Die aus Los Angeles stammenden BELLRAYS stehen mit schöner Regelmäßigkeit auf europäischen Bühnen, sind jedesmal ein mitreißendes Konzerterlebnis und haben den brachialen Livesound bislang auch bei ihren Platten 1:1 umgesetzt – bislang ... Mit „Have A Little Faith“, ihrem aktuellen Album, hat sich die Herangehensweise geändert, hat Bassist Bob die Rolle des Produzenten übernommen und aus dem „Kick out the jams“-Punk des Vierers die gefühlvollen, souligen Momente herausgearbeitet, der Band erstmals zu einem „ausproduzierten“ Album verholfen. Das Ergebnis überrascht und begeistert, hat so manchen alten Fan aber auch vor den Kopf gestoßen. Meine Fragen beantwortete Bassist und Produzent Bob, während Frontfrau Lisa über weite Strecken schweigend daneben saß – sie musste ihre stark angegriffene Stimme schonen. Und zum Schluss rotzte auch Gitarrist Tony Fate noch eine Antwort raus ...
Ihr macht alle einen etwas müden Eindruck ...
Bob: Na ja, wir fliegen in fünf Tagen nach Hause zurück und sind jetzt seit Monaten ununterbrochen auf Tour, das hinterlässt schon Spuren. Außerdem haben wir gerade gegessen und ich hatte ein paar Bier und ein Glas Wein. Und dann hatte ich mich noch etwas hingelegt. Wir kamen vor vier oder fünf Wochen nach Europa, spielten ein paar Konzerte, flogen dann für zweieinhalb Wochen nach Australien – und sind jetzt wieder hier. Wir waren das erste Mal in Australien und wurden begeistert begrüßt, und aus den Reaktionen konnte man schließen, dass die Leute lange auf uns gewartet hatten. Und das Beste war, dass wir da mit RADIO BIRDMAN touren, sie jeden Abend live sehen konnten, da wurde ein Traum wahr.
Seit wann seid ihr denn so regelmäßig und lang unterwegs?
Bob: Ungefähr seit fünf Jahren, aber dieses Jahr ist es das erste Mal so, dass wir wirklich knapp drei Monate am Stück unterwegs sind. Wir bleiben dann erstmal ein paar Wochen zuhause, doch dann steht auch schon die nächste Tour an und wir sind bis Ende des Jahres erneut unterwegs.
Du und Lisa, ihr habt die Band bereits 1990 gegründet, doch es dauerte dann noch über zehn Jahre, bis mal ein paar mehr Leute auf euch aufmerksam geworden waren.
Bob: Ja, ich weiß, und als wir das erste Mal auf Tour kamen, hatten wir gerade auf dem boomenden Poptones-Label das „Meet The BellRays“-Album veröffentlicht, das war 2002. Wir profitierten damals vom Hype um die HIVES, den Poptones in England ausgelöst hatte. Als diese Welle dann abebbte, wurde es auch um uns wieder etwas ruhiger, und seitdem haben wir uns dann mit jeder Tour ein Stück weiter nach oben gearbeitet. Die Leute müssen uns live sein und merken, dass wir eine echte Band sind, kein kurzfristiger Hype. Und an sich haben ja auch die allermeisten Leute, die uns mal live gesehen haben, verstanden, worum es geht, die haben auf eine Band wie die unsere gewartet. Wir hatten ja auch nie eine dicke Marketingmaschinerie hinter uns, sondern haben uns den jetzigen Status nach und nach erarbeitet.
Ist das nicht sehr anstrengend und manchmal auch ermüdend? Ich stelle mir das durchaus frustrierend vor: Da machst du etwas, von dem du 100 % überzeugt bist, und trotzdem musst du permanente Überzeugungsarbeit leisten.
Bob: Wenn du an das glaubst, was du tust, dann machst du einfach immer weiter. Alles andere bedeutet aufgeben. Und ich bin davon überzeugt, dass das, was wir machen, nicht nur großartig ist, sondern sich auch verkaufen lässt. Ich weiß nicht, wie viele Leute in anderen Bands genauso denken, aber viele haben wohl die Einstellung „Wir sind großartig, kapiert das doch endlich!“. Ich denke eher „Wir sind gut, das müssten doch auch eigentlich ein paar andere Leute auch so sehen.“ Wir sind doch eigentlich recht zugänglich, unsere Musik kein verrücktes Zeug, das nur für den Musiker selbst Sinn ergebt, der wiederum denkt, dass jeder dumm ist, der das nicht versteht. Ich denke, wir haben eine sehr breite musikalische Basis, so dass es viele Ansatzpunkte gibt, uns zu mögen – sogar mehr, als viele Leute sehen, die dann ganz überrascht sind, dass wir ihnen irgendwie gefallen. Ein Beispiel: Ein Freund brachte mal eine ganze Ladung seiner Metal-Kumpels zu unserem Konzert, Leute, für die SLAYER und PANTERA das Größte sind und die sich auch für sonst nichts interessieren. Nach der Hälfte unseres Auftritts waren sie noch ganz ungerührt, doch am Schluss dann Feuer und Flamme – und das, obwohl wir keine Metalband sind, nicht mal ansatzweise so klingen. Solche Erlebnisse zeigen mir, dass wir wohl so einen gewissen Groove haben, der auch Leute erwischt, die denken, dass sie Musik wie unsere gar nicht mögen. Vielleicht können wir die nicht komplett überzeugen., aber sie erkennen auf jeden Fall, dass es uns ernst ist mit unserem Anliegen.
Euer neues Album ist anders als die bisherigen: Es ist ruhiger, gefühlvoller, souliger, facettenreicher, nicht so laut und brutal wie die bisherigen. Das verwirrt den Fan natürlich erst mal ...
Bob: Also ich denke nicht, dass die Platte einen neuen Aspekt der Band erkennen lässt, denn all die Songs, bei der mancher meint, eine neue Ausrichtung erkennen zu können, haben wir schon seit mindestens einem Jahr live gespielt, manche spielen wir schon seit Jahren – einen, „Have a little faith in me“, schon seit 16 oder 17 Jahren. Wir haben ihn auch schon mal aufgenommen, er war auf „Grand Fury“ und ein Secret Track auf der Poptones-Platte, wenn ich mich recht erinnere. Uns störte aber auch, dass wir seit dem Poptones-Erfolg in Europa verstärkt in diesem Garage-Rock-Kontext wahrgenommen wurden. Die Band, mit denen man uns in eine Schublade stopfte, konnte ich nicht wirklich als verwandt ansehen, und irgendwie blendeten viele Leute wohl all die anderen Aspekte unserer Musik aus. Deshalb hatte ich die Idee, dass dieses Album eben mal unsere anderen Aspekte betonen sollte, um klarzustellen, was wir sonst noch können – und dass wir nicht nur eine laute, thrashige Liveband sind, die macht, was alle Bands aus dieser „Garage“-Szene machen.
Und wie seid ihr dann an dieses neue Album herangegangen?
Bob: Nun, bislang hatten wir weder die Zeit noch die Möglichkeit, so ein Album aufzunehmen – und auch nicht das Equipment und den Produzenten dafür. Und so haben wir diesmal das Album komplett im Alleingang aufgenommen, was übrigens auch das Einzige war, was wir uns leisten konnten. Seit „Red, White & Black“ habe ich eine Menge Geld in den Ausbau meines Studios gesteckt, habe mir besseres Equipment gekauft und gelernt, damit umzugehen, und dann versuchten wir, für diese Platte alles zum Einsatz zu bringen, was wir zur Verfügung hatten. Wir hörten uns jede Menge Vorschläge von Freunden an, griffen manche auf, verwarfen andere, und ich versuchte schnelle, einfache Entscheidungen zu vermeiden. Es ging diesmal nicht darum, im Studio zu beweisen, dass wir einen Liveauftritt umsetzen können, denn das haben wir ja bereits mit den Platten davor getan. Ich wollte mit diesem Album neue Maßstäbe für die BELLRAYS setzen.
Muss man sich dein Studio als klassisches Homerecording vorstellen?
Bob: Nein, ich habe unseren Proberaum in ein richtiges Studio umgebaut. Ich hatte da auch vorher schon einiges rumstehen, aber mich eben nie so richtig darum gekümmert, richtig gute Technik zu haben und sie vor allem auch zu beherrschen. Die perfekte Mikrophonplatzierung, richtig guter Schlagzeugsound, alles perfekt im Griff zu haben, das hatte mich früher nicht wirklich interessiert. Und ja, ich kann verstehen, warum manche Leute, die unsere bisherigen Platten schätzten, ein Problem mit der neuen haben, denn sie ist schon ganz anders. Aber das Coole an so einem neuen Album ist ja auch, die Reaktionen der Leute zu testen und zu beobachten.
Auf der neuen Platte sind ja auch mehrfach Bläser zu hören – außer der üblichen Viererbesetzung kann ich aber hier im Raum niemand sehen. Also eine reine Studiosache?
Bob: Also wir haben erst ein Konzert mit Bläsern gespielt, das stimmt, und das war bei einem TV-Auftritt in Frankreich. Da kamen die Freunde von uns aus L.A. rüber, die auch im Studio die Bläser gespielt haben, und die werden auch mit uns auf der Bühne stehen, wenn wir in Los Angeles den Opener für RADIO BIRDMAN machen – bei deren erster US-Show überhaupt! Aber mit den Bläsern zu touren, das klappt nicht, das ist schon zu viert hart genug. Das ist aber nicht schlimm, denn wie ich vorhin schon sagte, sollte das neue Album erstmals nicht den Eindruck eines Konzertmitschnittes erwecken, und so klingt auch jeder Albumsong live ganz anders. Was aber auch Sinn und Zweck eines Konzertes ist, denn ich mag Bands nicht, die live nur eine perfekte Kopie ihrer Platte abliefern.
Lisa hat ja eine hervorragende Stimme, sie singt sehr soulig, doch bislang eben fast nur zu Rocksongs. Auf dem neuen Album hingegen sind auch einige lupenreine Soulnummern enthalten.
Lisa: Weißt du, diese Soulsongs waren die ganze Zeit schon da, nur haben sich die Leute beim Zuhören vor allem auf die Gitarren konzentriert, haben wir auch beim Aufnehmen die Betonung auf die Gitarren gelegt. Bis zu dieser Platte war ich ehrlich gesagt nie so ganz zufrieden damit, wie meine Stimme rüberkam. Außerdem hören die Leute ja auch immer nur das, was sie hören wollen, sind enttäuscht, wenn eine Band mit ihrem neuen Album nicht exakt den Erwartungen entspricht. Die haben es am liebsten, wenn sich eine Band ständig wiederholt, aber so waren wir noch nie, so wollen wir nicht sein. Wir haben noch nie in eine Schublade gepasst und auch nie versucht, uns irgendwem oder irgendwas anzupassen. Wichtig ist uns nur, dass wir selbst zufrieden sind. Ein Weg, dieses Ziel zu erreichen, war in der Vergangenheit der demokratische Produktionsprozess, doch das hat sich letztlich nicht bewährt, und so haben wir mit der neuen Platte einen neuen Weg gewählt, damit uns ein Album bestmöglich repräsentiert. Und ich bin wirklich zufrieden, wie Bob dieses Album hinbekommen hat.
Byebye Demokratie, Hallo Autokrat?
Bob: Na ja, ich war diesmal eben der tonangebende Produzent. Bislang war ich nur derjenige, der technisch sicherzustellen hatte, dass unsere Musik auf dem Band drauf ist, doch diesmal wollte ich einfach wissen, wie ich bestimmte Sachen bestmöglich erreichen kann, und so investierte ich eine Menge Zeit, mir das beizubringen. Wir sahen bislang die Aufnahme als eine Art notwendiges Übel an, das es schnell hinter sich zu bringen galt und wo das höchste Ziel war, den Livesound und die Livepower ordentlich im Studio zu reproduzieren. Aber versteh mich nicht falsch, ich stehe zu unseren früheren Platten, aber meine persönlichen Lieblingsplatten waren schon immer solche, die auch richtig gut produziert sind: THE WHO, THE BEATLES, die hatten immer ein bestimmtes Level an Produktionsqualität, das wir bislang nie erreicht hatten – bis zu dieser Platte.
Okay, mit diesen Hintergrundinfos kann man euer aktuelles Album in einem ganz anderen Licht sehen, da ergibt das alles Sinn.
Bob:Weißt du, ich behaupte ja auch gar nicht, so eine Platte sei noch nie dagewesen – für uns aber schon. Und es ist ein großer Schritt vorwärts für uns.
Lisa: Ich halte die Platte schon für recht einzigartig, denn wer macht denn sonst so einen Sound, wo man vor einem Rock-Hintergrund Songs mit so einer „Soulness“ macht, sich der Soul nicht nur über die Stimme bemerkbar macht. Und dabei vermischen wir dann Punk, Hardrock, Funk und Soul, und wer macht das denn sonst noch? Mir scheint, der Geschmack vieler Leute ist nicht fein genug, um damit umgehen zu können, die geben sich in jedem dieser Genres immer mit dem Minimum zufrieden. Die ziehen sich die McDonalds-Version rein, während wir ihnen ein richtig schönes Steak servieren – aber das ist ja dann nicht unser Problem, hahaha.
Nichts gegen Nicke von den HELLACOPTERS, aber was du gerade sagtest, das war auch mein Problem mit seinem THE SOLUTION-Album: Das war mir irgendwie zu „weiß“, zu perfekt.
Lisa: Nun, Nicke ist ein Netter, was soll ich sagen? Bei uns kommt eben noch dazu, dass ich eine schwarze Frau bin, und damit werden wir automatisch zu einer Retro-Band, als dass man uns für progressiv hält. Aber so funktioniert eben die Kulturindustrie. Doch solange es Leute gibt, die verstehen, was wir machen, ist uns das eigentlich alles egal.
Bob: Genau, denn wie alle Platten haben wir auch diese in erster Linie für uns gemacht. Wenn sie sonst noch jemand mag, schön, und wenn nicht, dann komme ich damit auch klar.
In Europa ist eure CD auf Cargo erschienen, und in den USA?
Bob: Also von Cargo wusste ich bislang nichts, das lief wohl über unser US-Label Cheap Lullaby. Das ist ein recht neues Label aus der Nähe von L.A. die sind echt cool und vor allem absolute Musikfans, die sich aber auch in der Musikindustrie auskennen. Mit Alternative Tentacles hatten wir nur den Deal für „Red, White & Black“.
Eine ganz andere Frage zum Schluss: Ich bin nicht gerade dafür bekannt, christliche Bands zu mögen, doch nun ist es aber so, dass es bei den BELLRAYS durchaus so einen gewissen, nun, „spirituellen“ Ansatz gibt ...
Bob: Lass es mich so ausdrücken: Mit organisierter Religion kann auch keiner von uns etwas anfangen, mit so was haben wir nichts zu tun, weder mit Christentum noch mit Islam oder Buddhismus oder sonst was. Wenn, dann hat das nur etwas mit dem zu tun, was in einem Menschen drinsteckt, in jedem einzelnen. Wir sind vier Leute in der Band, die dazu auch vier verschiedene Ansichten haben, die aber auch soviel gemeinsam haben, dass sie gemeinsam Musik machen können.
Dann noch meine allerletzte Frage: Was ist eine „Snotgun“ – so der Titel des Songs, der sich auf der letzten Ox-CD befand?
Tony: Als ich den schrieb, hatte ich diesen anderen Songs namens „Shotgun“ von JUNIOR WALKER & THE ALL-STARS im Hinterkopf. Außerdem habe ich chronische Probleme mit meinen Nasennebenhöhlen, mir läuft ständig der Rotz – „snot“ – aus der Nase, und da war der Titel dann einfach naheliegend, haha.
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