Während Kalifornien reflexartige Assoziationen zu Sonne und Strand wecken mag, zeichnen die in Simi Valley beheimateten Metal-Punks STRUNG OUT auf ihrem neuen, zehnten Studioalbum „Dead Rebellion“ ein bedrückendes Szenario und erklären die Rebellion für endgültig gescheitert. Doch schon 1994, zu Zeiten ihres Debütalbums, klangen sie weitaus düsterer als viele ihrer Zeitgenossen. Im 35. Jahr des Bestehens blickt Sänger Jason Cruz im Interview auf Höhen und Tiefen der Bandgeschichte, beleuchtet die Hintergründe seiner finsteren Prognosen und erklärt, warum die neue Platte einem stilistischen Befreiungsschlag gleicht, ohne den es die Band wahrscheinlich nicht mehr gäbe.
Jason, viele Punkrock-Bands feiern in letzter Zeit beeindruckende Jubiläen, genau wie ihr. Wenn man euch vor 35 Jahren gesagt hätte, dass ihr auch 2024 noch mit euren Freunden auf der Bühne stehen würdet, was hättet ihr gesagt?
Oh Mann, 35 Jahre sind eine lange Zeit! Ich hätte dir damals geantwortet, dass das eine verdammt beeindruckende Karriere ist. Aber eigentlich noch viel entscheidender ist, dass ich immer noch der festen Überzeugung bin, dass man mit dieser simplen Sache, die wir Punkrock nennen, eine ganze Menge erreichen und bewegen kann. Ich hoffe also, dass wir ihm gerecht werden und uns im Laufe der dreieinhalb Jahrzehnte unseren Platz am Tisch irgendwie verdient haben.
1994 erschien euer Debütalbum „Another Day In Paradise“, mit dem ihr stilistisch eure ganz eigene Nische gefunden habt. In welcher Hinsicht würdet ihr sagen, dass ihr noch immer die Jungs von damals seid und was ist der größte Unterschied zu früher?
Weißt du, ich glaube nicht, dass wir diese Art von Musik machen würden, wenn es keine persönliche Entwicklung gegeben hätte. Ich betrachte unsere Diskografie daher vielmehr als eine Art Lebenstagebuch. Darin ist alles zu finden – in jeder Note und jedem Akkord. Es ist die Geschichte einer Gruppe von Jungs mit anfangs sehr wenigen Gemeinsamkeiten. Ein Haufen Jungs, die in die Welt geworfen wurden mit nichts als der Musik, und die versuchen, sich damit irgendwie über Wasser zu Halten. Das ist eigentlich ziemlich außergewöhnlich, denn wenn ich ehrlich bin, ist es wirklich die einzige Beziehung, die ich je hatte, die nicht nur überlebt hat, sondern immer noch gedeiht.
Euer letztes Studioalbum „Songs Of Armor And Devotion“ kam 2019 heraus. Jetzt erscheint ganze fünf Jahre später endlich „Dead Rebellion“, das ursprünglich schon vor einem Jahr angekündigt wurde. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Lass es mich ganz knapp beantworten: Die gesamte Welt wurde komplett auf den Kopf gestellt. Aus links wurde rechts, aus wahr wurde falsch und aus Feiglingen wurden plötzlich Helden. Ein wahrer Paradigmenwechsel von globalem Ausmaß hat sich ereignet. Als Antwort darauf haben wir also „Dead Rebellion“ gemacht.
Inwieweit hat die Pandemie dabei eure Pläne durchkreuzt?
Für mich selbst war die Pandemie eigentlich sogar ein Glücksfall, denn für einen kurzen Moment hatte ich endlich wieder Zeit zum Verschnaufen, konnte mich ausruhen und mich sammeln. Seit drei Jahrzehnten hatte ich wirklich keine Pause mehr von der Band gemacht. Und plötzlich verschwand sogar mein Tinnitus, ich fand endlich Zeit, um zu Hause einen Garten anzulegen, begann mit Kampfsporttraining und schrieb Songs für zwei Platten, während sich die ganze Welt versteckte.
Nun ist „Dead Rebellion“ auch das erste Album mit eurem neuen Schlagzeuger Daniel Blume. Inwieweit war er in das Songwriting involviert und welchen Einfluss hat er stilistisch auf eure Band?
Interessanterweise haben wir Daniel online kennengelernt. Er ist professioneller Schlagzeuger und hat einige Drum-Tutorial-Videos gedreht. Ein paar dieser Tracks waren – wie sollte es anders sein – STRUNG OUT-Songs. Man könnte also sagen, er war prädestiniert für den Job. Daniel ist ein super Kerl und ein großartiger Drummer, der auf Anhieb genau versteht, was ein Song braucht. Bei uns allen in der Band spielt das Ego keine Rolle, auch bei ihm nicht. Wir waren schon immer der Meinung, dass es das Lied selbst ist, das die Marschrichtung vorgibt, nicht eine Person aus der Band.
Wie verlief diesmal der Songwriting-Prozess? Hattet ihr bestimmte Vorstellungen, wie das neue Material klingen sollte?
Während der Pandemie hat sich Chris Aiken, unser Bassist, ein paar Tage davongeschlichen, um mit unserem Produzenten Shawn McGhee nach Las Vegas zu fahren. Dort haben sie insgesamt sechs Songs geschrieben und Demoversionen aufgenommen. Diese sollten sowohl stilistisch als auch klanglich das Rückgrat von „Dead Rebellion“ bilden. Als Chris dann zurückkam und mir seine Ideen zeigte, war ich einfach hin und weg. Die Songs klangen so unglaublich frisch und inspirierend anders. Sie waren einerseits härter als unser vorheriges Material, aber andererseits auch melodischer und weniger auf Geschwindigkeit ausgelegt, was dem Album meiner Meinung nach sehr guttut. Du musst wissen, dass bei uns allen zu dieser Zeit große Unsicherheit über die Zukunft der Band herrschte. Keiner wusste so recht, ob und wie es weitergehen würde. Irgendwie hatten wir alle das Gefühl, an einem Punkt angelangt zu sein, an dem wir uns einfach nur wiederholen würden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Es war eine schwierige Zeit und wir waren uns sehr wohl auch darüber bewusst, dass die Leute schnell anfangen, sich abzuwenden, sobald man sich stilistisch zu sehr von seinen Ursprüngen entfernt. Doch am Ende waren es wieder einmal die Songs selbst, die uns den Weg wiesen, so wie sie es immer getan haben. Ich glaube, dass uns damit ein sehr guter Spagat gelungen ist, um unsere Fans nicht zu enttäuschen und sie dennoch auf unseren neuen musikalischen Weg mitzunehmen.
Der Titel „Dead Rebellion“ klingt düster und deprimierend, besonders in Zeiten wie diesen. Ist die Rebellion also endgültig gestorben?
Die Rebellion, mit der ich aufgewachsen bin, ist tot. So wie die Rebellion jeder Generation. Die Zeiten ändern sich. Die alte Garde wird mit ihrer Version der Geschichte hinweggefegt. Die Rebellion ist eine Rose. Sie blüht und verwelkt mit ihrer Zeit und ihren Menschen. Es gab so viele Momente in der Vergangenheit, in denen ich das Gefühl hatte, dass wir wirklich eine Chance hatten, die Welt zu verändern. Wenn man jung ist, glaubt man tatsächlich, dass man etwas bewirken kann. Wir alle wissen, dass nichts davon wahr ist. Rebellion ist wie ein feiner Anzug – dein bester Anzug, den du trägst, obwohl dir das Vergessen direkt in die Augen starrt.
Nun, das sind natürlich finstere Ansichten, wie sie auch im Song „Cages“ zu finden sind. Darin beschreibst du, wie das System uns alle tötet und dass es an der Zeit ist, die Gitter um uns einzureißen. Ist das also die Antithese zum Albumtitel?
Na ja, ich weiß nicht wirklich, was es ist. Es ist einfach nur ein Song, der für sich selbst steht, dessen Bedeutung sich mit der Zeit wandeln kann. Manchmal offenbaren sich diese Dinge nicht sofort. Manchmal ist man nicht einmal als Autor selbst auf die Botschaft vorbereitet, die man übermitteln will. Doch ganz grundsätzlich kann man „Cages“ als ein Anprangern der zunehmend zerrissenen, polarisierten und technologiegetriebenen Natur unserer Gesellschaft deuten. Auch wenn wir damit eine sehr düstere Zustandsbeschreibung liefern, hoffe ich, dass es uns irgendwann gelingt, die ideologischen Gitter unserer Käfige niederzureißen. Dazu möchten wir mit unseren Texten beitragen. Trotz dieser Deutung ist es mir an dieser Stelle aber sehr wichtig zu betonen, dass ich dem Hörer nicht die individuelle Bedeutung eines Liedes verwehren möchte. Ja, ich habe natürlich meine eigenen Vorstellungen davon, was in die Songs eingeflossen ist, aber das Endergebnis ist und bleibt manchmal ein Rätsel. Wenn ich schließlich bereit dazu bin, offenbart sich mir ein Song – genauso wie dem Zuhörer.
Zur Deutung von Kunst hast du also ein ambivalentes Verhältnis, wie auch dem Pressetext zum neuen Album zu entnehmen ist.
Ja, ich finde es wichtig, nicht jedes kleine Detail zu erklären, denn es muss immer eine Art von Mystik in der Kunst bleiben. Viele Leute aus unserer Szene äußern sich abwertend über Religion oder Spiritualität, was ja im Punkrock ohnehin ein inhärentes Thema ist. Andererseits sind dies dann aber auch genau diejenigen, die sich von mir Antworten auf ihre Fragen erhoffen und erwarten, ich hätte hier die Deutungshoheit. Wie ich schon sagte: Jeder ist irgendwie auf der Suche nach einem Sinn. Mir geht es da ja nicht anders und auch ich brauche und suche einen Orientierungspunkt im Leben.
Bist du nach insgesamt elf Studioalben, unzähligen EPs und Live-Aufnahmen immer noch genauso gespannt, wenn ein neuer Release ansteht?
Oh ja, ich bin immer noch sehr aufgeregt. Denn erst dieser Prozess ist es, der meinem Leben einen Sinn und Zweck gibt. Ich habe auch festgestellt, dass das Endergebnis nie so befriedigend ist, wie der eigentliche Schaffensprozess von Kunst. Wenn die Leute also erst einmal ihre Krallen in das Endresultat geschlagen haben, ist es nicht mehr deines und du kannst es nicht mehr beeinflussen.
Neben der Band arbeitest du ja auch als bildender Künstler, Autor und Solomusiker. Wie bringst du all diese Aktivitäten unter einen Hut?
Nun, STRUNG OUT genießt ganz klar meine Priorität, das hat die Band auch einfach verdient. Alles Gute in meinem Leben ist auf die eine oder andere Weise auf STRUNG OUT zurückzuführen. Aber trotzdem finde ich auch immer genügend Zeit, um andere Wege des kreativen Ausdrucks weiter zu verfolgen. Ich denke, dass diese anderen Möglichkeiten für das Gedeihen unserer Band extrem wichtig waren und es auch nach wie vor sind. Fast wie ein Druckablassventil.
Du hast ja bereits einige Coverartworks für deine Band gestaltet und auch für andere Bands wie etwa NOFX gearbeitet. Stammt das Cover von „Dead Rebellion“ ebenfalls von dir?
Nein, das Artwork wurde von einem Künstler namens Morgan Sorensen entworfen. Das ist eine besondere Geschichte, denn ich hatte den Titel des neuen Albums schon seit einiger Zeit im Kopf. Eher zufällig bin ich dann auf Morgans Arbeit gestoßen, und als ich sie sah, fühlte es sich an wie eine Vorsehung. Es passte einfach wie die Faust aufs Auge. Das gilt im übertragenden Sinne auch für die ganze Genese des neuen Albums – einfach alles fügte sich nach und nach zusammen, völlig von selbst und ohne Zwang. Ich glaube, dass sich Dinge die man sucht, irgendwann von alleine offenbaren und einen leiten, wenn man nur offen für die Zeichen ist und auch genügend Geduld mitbringt.
Kannst du deine bildende Kunst und deine Musik irgendwie miteinander vergleichen, sind das zwei Formen ein und desselben kreativen Ausdrucks?
Ich sage immer: Ich male Lieder und singe Bilder. Ich muss beides getrennt voneinander angehen, da es eine unterschiedliche Energie erfordert, aber beides lässt sich gut miteinander verbinden und bietet gleichzeitig eine Pause vom jeweils anderen.
Und inwieweit kannst du akzeptieren, dass ein Kunstwerk irgendwann einmal in sich geschlossen und somit fertig ist?
Na ja, ich denke, dass man bereits auf halbem Weg weiß, ob es eine gute Komposition wird oder nicht. Das Geheimnis besteht letztendlich genau darin, es nicht am Ende durch Übereifer noch zu ruinieren. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Musik.
Blicken wir nach vorne: Gemeinsam mit BELVEDERE werdet ihr im Sommer auf große Europatournee gehen, richtig?
Ja, genau. Die Jungs sind gute Freunde von uns. Sie haben sich in der Szene seit geraumer Zeit den Hintern aufgerissen und Steve, ihr Frontmann, ist zufällig auch ein hervorragender Booking-Agent. Wir sind sehr glücklich, dass wir bei seiner Agentur ein neues Zuhause gefunden haben. In der Tat ist es schon sehr lange her, dass wir in Europa getourt sind, und ich bin sehr gespannt auf die diese Konzerte!
Zu guter Letzt noch eine ganz persönliche Frage: Erinnerst du dich an deine erste Rock-Platte und wenn ja, welche war das?
Meine erste Platte war „Hot Rocks“ von den ROLLING STONES, die ja quasi einen ganz wesentlichen Teil ihrer Bandkarriere überspannt. Die Stones waren alles für mich. Sie waren Blues, sie waren Punk, sie waren Honky Tonk, sie waren Soul. Ich liebe sie verdammt noch mal über alles. Sie erinnern mich daran, dass zur Musik immer auch der Spaß gehört und es gleichzeitig abgründig und schmutzig sein darf.
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