FJØRT

Kontakt

Erst in der vergangenen Ausgabe des Ox war Ober-Tote-Hose Campino zu Wort gekommen und hatte konstatiert, dass die interessanten Musiksachen aktuell im deutschsprachigen HipHop passieren. Den deutschsprachigen Punk erwähnte er nicht.

Zugegeben: Campino zielte in diesem Moment natürlich auch auf die Massenwirkung der Musik ab. Und die erreicht Rap derzeit tatsächlich eher als Punk. Dennoch zeichnet sich auch im Punk ein Trend ab, der vor Jahren einmal von TURBOSTAAT als dem immer noch gültigen Maß aller Dinge losgetreten wurde: Der deutschsprachige Punk mag zwar nicht die Masse der Menschen erreichen, dennoch ist er vielleicht so lebendig wie nie.

Auf jeden Fall ist er qualitativ so gut wie nie. Der berühmt-berüchtigte „Deutschpunk“ als Inbegriff des tumben Akkord-Geschrammels wurde abgelöst von Spielarten des Genres zwischen Post-Punk, Hardcore und Post-Hardcore.

Es gibt DIE NERVEN, LOVE A, FREIBURG, KMPFSPRT und eben TURBOSTAAT. Und es gibt FJØRT. Eine Band, die als Gesamtkunstwerk daherkommt, und deren neues Album „Kontakt“ nur so sprüht vor Kreativität und in Ohr, Hirn und Herz zielender Ästhetik.

Schon der Vorgänger „D’Accord“ war gewaltig, textlich wie musikalisch. Jetzt aber legen die Aachener eine Platte vor, auf die das Attribut „episch“ zutrifft. Die elf Songs flirren und krachen, bieten mit Hall und Breaks eine Palette an musikalischen Schönheiten, die dazu einladen, sich in ihnen zu verlieren.

Wem die zwischen den Brecher-Gitarren eingestreuten, klaren Harmonien in Stücken wie „In Balance“, „Anthrazit“ oder „Lichterloh“ nicht zu Herzen gehen und wen sie nicht hinter geschlossenen Augen das Kopfkino mit melancholischen, wütenden („Paroli“) doch nie überkandidelt dramatischen Untertiteln anwerfen und genießen lassen, der muss ernsthafte Schwierigkeiten haben, die Schönheit von Rockmusik abseits des Mainstreams zu erkennen.

Das Zusammenspiel zwischen Musik, Coverartwork und Texten ist bei FJØRT ein einziger stimmiger Genuss und das Paradebeispiel für Konzeptkunst. „Kontakt“ ist eine dieser Platten, in denen man sich verlieren kann – ob man die latent kryptischen Texte nun auf Anhieb zu dechiffrieren vermag oder nicht.

FJØRT schaffen es, Post-Hardcore so zu arrangieren, dass er einerseits anders klingt als alles andere, andererseits aber stets nachvollziehbar und ohne die in dieser Sparte oftmals um sich greifende Hibbeligkeit bleibt.

Es ist vor diesem Hintergrund fast schon tragisch, dass ausgerechnet im Monat der Veröffentlichung dieses Meisterwerkes auch TURBOSTAAT ihr neues Album herausbringen und das Gros des Interesses der Punk-Sippe auf sich ziehen werden.

Aber sei’s drum. Was wichtig ist: Alle sollten „Kontakt“ kaufen. Und irgendjemand sollte Campino anrufen.