Am Niederrhein sind in den letzten Jahren eine Reihe junger Hardcore-Bands entstanden, die nicht mehr viel anfangen können mit der NYHC-typischen Tough-Guy- oder (wie man hier sagt) Bollo-Attitüde. Inspirationen finden sie schon eher im US-Hardcore der frühen Achtziger, bei Bands wie MINOR THREAT, BLACK FLAG oder CIRCLE JERKS. Die haben ohne Frage auch SNIFFING GLUE beeinflusst, gegründet 2006 von vier zornigen jungen Männern, Julian/Gitarre, Andi am Bass sowie Ex-KRAUTBOMBER-Drummer Fanta und Marcel, ex-ITALIAN STALLION (jetzt: ABFUKK), als Sänger. Im April 2008, als die Mönchengladbacher Punkrock-Urgesteine EA80 im Düsseldorfer AK47 spielen wollten und Martin, Sänger der Ausnahmeband, sich als Support SNIFFING GLUE wünschte, da hatte ich gerade erst ihre Single „Suburban Suicide, Suburban Violence“ im Ox in den höchsten Tönen gelobt, kurz darauf auch das Debütalbum, „We Are Sniffing Glue Fuck You“. EA80 hätten mir somit kaum einen größeren Gefallen tun können – aber gewundert hat es mich trotzdem ...
Ihr seid so etwas wie die „Lieblingsvorband“ von EA80, auch wenn euer Oldschool-Hardcore in eine komplett andere Richtung geht als deren Düsterpunk ... in Wahrheit passt das überhaupt nicht zusammen.
Fanta: Martin hat einfach einen vorzüglichen Musikgeschmack. Er war auch bei den Aufnahmen zu unserer Single und jetzt zur neuen 12“ dabei, er hat auch brav die Backings mit eingesungen. Jetzt, da das öffentlich ist, könnten wir ja direkt noch mal ein paar hundert Platten nachpressen ... Nee, im Ernst, es ist schon ein gutes Gefühl, wenn man von jemanden, dessen Platten man schon seit Ewigkeiten hört, so gutes Feedback bekommt.
Marcel: Also musikalisch haben unsere Bands schon relativ wenig gemein, aber wenn man sich mal die Plattensammlung vom Martin anschaut, merkt man schnell, dass unsere da ganz gut reinpassen!
Andi: Die Male, die wir zusammen gespielt haben, waren auch immer großartig. EA80 bei der Show in der Oetinger Villa in Darmstadt als Vorband dabeizuhaben, das war natürlich nicht schlecht, haha.
Laut Kalle Stille stecktet ihr im Stau, EA80 haben schon mal ohne euch angefangen, aber darauf bestanden, dass ihr eben sozusagen als Headliner auftretet. Und Martin hätte jeden im Publikum, der früher geht, zur Hölle gejagt ... Mit EA80 teilt ihr aber nicht nur die Bühne, sondern wohl auch eine gewisse Vorliebe für ausgefallene Releases. „I’m Not Alright“ etwa, die neue 12“, gibt es mit mindestens zwei verschiedenen Covermotiven.
Andi: Im AK47 in Düsseldorf gab es dann ja sogar eine streng limitierte Deluxe-Split-Doppel-LP von SNIFFINGGLUEA80. Ich sage nur: aufeinander geklebtes Vinyl und eine äußerst lustige Polaroid-Coverfoto-Session.
Fanta: Eigentlich sind wir gar nicht so sehr für so viele limitierte Sachen. Okay, die neue Platte gibt es mit drei Covern, welche sich nur minimal unterscheiden. Die erste auch, aber bei der liegt es daran, dass ich die unbedingt selber basteln, lackieren und mit Schablonen sprühen wollte. Das Ding ist auch sehr edel geworden, aber weil es nicht wirklich machbar ist, 500 Platten zu basteln und zu besprühen, ist ein „reguläres“ Cover unumgänglich gewesen. Und so kommt man dann zu mehreren, auch ausgefallenen Versionen.
Warum ist sie eigentlich nicht wieder auf deinem eigenem Label Search For Fame erschienen, sondern bei Barfight?
Fanta: Dass die neue Platte, wie die Nachpressung der ersten LP übrigens auch, jetzt auf Barfight rausgekommen ist, liegt ganz einfach daran, dass Markus von Barfight/Per Koro die Platte viel besser vertreiben kann als wir selber. Dazu kommt natürlich, dass wir menschlich auf einer Wellenlänge liegen und wissen, dass man sich gegenseitig vertrauen kann. Dafür bringen wir – Marcel und Andi sind da auch nicht ganz unwichtig – auf Search For Fame Records andere Bands raus. Da wären ja die TERRORIZE KIDS, schon länger dabei, und jetzt brandaktuell DISCO VIETNAM und THE LUST FOR LIFE.
„Never trust a hardcore kid that has not listened to punk“, so Roger Miret in einem Ox-Interview. Lässt sich das überhaupt trennen, Punk und Hardcore?
Fanta: Für mich gehört das zusammen. Allerdings, wenn ich die ganzen so genannten „Hardcore“-Bollo-Spacken sehe ... Und dann wiederum die kleinen Kiddie-Punks beziehungsweise Kiddie-Deutschpunks, die sagen: „Nee, das ist ja ein Hardcore-Konzert, da gehe ich nicht hin, ich bin doch Punker“, aber das natürlich im SLIPKNOT-Shirt gekleidet ... na ja, da bin ich zu alt für.
Marcel: Mir ist egal, wie sich das jetzt schimpft, heutzutage gibt es so viele Untergruppierungen, da braucht man bei Hardcore oder Punk erst gar nicht anfangen!
Julian: Da gebe ich dir Recht, da geht ja schon gar nichts mehr ohne den jeweiligen Dresscode. Vieles davon hat auch mit Punk nichts mehr zu tun.
Andi: Ich fänd’s gut, wenn es mehr gemischte Shows gäbe. Ich meine, in der Regel treffen sich eh die meisten in der D.I.Y.-Szene wieder, die Ansichten sind auch fast alle dieselben. Doch eine gute Show mit geilen HC- und Street-, Deutsch- oder 77er-Punkbands, besser geht’s nicht, das ist wie ein geiles Mixtape! Wobei ich jetzt auch nicht so auf nichtssagenden Bollo-Kram stehe, und auf die unangebrachte Violent-Dancing-Scheiße auf Shows habe ich sowieso keinen Bock. Aber einen Punk-Background halte ich schon für wichtig, der ist der Ursprung dieser Vielfalt der Stile heute, sowohl musikalisch als auch von der Attitüde her.
Skate-Punk/Skatecore – kann mir mal jemand erklären, warum ausgerechnet Skater den besten Punk/Hardcore machen? Ihr habt ja auch ein Skateboard-Deck als Merchandise, gibt’s das eigentlich noch?
Fanta: Wie ...? Dass Skater den besten Hardcore spielen? Habe ich deswegen zum ersten Mal so was wie „Erfolg“, weil ich jetzt mit Skatern Musik mache?
Andi: Na klar. Das merkst du jetzt erst?! Haha. Nein, also historisch gesehen, ist das kein Wunder, dass HC/Punk und Skateboarding seit ihren Anfängen eine heiße Beziehung führen, Punks und Skater sind ja gleichermaßen als Abschaum betrachtet worden. Geächtete der Gesellschaft halt. So sind dann halt echt viele Punks Skater geworden und umgekehrt und ein passender Soundtrack war ziemlich schnell geschaffen. Skateboarding und HC/Punk-Mukke zu machen oder zu hören, kann ein perfektes physisches und emotionales Ventil sein, um sich frei zu fühlen, seine Wut rauszulassen, Schmerzen zu spüren, sich Gedanken zu machen und sich seinen Ängsten zu stellen. Ein Haufen Endorphine werden auch noch frei gesetzt. Na toll, ey, jetzt hab ich Bock zu skaten.
Julian: Skateboarding und Punk werden doch heute von der Mehrheit nicht mehr im Zusammenhang gesehen. Man freut sich jedoch immer wieder, dass es noch genug gibt, die einem das Gegenteil beweisen. Mit unserem eigenen Deck hatten wir eher Glück – Danke an Basti von Rise Above Skateboards –, und ich denke, dass zumindest für Andi und mich so ein Teil etwas Bedeutsames ist.
Andi: Ist halt ’ne geile Oldschool-Planke mit gesprühtem Design. Kann einiges!
Der Niederrhein ist nicht New York, aber in den letzten Jahren kommen auffallend viele junge Oldschool-Hardcore-Bands aus Neuss, Duisburg, Dinslaken oder Mönchengladbach, wo ihr euren Proberaum habt. Vor allem im doch eher beschaulichen Wegberg – Marcel, wo du ja auch lebst – scheint ein Nest zu sein ... Wie groß ist diese NRHC-Szene, kennt man sich untereinander? Und welche Rolle spielen hier D.I.Y., Straight Edge und Veganismus?
Marcel: NRHC – the way it is! Ja, hast schon Recht, da hat sich einiges getan in letzter Zeit. Mich freut vor allem, dass mal mittlerweile etwas anderes als nur dieser Bollo-Kram aus dem Ruhrpott kommt. Aber so als eigenständige Szene habe ich das wohl nie betrachtet, wobei man sich natürlich schon untereinander kennt. Der gegenseitige Support ist dabei total wichtig, weil D.I.Y. sonst halt auch nicht mehr funktioniert. Da hast du dann Bands wie die TERRORIZE KIDS, WORLD PEACE, DEAD PATRIOTS, LUST FOR LIFE, AYS, ALARMSTUFE GERD – doch ’ne Bollo-Band, ha!
Lass den Gerd in Ruhe. Außerdem, Sänger Rapha ist ganz klein und dünn.
Marcel: Und Wegberg ist halt so eine Kleinstadt, die den Kids nicht wirklich was bietet, wenn man nicht auf Dorfdiscos steht ...
Andi: ... und Treckerfahren, haha. Nee, D.I.Y. funktioniert hier echt super. Hier gibt es viele Leute, die sich den Arsch aufreißen für Freiräume, Shows und den Support untereinander. Und Straight Edger und Veganer gibt’s auch in vielen Bands. Ist auch eine feine Sache, wenn wir Robert vom AZ Mülheim, der fast immer mit uns unterwegs ist, dabei haben. Da haben wir dann mit Marcel gleich zwei Leute, die Edge sind, und wir anderen können uns einen trinken, haha.
Julian: Vollgas!
Gutes Stichwort. Wenn man dich zum ersten Mal live erlebt, Marcel, und du Vollgas gibst, als Sänger, könnte man schon Angst bekommen ...
Marcel: Das hab ich jetzt schon häufiger gehört! Wenn wir spielen, ist das aber so, dass ich um mich herum nicht großartig was mitbekomme, wenn ich so von der Energie mitgerissen werde! Das ist eben immer stimmungsabhängig und manchmal klinkt man dann halt so weg, dass ich selbst bei einigen Fotos denke: „Was machse denn da?!“ oder „Wie guckste!“ Ist halt mein einziger Ausgleich zum tristen, abgefuckten Tageintagaus.
Hat einer von euch je Klebstoff geschnüffelt?
Fanta: Nee, aber jede Menge Lack beim Besprühen unserer ersten LP.
Marcel: We’re not puffin’ smoke, we are sniffing glue, fuck you!
Andi: Ich bleibe gern mal länger an Tankstellen stehen ... mjammi, Benzin! Die Chemiepeitsche beim Öffnen einer Filmdose kann aber auch einiges.
Julian: Ich bin letztens in Wuppertal an der 1-Euroshop-Meile vorbeigelaufen, das ist eine ähnliche synthetische Erfahrung.
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