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EMSCHERKURVE 77

Stimmen der Stadt

Gehören EMSCHERKURVE 77 überhaupt in diese Kategorie? Sind sie eine würdige Band für die Rubrik „Top Of The Ox“? Natürlich: Sie sind eine der dienstältesten Oi!- und Streetpunk-Bands des Landes. Sie sind unkaputtbar und bringen unablässig alle paar Jahre eine neue Platte raus. Frontmann Spiller gehört zudem zu den markantesten, bekanntesten Köpfen der Szene zwischen Nordsee und Alpen, weil er gefühlt immer überall am Start ist, wo es nach Punkrock riecht. Entweder mit dem Mikro in der Hand auf der Bühne. Oder abseits davon, wenn er den Merchverkauf oder das Mitanpacken für BROILERS, DIE KASSIERER und Co. schmeißt. Aber ansonsten? Einen richtigen Wahnsinnshit, auf den sich alle einigen können, eine Über-Platte, ein paar Songs, die mehr als den wirklich ganz harten und konsequenten Fans vor der Bühne im Gedächtnis geblieben wären, haben sie nie geschrieben. Eine EMSCHERKURVE 77-Platte aufzulegen bedeutete für die meisten Menschen bislang den Gedanken: „Ja, ist schnell. Laut. Geht ins Ohr. Und ... Sorry, was war noch mal?“ Das passende EMSCHERKURVE 77-Wort Nummer eins lautet insofern: solide. Während Wort Nummer zwei „Lokalkolorit“ ist – weil es bei ihnen ja immer um den Pott geht, aus dem sie kommen und aus dem und um den herum und über dessen Menschen sie am allerliebsten erzählen. So weit, so gut. So weit, so EMSCHERKURVE 77. Aber dann kommen sie mit „Stimmen der Stadt“ um die Ecke. Und alles ist anders. Irgendetwas ist passiert. Und dieses „irgendetwas“ macht etwas aus. Es beschert EMSCHERKURVE 77 plötzlich eine Platte voller Ohrwürmer, die nicht nur den Band-Die-hards wohlige Schauer bescheren, sondern die erstmals auch auf viele, viele andere abzielen und auch bei den bislang unbeteiligt Vorbeilauschenden Wirkung erzielen dürften. „Leinen los“, das Titelstück, Songs wie „Einen Sommer lang“, „20 Jahre“ oder „Nie geschehen“ sind eine Zäsur. In ihnen klingen EMSCHERKURVE 77 – und das ist in aller Sachlichkeit festzuhalten! – so gut, so geschmeidig, so melodiös, so souverän, so mitreißend, so emotional wie nie zuvor. Sind es die stets als sichere „Ich hab dich!“-Waffe geltenden Chöre? Die Moll-Akkorde im Schrammel-Modus, die das Dur abgelöst haben? Die kleinen, perfekt gesetzten Gitarrensoli? Die ein wenig weniger gewordenen Oi!-Krach-Anflüge? Die Produktion, die einen Tacken druckvoller ist als bislang? Es lässt sich irgendwie nicht so recht fassen. Es sind auch nur Nuancen, denn wenn man sich zum Vergleich die vorherigen Platten zu Gemüte führt, erkennt man, es war alles schon da. Irgendwie. Aber nicht so geballt. Es lässt sich aber vor allem fühlen, diese Band hat mit „Stimmen der Stadt“ nicht nur eine weitere Ode an ihre Heimat und Songs über Sehnsucht, gestorbene Träume und die Jagd nach dem Leben geschrieben. Sie hat auch ein Album abgeliefert, das so schön wie selten zuvor klingt.