Als ich "Let it blast.", das erste Album der in Los Angeles beheimateten BELLRAYS letztes Jahr zugeschickt bekam, war ich nach dem ersten Hören reichlich entsetzt: Was, Tony Fate von den geschätzten GREY SPIKES, spielt jetzt Hardrock?! Nee, ohne mich! Doch siehe da, je öfter ich das Album hörte, desto mehr frass sich die Stimme der schwarzen Frontfrau Lisa in meinem Gehör fest, und musikalisch erwies sich die Platte als dem Albumtitel in jeder Hinsicht entsprechend: ein einziger, fetter Blast. Klar, dass ich einen Song, nämlich den grandiosen Titel "Kill the messenger", auf der Ox-CD haben musste, und meine Begeisterung war riesengross, als ich feststellte, dass die BELLRAYS in Austin während der Musikmesse SXSW auftreten. Die beiden Auftritte - beide Nachmittags im Rahmen von Presseparties - waren grossartig, und nach der Show am Samstagnachmittag sass ich mit den vier Bellrays im Gleisschotter eines alten Güterbahnhofs im Süden der Innensstadt von Austin: die Sonne brannte uns auf den Schädel, ein kilometerlanger Güterzu ratterte hinter uns vorbei und das kalte Bier dröhnte ganz gewaltig rein. Die BELLRAYS sind Lisa Kekaula - Gesang, Bob Vennum - Bass, Ray Chin - Drums und Tony Fate - Gitarre.
Tony, ich wurde auf die BELLRAYS aufmerksam, als du mir vor einigen Monaten eure CD zugeschickt hast. Ich kannte dich noch von deiner vorherigen, leider mittlerweile aufgelösten Band THE GREY SPIKES. Seit wann spielst du bei den BELLRAYS, seit wann gibt es die Band?
Tony: Die BELLRAYS gibt es schon seit ´89/´90 und seit damals hat sich das Line-up immer wieder verändert. Bob und Lisa sind die beiden Originalmitglieder. Ray ist seit sechs oder sieben Jahren dabei. Ich kenne Bob schon seit zwanzig Jahren, und Lisa kenne ich seit Bob sie kennt. Als sich die GREY SPIKES ´96 auflösten, fragten sie mich, ob ich bei den BELLRAYS spielen wolle, und so stieg ich kurz darauf bei den BELLRAYS ein - was sie schon sehr schnell bereuten, haha.
Lisa: Schon bevor Tony in die Band einstieg, gehörte er zu uns, denn er hat schon lange vorher immer wieder Songs für uns geschrieben und teilweise auch Bass gespielt. Du kannst ihn auch schon auf ein paar der alten Aufnahmen hören.
Was habt ihr denn vor der CD veröffentlicht?
Lisa: Nicht viel: zwei Tapes und eine Single. Und nach ein paar Jahren sind die jetzt sogar endlich alle ausverkauft.
Musikalisch sehe ich jetzt, da ich die BELLRAYS live sehen konnte, den Schritt von den GREY SPIKES zu den BELLRAYS als ziemlich konsequent an: beide Bands haben diesen schweren MC5-Einschlag.
Tony: Ja, stimmt, da gebe ich dir recht, die Richtung ist ziemlich ähnlich. Der wichtige Unterschied ist für mich, dass in dieser Band keine Drogenabhängigen sind. Das hat die GREY SPIKES nämlich umgebracht.
Lisa: Es ist wirklich schade um die Band, die Jungs waren wirklich gut und mir haben sie immer sehr gut gefallen.
Bob: Bevor Tony bei uns einstieg waren die GREY SPIKES für mich immer ein Vorbild für die BELLRAYS: wir spielten zwar einen anderen Sound, hatten mehr diesen Soul-Einschlag, aber mir war irgendwie klar, dass das die eigentliche Richtung war, in die wir gehen sollten.
Ray: Wir wussten schon länger, wie wir klingen wollen, aber es hat dann ein paar Jahre gebraucht, bis wir wirklich angelangt waren, wo wir hinwollten.
Und was für Reaktionen habt ihr auf das Album bekommen?
Tony: Die waren durchweg gut, auch wenn manche die Aufnahmequalität bemängelt haben, aber das geht mir am Arsch vorbei.
Man muss anmerken, dass das Album live in eurem Proberaum aufgenommen wurde.
Ray: Ja, und wir klingen auf der Platte eben so, wie wir klingen - wir sind keine cleane, polierte Band.
Lisa: Dieses Geschwätz von wegen "ungeschliffener Rohdiamant" und so ist sowieso völliger Bullshit: wenn du eine Band magst, ist es dir ziemlich egal, wie die Aufnahmequalität ausgefallen ist. Auf die Musik kommt´s an!
Bob: Die Leute schiessen sich sehr schnell auf die Produktion ein und achten weniger auf das Auftreten generell, das nervt mich.
Eben - und unter diesem Aspekt kann man eine Band ja wohl echt nicht bewerten, sonst müsste man über jemanden wie Billy Childish gar nicht erst reden: was der so macht ist manchmal so Lo-Fi, dass von "fidelity" gar nicht mehr die Rede sein kann.
Lisa: Haha, du hast recht, und der Spruch war gut, den muss ich mir merken.
Tony: Es gibt so viele Bands, denen die Aufnahmequalität, die sie bekommen, gar nicht zuträglich ist und die mit einer billigeren Produktion auch besser klingen würden. So klingen sie wie BOSTON...
Ray: Wer braucht schon 16 Spuren? Keine Band in der Welt braucht 16 Spuren!
Mit fetter Produktion kann man die Leute eben an der Nase herumführen: so merken sie erst später, wie austauschbar und belanglos eine Band eigentlich ist.
Bob: Die Majorlabels machen das jeden Tag!
Lisa: Dadurch kannst du jede Band auf Linie bringen und so klingen lassen, wie die Bosse denken, dass eine Band für den Markt klingen muss. Nimm nur das Beispiel der CDs: die Leute haben sich nicht freiwillig für die CD entschieden, die wurden von der Musikindustrie dazu gezwungen, in dem die grossen Firmen aufgehört haben Vinyl zu pressen.
Apropos Vinyl: Jim von ScoochPooch hat mir erzählt, dass euer Album diesen Sommer als LP bei ihm erscheinen wird.
Tony: Ja, und wir sind ihm dafür echt sehr dankbar. Wir hatten leider nicht das Geld, CD und LP selbst zu veröffentlichen.
Ihr habt auch eine Weihnachts-Single zusammen mit den STREETWALKIN´ CHEETAHS gemacht - was hat´s denn damit auf sich?!?
Lisa: Das hat sich aus einem anderen Projekt entwickelt: wir hatten auf Vital Gesture ein Weihnachts-Tape rausgebracht, mit den STREETWALKIN´ CHEETAHS, uns, den ALTER EGOS, DOOR SLAMMER, THE BLACK WIDOWS, THE SNAKES, THE MELLOWS, eine Sammlung von Rock´n´roll-Weihnachtssongs eben. Und wir haben daraus dann eben noch die Split-7" gemacht, das war ein grosser Spass.
Ihr habt gestern abend hier in Austin mit Wayne Kramer gespielt, der die STREETWALKIN´ CHEETAHS als Backing-Band hatte, und auch sonst seid ihr nicht weit von dem entfernt, was MC5 seinerzeit musikalisch vorgegeben haben.
Bob: Ehrlich gesagt kann ich den Vergleich allmählich nicht mehr hören - und überhaupt, wie viele Bands heute mit MC5 verglichen werden, das ist doch völlig übertrieben. Jede Band, die laut und direkt spielt, wird heute mit denen verglichen oder bringt selbst diesen Vergleich ein, doch dabei kann ich ausser ganz allgemeinen musikalischen Parallelen meist nichts erkennen, was den Vergleich mit den in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen MC5 rechtfertigen würde.
Tony: Das ist eben der angesagte, hippe Vergleich: vor ein paar Jahren wurden ständig VELVET UNDERGROUND bemüht, davor waren es RADIO BIRDMAN, und nächstes Jahr werden diese ganzen Plattenkritiker das nächste Ding "entdecken": sie werden älter, entdecken all die coolen, 30 Jahre alten Platten und fangen an jede neue Band damit zu vergleichen.
Bob: Und dabei meinen sie nicht mal die ganze Platte, sondern einen Song, den sie besonders gutfinden. Nimm doch das Beispiel MC5: wenn´s um Vergleiche geht, ist "Kick out the jams" der einzige Song, den MC5 je gemacht haben.
Tony: Ich habe sogar schon einen Vergleich der DONNAS mit MC5 gelesen, und ich denke, der Motherfucker, der diesen Scheiss von sich gegeben hat, sollte umgehend erschossen werden.
Lisa: Joachim, ich hoffe für dich, dass du das nicht warst - Tony ist jetzt richtig sauer...
Nee, keine Sorge! Ich denke, die BELLRAYS unterscheiden sich von all den anderen Bands allein schon durch dich.
Lisa: Wie meinst du das? Weil eine Frau singt, oder weil eine schwarze Frau singt?
Beides! Du singst eben nicht so, wie typischerweise in Punkbands gesungen wird - irgendwie souliger.
Lisa: Mag sein, aber ich singe so, wie ursprünglich in Punkbands gesungen wurde, Iggy Pop zum Beispiel oder Rob Tyner. Das waren bzw. sind phantastische Sänger.
Tony: Oder nimm Wilson Pickett: ich denke, der war ein grossartiger Punkrock-Sänger - auch wenn er immer als Soul-Sänger vermarktet wurde ändert das nichts daran, dass er ein Rock´n´roller war. Hätte man den vor eine Rock´n´roll-Band auf eine Bühne gestellt, hätte der auch nicht anders gesungen.
Bob: Das Problem von vielen heutigen Bands ist, dass sie nur laut und schnell spielen wollen, und da bleibt für den Sänger oft nichts anderes übrig als zu kreischen. Die geben sich selbst gar keine Chance richtig zu singen, und wahrscheinlich ist es ihnen sogar egal.
Tony: Ich denke, Bob Dylan hat seinerzeit viel dazu beigetragen, dass die Leute ihre Meinung darüber änderten, was man einem Sänger durchgehen lässt. Johnny Rotten - ich denke, man kann das sagen - hat dann auch nicht viel anders gemacht als Bob Dylan: dieses schiefe, auch mal hohe Singen knapp nebem dem beabsichtigten Ton. Und meiner Meinung nach war Johnny Rotten ein genauso guter Soul-Sänger wie viele andere auch, nur eben ein bisschen anders.
Lisa: Ja, es war heavy, es war funky, und letztendlich kommt es doch nur darauf an, dass etwas rockt - scheiss auf die ganzen Kategorien, in die jeder ständig versucht Musik hineinzupressen. Das ist doch völlig unwichtig - if it rocks it rocks! Ozzy Osbourne hat für mich so viel Soul, und BLACK SABBATH sind eine verdammt funky Band - nur eben ziemlich heavy.
Bob: Geschwindigkeit hat auch gar nichts mit Energie zu tun: diese Bands sind darin gefangen, die können das Energielevel nicht absenken, sonst kommt gar nichts mehr rüber. Also knüppeln sie rein, während jemand wie James Brown unglaublich viel Energie in einen Song wie "It´s a man´s world" packt. Der Song platzt beinahe vor Energie, und dabei ist das auch noch ein langsamer Song, ja eine Ballade. Viele Bands kapieren aber einfach nicht, wie sowas funktioniert. Wir dagegen kümmern uns ganz gezielt ums Songwriting, lassen die Songs arbeiten. Lass mich ein Beispiel nehmen: wenn die beste Band der Welt zehn schnelle Songs runterknüppelt, weisst du nach drei oder vier Songs schon alles und es beginnt zu langweilen. Ich habe das schon bei so vielen Bands beobachtet, darunter sehr viele, die ich sehr schätze.
Tony: Ich weiss gar nicht, ob wir wirklich besser sind als andere Band, aber ich finde, wir ragen bei einem Konzert wie gestern einfach aus der Masse heraus, und das hat damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu den allermeisten anderen Bands auch mal einen langsamen Song dazwischenschieben. Wir sind ziemlich abwechslungsreich.
Wie kommt ihr denn so an? Ich denke, ihr werdet oft vor einem Punkpublikum spielen, das nicht ganz auf euch eingestellt ist.
Ray: Wir spielen vor ziemlich verschiedenem Publikum, und es überrascht uns jedesmal, wie gut wir ankommen. Viele sind erstmal überrascht, hören dann weiter zu und sind letztendlich begeistert. Und zu unserem Glück haben wir bisher kein typisches Publikum.
Lisa: Um mich Tony anzuschliessen: wir spielen eben auch mal einen langsamen Song, und ich denke, die Leute wissen das zu schätzen. Ausserdem nehmen wir unser musikalisches Handwerk sehr ernst.
Tony: Das ist auch der Hauptunterschied zwischen uns und vielen Punkbands. So oft haben mir schon Punkrocker gesagt, sie wollten nicht als Musiker bezeichnet werden - "Hey, it´s punk rock!". Aber Scheisse, ich habe nie gehört, dass sich die RAMONES verspielt haben, also was soll das??? Die halten sich alle für Johnny Thunders junior und meinen, sie könnten es sich auch erlauben, sich auf der Bühne vollzudröhnen und umzufallen. Aber fuck, Johnny Thunders war ein Sonderfall, und die RAMONES sind eben die RAMONES!
Lisa: Ausserdem haben die kein Stück kapiert, dass sie damit völlig diskreditieren, was diese Leute geleistet haben, um sich so ein Verhalten leisten zu können. Neulich haben wir "Mary Poppins" gesehen, und als Dick Van Dyke seinen Auftritt hatte, war es offensichtlich, dass er voll mit Booze war, aber trotzdem hat er es noch geregelt bekommen, weil er seine Kunst ernstnahm. Oder Charlie Parker: der hat vielleicht mal ´nen Auftritt absagen müssen, aber wenn er auf der Bühne stand, war er gut. Diese ganzen kleinen Deppen sind einfach nicht in der Lage zu checken, dass da ein bisschen mehr dahintersteckt als die Platte von jemandem gutzufinden und dann zu versuchen, das nachzuahmen. Charlie Parker dagegegen war ein Pionier, der machte was, was vor ihm noch niemand gemacht hatte.
Tony: Ich habe das neulich in einem Interviw gesagt und ich sage es hier wieder: diese ganzen kleinen Punkrocker halten sich für unglaublich hart und punk und revolutionär mit ihren Lederjacken voller Slogans, aber die haben nichts zu sagen, die fordern niemand mehr heraus, die sind nicht revolutionär, die sind nicht punk! Die sind einfach NICHTS! Die haben nur die Parolen zu bieten, die seinerzeit VICE SQUAD und GBH losliessen, singen die gleichen Lieder, tragen die gleichen Klamotten, haben die gleichen Texte über den gleichen Scheiss und sind einfach verdammt langweilig. Wenn die sich für so toll und hart halten, dann sollten sie verdammt nochmal auch was hartes bringen. Warum stellen die sich nicht auf die Bühne und spielen mit vier Bässen? Warum machen die nicht einfach was anderes, etwas, mit dem sie die Leute herausfordern? Wir mögen zwar die Standard-Besetzung haben, aber wir spielen nichts, was den Standards entspricht.
Lisa: Wir unterdrücken nicht einen Song, weil er nicht dem "Bandformat" entspricht, das ist der Unterschied.
Wer schreibt bei euch die Songs?
Bob: Tony und ich teilen uns das.
Tony: Wenn ich einen Song mit zur Probe bringe, dann ist der schon fix und fertig: vor meinem inneren Ohr höre ich den Song so, wie er klingt, wenn sich die Nadel auf die Platte senkt - wir müssen den dann nur noch spielen.
Lisa: Hey, wir müssen jetzt los: wir spielen morgen abend in San Diego und wollen vorher noch nach Hause nach Los Angeles. Danke für das Interview!
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