STRIKE ANYWHERE kommen aus Richmond, Virginia, und beim geneigten Hörer sollten da also schon längst die Glocken anfangen zu klingeln. Und in der Tat: Der erste Eindruck wird bestätigt. Das gerade auf Jade Tree Records erschienene Album "Change Is A Sound" ist ein wirkliches Meisterwerk und repräsentiert jenen nördlichsten Südstaat musikalisch genauso gut, wie es die schon alteingesessenen AVAIL tun - womit noch ein weiteres Stichwort gegeben ist. Absolut logische und nötige Konsequenz dessen war im Endeffekt also, dass ich mir STRIKE ANYWHEREs überaus freundlichen und aufrichtigen Sänger Thomas auf Ihrem Konzert im Oldenburger "Alhambra" Anfang November vorknüpfte. Aber lest selbst, was der gute Mann so an interessanten Dingen zu erzählen hat...
Ihr kommt aus Richmond, Virginia – genau wie AVAIL. Müsst ihr euch da oft Vergleiche anhören?
Eigentlich kommen AVAIL ja aus einem Vorort in der Nähe von Washington, D.C., bevor sie dann vor etwa 10 bis 11 Jahren nach Richmond gekommen sind. Zu der Zeit gehörten wir dort zu den örtlichen Punks, so dass der Kontakt schnell zustande kam. Wir haben damals eine ganz gute Szene zusammen aufgebaut, mit der wir recht zufrieden sind. Abgesehen davon finde ich nicht, dass wir uns wie AVAIL anhören, und AVAIL denken auch nicht, dass wir uns wie sie anhören. Ich mag AVAIL aber sehr, sowohl die Texte, als auch die Musik sind klasse und es macht immer Spaß mit ihnen zusammen eine Show zu spielen. Das ist Musik, die vom Herzen kommt.
Ihr seid ja doch eine recht politische Band. Welche Themen sind euch wichtig?
Wie nehmen uns verschiedener Themen an, aber ich hoffe, dass wir das aus einem persönlichen Blickwinkel tun, was nicht heißt, dass nur wir davon betroffen sind. Da ist zum Beispiel dieses Problem der Wohngegend, wo ich und einer unserer Gitarristen leben. Es ist so ein typisches armes, größtenteils von Schwarzen bewohntes Gebiet, in dem die Leute einfach tagtäglich aufs Neue probieren, ihre Leben geregelt zu bekommen. Die Polizei ist dort so etwas wie der Diener der weißen Immobilienbesitzer. Dort gibt es also oft äußerst brutale Übergriffe seitens der Polizei auf Menschen, bei denen kein Beweis oder Verdacht auf Drogenbesitz besteht. Viele werden aus den industriellen Sektoren in der Stadt geworfen und landen im Ghetto. Wir sind da direkt an der Grenze und bekommen also eine Menge mit. Ökonomische Ungerechtigkeit, die Gesellschaft, die vorgibt, frei zu sein. Wir probieren Leute zusammen zu bringen, da es so aussieht, dass amerikanische Kultur im Allgemeinen die Leute eher auseinander reißt und sie gegeneinander konkurrieren und auf materiellen Erfolg hoffen läßt, als zu verbinden. Und geht es also auch darum zu fragen, warum so viele Leute unglücklich und unzufrieden mit ihren Leben sind.
Das sind ja zum Teil die gleichen Aspekte wie die negativen Erscheinungen der Globalisierung, Stichwort WTO. Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer.
Ja, das stimmt schon, aber dieser Themenbereich ist etwas abstrakter und nicht so allgegenwärtig wie unser alltägliches Leben. Was das Songwriting betrifft hat das also schon einen stärkeren Einfluß als die Globalisierung. Aber wir haben gerade eine Benefiz-Single für die Aktivisten in Genua auf Scene Police rausgebracht. Da sind die Songs von unserem Demo drauf zu finden. Die Lieder gab es sonst nur auf einer gebrannten CD, die bei uns zu Hause in Umlauf gekommen ist.
Woher habe ihr denn den Namen STRIKE ANYWHERE?
Der Name kommt von dem Titel eines Songs von einer Band namens INQUISITION, in der ich mal gesungen habe. Er soll bedeuten, dass jeder die Möglichkeit hat, zu jedem Zeitpunkt seine Arbeitswerkzeuge beiseite zu legen und "Stop" zu sagen, eben zu streiken. Bis hierher und nicht weiter.
Es gibt da auch eine Verbindung zwischen STRIKE ANYWHERE und COUNT ME OUT, oder?
Ja, unser Bassist, Garth, spielt bei COUNT ME OUT Gitarre. Wir waren auch schon mit denen in Kanada auf Tour. Ich glaube, wenn die hier mal auf Tour kommen würden, würden die Leute sie wirklich mögen.
Ihr habt ja auch gerade auf Fat Wreck Chords eine 7" veröffentlicht. Wie kam es denn dazu? Die Labels unterscheiden sich ja schon. Zuerst No Idea, dann Jade Tree und jetzt Fat Wreck und Scene Police.
Ja klar unterscheiden die sich, aber das wollen wir auch. Wir wollen nicht, dass Leute nur einen ganz bestimmten Sound hören, den sie von einem bestimmten Label erwarten. Jemand von Fat Wreck kannte also diese alte Band, die ich eben erwähnte, INQUISITION. Außerdem machte unser Layouter für die Fat-Single schon Fotos in der Gilman Street im Jahre 1996. Der Kontakt zu San Francisco war also irgendwie da. Die Leute von Fat haben sich dann von unserer Webseite MP3s runtergeladen und uns gefragt, ob wir bei diesem Single-Club nicht mitmachen wollen. Und natürlich wollten wir. Der Single-Club funktioniert so, dass man Mitglied sein muss, um dann jeden Monat eine 7" von FAT zu bekommen. Die 7"s werden nur an Mitglieder verschickt, anderweitig sind sie nicht zu beziehen. Darum haben wir auch sichergestellt, dass die Songs auf der Single nicht exklusiv sind. Die Aufnahmen sind es, die Songs aber nicht.
Seid ihr denn mit Jade Tree zufrieden?
Oh ja, sehr. Und auch die Leute von Green Hell haben hier wirklich gute Arbeit geleistet. In diesem Land hier, Belgien und den Niederlanden ist wirklich eine gute Struktur und Anerkennung für Punk Musik und Kultur vorhanden, die es in den Staaten nicht oft gibt. Es sieht fast so aus, als gäbe es in jeder kleinen Stadt einen Veranstaltungsort wie die Gilman Street in San Francisco. Jeder begrüßt einen herzlich und es ist wirklich eine Ehre hier spielen zu dürfen.
Wie sieht es denn mit weiteren Veröffentlichungen aus?
Wir haben ja gerade die Single und das Album veröffentlicht. Im Moment steht da nichts an. Wir werden wohl erst einmal ordentlich Shows spielen und hoffen, dass die Leute unsere Platte finden und mögen.
Auf einem eurer T-Shirts steht "To Live In Discontent". Kannst du mir das mal erklären?
Das ist die erste Textzeile zu einem Song, den wir haben, "Chorus Of One". Jeder fühlt sich irgendwie unzufrieden, besonders da, wo wir herkommen. Man bekommt nicht, was man verdient hat, oder man bekommt nicht schnell genug, was man will. Für mich bedeutet es auch, das man bewußt lebt und alle Fragen, die man im Leben hat, auch stellt. Das ist der Hauptteil deines Herzens, der trainiert werden sollte. Eine Ermutigung, Fragen zu stellen, sozusagen. Und wenn das dazu führt, das jeder sich etwas unzufriedener fühlt, ist es wahrscheinlich nur gut so.
Und wofür steht die Schlange?
Wir wollten dieses Motiv unbedingt benutzen, weil es sehr ironisch ist. Es steht für die Kolonien, die England einst an der amerikanischen Ostküste hatte. Staaten wie etwa New York und New Jersey. Die Amerikaner kämpften damals gegen die Engländer für ihre Freiheit, sind aber heutzutage der schlimmste Unterdrücker. Wir dominieren ökonomisch gesehen so viele Länder und sind damit genau das, was wir einst bekämpft haben. Es soll daran erinnern.
Denkst du, dass Politik vor dem Spaß in einer Band stehen sollte? Ich denke da jetzt gerade an diese ganzen Pop-Punk Bands.
Ich habe viele Freunde, die über Beziehungen singen und Spaß haben. Ich hoffe, dass wir selbst immer positiv wirken. Es soll sich nicht nur wie eine Beschwerde, sondern gleichzeitig auch wie ein Rezept wirken. Aber wir haben natürlich auch gerne Spaß und Musik zu machen ist für uns Spaß. Das ist nicht alles nur Ernsthaftigkeit und Zorn.
Euer Album trägt den Titel "Change Is A Sound"...
Das bezieht sich darauf, auf diese bestimmte Musik, eben Punk, zurückzukommen. Soziale Kritik spiegelt sich da auch drin wieder. Und die Wurzeln unserer Band kommen auch daher: Von THE JAM, THE CLASH, über die BAD BRAINS und GORILLA BISCUITS. All das kommt da zusammen. Musik hat einfach die größte Kraft, Leute zu verbinden.
Möchtest du noch irgendwas loswerden?
Vielen Dank an alle, die wir hier in Europa getroffen haben, an alle Punkrock-Läden, in denen wir gespielt haben und an alle großartigen Traditionen, die es hier gibt. Vielen Dank auch für das Interview.
Thomas, vielen Dank auch Dir. Habt noch eine tolle Zeit hier.
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