STRIKE ANYWHERE liefern seit ihren Anfangstagen vor zehn Jahren einen anspruchsvollen Mix aus Punkrock und Hardcore. Galten sie zunächst als Geheimtip, konnte die Band aus Richmond, Virginia sehr schnell durch ausgedehnte Touren ein größeres Publikum für sich gewinnen. Neben politischen Texten sind die Live-Auftritte das Markenzeichen des Quintetts. Ursprünglich bei Jade Tree Records unter Vertrag, erschien das bislang letzte Album vor drei Jahren auf Fat Wreck Chords. Dieser Tage steht nun die Veröffentlichung ihres vierten Studioalbums „Iron Front“ auf Bridge 9 an. Sänger Thomas Barnett stand Rede und Antwort.
Thomas, du lebst seit einigen Jahren nicht mehr in Richmond. Wie ist es für dich, auf Tour für einen Tag dorthin zurückzukehren?
Zufällig haben wir gestern auf dem Best Friends Day-Festival in Richmond gespielt. Ich bin heute Morgen nach Kalifornien zurückgekehrt, wo ich mittlerweile lebe. So ein Auftritt vor heimischem Publikum ist für uns etwas Besonderes, auch wenn es gestern einige Probleme gab. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen ist die Polizei plötzlich mit überzogener Gewalt eingeschritten und hat auf einige Jugendliche eingeschlagen. Glücklicherweise ist niemand schwer verletzt worden, so weit ich weiß. Ich hoffe, im Laufe des Tages noch mehr darüber zu erfahren, was da passiert ist. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Es ist immer ein gutes Gefühl, in Richmond zu sein. Für uns fängt alles dort an und endet auch dort. Etwa die Hälfte der Songs auf unserem neuen Album ist in Richmond entstanden. Für die andere Hälfte haben wir uns in Prag einen Proberaum gemietet, als wir in Europa auf Tour waren. Der Festivalauftritt gestern war auch eine Release-Party für „Iron Front“. Wenn es diese Polizeigewalt nicht gegeben hätte, wäre das ein guter Abschluss für die Tour gewesen, die wir die letzten drei Wochen zusammen mit POLAR BEAR CLUB und anderen Bands von Bridge 9 gespielt haben.
Wie steht es um die Szene in Richmond mittlerweile? Ihr wohnt nicht mehr dort, um AVAIL ist es eher ruhig geworden, seit Tim Barry Soloalben veröffentlicht. Ist das bezeichnend für die dortige Musiklandschaft?
Nein, die Szene in Richmond ist nach wie vor lebendig und sehr bunt. Vielleicht ist sie heute sogar um einiges vielfältiger als vor zehn Jahren. Tim Barrys Akustiksongs sind genauso ein Teil von Richmond wie die jungen Hardcore-Bands, die an diesem Wochenende auch auf dem Festival gespielt haben. Es ist erstaunlich, was für eine lebendige Musiktradition Richmond hat, trotz seiner vergleichsweise geringen Größe. Die Stadt ist stark geprägt vom Süden der USA, sie war Hauptstadt der Konföderierten während des Bürgerkriegs. Man sieht noch heute zahlreiche Standbilder aus dieser Zeit, die von der Geschichte der Stadt erzählen. Der Süden hat lange gebraucht, um sich – zumindest offiziell – von so schrecklichen Dingen wie Sklaverei und Segregation zu befreien. Konservativ ist er aber auch heute noch. Punkrock war für mich eine Möglichkeit, gegen diese konservative Umgebung anzukämpfen, und das ist für viele heute noch so.
Du hast das neue Album bereits angesprochen. Seit dem Vorgänger „Dead FM“ sind bereits drei Jahre vergangen. Herrscht bei euch eine Art Vorfreude auf „Iron Front“?
Ist das schon so lange her? Wir waren so viel unterwegs und haben in dieser Zeit hunderte Shows gespielt, so dass wir wohl nicht eher zum Aufnehmen kamen. Die meisten Songs sind über zwei Jahre verteilt entstanden, ein Lied ist noch viel älter. Aber die eigentlichen Aufnahmen haben nur 17 Tage gedauert. Freude ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber es ist schön, dass die Songs, die für mich schon so alt sind, endlich das Licht der Welt erblicken.
Mit jeder Veröffentlichung stehen auch zahllose Interviews an. Stellst du dich diesem Marathon, weil es sein muss, oder macht es dir sogar Spaß?
Ich unterhalte mich wirklich sehr gerne mit anderen Menschen. Deshalb dauern Interviews mit mir auch immer so lange, haha. Ich kann einfach nicht aufhören zu reden, wenn mir jemand eine interessante Frage stellt. Prinzipiell denke ich, dass Shows das beste Mittel sind, um sich mit Leuten auszutauschen. Es ist zwar etwas einseitig, fast ein Monolog, wenn ich eine Stunde auf der Bühne stehe und den Leuten was erzähle. Aber so ist das nun mal, da habe ich das Mikro fest in der Hand. Aber ich habe auch nichts gegen Interviews. Ich unterhalte mich gerne mit dem Fragensteller, und darüber indirekt auch mit dem Leser.
Das neue Album erscheint auf Bridge 9 Records. Wie kommt es, dass ihr Fat Wreck Chords nach nur einem Album verlassen habt?
Wir hatten einen Vertrag über ein Album mit ihnen. Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir nicht im Streit auseinander gegangen sind. Fat Wreck haben uns sehr gut behandelt, und wir haben uns wirklich wohl gefühlt bei ihnen. Die Leute bei Fat Wreck mögen uns wirklich, aber wir sind einfach anders als die meisten Bands bei ihnen. Auch wenn sich das Label in den letzten Jahren wie die ganze Musikszene verändert hat, ist es immer noch großartig, und ich mag auch die Leute sehr. Aber alle sind geprägt von dieser lockeren Westküstenmentalität. Wir dagegen kommen nun mal von der Ostküste, auch noch aus dem Süden. Ausschlaggebend für den Wechsel zu Bridge 9 war aber, dass das Label besser zu „Iron Front“ passt. Während „Dead FM“ sehr glatt poliert klang, wollten wir die neuen Songs härter und vor allem rauher aufnehmen. Wir kennen Bridge 9 nun schon lange, und so haben wir nachgefragt, ob sie dieses Album veröffentlichen wollten. Sie konnten uns nur die Hälfte dessen bezahlen, was uns Fat Mike für ein weiteres Album angeboten hatte, aber es fühlt sich so einfach besser an. Wenn es uns um Geld gehen würde, hätten wir auch bei einem Majorlabel unterschreiben können, aber das ist nicht der Fall.
Hattet ihr Angebote von großen Plattenfirmen?
Ja, die hatten wir schon vor „Dead FM“. Für das neue Album hatten wir sogar konkrete Angebote, die weit über dem lagen, worauf wir uns mit Chris Wrenn von B9 verständigt haben. Aber das ist nicht unser Ding. Wir wollten weder in der Vergangenheit noch jetzt zu einem Major wechseln. Ich möchte nicht Bands anprangern, die diesen Schritt gegangen sind. Es gab ja einige Kontroversen um ANTI-FLAG oder RISE AGAINST, als sie sich für große Firmen als Vertriebsweg entschieden haben. Aber die Jungs sind immer noch die gleichen, auf Tour mit RISE AGAINST war es großartig. Es ist nicht ganz mein Ding, jeden Abend in großen Hallen zu spielen, mir fehlt die Nähe zum Publikum. Andererseits erreicht man so natürlich auch mehr Menschen. Ich fand es sehr interessant, die Gesichter der Zuschauer zu sehen, wenn ich etwa über die ILO, also die Internationale Arbeitsorganisation, gesprochen habe. Viele hatten noch nie etwas davon gehört, und einige sahen so aus, als hätten sie interessante Informationen mitgenommen. Das ist definitiv ein positiver Aspekt, der mit einem Wechsel zu einer großen Firma verbunden ist, man kann mehr Menschen erreichen. Wir sind aber alle der Meinung, dass es für STRIKE ANYWHERE nicht das Richtige wäre.
Du präsentierst auf Konzerten auch eine beachtliche Sammlung von Band-Shirts, mit denen bei größeren Konzerten nicht unbedingt jeder was anfangen kann. Zufall oder Kalkül?
Beides. Ich denke, es ist nicht schlecht, jüngeren Konzertbesuchern einige großartige Bands nahezubringen, die sie nicht unbedingt kennen. Wenn man vorne auf der Bühne steht, sind die Augen auf einen gerichtet. Jemandem fällt auf, was ich trage, er oder sie informiert sich und hat hinterher vielleicht eine neue Lieblingsband, haha. Ich trage auch gerne Sachen von kleineren Bands, die bislang nur lokal bekannt sind. Gleichzeitig trage ich aber auch einfach nur Shirts von Bands, die ich mag. Da habe ich eine große Sammlung, die in erster Linie dem Zweck dient, dass ich tagsüber und auf der Bühne etwas anhabe.
Ihr feiert dieses Jahr auch euer zehnjähriges Jubiläum. Hat das eine Rolle bei den Aufnahmen gespielt? Ist das eine besondere Zahl für euch?
Es ist schön, dass wir nach zehn Jahren noch zusammen Musik machen, dass wir Spaß daran haben und sich Leute da draußen für uns interessieren. Aber es ist für uns kein besonderes Ereignis, das wir feiern müssen. Bei der Planung der anstehenden Tour ist mir eher zufällig aufgefallen, dass wir Anfang Oktober am Tag unseres ersten Konzerts in der Nähe von dem Ort spielen werden, wo wir das erste Mal aufgetreten sind. Das ist ein netter Zufall. Für uns ist es wichtig, dass wir uns stetig nach vorne bewegen und Transformationen durchmachen. So wird es uns nicht langweilig.
Ihr benutzt seit euren Anfängen den so genannten Antifaschistischen Kreis in leicht abgewandelter Form als Bandlogo. Das neue Album ist nun nach der Eisernen Front benannt, jener Gruppierung aus Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern aus der Weimarer Republik, deren Symbol er war und die versucht hatte, die Demokratie gegen die Nationalsozialisten zu verteidigen. Ist das eine Rückbesinnung auf eure Anfänge?
Ja, das trifft es ziemlich gut. Der Titel geht natürlich direkt auf die Eiserne Front zurück. Die Idee hatte unser Schlagzeuger Eric letztes Jahr. Das entspricht unserer Version eines selbstbetitelten Albums. Es als Rückbesinnung auf die Anfangszeit zu beschreiben, gefällt mir. Das neue Material klingt rauh und härter als bei den beiden Alben davor. Musikalisch ist es auf jeden Fall näher an unseren ersten Sachen, gleichzeitig aber auch ein weiterer Schritt. Wir haben also an Früher gedacht, während wir weiter nach vorne gegangen sind. So könnte man es wohl am besten ausdrücken.
Wie jedes Jahr zieht auch diesen Sommer die Warped Tour durch die USA. Nicht alle sind begeistert von einem solchen Mammut-Event. Der Songtitel „Summer punks“ passt irgendwie zu diesem Spektakel, auch wenn er wohl etwas ganz anderes meint.
Genau, das Lied hat nichts mit der Warped Tour zu tun. Es erzählt eine wahre Geschichte aus den Südstaaten in den 1950ern. Mein Großvater hat sie mir mal erzählt, und seitdem denke ich oft daran. Es ist schon fast absurd, von „Damals“ zu reden, weil das gerade mal fünfzig Jahre her ist. Jedenfalls war zu Beginn der 1950er im Süden der USA das Ende der Rassentrennung leider noch nicht absehbar. Und in dieser Zeit hielt ein weißer Busfahrer seinen Bus an, nachdem er gesehen hatte, wie ein weißer Junge einen schwarzen Jungen im Bus angespuckt hatte. Der Mann war kein Bürgerrechtler, wahrscheinlich hatte er auch nichts gegen die getrennte Sitzordnung in den Bussen, die damals noch herrschte. Aber er empfand es als unredlich, dass der eine Junge den anderen wegen der Hautfarbe anspucken konnte, ohne dass jemand darauf irgendwie reagiert. Also hat er den Bus angehalten, ist nach hinten gegangen und hat vom weißen Jungen verlangt, dass er sich entschuldigt und dem anderen Jungen das Gesicht sauber macht. Viele im Bus haben ihn ungläubig angeschaut, aber er hat sich einfach geweigert weiterzufahren, solange das nicht passiert. Der Titel kommt einfach daher, dass sich das ganze in einem Sommer ereignet hat. Um aber auf die Warped Tour zurückzukommen: Ich bin gespaltener Meinung, was das Ganze angeht. Natürlich hat es nicht mehr viel mit Punkrock zu tun, weil es sich zu einer Geldmaschinerie entwickelt hat. Und was eine „Independent Stage“ auf einer Musiktour zu suchen hat, bei der alles Independent sein sollte, verstehe ich nicht wirklich. Gleichzeitig aber gibt die Tour in einigen entlegenen Teilen der USA den Leuten die Möglichkeit, Bands zu sehen, die sonst alleine dort nicht spielen. So gesehen, bietet die Tour also auch Positives. Aber eben zu dem Preis, dass für einen Tag ein riesiger Tross einfällt und die örtlichen Veranstalter teilweise unverschämte Preise für T-Shirts und Getränke ansetzen. Besonders in Sachen Merchandise stört mich die Warped Tour mittlerweile. Die Veranstalter vor Ort bestimmen die Preise, um so gewaltig mitzuverdienen. Das hat nichts mehr mit Punkrock zu tun, so wie ich ihn verstehe.
Den Anfang auf dem neuen Album macht „Invisible colony“. Worum geht es da?
Das ist der aktuellste Titel auf dem Album. Er beschreibt aktuelle Vorgänge in den USA. Wir erleben gerade einen Mythos vom Vereinten Amerika. Zu gewissen Teilen hat das mit der Wahl von Präsident Obama zu tun. Viele Menschen, darunter auch Journalisten, haben die Hoffnung, er könnte die Vereinigten Staaten und ihre unterschiedlichen Bürger zu einem homogeneren Gebilde vereinigen. So froh ich bin, dass Obama die Wahl gewonnen hat, so falsch ist diese Vorstellung in meinen Augen. Die USA bestehen aus so vielen verschiedenen Regionen, die kaum etwas miteinander gemeinsam haben. Der Süden ist in weiten Teilen noch konservativ, die Westküste dagegen für amerikanische Verhältnisse sehr liberal. Detroit ist das Sinnbild für eine untergehende alte Industrie, während Kalifornien dank Silicon Valley wiederum überall auf der Welt als Symbol für neue Technologien steht. Genauso hat das Rentnerparadies Florida nichts mit Iowa zu tun. Wir sprechen die gleiche Sprache, aber die Leute verhalten sich unterschiedlich, haben mit ganz unterschiedlichen Problemen zu tun und wählen auch vollkommen anders. Bei der letztjährigen Wahl haben die Demokraten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Virginia die Mehrheit gewinnen können.
Wie bewertest du die ersten Monate von Barack Obamas Präsidentschaft?
Präsident Obama hat ehrgeizige Pläne, mit denen er die Situation in den USA verbessern will und an die er wirklich glaubt. Das gefällt mir an ihm. Ich würde mir wünschen, dass seine Pläne zum Umbau des Gesundheitssystems erfolgreich umgesetzt werden. Aber um ehrlich zu sein, zweifle ich daran. Der Widerstand, der sich gegenwärtig in den USA gegen diese Pläne formiert, ist nicht zu unterschätzen. Eigentlich gibt es dringenden Handlungsbedarf bei diesem Thema. Die reichste Nation der Welt kann oder will sich aber keine effektive und finanzierbare Gesundheitsversorgung für die breite Masse seiner Bevölkerung gönnen. Es ist zum Verzweifeln. Wenn man die Nachrichten verfolgt, wird deutlich, wie interessengesteuert diese Debatte geführt wird. Absurd wird es, wenn man sieht, dass Leute bewaffnet zu Kundgebungen des Präsidenten kommen, um ihren Widerstand zu demonstrieren. Obama ist ein moralisch integrer und vor allem intelligenter Mann. Ich finde seinen akademischen Ton sehr unterhaltsam nach den acht Jahren Bush.
Genau darüber regen sich aber momentan politische Gegner in den USA auf und haben eine Hetzcampagne gegen ihn gestartet.
Ja, das ist wirklich eine peinliche Sache. Obama wird als weltfremder Akademiker dargestellt, während George W. Bush als einfacher Mann von nebenan verkauft wurde. Dabei hat Bush in seinem Leben keinen Tag wirklich arbeiten müssen. Barack Obama dagegen kommt tatsächlich von ganz unten. Er weiß, was es heißt, eine alleinerziehende Mutter zu haben, die arbeiten muss. Diese Debatte hat angefangen, nachdem Obama die Verhaftung eines Harvard-Professors in seinem eigenen Haus kritisiert hatte. Der Professor wurde, weil er schwarz war, verdächtigt, in das Haus eingebrochen zu sein. Das haben dann politische Gegner als Motiv genommen, um Obama vorzuwerfen, er würde mit Professoren zusammenhängen und hätte nichts mit dem normalen Amerikaner zu tun.
So paradox es ist, dass sich ein Land darüber aufregt, sein Präsident sei zu intelligent, war das vielleicht nur eine Ersatzdebatte, weil die Republikaner nicht sagen wollten, dass Obamas sich nur wegen der gemeinsamen Hautfarbe auf die Seite des Professors geschlagen habe?
Genau. Das ist eines der Probleme der amerikanischen Gesellschaft, das sich nur oberflächig gebessert hat. Auch hier sind die Vereinigten Staaten im Inneren noch tief gespalten. Die Wahl von Obama hat das nicht überwunden, so sehr ich es mir wünschen würde.
Noch mehr Themen, über die man singen kann?
Ja, wobei es mir lieber wäre, wenn mir die Ideen ausgehen würden, statt solche Sachen als Vorlagen zu haben.
Könntest du dir vorstellen, in weiteren zehn Jahren auf der Bühne zu stehen, wenn dir die Songideen vorher ausgegangen sind?
Nein, dann wohl nicht mehr, haha. Aber zum Glück, oder leider, glaube ich nicht, dass mir die Ideen ausgehen werden. Und solange es uns allen noch gefällt, werden wir auf der Bühne stehen.
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