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AGNOSTIC FRONT

Get Loud!

„You can take the boys out of town, but you can’t take the town out of the boys.“ Auf diese alte Weisheit könnte man die Texte des neuen AF-Albums „Get Loud!“ reduzieren, den Nachfolger von „The American Dream Died“ von 2015.

Roger Miret ist weit in den Westen nach Arizona gezogen, lebt lange schon nicht mehr in New York City, und die Stadt, deren Lower East Side einst New York Hardcore, wie er bis heute von AGNOSTIC FRONT zelebriert wird, hervorbrachte, existiert nicht mehr.

NYHC ist so lange schon zu einer bloßen Idee, einem weltweit reproduzierten Genre, einer Marke, einem Mythos, einer Erinnerung geworden, die immer wieder kolportiert und nacherzählt wird.

Roger Miret trug selbst dazu bei mit seiner Autobiografie und die Band mit der 2017er Doku „The Godfathers Of Hardcore“ von Ian McFarland. Und Roger trägt die Fackel weiter, indem er – und dabei unterstelle ich ihm keinerlei Kalkül, sondern ein echtes Bedürfnis – seine gelinde gesagt schwierige Jugend bis heute immer wieder in Textform reflektiert (und nur ansatzweise glorifiziert).

„Spray painted walls“ und „In my blood“ thematisiert das, warnt aber auch vor einer geschönten Sichtweise. „I remember“ ist das Heraufbeschwören des alten NYC, der Szene, der frühen Tage von AF, ebenso „Urban decay“ – sorry, aber das hat was von Veteranenerinnerungen, und faktisch ist es wohl das, die Erinnerung eines Survivors, genau wie „Snitches get stitches“, das irgendwie nicht zum Bild des braven Familienvaters passt, der Roger heute längst ist.

Man ahnt, da rumort es tief in ihm, wie auch „Pull the trigger“ und „Devastated“ zeigen, Texte, in denen jeweils das Wort „depression“ auftaucht, sicher kein Zufall. In „Anti-social“ wiederum bricht der wütende Teenager durch – das ist nicht der Text, mit dem man beim Elternabend in der Schule konfrontiert werden will, in „Conquer an divide“ wird auf eine für mich nicht mehr nachvollziehbare Weise gegen „die Politiker“ gewettert, so desillusioniert, dass man gar nicht anregen will, selbst politisch aktiv zu werden.

Ein spannendes Album, wenn man etwas Textexegese betreibt, wohingegen musikalisch nicht die geringste Überraschung geboten wird – Stagnation auf gewohntem Niveau, wobei eines auffällt, wie auch live im Herbst 2019: Rogers punktuell erstaunlich schlechte Gesangsstimme.

Oder ist das nur selektive Wahrnehmung? Alles in allem ein solides Album – Überraschungen kann und muss und will man von dieser Band nicht mehr erwarten. Was gar nicht geht: ausgeblendete Songs, siehe „Dead silence“.