WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY

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Von Tauben und Beerdigungen

Halloween 2014 erschien „The Packed Funeral“, das sechste Studioalbum des unvergleichlichen Punk-Orchesters THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY. Die New Yorker, die mit Alternative Tentacles ein neues Label gefunden haben, scheinen mit jedem Album besser zu werden– und gut waren sie bereits vor 18 Jahren. Jack Terricloth, der smarte Sänger und Kopf der Band aus Brooklyn, ist inzwischen Mitte vierzig, ein Alter, in dem das Leben bereits erste Spuren hinterlassen hat, in dem einem die eigene Endlichkeit zunehmend bewusst wird. Ein guter Zeitpunkt, um sich auf das Wichtige im Leben zu besinnen und sich schon mal vorzustellen, ob die eigene Beerdigung ein voller Erfolg werden könnte.

Jack, zuerst möchte ich gratulieren zum neuen Album. Für mich ist es ein kleines Meisterwerk. In den Songs steckt so viel Kraft, Tiefe und gleichzeitig so viel Gefühl, dass man eine Gänsehaut bekommt. Aber wie würdest du einer Taube eure neue Platte beschreiben?


Vielen Dank für die netten Worte. Wir haben wirklich viel Arbeit in dieses Album gesteckt, daher freut es mich zu hören, dass es dir gefällt. Zu deiner Frage: Wie du weißt, lebe ich in New York City. Daher habe ich bereits reichlich Erfahrungen im Umgang mit Tauben gemacht und habe schnell gelernt, dass man den Vögeln zeigen muss, wer der Boss ist. Ich würde mich der Taube zuwenden und ihr ganz offen sagen: In Ordnung, du fliegende, gefiederte Ratte. Ich kann dich nicht leiden und du magst mich nicht, aber du lebst auf meiner Feuerleiter und du hast mir das ganze letzte Jahr beim Schreiben dieses Albums zugehört. Also bevor du verschwindest und du dich darüber auf deinem dreckigen Insta-Tauben-Gram auslässt, lass mich dir erzählen, wie das genau auszusehen hat. Du wirst sagen, dieses Album ist ein ergreifendes, gewaltiges künstlerisches Statement von einer Gruppe von erstaunlich talentierten und attraktiven Menschen, die sich mit den wichtigsten Themen unserer Zeit befassen – und das in der ehrlichsten Art und Weise, in einem erstklassigen Punkrock-Orchestersound, wie es ihn nie zuvor gegeben hat und der selbst in hundert Jahren von niemandem dupliziert werden könnte. Diese Musik werden erwachsene Teenager bei ein paar Drinks in winzigen Apartments hören und schätzen. Und mehr noch: sie wird bei kommenden Generationen Kultstatus erlangen. Dann gibst du dem ganzen fünf von fünf Taubenflügeln. Hast du das verstanden, Taube? Dann mach dich vom Acker, Abflug!

Euer neues Album heißt „This Packed Funeral“. Ich habe schon einige Freunde beerdigen müssen, und das wird bei dir nicht viel anders sein. Wie gehst du mit so was um?

Ich gehe da genauso heran, wie an einen Auftritt oder eine Tour. Ich versuche, die Beerdigung irgendwie durchzustehen, ohne mich darin zu verlieren. Richtig bewusst wird mir das Geschehene erst, wenn ich mal Zeit habe, um ein paar Tage im Bett zu liegen und hemmungslos im Dunkeln zu weinen.

Du hast in einem Interview über den Tod eines guten Freundes gesprochen. Was hat dir geholfen mit deiner Trauer umzugehen?

Bisher hatte ich, ehrlich gesagt, noch gar keine Gelegenheit, mich richtig damit auseinanderzusetzen. Ich konnte mir ja bis vor kurzem kaum die Ironie eingestehen, dass ich in der Zeit, in der er stirbt, gerade ein Album namens „This Packed Funeral“ veröffentliche. Seine Beerdigung war eher spärlich besucht. Wenn meine Zeit gekommen ist, sollte am Friedhof besser eine zehn Meilen lange Autokolonne stehen ...

Welche drei Vorhaben stehen ganz oben auf deiner Löffelliste?

Du solltest wissen, ich habe mein Leben so eingerichtet, dass ich fast jederzeit das tun kann, was ich will. Daher gibt es nicht so viele Dinge, die ich hätte tun können, aber nicht getan habe. Lass mich überlegen. Okay, ich bin noch nie mit einem Helikopter geflogen, das ist sicherlich cool. Mit WORLD/INFERNO waren wir nie in Asien, da würde ich gerne irgendwann touren. Und da ist dieser Nazi-Skin in Jersey, den ich schon immer verprügeln wollte. Es heißt, er sei jetzt Zahnarzt. Ich müsste mir also einfach nur einen Termin bei ihm geben lassen ...

Was war bisher das größte Risiko, das du eingegangen bist – und hat es sich ausgezahlt?

Das gesamte Leben ist ein einziges, kaum auszudenkendes, törichtes und gefährliches Risiko. Und ich denke, hier an der Bar sitzen zu können, mit dir zu sprechen und genügend Geld zu haben, um ein paar Runden bezahlen zu können und die Erwartung an ein späteres Essen und ein Bett für die Nacht zu haben – ja, bereits dafür hat es sich gelohnt, dieses Risiko einzugehen.

Was sind deine drei wichtigsten Lebensprinzipien und wie schaffst du es, diesen treu zu bleiben?

Erstens: Lass dich nicht erwischen. Zweitens: Verliere niemals deinen Sinn für Humor. Drittens: Nimm nicht mehr, als du brauchst. Und wie ich diesen treu bleibe? Nun gut, das ist ja so eine Sache mit Prinzipien – du biegst sie dir so zurecht, dass du sie nicht verletzt. Dabei hat die Sache mit dem Humor mir bisher am meisten sehr geholfen.

Deine Botschaft an alle Punks zwischen dreißig und vierzig, die in einer Mittlebenskrise stecken, Angst vorm Erwachsenwerden haben und mit dem Älterwerden nicht so gut umgehen können?

Zwischen dreißig und vierzig? Das sind die besten Jahre deines Lebens. Deine Persönlichkeit ist voll ausgebildet, gleichzeitig bist du noch jung genug, um dich herumzutreiben, und niemand kann dir vorschreiben, was du zu tun hast. Es erinnert mich an einen alten Zechkumpan. Er ist bereits 75 und macht, was er will. Wir hatten uns letztens über irgendwas unterhalten, vielleicht über Kunst, und ich schimpfte über die italienische Moderne. Er stellte sein Getränk ab, sah mir tief in die Augen und sagte: „Entschuldige bitte, aber ich mich langweilen die Überzeugungen von Vierzigjährigen.“ Das bringt das Problem sehr gut auf den Punkt.

„Make punk a threat again and keep the idealism!“ Unsere Welt befindet sich in einem sozialen, ökologischen und ökonomischen Ungleichgewicht. Falls unser Ressourcenverbrauch weiter in dem Maße anwächst, braucht die Menschheit im Jahr 2050 vermutlich drei Planeten, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Was tun?

Während ich deine Frage lese und mir das alles ins Gedächtnis rufe, bekomme ich glasige Augen. Ich möchte an dieser Stelle verraten, dass mein persönlicher CO2-Fußabdruck bei 12,14 US-Dollar pro Tonne liegt – das ist in einem, wenn auch nur geringen Umfang, wichtig für mich, für meinen Lebensstil und eben für THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY. Ein paar Bandmitglieder ernähren sich konsequent vegan, aber ich habe mich entschlossen, das nicht gegen sie zu verwenden.

Was macht die Literatur, dürfen wir uns da auf was Neues von dir freuen?

Ja, ihr dürft. Wenn alles gut läuft, gibt es 2015 wieder ein Buch oder ich veröffentliche wenigstens einen Band mit Kurzgeschichten.

Wie lebst du deine künstlerische Seite im Alltag aus – also fern von Konzerten, Studios und Bandproben?

Ich fürchte, selbst mein größter Kritiker müsste mir in der Hinsicht zustimmen, dass es für mich da keinen Unterschied gibt. Irgendwie gruselig, oder?

Wann kommt ihr endlich wieder auf Tour nach Deutschland?

Eine neue Platte bedeutet auch immer wieder eine neue Tour. Also wir sehen uns noch 2015. Vermutlich früher, als es gerade den Anschein hat. Also haltet die besetzten Häuser schon mal für mich warm.