie jemals veröffentlicht haben. Musikalisch fühlt man sich jedoch an die Tage erinnert, in denen die Band aus Newark mit Platten wie „After The Eulogy“ (2000) und „Tomorrow Come Today“ (2003) vor Gesellschaftskritik nur so strotzte. Wie es sich anfühlt, nach zwanzig Jahren Bandgeschichte ein neues Album zu veröffentlichen, und welche Bedeutung bestimmte Weggefährten dabei haben, darüber spricht der Sänger, Solokünstler und mittlerweile auch Mitgründer von End Hits Records im Interview. Er hat dabei nicht nur Kritik im Gepäck, dieses Mal geht es ihm vor allem um das Lösen von Problemen.
Euch im Zuge eures Family First Fests in Köln mit Matt von FUNERAL FOR A FRIEND euren Song „Rookie“ performen zu sehen, hat bei mir einige Erinnerungen geweckt. Es wirkte so, als gäben sich zwei sehr wichtige Bands meiner Jugend die Hand, um noch einmal an die guten alten Zeiten zu erinnern. Was hast du bei dem Auftritt empfunden?
Das Family First Fest war alles in allem eine fantastische Sache für uns. Zum einen, um mit ein paar Leuten, die wir schon eine verdammt lange Zeit sehr mögen und zu schätzen wissen, etwas gemeinsam zu machen. Zum anderen war es eine gute Möglichkeit, um uns bei den Leuten hier in Deutschland für den unablässigen Support zu bedanken, den sie uns eigentlich seit Beginn unserer Karriere mit BOYSETSFIRE entgegengebracht haben. Dass wir dabei eine Bühne mit Chuck Ragan von HOT WATER MUSIC und den zwei noch verbliebenen Gründungsmitgliedern von FUNERAL FOR A FRIEND, Matt und Kris, sowie einer Menge an fantastischen lokalen Bands wie ADAM ANGST oder SENORE MATZE ROSSI teilen konnten, hat uns sehr glücklich gemacht. Es hat gezeigt, dass alte Weggefährten noch immer den Drang verspüren, etwas zu verändern und nicht still stehen – und sei es auch nur im musikalischen Sinne. Die Sache mit Matt war uns allen sehr wichtig. Und vor allem hat es unheimlich viel Spaß gemacht, diesen für uns sehr bedeutsamen Song gemeinsam zu singen.
Euer neues Album klingt stellenweise wie „After The Eulogy“, die Platte, auf der auch „Rookie“ zu finden ist und mit der ihr zum ersten Mal eine größere Öffentlichkeit erreicht habt. Was denkst du darüber, wenn du hörst, dass ausgerechnet diese beiden Alben offenbar so ähnlich klingen, obwohl zwischen ihnen über 15 Jahre liegen?
Das Schöne an unserer Musik ist, dass wir nicht wirklich planen, wie wir klingen wollen. Wir haben uns angewöhnt, das zu machen, worauf wir Lust haben. Unser letztes Album „While A Nation Sleeps“ war das erste, das wir gemeinsam nach unserer Pause aufgenommen und veröffentlicht haben. Darauf ging es uns erst mal darum, einige Sachen zu verarbeiten, wie zum Beispiel die immer noch dramatische politische Entwicklung in Amerika und auf der ganzen Welt. Es steckt sehr viel Wut in fast jedem Song dieser Platte. Auf unserem neuen selbstbetitelten Album sieht das mittlerweile anders aus. Ich habe gelernt, Probleme nicht mehr nur anzuprangern, sondern mich direkt mit Lösungen auseinanderzusetzen. Dass dabei eine positive, wenn nicht sogar die positivste BOYSETSFIRE-Platte herausgekommen ist, ist zum Teil Zufall, aber auch, wie gesagt, Teil einer persönlichen Entwicklung. Als Band hatten wir das Glück, dass wir zum Großteil noch immer die Jungs sind, die vor fast zwanzig Jahren zusammen gestartet sind, um uns die Zeit mit dem Musikmachen zu vertreiben. Klar, durch die Line-up-Wechsel am Schlagzeug und Bass hat sich auch unser Sound etwas verändert. Im Grunde sind es aber immer noch Josh, Chad und ich, die seit Beginn der Band die Musik und die Texte bestimmt haben. Und wir hatten nun wohl anscheinend wieder Lust auf ein wenig guten alten BOYSETSFIRE-Hardcore.
Wo du gerade die positive Ausstrahlung der Platte ansprichst: Ist es Zufall, dass eure letzte Platte ein schwarzes Cover und euer neues Album nun ein weißes Cover hat? Welche Bedeutung hat die Schlange, die sich offenbar selbst jagt?
Als wir uns entschieden haben, wie wir das neue Cover gestalten wollen, war für uns klar, dass unser selbstbetiteltes Album eine Art Weggefährte für „While A Nation Sleeps“ sein sollte: daher der Schwarz-Weiß-Kontrast. Die Schlange wiederum dient als Symbol der Wiedergeburt. Für uns heißt das, dass wir unsere Neuentstehung darstellen wollen. Wie vorhin schon erwähnt, ist dies ein durchweg positives Album, mit dem wir auch zeigen wollen, wie autark wir im Umgang mit unserer Musik sind. Wir haben unser Schicksal nun endlich wieder selbst in der Hand und können Dinge entscheiden, welche unsere persönliche Zukunft, aber auch die von unserer Band beeinflussen.
Es wirkt so, als seist du ein großer Fan von Symbolen. Auch das Cover deiner Solo-EP wird von einem großen Logo geprägt.
Ich finde Symbole unglaublich spannend, weil sie in mir immer etwas bewegen. Es ist so, dass ich immer sofort anfange zu überlegen, was bestimmte Symbole wohl ausdrücken wollen und ob sie es dann auch schaffen – wenn ich ihre wahre Bedeutung kenne. Bei den Symbolen, die ich persönlich benutze, will ich genau dasselbe erreichen: Die Leute sollen dazu kommen, sich über die Musik hinaus Gedanken über eine ganz bestimmte Sache zu machen.
Bei Symbolen kommen den meisten Leuten sicher drei Beispiele sofort ins Gedächtnis: Kruzifix, Hakenkreuz und Pentagramm.
Diese Symbole stehen jeweils für eine ganz bestimmte Sache. Meine Logos hingegen sollen nur bedingt für etwas Bestimmtes stehen. Bei BOYSETSFIRE würde ich sogar so weit gehen und sagen, dass es kein Symbol geben kann, unter dem wir alle unsere persönlichen Charaktere vereinen könnten und das insgesamt für die Band stünde.
Diese Interpretationsoffenheit steht aber doch eigentlich im Kontrast zu dem, was ihr mit BOYSETSFIRE, vor allem in euren Texten, ausdrücken wollt.
Ja, und mittlerweile sind unsere Texte viel offener geworden. Mir reicht es nicht mehr, nur noch dazu aufzurufen, gegen eine Regierung zu protestieren, die ganz offensichtlich nichts aus der Vergangenheit und den Fehlern anderer gelernt hat. Mir liegt es nun viel mehr am Herzen, Möglichkeiten anzusprechen, wie wir aus einer misslichen Lage entkommen und dabei noch etwas Positives bewegen können.
Gab es für dich oder euch einen bestimmten Anlass, eure Aussagen in diese Richtung zu ändern?
Eigentlich hatten wir so einen Grundtenor immer in unserer Musik. Ich meine aber, dass sich unsere Ideologie ganz natürlich entwickelt hat. Wir alten Männer verspüren immer noch diese jugendliche Energie, welche sich dadurch zeigt, dass wir immer etwas Neues kreieren können. Vielleicht kommt daher auch der Eindruck, dass wir auf diesem Album wieder ein wenig so klingen wie auf unseren früheren Alben. Wir haben Spaß dabei, mit unseren Freunden zusammenzuarbeiten, und freuen uns vor allem sehr darüber, keinem Label oder einem Management mehr etwas beweisen zu müssen oder gar von der Plattenindustrie abhängig zu sein. Es ist sehr befreiend, mit unserem Label End Hits Records alle Fäden nun selbst in der Hand zu haben.
In diesem Zusammenhang müssen wir auf jeden Fall über eure Veröffentlichungspolitik sprechen, oder besser gesagt Veröffentlichungsphilosophie. Neben einer 7“ mit euren Freunden FUNERAL FOR A FRIEND habt ihr eure erste Veröffentlichung aus dem aktuellen Album, den Song „Cutting room floor“, über die Facebook-Seite eines Fans veröffentlicht.
Wir wollten einfach mal einen neuen Weg beschreiten. Es gibt so viele Dinge, die vor allem im Internet nach Aufmerksamkeit schreien, da wollten wir einfach etwas anderes ausprobieren. Für uns ist es immer spannend zu sehen, welchen Effekt so eine Aktion hat. Und für unseren Fan war es auch eine sehr schöne Sache, nicht nur der Erste gewesen zu sein, der den Song hört, sondern auch für immer mit BOYSETSFIRE und insbesondere mit diesem Song in Verbindung gebracht zu werden. Es war schon immer so, dass unsere Fans diese Band auch in schwierigen Zeiten unterstützt haben. Wir dachten, uns so ein wenig bedanken zu können.
Wie hat sich das Feedback, das ihr auf eure Musik bekommt, über die Jahre verändert?
Es kommen immer noch Leute auf mich zu, die mir sagen, dass bestimmte Songs einen großen Einfluss auf ihr Leben hatten. Sei es, dass sie sich in persönlichen Situationen verstanden fühlten oder dass sie ihre Wut, Trauer oder Freude in manche Songs hineinlegen konnten. Dabei ging es dann auch weniger um politische Dinge. Wir wollen eigentlich auch gar nicht als politische Band gesehen werden. Andererseits ist es dennoch so, dass wir nichts dagegen hätten, eine Art Revolution zu starten. Die aktuelle Politik ist im wahrsten Sinne des Wortes langweilig. Wir reden von einem festgefahrenen System, in dem sich die Reichen die Klinke in die Hand geben und eigentlich machen, was sie wollen. Uns umgab als Personen in dieser Band immer die Aura, dass wir viele politische Entscheidungen gerne in Frage stellten. Das gab ein paar Menschen die Möglichkeit und vielleicht auch die Hoffnung, an eine Veränderung zu glauben und diese auch herbeizuführen. Erfreulicherweise wollen die Menschen, die unsere Musik hören, nicht missioniert werden. Es wirkte in persönlichen Gesprächen eher so, dass wir Leute zum Denken anregen konnten. Zumindest jene, die sowieso schon eine ähnliche Philosophie oder gar Ideologie teilten.
Wie gehst du mit dieser Situation um, dass du das Leben anderer Menschen durch deine Musik beeinflussen kannst?
Es ist eine unglaubliche interessante Situation. Viele Dinge, wenn nicht sogar alle, über die ich schreibe, sind sehr persönlich. Wenn ich mich damit auseinandersetze, wie ich einen Konflikt mit einem Freund, einem Familienmitglied oder einem Fremden löse, denke ich nicht darüber nach, inwiefern meine Worte andere Menschen beeinflussen. Dass das passiert, ist wohl Teil der Entwicklung dieser Band, die es irgendwann geschafft hat, genau das zu machen, was ein paar Leute gut finden, und dann Teil ihres Lebens werden konnte. Sei es dabei so, dass wir zum Nachdenken angeregt haben oder auch nur der Soundtrack zu einer guten Zeit waren. Wir können aber auch immer nur eine Person mit unserer Musik oder mit unseren Texten beeinflussen. Ich benutze gerne das Sprichwort, dass man einen Funken braucht, um ein Feuer zu entzünden. Ist es nun so, dass ich eine Person dazu anregen konnte, sich gesellschaftlich zu engagieren, so hat das einen Effekt auf einen größeren Kreis und kann dann zu vielen Dingen führen. Wenn ich derlei Dinge nicht beabsichtigen würde, hätte ich wohl andere Texte geschrieben. Musik ist eine unglaubliche große Macht, um die Entwicklung des Einzelnen zu beeinflussen.
Gibt es einen BOYSETSFIRE-Song, der dir nach fast zwanzig Jahren Bandgeschichte immer noch am meisten bedeutet?
Puh! Da kommt bei einer so langen Bandgeschichte schon einiges zusammen, wie man sich sicher denken kann. Zu den Songs, die mir live immer noch am meisten Spaß machen, gehören auf jeden Fall „Misery index“, „After the eulogy“ und „Rookie“. Aber wenn ich ehrlich bin, mag ich sie immer noch alle. Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre das so, als würde ich mich zwischen meinen Kindern für mein Lieblingskind entscheiden. Und das geht ja nun auf gar keinen Fall.
Apropos Familie: Du persönlich scheinst mit BOYSETSFIRE, deinem Soloprojekt und I AM HERESY das ganze Jahr unterwegs zu sein. Bist du überhaupt mal zu Hause?
Ich musste hier auf jeden Fall ein paar Einschnitte machen. I AM HERESY haben gerade eine Auszeit von unbestimmter Länge. Da meine Zeit ja auch nur begrenzt ist, versuche ich, meine ganze Energie in das zu stecken, was ich gerade tue. Im Moment konzentriere ich mich voll auf mein Soloprojekt, das ich glücklicherweise parallel zu BOYSETSFIRE verfolgen kann. So ist dann im Moment alles recht kompakt, aber es wird auch wieder eine Zeit kommen, in der mich meine Familie ein wenig öfter sieht. Bis dahin werden aber noch ein paar BOYSETSFIRE Konzerte gespielt, auf denen die Leute unsere neuen Songs hoffentlich genau so feiern wie wir.
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