Tony ist seltsam drauf an diesem Montagabend in Düsseldorf. Wir sitzen vor dem Ratinger Hof auf dem Bordstein, trinken Bier, reden über die Band und jenen Mann, der zwei Wochen zuvor überraschend verstorben war: ADOLESCENTS-Mitgründer Steve Soto. Tony war gerade mit seinem Sohn im Italienurlaub in Rom, als ihn die Nachricht erreichte, gerade so eben schaffte er es zur Beerdigung in L.A. Und entschied, dass es im Sinne des Verstorbenen wäre, der nie eine Show abgesagt hatte, mit der Band erst mal weiterzumachen, die Europatour zu spielen. Und so sitzen wir da, Tony schwankt zwischen Überdrehtheit und Trauer und regt sich auf über das Trump-Regime, dem sich auch das neue Album „Cropduster“ der Ende der Siebziger in Los Angeles gegründeten Punk-Legende widmet.
Tony, gibt es etwas, über das du nicht reden willst?
Das wirst du schon merken, ich lache dann so komisch. Nein, im Ernst, mich schockt gar nichts. Wir sind seit gestern in Europa, alle sind unglaublich nett zu uns. Kurz vor Steves Tod hatten wir noch eine kurze US-Tour gespielt, und das Konzert jetzt gleich ist das erste seitdem, das erste ohne Steve. Wir haben aber ein paar mal geprobt vorher.
Wie geht es dir, euch jetzt? Eine Band ist keine „Blutsfamilie“, aber doch eine sehr enge soziale Struktur, und du und Steve, ihr standet euch rund vierzig Jahre sehr nah.
Wir haben Steves Tod noch nicht verarbeitet, da kommen immer wieder Sachen hoch, auf die wir nicht vorbereitet waren. Sein Tod ist wie der Verlust eines Familienmitglieds, Steve und ich waren so lange zusammen ... seit der Highschool, seit wir 15 waren. Länger als ich mit meiner Frau zusammen bin, nur meine Brüder kenne ich länger. Wahrscheinlich kannte ich Steve sogar schon länger als meine Schwester. So lange war das. Als wir die ADOLESCENTS gründeten, war ich noch so jung, dass ich noch nicht im Stimmbruch war. Ich hatte eine hohe, piepsige Stimme, auf den frühen Demos hört man das auch. So lange waren wir schon Freunde ... Und mein Stimmbruch war das erste Problem der Band, hahaha. Und ja, es ist jetzt gerade echt hart. Steve war Teil meiner Familie, er war mein Trauzeuge, er war immer da. Er war da und hielt die Hand meines Sohnes, als seine Oma starb, die Mutter meiner Frau. Er war bei der Erstkommunion meiner Kinder dabei, bei der Taufe – bei all dem Scheiß war er dabei! Es ist also schon hart, dieses Familienmitglied zu verlieren, und dann kommt noch der Verlust von Steve als Mitglied der Bandfamilie dazu ... Das fühlt sich an, als ob in einer Familie eines der Elternteile verstirbt. Er war kreativ so wichtig für die Band. Wir hatten ja gerade erst die neue Platte fertiggestellt – und schon wieder fünf neue Songs für die nächste geschrieben. Wenn die nächste Platte kommt, werden da also fünf Stücke von Steve drauf sein. Wir schreiben eben immer neue Songs.
Wie gehst du mit all dem um?
Das Härteste sind die Kleinigkeiten. Zu wissen, dass von dieser Person jetzt einfach keine SMS mehr kommt. Oder du willst etwas loswerden, was dir gerade passiert ist – und das geht nicht mehr. Wir hatten eine sehr enge Beziehung, mit Steve habe ich über Dinge gesprochen, über die ich mit meiner Frau nicht spreche. Ich habe mit Steve einen engen Angehörigen verloren und er hat ein Loch hinterlassen. Ich sehne mich nach dem Austausch mit ihm, nach seiner physischen Gegenwart. Weg, einfach weg ... Ich kann Steve aber immer noch fühlen, er ist in meinem Herzen, er wird immer Teil sein von allem, was ich bin. So ein großer Einfluss war er. Und ich fühle ihn auch um mich herum. Ich sage irgendwas zu meinem Sohn oder zeige ihm was und sage „... und das hat mir Steve beigebracht“ oder „Steve hätte jetzt gesagt ...“. All das ist echt schwierig. Die Erinnerungen sind das eine, aber das aussichtslose Warten auf den Austausch mit ihm, das ist echt schwierig. Und dann rede ich mit dem Himmel statt mit Steve und wirke für Außenstehende wohl, als hätte ich komplett den Verstand verloren, hahaha.
Was hilft?
Zeit. Und das Begreifen. Musik. Und es ist ja gerade erst passiert. Ich war ja in Rom, als er starb, mein Bandkollege Dan war mittendrin in allem. Ihn und die anderen aus Steves Umfeld hat das fast noch härter getroffen. Wir wohnten in der Nähe von Cinecittà, ich musste mit niemand reden, konnte einfach mal mein Telefon ausmachen, hatte sowieso keinen Datentarif dafür, wurde also auch nicht von unzähligen Nachrichten bombardiert, denn jeder schrieb mir natürlich, wollte wissen, wie es mir geht. Ich wollte aber einfach meinen Kopf in die Hände legen und irgendwie einen klaren Gedanken fassen. Mein Sohn und ich waren nur von Italienisch sprechenden Menschen umgeben, und das war perfekt. Ich musste mit niemandem reden, nur mit meinem Sohn. Wir waren in einer riesigen Stadt, aber auch total unter uns und sprachen sehr, sehr viel, versuchten, unseren Weg zu finden durch all das. Mein Sohn kennt Steve sein ganzes Leben, die hatten eine ganz besondere Beziehung. Und jetzt ist es gut, dass wir alle zusammen auf Tour sind, all unsere Fans treffen, durch all das gemeinsam hindurch gehen können. Diese Kameradschaft ist schön in so harten Zeiten.
War Steve in einer Partnerschaft?
Er hatte eine Freundin, Stephanie, eine wundervolle Frau. Sie hatten Pläne, Steve hat all seine Träume mit mir geteilt.
Die BROILERS aus Düsseldorf hatten auf ihrem letzten Album ein Lied namens „Ihr da oben“, in dem es um den Verlust eines Menschen geht und den Umgang damit. Der entwickelte sich zum heimlichen Hit. So schlimm so ein Erlebnis ist, es bringt Menschen auch in unserer Szene zusammen.
Ich finde solche Songs auch gut, und gerade wenn man mal über 35, 40 ist fängt man ja an zurückzublicken auf das, was das Leben für dich einst aufregend machte. Und viele von uns wagten sich eben über und mit Punkrock erstmals in die Welt hinaus. Solche Lieder erinnern uns nicht nur an die Verstorbenen, sondern auch daran, dass das Leben weitergeht. Und sie erinnern uns daran, dass wir alle Teil von einem gemeinsamen Ganzen sind. Es ist schön, dass es solche Lieder gibt, um uns an unser Leben zu erinnern. Und sie sind genauso wichtig wie Liebeslieder. Und in vielerlei Hinsicht sind auch solche Stücke ja ein Liebeslied. Und oft ist es ein Liebeslied unter Männern, über Bruderschaft und Kameradschaft. Ich will Frauen jetzt hier nicht ausschließen, aber wenn man sich eine Band wie BAD COP/BAD COP anhört, stellt man fest, dass die als Frauenband ganz ähnliche Songs haben – aber eben aus einer weiblichen Sicht. Und die sind genauso kraftvoll und berührend wie die aus Männersicht. Ich liebe diese Band wirklich, die sind so gut!
Als ihr eure Band gründet habt, wart ihr noch Teenager, und Punk hatte etwas mit Jugend zu tun, entsprechend waren die Texte. Wie hat sich dein Fokus dann im Laufe der Jahre verschoben?
Was mich damals beim Texteschreiben wirklich veränderte, war das Auftauchen von Aids in den Achtzigern, das auch unsere Szene stark betraf. Wir spielten damals viel in Hollywood, da breitete sich das stark aus. Und ich fragte mich, was geht hier vor, warum unternimmt keiner etwas, um herauszufinden, was das eigentlich ist, das die Menschen umbringt. Ah, es betrifft die Homosexuellen, das hat ja nur was mit den Saunaclubs zu tun. Also wurden die Saunaclubs geschlossen, aber es hörte nicht auf. Und so kam ich dazu, Texte über gesellschaftliche und politische Themen zu schreiben, die vernachlässigt werden oder bei denen, obwohl es drängt, nichts passiert. Was ist denn die Reaktion der Gesellschaft auf das Einsperren von Kindern illegaler Einwanderer in Konzentrationslager – genau das sind diese Lager nämlich? Wir sollten über solche Themen gar nicht reden müssen, wie kann das überhaupt sein? Aber das passiert wirklich gerade in meinem Land, und mit Trump gehen uns die Themen nicht aus. Trump hat unsere Welt in Anarchie gestürzt. Als ich mich mit Steve zusammensetzte, um das aktuelle Album abzustecken, sagte ich direkt, dass es sehr politisch werden würde. Und wenn man genau hinschaut, wird man in den Texten auch viel Ironie und Zynismus entdecken. Aber ich glaube auch an die Menschen, ich weiß, dass wir es schaffen können, Hindernisse zu überwinden. Wenn wir etwa Religion außen vor lassen und die gemeinsamen Werte in den Vordergrund stellen. Wir wollen doch alle mit unserer Familie und Freunden in Sicherheit leben, und das sollte allen Menschen auf der Welt möglich sein. Und in diese Richtung werden unsere Texte immer gehen. Und ich kann das mit Bestimmtheit sagen, denn ich schreibe ja alle Texte, haha. Aber an den Jungs in der Band kommt kein Text vorbei, die analysieren alles und quetschen mich aus. Steve hat sehr viel Zeit in dieses Album investiert, er war sicher hundert Stunden im Studio.
Wie kommst du auf die Themen deiner Texte?
Ach, an Themen mangelt es mir nie, das ist leicht. Aber ich schreibe am liebsten über eigene Erfahrungen. Ich habe auch etwas Zeit in der Psychiatrie verbracht zwischen den Alben, zum Glück haben sie mich nicht dabehalten, und das war durchaus eine Anregung. Vor diesem Hintergrund war Steves Job auf Tour auch immer, darauf zu achten, dass ich meine Pillen regelmäßig einnehme und so verhindert wird, dass ich verwirrt durch die Straßen laufe und mit Mülleimern rede, hahaha. Den Job hat jetzt mein Sohn Nico übernommen, der mit auf Tour ist – der passt auf, dass ich meine Medizin nehme. Seine Mutter, meine Frau hat ihm das eingeschärft: „Sobald dein Vater sich auch nur im Geringsten seltsam benimmt, ruf mich an. Und pass auf, dass er seine Medizin nimmt!“ Ich habe also einen Babysitter dabei: mein Kind! Mein 19-Jähriger passt auf, dass ich nicht in Schwierigkeiten gerate ...
Vor zwei Jahren habe ich Steve interviewt, als er mit Kevin Seconds auf Tour war. Ich fragte ihn, ob er sich wirklich alle Songs merken könne, die er je geschrieben hat – es müssen hunderte sein. Und er bejahte das. Wo sind diese Songs jetzt ...?
Gute Frage ... Kevin hat jedes Konzert auf dieser Tour mitgeschnitten, also irgendwo sind all diese Aufnahmen. Ansonsten ist alles irgendwo aufgenommen, und die Songs, mit denen er noch nicht im Studio war, sind irgendwo auf seinem Computer. Andere Songs, die noch nicht veröffentlicht wurden, findet man sicher auf YouTube und so weiter, das müsste eben mal jemand zusammentragen. Für das nächste Album haben wir jedenfalls noch Songs, die er geschrieben hat. Gerade auch bei seinen Solo-Sachen und denen mit Kevin sind so schöne Songs dabei – manche sind lustig, manche herzzerreißend. Und er war auch ein großartiger Texter.
Du hast gerade ein weiteres ADOLESCENTS-Album erwähnt – ist das schon die Antwort, ob es die Band nach dieser Tour und ohne Steve weiter geben wird? Tourersatz für Steve ist jetzt ja Brad Logan, den man von F-MINUS und LEFTÖVER CRACK kennt.
Solange es mich gibt, wird es die ADOLESCENTS geben. Ich kann nicht seine und meine Arbeit einfach in die Tonne treten. Es gibt Leute, die damit ein Problem haben, aber das kümmert mich nicht wirklich. Das sind eher Leute, die die letzten vier Alben nicht gekauft haben, die in den letzten Jahren auf keinem Konzert waren. An solche Leute verschwende ich nicht mal einen Gedanken. Außer wenn ich mich ins Internet begebe, was ich zu vermeiden versuche. Was da so abgeht, wenn sich 18 Leute auf jemanden stürzen mit ihren Kommentaren, das ist wie ein Angriff wütender Hooligans, das ist Gang-Gehabe ... und nicht mein Ding. Tja, wer hätte auch damit rechnen können, wenn man jeden überall seine Meinung loswerden lässt, dass das so ein Desaster wird ...? Dass so viele Menschen so dumm sind und eigentlich gar nichts zu sagen haben? Gib mir Katzen- und Hundebilder, das reicht mir in Sachen Internet, hahaha.
Du kommst aus Orange County, der Heimat vieler Bands, weshalb der Name vielen Musikfans ein Begriff ist. Tatsächlich ist das aber ein riesiges, traditionell konservatives Vorortgebiet. Und manchmal kommt es mir so vor, dass manche Punkrocker auf ihre alten Tage eine konservative Weltsicht offenbaren, die ich so aus dem Punk-Meinungsspektrum in Deutschland nicht kenne. Man denke nur an Joe Escalante von den VANDALS oder aktuell Duane Peters von US BOMBS. Kannst du dazu was sagen, wo kommt das her?
Joe ist ein sehr gläubiger Katholik, in seinem Fall hat das also was mit dem Glauben zu tun, und er hat sogar eine Show in einem katholischen Mediennetzwerk. Sein Fall ist also speziell, das würde ich isoliert betrachten. Und ja, es gibt eine ganze Menge Konservativer unter den Punks, aber die findest du vor allem in unserer Altersgruppe. Wenn sich Leute aus der Orange-County-Punk-Szene im Bereich von fünf Jahre älter als ich bis 15 Jahre jünger als rechts oder konservativ präsentieren, dann spiegelt das nur exakt ihren familiären Hintergrund wider. So waren schon deren Eltern und Großeltern eingestellt und die machen das einfach nur nach. Das sind Schafe. Die sind wie puschelige kleine Tiere, die von einem kläffenden, großen Hund umhergetrieben werden. Und dieser Hund heißt Trump. Der Hund bellt und die Schafe trotten brav in ihr Gehege. Wo man sie dann verhungern lassen kann. Glaub mir, ich zeichne damit ein recht realistisches Bild der Lage. Echt, diese Leute sind Schafe, und ab und zu spricht mich von denen mal einer persönlich an oder im Internet, à la Trump sei ja echt Punk in seinem Vorgehen, und ich lache die dann einfach aus. Ich meine, was soll man auf so was antworten? Trump ist Milliardär, Narzist, Mysogynist, ein Arschloch. Er gehört zu den 1% Superrreichen im Land und ist umgeben von Marketing-Spezialisten, die die Marke Trump promoten. Der Typ will gar nicht der Anführer eines Landes sein, das sich auf den Status eines Dritte-Welt-Landes zubewegt. Es geht nur um die Marke, wie viele Klicks man bekommt, wie viele Retweets. Es ist völlig bizarr. Wenn Trump uns eines gezeigt hat, dann die guten und die schlechten Seiten von Social Media.
Nun, in Deutschland haben wir mit der AfD und bis zu 17% bei Meinungsumfragen die gleiche Attitüde im politische Spektrum.
Enttäuschte, sich zurückgesetzt fühlende Arbeiter?
Nein, vielfach sind das kulturpessimistische „Bildungsbürger“.
Hat deren Verhalten eine ethnischen Hintergrund? In den USA steckt da nämlich durchaus eine von Ethnizität geprägte Rhetorik dahinter. Und Frauenfeindlichkeit auch, gelegentlich auch Antisemitismus. Es gibt eine Menge Leute in den USA, die dachten, mit Trump werde alles anders, er werde ihnen Jobs verschaffen. Was nicht der Fall ist, denn die einzigen Jobs, die Trump schafft, sind welche in Ausbeuterfabriken in Asien und Mittelamerika. Es gibt keine rationale Erklärung dafür, warum das weiße Amerika der Arbeiter glaubt, dass Trumps Tun ihnen irgendwas Positives bringt. Allmählich aber dämmert auch diesen Leuten, was hinter Trump steckt. Trotz dessen Propaganda, die Veranstaltungen vor 300 Leuten irgendwo in Alabama aussehen lässt, als wären da 3.000 Leute gewesen. Wirklich, es ist alles Propaganda, und das zu verkaufende Produkt ist der Präsident der USA. Und um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ihr habt vielleicht keinen Trump, aber ich wette, auch in eurer Szene gibt es ganz schön konservativ denkende Leute, die sich einfach noch nicht aus der Deckung gewagt haben. Aber sie sind da. Ihr könnt nicht 17% AfD haben und dann gibt es solche Leute nicht in der Punk-Szene – das glaube ich nicht. Die Szene ist nicht anders als der Rest der Gesellschaft.
Wie tief reicht die Polarisierung durch die Person Trump in Familien und Freundeskreise hinein?
Es wird immer generationenübergreifende politische Diskussionen geben. Die Jungen sind meist sehr leidenschaftlich und idealistisch, im Alter werden die Leute dann meist etwas entspannter. In den Kreisen, in denen ich mich bewege, haben die Menschen aber immer schon progressive, nach links tendierende Einstellungen vertreten, waren sich sozialer Aspekte bewusst. Daran hat sich auch nichts geändert. Geändert hat sich aber dieser Mikrokosmos rechter Gruppen, der sich mittlerweile in jeder Familie widerspiegelt. Die waren bislang eher ruhig, jetzt artikulieren sie sich immer deutlicher. Die Tea Party-Bewegung etwa hat sich bewusst rebellisch gegeben, als ob sie sich gegen die Obrigkeit auflehnen würden, und mit dieser Attitüde versuchten sie, Leute von der Linken auf ihre Seite zu ziehen. Und da ist es natürlich schnell passiert, dass sich Gräben auftun, überall. Normalerweise reden Amerikaner in der Öffentlichkeit nicht über Politik, und wenn, dann nur unter Gleichgesinnten, um nicht Streitpunkte zu haben. Ich habe auch in jüngerer Zeit nie erlebt, dass es zu unschönen öffentlichen Diskussionen in meinem Umfeld gekommen ist, etwa wegen eines bestimmten T-Shirts.
Die religiöse Rechte spielt, anders als in Deutschland, in den USA auch immer eine wichtige Rolle.
Ja, und die LGBT-Gemeinde ist es, die von allen Seiten immer als Erste ins Visier genommen werden. Bei dem Thema sind die Rechten immer einer Meinung und erreichen auch noch Menschen bis hinein in die politische Mitte, die religiösen Konservativen. Die lesen und interpretieren die Bibel so, wie es ihnen passt. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe das von klein auf mitbekommen, ich komme aus einer Baptistenfamilie. Ich musste sogar auf eine Baptistenschule, das war Hardcore ...
Gleich mehrere von Trumps Ministern haben einen evangelikalen Background.
Und ich kann dir genau sagen, was die Motherfucker anstellen: Die beziehen sich auf das Buch der Offenbarung, wir befinden uns in der Endzeit, und sie sehen es als ihre Aufgabe an, Ereignisse zu provozieren, die ihrer Meinung nach in der Bibel vorhergesagt werden. Ein Showdown im Nahen Osten? Kann man haben, indem man die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt. Genau solche Aktionen meine ich. Aber woher kommt das? Schaut man sich die Verantwortlichen an, stößt man auf Vertreter der evangelikalen Rechten. Und warum interessieren die sich nun so besonders für den Nahen Osten? Weil wir denen Waffen verkaufen können. Und: weil im Buch der Offenbarung steht, dass der neue Führer von dort kommt. Also forcieren sie das Geschehen, und Religion wird zu einer Seuche. Nach deren Sichtweise sind außerdem immer die Muslime schuld, dabei ist ihr Vorgehen dies, dass sie jemand so lange auf den Kopf hauen, bis der zurückschlägt und sie dann sagen können: „Seht ihr? Haben wir doch immer gesagt.“ Und dazu gehört ein permanenter Shitstorm gegen alle Religionen, die nicht christlich-jüdischen Ursprungs sind. Das ist so krass, und dabei sind für mich Altes Testament, Neues Testament und Koran alles das verdammt Gleiche: Ein dickes Buch, das ich nicht noch mal lesen werde. Ein Haufen verdammter dummer Gleichnisse, total unschlüssig, und dazu lustige kleine Geschichten über Eltern, die ihre Kinder töten.
... aber hast du mir nicht vorhin noch erzählt, Steve sei bei der Erstkommunion deiner Kinder dabei gewesen ...?
Steve war ein religiöser Mensch. Und die Erstkommunion ist zehn Jahre her. Die Sache ist die: Ich hatte meiner Schwiegermutter versprochen, meine Kinder zumindest mit dem Katholizismus vertraut zu machen. Also haben sie sich das alles angeschaut – und alle drei sind heute Atheisten. Meine Schwiegermutter war eine sehr erstaunliche Frau – und sehr katholisch. Der Deal war ungefähr der: Ich kriege deine Tochter, und du bekommst meine Kinder, hahahaha. Ihr Name war Rumpelstilzchen, hahahaha. Nun, ihr Plan ging nicht auf. Aber abgesehen davon ist mein Haus voller Kreuze, ich habe auch ein Kettchen mit Kruzifix – es ist von meiner Schwiegermutter und ich halte es in Ehren. Bin ich religiös? Nein, Atheist. Das ist nichts Religiöses, sondern etwas Persönliches.
Gut, dass ich gefragt habe.
Fragen ist wichtig! Man muss immer nachbohren! Ich finde, in Konversationen geht diese Fähigkeit zunehmend verloren. Oft ist aus dem Verhalten einer Person nicht klar ersichtlich, was ihre Motivation ist, und wenn man dann nicht fragt, kommt es zu Missverständnissen. Die Kunst der Konversation, des Meinungsaustauschs leidet in Zeiten zunehmender Kommunikation über SMS und so weiter. Und so verstehen wir uns jenseits des Internets immer schlechter. Immer wenn ich eine Gruppe junger Leute sehe, die alle auf ihre Displays starren, habe ich das Gefühl, das ist das Ende. Aber was wissen wir schon? Wir sind alt und dumm, hahaha.
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