Die „Nightmares Of The West“-EP von STRIKE ANYWHERE beinhaltet die ersten neuen Songs seit zehn Jahren. Sänger Thomas Barnett redet mit uns über die Aufnahmen, über die gesellschaftlichen Themen, die ihm in diesen Zeiten wichtig erscheinen, und über die Erleichterung, wenn sich eine Bombendrohung bei einer Show als falsch erweist.
Es ist richtig toll, wieder Musik unter dem Namen STRIKE ANYWHERE zu veröffentlichen“, beginnt Sänger Thomas Barnett zu erzählen „Ich meine, wir sind keine Fließbandarbeiter, wir haben immer mal wieder an Songs gearbeitet. Also wenn wir die Zeit dazu hatten, meine ich. Wir wussten ja gar nicht, ob sich da draußen noch wer für uns interessiert. Es hat sich einfach gut angefühlt, uns die Zeit zu nehmen, die wir brauchten“.
Nach über zehn Jahren gehen STRIKE ANYWHERE also wieder ins Studio. Wie fühlt sich das an? „Wir haben mittlerweile Hunde, Katzen, Familie, also war es deswegen schon ein ganz anderes Grundgefühl als noch vor zehn Jahren. Wir waren im gleichen Studio, was dann wieder ein vertrautes Gefühl war. Es war alles in allem sehr familiär und eine gute Stimmung. So richtig bewusst geworden ist uns das Ganze auf einer Show in Mexiko, wir haben uns Band nach Band angeguckt und das alles als Freunde, als Konzertgänger und nicht als Musiker. Es war eine sehr schöne, interessante und freundschaftliche Zeit und dann hat uns die Erkenntnis getroffen. An diesem Abend wussten wir: Fuck, wir haben eine ganze EP beisammen und die werden wir aufnehmen. Weißt du, wir brauchen kein komplettes Warenlager an Equipment, wir lieben dieses DIY-Gefühl. Schön war auch, dass es keine Eile gab. Wie gesagt, wir wussten ja nicht mal, ob das, was wir da machen, noch jemanden da draußen interessiert. Wir haben auf der Tour viel geprobt. Backstage, beim Soundcheck auf der Bühne, immer wenn wir die Zeit hatten. Es hat mich alles an die simpleren Anfangstage erinnert und so hat sich ein Kreis geschlossen. Wir sind alle sehr gut miteinander ausgekommen. Manchmal musste ich sogar an unsere ersten Aufnahmen in unserer kleinen Bude denken. Mit dem Loch in der Decke, durch das ein Mikro in den Raum darunter heruntergelassen wurde für manche Aufnahmen. Das war verrückt, aber eben ein schönes Gefühl.“
Und was hat sich sonst verändert seit der Veröffentlichung von „Iron Front“ 2009? Wie gehen STRIKE ANYWHERE 2020 an das Schreiben und Spielen von Musik heran? „Das exzessive Touren haben wir bereits 2012 aufgegeben, davor waren wir nonstop unterwegs. Mein Vater war erkrankt und ich hatte viel damit zu tun, mich um ihn zu kümmern, wir alle haben uns sehr auf unsere Familien konzentriert. Unsere Touren sind mittlerweile sehr überschaubar und das ist wohl der größte Unterschied zu früher. Mittlerweile fühlt es sich schon wieder sehr nach unserer Frühphase an. Aber es gibt auch lustige, neue Situationen für uns. Etwa wenn du Gitarrenspuren geschickt bekommst, die mit dem Handy aufgenommen wurden, und im Hintergrund hörst du den zweijährigen Sohn im Takt Laute dazu machen – das ist neu. Es klang fast wie eine kleine Gesangslinie dazu. Großartig.“
Gewohnt politisch, spricht jeder der sechs neuen Songs wie auch das erwähnte Cover jeweils ein für Thomas Barnett wichtiges gesellschaftliches Thema an, um einen Dialog darüber anzustoßen. „Wir schreiben über die Dinge, bei denen wir denken, dass es Redebedarf gibt. Zum Beispiel den eben angesprochenen systembegründeten Rassismus, aber auch religiös begründete Engstirnigkeit in Bezug auf sexuelle Lebensweisen. Ein weiteres großes Thema für mich ist der Mythos des Amerikanischen Traums. Wie viele Menschen gehen daran kaputt, diese Blaupause unhinterfragt nachahmen zu wollen. Heute organisieren sich immer mehr Leute in politischen und sozialen Bewegungen. Es ist eine sehr interessante Zeit. Dabei haben wir in Amerika zuletzt keinen guten Job gemacht, wenn es darum geht, sich an wissenschaftliche Fakten zu halten. Denke nur an die Bedrohung durch die Pandemie, mit der wir gerade zu kämpfen haben und bei der wir uns hier in den Staaten nicht gut anstellen. Klar und dann gibt es da noch das Thema Polizeigewalt. Ich finde es erstaunlich, dass Leute endlich Räume für sich beanspruchen und dass jedes kleine Städtchen mittlerweile eine eigene Bewegung hat respektive Teil der großen Bewegung ist. Es ist nicht mehr nur die Sache „progressiver Großstädter,“ politisch aktiv zu werden. Jedes kleine Dorf hat nun eine Bewegung. Das ist großartig zu sehen.“
Und was war das Beeindruckendste oder Erinnerungswürdigste, was Thomas Barnett im Laufe seiner Karriere passiert ist? „Uff, würde ich das eine Karriere nennen? Haha. Für mich sind die größten Momente, wenn wir bei uns in Richmond spielen. Diese Hometown-Shows sind reine Magie für mich. Wir haben ein paar Album-Shows gespielt und diese waren auch beeindruckend, weil sie für mich die Tür zur Vergangenheit geschlossen haben. Ein definitiv denkwürdiges Erlebnis war es, in einem Flughafen in China festzusitzen. Wir wurden drei Tage dort festgehalten und niemand wusste, wo wir sind und wie es uns geht. Dann wurden wir nach Australien abgeschoben und haben dort dann sogar spontan ein Konzert geben können. Die Japantour musste leider gecancelt werden, aber dafür haben wir in Australien gespielt, haha. Und eine Sache fällt mir noch ein: Wir haben 2012 eine Show in Moskau gespielt und dann gab es eine Bombendrohung durch rechte Skinheads. Die Polizei in der Halle zu sehen und die Spürhunde, wie sie nach Sprengstoff geschnüffelt haben, das werde ich nie vergessen. Die Show danach war wirklich eine Ode an das Leben“.
Nach den ersten neuen Songs stellt sich direkt die Frage, was die Zukunft bereithält. „Das ist schwierig. Es sind sehr ungewisse Zeiten. Ich meine, ich würde nichts lieber machen, als die neuen Songs auf die Bühne zu bringen, aber das ist ja momentan unmöglich. Vielleicht schreiben wir in der Quarantäne neue Songs. Wer weiß. Eigentlich wollen wir nur touren.“
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