Wie reagiert man, wenn man eingeladen wird, sich 90 Konzerte im Zeitraffer anzuhören? Ganz einfach: man nimmt an. Vor allem dann, wenn die Einladung von einer der begnadetsten (Live-)Bands around eingesandt wurde.
Es ist Anfang März und gerade sind die BEATSTEAKS mit der Mitteilung herausgeplatzt, "Kanonen auf Spatzen" würde Anfang Mai veröffentlicht. Ein Live-Album, an dem die Band mit demselben Elan gearbeitet habe, mit dem sie auch an Studioalben herangeht, wie Sänger Arnim von Teutoburg-Weiß wenig später berichtet.
Wenig später, das heißt in etwa zehn Tage später. Denn schon kurz nach der frohen Kunde über das Live-Dokument der Berliner sitzt man Teutoburg-Weiß und seinem Drummer Thomas Götz im Tritonus-Tonstudio in Berlin gegenüber.
Hierhin haben beide eingeladen, um der versammelten Journaille schon einmal Auszüge des Werkes vorzuspielen, während sich der Rest der Band krankheitsbedingt entschuldigen lässt. Teutoburg-Weiß ist nach vorangegangenem Tourabbruch aufgrund von Stimmproblemen wieder genesen und strahlt ebenso wie sein Drummer von einem Ohr zu anderem.
"Oh Mann, das ist schon Mist, wenn deinetwegen eine Tour abgeblasen wird. Da stehst du am Nachmittag im Backstage-Raum und freust dich auf die Show und dann sagt dir der Arzt, dass deine Stimme das erstmal nicht mehr mit macht - ein ziemlich blödes Gefühl." Für Fans und Freunde kam die Entwarnung aber schnell, der Sänger befand sich nach der Behandlung auf dem Wege der Besserung und bis heute sind alle ausgefallenen Konzerte nachgeholt.
Konzerte gab es aber schon vor diesem Ereignis viele - ganze 90 von ihnen nahm die Band auf und verdichtete 28 Mitschnitte zu "Kanonen auf Spatzen". Dabei blieb man dem Faible der Band für sowohl große als auch kleine Bühnen treu: Auf dem Album finden sich auf der ersten CD Aufnahmen von Rock am Ring, aus der Berliner Wuhlheide und weiteren großen Locations.
Auf der zweiten CD vereint man hauptsächlich Mitschnitte aus kleinen Clubs in etwa Nijmegen (Holland) und Malmö (Schweden). "Wir sind große Fans von Live-Alben, deswegen wollten wir immer selber einmal eines machen", holt Arnim von Teutoburg-Weiß aus.
"Dabei war es uns besonders wichtig, dass ‚Kanonen auf Spatzen' authentisch klingt. Dass du als Hörer die Augen zumachen kannst und das Gefühl hast, du stündest bei einer BEATSTEAKS-Show in der Menge beziehungsweise im Club." Deswegen wurde "Kanonen auf Spatzen" im Nachhinein auch nicht bearbeitet, sondern die Songs ohne eine Korrektur der Gesangslinien oder anderweitiger Parts direkt übernommen, weswegen es auch ein recht intensiver Prozess war, sich durch 90 Aufnahmen zu hören und die besten Songs auszuwählen, wie Thomas Götz erzählt.
Und diese Originalität, man hört sie überdeutlich, jetzt, wo das Album erschienen ist und man sich einmal intensiv mit dem ganzen Werk beschäftigen kann. Etwa dann, wenn Gitarrist Peter Baumann nach dem Zwischenteil in "Big attack" auf der Bühne bei Rock am Ring zu früh einsetzt und auf ironische Art und Weise von seinem Sänger, der sich vor Lachen kugelt, zu recht gewiesen wird.
Oder wenn sich dasselbe Schauspiel beim vergeigten Einsatz vom Solo in "Jane became insane" wiederholt, aufgenommen bei "Das Fest" in Karlsruhe. In diesen Momenten fühlt man sich einer BEATSTEAKS-Show und ihrer Spontaneität, ihrem Witz und ihrer Energie ungewöhnlich nahe.
Selbst, wenn das Schauspiel nur aus den Boxen tönt. "Uns war es total wichtig, dass man auf dem Album noch Ecken und Kanten hört. Verstimmte Instrumente und Fehler sollten gerne drauf bleiben, weil das Album nur dann wahrhaftig werden würde.
Tricksen, das können wir bei Studioalben doch genug. Auf der Live-Platte hätte es die Emotion nur verfälscht." Die Worte des Sängers könnten es kaum besser beschreiben, berührten doch die im März gehörten Song schon sehr.
Echte Gänsehäute entstehen indes auch auf dem heimischen Sofa, wenn man sich "Kanonen auf Spatzen" in voller Länge einverleibt. Dabei lebt die erste CD vom vollen und opulenten Klang, der den Hörer bei "As I please", "Monster", "Hail to the freaks", "Hey du" und anderen zum Beispiel zurück in die Berliner Wuhlheide 2007 versetzt.
Der Charme kleiner Bühnen und nicht ganz so perfektionierter Bühnenproduktionen fliegt einem aber auf der zweiten CD mit "Hello Joe", dem wunderbaren "To be strong", "Demons galore" oder "Sharp, cool and collected" um die Ohren.
Insgesamt macht sich die Band mit "Kanonen auf Spatzen" daran, einen der großen Mängel von Live-Releases zu beheben: Live-Alben haben einen schlechten Ruf. Zwar weiß man nicht, ob und inwiefern "Kanonen auf Spatzen" den von jetzt auf gleich wird kurieren können.
Das, was vielen anderen fehlt, hat das Album jedoch: es ist mit Liebe gemacht. Da haben die beiden BEATSTEAKS-Mitglieder den Mund nicht zu voll genommen, als sie im März sagten, dass sie viel derselbigen in das Kompilieren der zwei CDs und der DVD gesteckt haben.
Denn neben den beiden Tonträgern, auf denen außer "Big attack" (in einer "Laut"- und einer "Leise"-Version) kein Song doppelt vorkommt, kredenzen die BEATSTEAKS das komplette Konzert von 2007 aus der Berliner Wuhlheide auf DVD dazu.
Sicher, das ist "die volle Packung" (Arnim von Teutoburg-Weiß) - voll mit guten Songs, bester Qualität und mit Herzblut. (9)
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