„New Yorks eigenes Soul-Punk-Orchester“ ist aktuell mit seinem neuen Album, „The Anarchy And The Ecstasy“ auf Tour. Angesichts ihres originellen Sounds, ihrer differenzierten Texte und vor allem ihrer eindrücklichen Live-Shows ist es jedes Mal ein Vergnügen, der Band zu begegnen. Jack Terricloth, Sänger und Kopf der W/IFS, ist ein sehr charismatischer, intellektueller und in einem angenehmen Maße exzentrischer Typ, der sich als ein hervorragender Gesprächspartner erwies. Das Interview fand am 18. April 2011 im Matt Torrey’s in Williamsburg/Brooklyn bei dem einen oder anderen Glas Whisky statt. Demnächst reist die Band durch Europa, und dieses Spektakel dürft ihr nicht verpassen.
Vor wenigen Tagen habt ihr den ersten Teil eurer US-Tour beendet. Was gab es für bizarre Erlebnisse und was waren deine persönlichen Highlights?
Ein Highlight war, dass es die erste Tour mit dem neuen Line-up gewesen ist, und wir vorher nicht wussten, wie das zusammenpasst. Es besteht aus drei Männern und vier Frauen. Und mit Frauen zu reisen, ist schließlich immer eine interessante Erfahrung. Ansonsten war es in New Orleans absolut cool, in Miami waren wir wie immer schwimmen und in Atlanta war ich total betrunken. Wenn ich länger darüber nachdenke, war es in Atlanta überhaupt ein wenig bizarr. Aber nichts kommt an das Bizarre heran, wenn du als 40-jähriger Punkrocker mit einem Haufen Mädchen auf Tour bist.
Du sagtest, dass ihr einen weiteren Line-up-Wechsel in deiner Band gehabt habt. Seit Gründung eurer Band gab es über 40 Besetzungswechsel. Das ist ungewöhnlich ...
Bei der Band ist es so, dass sie mehr als Entwurf zu verstehen ist und nicht als ein festes Kollektiv. Die verschiedenen Musiker kommen und gehen. So haben wir zum Beispiel auf dieser Tour den einen Klavierspieler, auf der nächsten einen anderen. Ich finde, das ist ein guter Geschäftsplan.
Mit deiner Musik verfolgst du unter anderem die Intention, dass andere erkennen, das Leben sollte nicht nur daraus bestehen, dass man aufwacht und zur Arbeit geht. In welcher Hinsicht ist es deiner Meinung nach möglich, mit Musik andere nachhaltig zu verändern?
Musik ist ein wundervoller melodischer Ratschlag. Daher nehmen wir catchy Slogans und verpacken sie in Klänge. Die Leute singen diese mit, immer und immer wieder. Sie wiederholen sie und singen sie wie Mantras. Das verändert den Geist. Aber auch durch das Vorleben der eigenen Lebensweise kann man andere beeinflussen. Wenn ich in den Texten singe, dass man verrückte Dinge tun kann, kann dies anderen dabei helfen, sich ebenfalls zu trauen, verrückte Dinge zu verwirklichen. Sie brauchen sich nicht vor ihren Träumen fürchten, nicht von ihrem Leben frustriert sein – sie können etwas dagegen tun. Die Hauptsache ist dabei, dass man immer weitermacht und nicht aufgibt.
Was machst du neben deinen musikalischen Aktivitäten, um dein Leben interessanter beziehungsweise lebenswerter zu gestalten?
Die Band beansprucht inzwischen den Großteil meiner Zeit. Als wir noch nicht so populär gewesen sind, war ich ein größerer Aktivist. Früher habe ich zum Beispiel Busreisen zu Protesten organisiert, habe in einem Non-Profit-Tonstudio gearbeitet und solche Dinge. Aber natürlich bin ich nach wie vor aktiv. Im Juni veranstalte ich unter anderem ein „ABC No Rio“-Benefiz.
Also für das einst besetzte Haus und Kulturzentrum in Manhattan. Vor längerer Zeit schrieb jemand in einer Konzertrezension, dass W/IFS brillantes „Zirkus-Entertainment“ veranstalten. Inwiefern bestehen tatsächlich Zusammenhänge zwischen der Band und den Akteuren eines Zirkus?
Es gibt definitiv verschiedene Zusammenhänge und Überschneidungen. Die Mitwirkenden auf der neuen Platte sind sehr in die Coney-Island-Zirkusszene involviert. Unser Saxophonist Leslie Wacker ist zum Beispiel ein Feuerspezialist. In der Vergangenheit tourten wir auch mit Feuerschluckern und Zirkus-Gruppen. Auch ich selbst habe früher während den Shows Feuer gespuckt. Die Veranstalter haben das jedoch irgendwann verboten, weil es deshalb öfters gebrannt hat. Außerdem hat es meine Stimme angegriffen und das Publikum verängstigt.
„Addicted To Bad Ideas“ ist ein Tribute-Album an Peter Lorre. Was macht ihn so faszinierend und inspirierend, dass ihr ihm in dieser Form die Ehre erweist?
Das Album ist eine biografische Skizze von ihm. Er war ein österreichischer Filmschauspieler, der nach Berlin zog und mit Berthold Brecht bei „Pioniere in Ingolstadt“ oder mit Fritz Lang bei „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ zusammenarbeitete. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung und des Erstarkens des Nationalsozialismus in Deutschland verließ er das Land, arbeitete mit Alfred Hitchcock in Großbritannien und ging nach Hollywood, wo er unter anderem in weiteren Klassikern wie „Casablanca“ mitspielte. Also Gründe genug, um sich von ihm inspirieren zu lassen. Wenn du den Lebenslauf dieses Künstlers betrachtest, so wurde er durch geschichtliche Ereignisse von Land zu Land getrieben. Er war ständig auf Reisen, was uns nicht anders geht. Es war großartig, sich mit den Hoch- und Tiefphasen dieses Künstlers zu befassen. Seine Biografie gibt genug Schreckliches her, mit dem man sich auseinandersetzen und worüber man lesen oder schreiben kann.
In den letzten 50 Jahren ist besonders in den USA ein gesellschaftlicher Wandel von einem wohlfahrtsstaatlichen zu einem neoliberalen System zu verzeichnen, in dem sich – bereits vor dem 11. September – eine „Kultur der Kontrolle“ entwickelt hat. Wie nimmst du zumindest die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren als Sänger einer linkspolitischen Band wahr?
Es gibt viel mehr Kameras und es ist immer schwieriger, unbeobachtet zu leben. Ein Beispiel: dort, wo ich lebe, habe ich keinen Mietvertrag. Ich bezahle einer anderen Person meine Miete, was verschiedene Gründe hat. Die US-Post leitet aber nun keine Post an Personen weiter, die nicht offiziell unter einer bekannten Anschrift registriert sind. Wenn mir also jemand einen Brief sendet und diesen direkt an mich adressiert, erhalte ich den nicht mehr. Das finde ich sehr beunruhigend. Zwar habe ich ein Postfach, weshalb das nicht so eine große Sache ist, aber es stört mich, dass es jemanden gibt, der darauf achtet, wer wo lebt und was man für Post erhält. Von Kreditkarten oder Handys will ich gar nicht erst reden. Es ist beängstigend, dass man sehr leicht gefunden werden kann, und es bleibt zu hoffen, dass man – aus welchen Gründen auch immer – nicht in den Fokus der Autoritäten gerät. Aber ich bin nicht paranoid und daher kann ich nachts nach wie vor gut schlafen. Trotzdem bevorzuge ich es, lieber bar zu bezahlen.
Also ist es dir noch nicht widerfahren, dass du aufgrund deiner Aktivitäten in den Fokus staatlicher Kontrollen geraten bist? Ich frage das, weil Personen, die vom politischen Mainstream abweichen, seit „9/11“ noch schneller als potentielle Terroristen gesehen und behandelt werden.
Das ist sicherlich so. Wenn ich durch die Straßen gehe, falle ich als weißer Typ im auffälligen Anzug zwar auf, aber als Jugendlicher mit rotem Irokesenschnitt war dies noch wesentlich schlimmer, denn ich wurde alle zehn Minuten von der Polizei angehalten. Verschiedene Kontrollen haben mich somit mein halbes Leben lang begleitet, also hat sich für mich selbst eigentlich nicht viel verändert.
Du schreibst Kurzgeschichten über Personen und Geschehnisse in der „New Yorker Punk-Szene“, welche vor vier Jahren in dem Sammelband „Collected Cloth“ veröffentlicht worden sind. Was für Reaktionen bekommst du auf deine literarischen Werke?
Oft werde ich gefragt, ob die Geschichten auf Tatsachen beruhen. Ich sage dann immer, dass die Texte erfunden sind. Aber da ich vergessen habe, die Namen von manchen Personen zu verändern, führt das immer wieder zu sehr amüsanten Reaktionen.
Seit einigen Jahren lebst du in Brooklyn. Was bevorzugt an diesem Bezirk im Vergleich zum Leben in Manhattan?
Bis 1993 habe ich noch in Manhattan gewohnt und bin dann nach Brooklyn gezogen, weil es hier günstiger war. Zu dieser Zeit hatte Brooklyn etwas von einer Geisterstadt: Es gab nicht viele Bars, geschweige Punkrock-Bars, und man musste sogar nach Manhattan fahren, um dort am Automaten Geld abheben zu können. Inzwischen hat sich einiges verändert. Es gibt viele Bars, Clubs, teure Restaurants und die Punk-Szene ist mit der aus Manhattan sehr gut vernetzt.
In New York stechen einem inzwischen viele vegetarische und vegane Restaurants ins Auge. Beurteilst du diese Entwicklung als einen Trend oder scheint sich das Ernährungsbewusstsein vieler New Yorker tatsächlich verändert zu haben?
Darüber habe ich mich letztens erst mit meinen Bandkollegen unterhalten. Ich selbst bin kein Vegetarier, aber seit Jahren sind wir in der ganzen Welt unterwegs und unserer Roadmanager Greg ist ein sehr strikter Veganer, weswegen wir regelmäßig etliche Kilometer gefahren sind, um zum einzigen veganen Restaurant des jeweiligen US-Bundesstaates zu gelangen. Seit zwei Jahren werden aber im ganzen Land immer mehr vegane Restaurants eröffnet und ich habe das Gefühl, dass sich im Bewusstsein vieler Menschen wirklich etwas verändert hat. Falls dies nur ein Trend ist, ist es wenigstens ein guter.
In den Neunziger Jahren habt ihr mit DAWNBREED eine Split-7“ über das deutsche Label Trans Solar veröffentlicht. Wie kam die Zusammenarbeit zustande und wie ist euer heutiges Verhältnis?
Der Kontakt lief damals über X-Mist Records. Leider hat es mit unserer Freundschaft zu DAWNBREED ein böses Ende genommen. Wir tourten mit deren Nachfolgeband, dem KOLLEKTIV MONOCHROME. Unsere Sängerin war mit unserem Schlagzeuger zusammen, entschied sich dann aber während der Tour dafür, sich in Mr. Calmbach von MONOCHROME zu verlieben. Und nun ja, das hat für schlechte Stimmung gesorgt. Eigentlich war eine US-Tour mit ihnen geplant, aber unser Schlagzeuger war wegen dieser Geschichte zu wütend, so dass er mit ihnen nicht ein weiteres Mal auf Tour gehen wollte. Also spielten wir diese Shows nicht mehr, was nicht so ganz auf das Verständnis der anderen Seite traf ...
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