Mit ihren drei vorherigen Alben „D’Accord“, „Kontakt“ und „Couleur“ haben sich FJØRT aus Aachen nicht nur an die Spitze des Post-Rock und Post-Hardcore hierzulande gespielt. Sie haben sich eine eigene Nische gebaut, aus der heraus sie mit Gitarrenwänden, Hall und maximal abwechslungsreichen Arrangements auf die Menschheit losgehen, um das Kopfkino anzuwerfen und Gedankenwelten in Brand zu setzen. Nach viel beachteten Konzerten, bei denen sie kürzlich die alten Alben nacheinander durchspielten, ehe sie plötzlich wie aus dem Nichts (sic!) ein paar neue Songs präsentierten, wird nun die neue Platte mit Namen „Nichts“ veröffentlicht. Sie ist typisch FJØRT. Sie ist hoch lyrisch. Und sie ist dennoch ein kleiner Bruch – im Artwork und der noch abwechslungsreicher gewordenen Musik der Band. Wir suchen mit Sänger und Gitarrist Chris sowie mit Bassist David nach einer Antwort auf die Frage: Was zur Hölle macht FJØRT zu einer der spannendsten und aufregendsten Bands unserer Zeit?
David, Chris, wo sitzt ihr gerade?
David: Wir sind hier im Backstageraum des Musikbunkers Aachen, weil wir uns heute mal wieder kaputtproben in diesen heiligen Hallen. Nur unser Drummer fehlt. Der ballert gerade nebenan. Er muss noch ein bisschen am Schlagzeug nacharbeiten.
Schlagzeuger scheinen immer am meisten nacharbeiten zu müssen. Sie sind eben die besonderen Menschen in Bands.
David: So ist es. Aber sie haben ja auch vier Gliedmaßen zu koordinieren. Wir nur zwei. Da ist das ja kein Wunder, haha.
Anders gesagt: Schlagzeuger sind so ein bisschen wie die Torhüter oder Torhüterinnen des Bandwesens, oder? Eigen und mit einer besonderen Rolle versehen.
David: Absolut! Sie sind die wichtigsten Leute in der Band! Wenn unser Schlagzeuger aufhört zu spielen ...
Chris: Dann gucken die Leute aber doof, haha.
David: Wir sind jedenfalls froh, dass wir Frank haben. Und wir sind genauso froh, dass wir seit zehn Jahren Musik machen und noch keiner ausgestiegen ist. Das ist ein Privileg.
Euer Erfolg ist ja auch nicht selbstverständlich. Er war nicht vorgezeichnet. Denn ihr spielt eine Musik, die eher sperrig klingt und eine Nische besetzt. Nichtsdestotrotz habt ihr euch zu Größen in der, sagen wir, alternativen Musikszene hierzulande entwickelt und seid längst kein Geheimtipp mehr.
David: Es gibt ja in der Musik diese Theorie des Momentums, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das hatten wir vielleicht. Unsere prägendsten Einflüsse haben dagegen nicht die Resonanz bekommen wie wir. Ich spreche da von Bands wie ESCAPADO, GLASSES, TRAINWRECK, PUNCH, GRAF ORLOCK. Bands, die uns immer unheimlich beeinflusst haben mit diesen nicht passenden Akkordfolgen und der Intensität der Musik – die wir aber immer nur im ganz kleinen Rahmen gesehen haben. Bei uns war es ja anfangs genauso. Als wir 2012 hier im Musikbunker zusammenkamen, drei Leute aus ganz verschiedenen Genres, war von Beginn an klar: Wir machen diese brettharte Musik ohne Kompromisse. Und dann? Haben uns Leute eingeladen, bei ihnen zu spielen und im Keller zu pennen. Da ging vieles über DIY. Das war nicht unbedingt wegen der Mucke. Ich meine, teilweise standen da zwei, drei Menschen im Publikum. Aber mit dem ersten Vinyl-Release haben viele Leute merklich gedacht: Hey, da kann man hingehen. Die sind gut! Und so ab Platte drei, „Coleur“, haben wir endgültig registriert: Die Leute heute kommen nicht, weil da fünf andere Bands spielen. Sondern wegen uns und unserer Musik! Das kannte keiner von uns von seinen alten Bands. Das war krass schön! Und deshalb sind wir nach wie vor sehr, sehr ehrfürchtig.
Was macht eurer Ansicht nach diese Faszination von FJØRT aus, der man sich offenbar nur schwer entziehen kann?
Chris: Du zwingst mich dazu, etwas Gutes über uns selbst zu sagen ... Ich bin jetzt nicht der König darin zu sagen, warum unsere Musik für andere Leute irgendeinen Appeal hat. Aber wenn man es runterbrechen müsste, dann ist es – auch auf unserer neuen Platte „Nichts“ – so, dass wir sehr viel darüber nachdenken, was uns beschäftigt. Die Themen sind ja offensichtlich und überall zu finden. Und wir versuchen dann, sie in den Texten relativ auf den Punkt zu bringen.
„Auf den Punkt“ stimmt ja nur bedingt. Da ist vieles eher kryptisch.
Chris: Okay. Wir machen es schon meist lyrisch umschreibend. Aber letztlich eben so, dass die Texte ein fieses, giftiges Gefühl transportieren – flankiert von harten Klängen, sägenden Gitarrenmelodien. Ich denke, das ist die Essenz von FJØRT, solche Dinge in ungeschönter Weise auf den Punkt zu bringen. Und irgendwie ist diese Kombination wohl so gut, dass sie diese Themen dem Hörer oder der Hörerin näher bringt und etwas in ihm oder ihr auslöst – sei es negativ oder positiv. Meist sind es schon Dinge, die in die Schwärze gehen. Aber offenbar klingelt da irgendwas. Und das suchen wir ja auch selbst in der Musik.
David: Was zudem wichtig ist für uns: kein Schablonen-Songwriting zu machen. Ich habe erst kürzlich gelesen, dass täglich etwa 100.000 Songs bei Spotify hochgeladen werden. Das ist auf einer Seite superschön und bereichert die Musikwelt. Und wir wissen mittlerweile auch, dass es gewisse Schrauben im Songwriting gibt, an denen man drehen kann, um gehört zu werden. Aber bei uns ist es immer noch so, dass wir versuchen, uns davon freizumachen. Uns freizumachen von der Frage: Welchen Akkord braucht der Text gerade? Und wir achten auch nicht darauf, dass nach vierzig Sekunden oder so der erste Refrain kommt, um in irgendeinen Algorithmus bei Spotify reinzukommen. Nein, wir arbeiten nach unseren eigenen Regeln. Das ist digital und playlistenmäßig natürlich ein Problem. Aber davon muss man sich, wie gesagt, völlig freimachen.
Ihr verweigert euch also anerkannten Methoden, Musik massentauglich zu machen.
David: Ja, klar. So was kann zwar mal kurze Zeit klappen, aber es macht dich niemals glücklich. Wichtig ist, bei uns passiert irgendwann ein Song – aber wir arbeiten zuvor sehr, sehr lange daran, das fällt uns nicht einfach so zu. Und ein Song ist dann gut, wenn er zuvorderst uns glücklich macht. Wir müssen dahinterstehen. Erst dann funktioniert er auch für andere Menschen.
Wenn wir eurem Erfolg verstehen wollen, müssen wir vielleicht den Alleinstellungsmerkmalen von FJØRT auf den Grund gehen, wie ich als Hörer sie erlebe. Da ist vor allem dieses Lyrische in den Texten. Die könnte man auch ganz ohne Musik als eigenständigen Lyrikband veröffentlichen. Sie sind oftmals verklausuliert und, wie gesagt, kryptisch. Aber sie basieren offenbar auch auf einer großen Liebe zu Wortspielen und schönen Wörtern. So etwas findet sich in der hiesigen Musiklandschaft nicht so oft. Das zeugt irgendwie von einem für Musiker ungewöhnlichen Sinn für Sprache.
Chris: Also ich als Musikhörer liebe es, wenn mir ein Song nicht direkt und zu 100% auf die Stirn bindet, was der Künstler oder die Künstlerin damit gemeint und sich dabei gedacht hat. Ich finde es immer extrem schön, wenn ich etwas höre und selbst etwas hineinlegen kann. Wenn bei mir selbst eine Geschichte abläuft. Im Gegenteil macht es bei mir immer etwas kaputt, wenn ich das Gefühl habe, dass es jetzt um ein ganz konkretes Thema geht, etwa Liebeskummer. Bei vielen Themen sind die Gefühle ja auch oft eher zweischneidig. Da gibt es gar nicht den einen Weg, wie man denken darf. Und ja, ich liebe es, mit Worten zu spielen. Mit Worten, von denen man selbst oft gar nicht weiß, wo kommen die denn her? Gibt es die überhaupt? Und bei uns im Aachener Raum ist durch die Nähe zu Belgien eben auch der französische Spracheinfluss sehr präsent und prägend. In unserem Wortschatz befinden sich viele ursprünglich französische Wörter. Daher spielen bei FJØRT auch solche Sachen mit hinein – siehe „Coleur“, „Bonheur“, „D’accord“, „Faux-pas“. Es ist generell schön, etwas anzustoßen, ohne etwas konkret festzulegen – und das dem Hörer oder der Hörerin zu überlassen. Das macht es interessant.
David: Wir agieren immer auf einer zweiten Ebene. Wir schauen etwas an oder hören etwas, bleiben mit dem Auge oder dem Ohr hängen und denken immer: Da ist irgendwas auf einer anderen Ebene. Und das interessiert mich. Das läuft ja dem, was uns gesellschaftlich prägt – da spreche ich jetzt von Produktwerbung! – zuwider. Diesem: Du musst es sofort erkennen und begreifen! Du musst es sofort gecheckt haben. Bei uns ist eher wichtig: Okay, hör dir das an, schau dir das Artwork an und sag mal, ob etwas mit dir passiert? Und wenn etwas passiert, dann ist es schön, wenn du da bleibst. Es macht unglaublichen Spaß, die Sachen auf diese Art zusammenzupuzzlen, auch und gerade musikalisch. Hier noch eine Gitarre, da noch ein Synthie-Element. Das ist wie beim Malen, hier ein kleiner Farbklecks und da noch einer.
Wie entstehen FJØRT-Songs?
David: Es ist nicht so, dass wir uns an den Schreibtisch im Proberaum setzen und dann läuft der Text so runter. Beim Song „Bonheur“ waren beispielsweise irgendwann diese Refrainzeilen „Bonheur, plaisir / Wann kommst du mal zu mir“ einfach da. Die Idee des Songs. Und dann geht man in die Riffs und passt verschiedene Worte ein. Irgendwann ist man selbst ganz berührt von dem Song und weiß in diesem Moment: Das hat jetzt die Legitimation, dass es auch jemand anderes hört! Wir sind immer neidisch auf diese Leute, die sagen: „Ja, den Text haben wir backstage mal eben geschrieben.“ Oder: „Das Album haben wir während der Tour geschrieben.“ Diese beinahe schon romantische Vorstellung des Songwritings. Ich denke, diese Leute sind einfach schweinegut. Ich glaube das auch immer. Aber bei uns geschieht das nicht. Das klappt nicht. Bei uns braucht es einfach Zeit.
Ein Spruch wie „Der Song schrieb sich von selbst“ kommt bei euch also nicht vor?
David: Das gibt es nur in einzelnen Elementen. In Ideen. Ein einzelnes Riff oder so ist schnell mal ausgedacht. Aber das ist erst der Beginn. Ich umschreibe es mal auf folgende Art: Eine Skizze des Hauses vom Nikolaus gibt es ja sehr schnell. Aber auf unsere Songs bezogen bedeutet das, das ist nur die Basis. Am Ende ist es eher eine architektonische Zeichnung des Hauses vom Nikolaus. Okay, der Song „Schrot“ von unserer neuen Platte war in zwei Stunden fertig. Den haben wir geschrieben aus purer Verzweiflung über unsere ganze Spezies Mensch. Das Riffing kam einfach so raus. Das war ein Gefühl von: Hau raus und drück auf „Record“! Dafür sind wir nun nicht gerade zehn Monate lang durch Aachen gerannt und haben hin und her überlegt, haha. Der war also eine Ausnahme. Aber ansonsten gilt, ein Song braucht so lange, wie er braucht. Und er ist nicht besser, nur weil er schneller geschrieben wurde.
Ein weiterer Punkt, der FJØRT auszeichnet, ist das stets einzigartige Artwork eurer Platten. Nach Fotos aus dem Familienalbum auf den vorherigen Alben arbeitet ihr nun mit seltsamen fragilen Drahtgebilden.
Chris: Wir haben eine Designerin, die seit der zweiten Platte mit uns zusammenarbeitet. Und das ist wichtig, denn das Artwork ist ja noch mal eine weitere Ebene, auf der man sich auslassen und kreativ betätigen kann. Und bei der neuen Platte haben wir diesbezüglich wieder eine andere Abzweigung genommen. Bei den letzten drei Platten hatten wir diese Fotos auf dem Cover. Also echte Fotos. Menschen in echten Situationen. Wir waren sehr auf den Menschen an sich fokussiert. Und wenn du Geschichten erzählen oder Gefühle transportieren willst, dann ist es sehr schwierig zu sagen: Jetzt zeig mir doch mal, dass du gerade melancholisch bist! Das funktioniert nicht. Deshalb haben wir auf diese Authentizität gesetzt. Die Authentizität echter Menschen. Bei „Einzig“ hatte die Platte aber so einen anderen endgültigen Vibe. So ein existenzielles Gefühl. Daher haben wir uns gesagt: Wir müssen jetzt mal mit diesem alten Motiven brechen und brauchen etwas anderes. Etwas Einfaches, das dennoch das Gefühl der Songs transportiert. Und dann kam unsere Designerin mit der Idee zu diesen Drahtfigürchen, hat das vorgestellt. Und wir haben sofort gesagt: Das ist mega! Denn man kann mit wenigen Strichen etwas transportieren, was etwas zum Song beiträgt. Was ihn vielleicht sogar erklärt. Was aber auch noch mal etwas anderes dazu sagt. Und ich denke: Wir brauchen diesen Look einfach für diese Platte. Dieses Karge, dieses Harte, das das Artwork transportiert. Es ist uns als Band einfach auch wichtig, neue Dinge zu machen. So dass wir nie zu sagen brauchen, das ist langweilig, das haben wir schon mal gemacht. Ich finde es spannend, wenn sich Bands auf irgendeine Weise neu erfinden.
Gutes Stichwort. „Nichts“ sieht anders aus als zuvor „D’Accord“, „Kontakt“ und „Coleur“, die für mich als Hörer so eine kleine Trilogie bildeten. Und es klingt anders, noch abwechslungsreicher. Habt ihr euch auf „Nichts“ so ein bisschen neu erfunden?
David: Jede Platte läutet ja irgendetwas Neues ein. Und wir lernen ja auch dazu. Beziehungsweise wir erfahren dazu. „Lernen“ hört sich zu schulisch an. Musik ist eben keine Mathematik. Eins plus eins ergibt da nicht immer zwei, sondern kann alles ergeben. Das haben wir auch dieses Mal so gesehen. Und bei „Nichts“ hatten wir aufgrund der Pandemie zudem sehr, sehr viel Zeit, in die Tiefe zu gehen. Nicht nur Striche auf ein Blatt Papier zu malen, sondern dreidimensional zu malen. Auch textlich. So dass wir uns tatsächlich ein bisschen erneuert und überholt haben. Aber: Die Grundhaltung können Leute wie wir, die zehn Jahre lang gemeinsam Musik machen, nicht verlieren. Insofern klingt es immer nach FJØRT. Ob es jetzt wieder eine Trilogie wird, was man durchaus so sehen kann, weiß ich indes nicht.
Dann kommen wir mal zum dritten Aspekt, der euch meiner Meinung nach von vielen anderen Bands abhebt: Ihr habt dieses Epische, Pathetische in den Songs. Und das führt dazu, dass die Musik auch ohne Texte funktioniert. Sie wirft das Kopfkino an.
David: Es ist interessant, dass du das sagst, denn wir sagen uns selbst immer: Hör dir doch mal die Musik allein an! Die Texte kommen später hinzu. Bei uns steht das Riff generell vor der ersten Zeile. Und wenn das funktioniert, ist das der Urknall, von dem aus es weitergeht.
Chris: Die Musik gibt uns das Gefühl vor, zu dem das wir dann die Texte schreiben. Allein das Instrumental eines Songs, wie etwa „Schrot“ zu hören, macht ja schon etwas mit einem. Es zeigt, wohin ein Song gehen soll. Das ist extrem wichtig.
David: Man darf ja auch nicht vergessen: Die Menschheit versteht sich – pathetisch gesagt – ja auch ohne Worte. Wir merken das immer, wenn in unserem Shop jemand aus den USA oder so bestellt und wir uns sagen: Das ist ja unglaublich! Aber das zeigt eben, Musik kann etwas transportieren. Salopp gesagt: Da kommt eine Wand aus Musik auf mich zu und das macht etwas mit mir, und ich muss dazu auch nichts gesagt bekommen. Das hat auch so seine Daseinsberechtigung.
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