SLEAFORD MODS

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All mod cons

2017 waren SLEAFORD MODS die angesagte „Band“ überhaupt: Das Duo aus Nottingham, bestehend aus Sänger Jason Williamson und Multi-Instrumentalist Andrew Fearn, stand (und steht) auf der Bühne, der eine (Andrew) drückt Tasten an seinem Laptop, der andere (Jason) steuert Sprechgesang im derbem englischen Dialekt dazu bei, mit äußerst bissigen Texten. Die Bühnen wurden immer größer, die Band-Doku „Bunch of Kunst“ führte zu weiterer Bekanntheit, und dann Krise, die Trennung von Rough Trade und Harbinger Sound, dem Label ihres (ehemaligen?) Freundes und Managers Steve Underwood. Nun ist „Eton Alive“ raus, das neue Album auf dem eigenen Label, und ich sprach im Februar mit Jason darüber, was so passiert ist.

Jason, was treibst du so den lieben langen Tag?


So kurz vor dem Album-Release proben wir viel, und ich bin viele im Fitnessstudio. Und die ganzen Interviews, am Telefon, oder ich muss nach London, nach Europa. Wir versuchen so viel Aufmerksamkeit für das Album zu bekommen wie möglich.

Vor zwei Jahren kam euer letztes Album, parallel der Film „Bunch of Kunst“, eure Konzerte wurden immer größer. Wie hat sich die Band seitdem entwickelt?

Gut! Wir haben das Ganze auf ein höheres Level gebracht und jetzt schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Außerdem haben wir uns von unserem Manager getrennt und in diesem Zusammenhang haben sich ein paar Dinge verändert. So sind wir nicht mehr bei Rough Trade und kümmern uns jetzt selbst um die ganze Albumveröffentlichung. Es scheint sich alles okay zu entwickeln und ich bin gespannt, wo uns das alles hinführt. Sind die Leute am Ende mittlerweile von uns gelangweilt? Wir werden sehen.

Euer letztes, euer „Durchbruchsalbum“, war schon euer fünftes, jetzt ist das sechste raus. Und mit dem letzten wart ihr plötzlich medial omnipräsent.

Man muss sich wohl daran gewöhnen, dass die Medien immer das „next big thing“ suchen und ihre Aufmerksamkeit danach wieder auf jemand anderen richten. Das darf man einfach nicht an sich heranlassen, denn die mediale Aufmerksamkeit hat nicht unbedingt etwas mit dem Erfolg deiner Band zu tun. Im Zweifelsfall bekommt man einfach nicht mehr das Interesse der großen Medien, aber das war es auch. So läuft das Spiel eben, alle sind immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, denn wenn man das featuret, steht man mit seiner Publikation eben gut da, wirkt modern und so, als sei man nah dran am Puls der Zeit. Man kann die Medien aber nicht dafür verurteilen, dass sie ihre Aufmerksamkeit woandershin lenken. Und nur weil wir vielleicht weniger davon bekommen, sind wir nicht schwächer, nicht Crap geworden. Ich finde sogar, dass wir besser geworden sind.

Nun schmeichelt mediales Interesse, füttert das Ego, und für Künstler und generell Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, kann diese Aufmerksamkeit zur Droge werden, und wenn man die dann wegnimmt ...

Ja, das ist auf jeden Fall eine Droge. Und man muss diese Bedürfnis nach Aufmerksamkeit unter Kontrolle halten, sonst zerstört einen das. Wenn ich aber andere Bands kritisiere, dann nicht weil sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit bekommen als wir, das muss man auseinanderhalten. Das ist auch ein Thema auf dem Album, besonders in „O.B.C.T“, wo ich über Menschen rede, die in gesponsorte Klamotten gekleidet sind, die um Aufmerksamkeit buhlen – und irgendwie bin ich ja nicht anders. Es ist schwer in diesen Gewässern zu navigieren – und gut, dass du das angesprochen hast, tatsächlich ist es das erste Interview, in dem ich das gefragt wurde.

In „Big Burt“ findet sich die Textzeile „you music magazines lying to us just to stay in print“. Das könnte ich jetzt persönlich nehmen in Zeiten von Diskussionen über Fake News.

Das bezieht sich insbesondere auf die britische Musikpresse, all die Hefte, die ständig irgendwelche Typen von vor zwanzig Jahren aufs Cover nehmen. Da kann man sich schon fragen, warum die das tun – einfach weil man damit Hefte verkauft, an weiße Männer mittleren Alters. So ist das leider nun mal. Im Grunde kann man denen nicht mal einen Vorwurf machen in Zeiten von schrumpfenden Absatzmärkten. Mein Text ist ein naiver, unvernünftiger Angriff, aber es ist eben durchaus ein Thema. Warum gehen diese Hefte nicht auch mal ein Risiko ein? Das müsste man halt mal mit den Leuten von diesen Magazinen diskutieren, also warum gerade das Gesicht eines Typen auf das Cover muss, dessen Band 1994 berühmt war und der jetzt eine Soloplatte gemacht hat. Machen die das, weil sie denken, dass der Typ so brillant ist? Nein, weil sich das verkauft. Die haben wohl keine Wahl, weil der Digitalmarkt den Printmarkt killt.

Nun, was soll ich sagen? Auch für das Ox ist es nicht gerade leichter geworden über die Jahre und auch wir diskutieren darüber, wen wir auf das Cover nehmen sollen.

Das kann ich mir vorstellen, dass es nicht leicht ist, aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die Magazine in anderen europäischen Ländern viel offener sind als die hier in Großbritannien. Da sehe ich auch mal Bands und Musiker auf dem Cover, die man einfach mal riskieren muss. Keine Ahnung also, ob das ein britisches Phänomen ist, aber die Besessenheit hierzulande in Bezug auf Britpop ist schon extrem. Das langweilt, echt.

Du erwähntest eben „weiße Männer mittleren Alters“. Damit sprichst du über euer Publikum, oder?

Ja. Aber zum Glück kommen gerade in Europa auch ganz andere Leute zu unseren Konzerten, das ist eine bunte Mischung. In Berlin neulich war der Club voll von jungen wie älteren Menschen, Männern und Frauen. In Italien, Spanien, Frankreich ist das genauso, das fällt mir schon auf. Das ist überall anders als in England, warum auch immer. Ich freue mich über junge Menschen auf unseren Konzerten, will noch mehr Frauen im Publikum sehen. Aber ich nehme es, wie es kommt, es ist doch ein Traumjob, was ich das mache, oder?

In „Kebab spiders“ findet sich die Textzeile „We ain’t shoe shine boys for fakers“, der Text geht recht explizit weiter in Bezug auf alte Bands. Gab es dazu einen konkreten Anlass?

Zu der Zeit, als ich das schrieb, kam gerade ein neues Album der MANIC STREET PREACHERS raus, und da lief so eine Abstimmung online, wen man am liebsten als deren Vorband sehen wolle. Wir haben mal mit denen beim Q Awards Festival gespielt, nicht als deren Vorband oder so, sondern gleichberechtigt, aber das war letztlich eine totale Promonummer für deren Album, und das regte mich auf, deshalb diese Zeile. Die Band ist schon okay, aber ich halte die nicht für so bedeutsam für die britische Rockmusikgeschichte. Und vor allem nicht für die britische Punk-Historie. Die sind doch eher eine Indie-Band. Na ja, das alles bewegte mich zu diesem Text.

Euer letztes Album „English Tapas“ von 2017 erschien auf Rough Trade Records, und allein diese Tatsache war für viele popkulturell bedeutsam, spielte das Londoner Label in der frühen britischen Punk-Szene doch eine wichtige Rolle. „Eton Alive“ ist nicht mehr auf Rough Trade, sondern auf eurem eigenen Label Extreme Eating, aber auch nicht mehr auf Harbinger Sound. Was ist geschehen?

Wir sind gegangen. Weil unser Manager uns gesagt hatte, wir würden die nicht mehr brauchen. Labels wie die seien Dinosaurier und alleine könnten wir das alles viel besser. Und vor allem könnten wir so einen Mittelsmann ausschalten und hätten mehr übrig. Ich hielt das für eine Option, aber nur mit der passenden Infrastruktur. Als wir dann Rough Trade verlassen hatten, mussten wir allerdings feststellen, dass es diese Infrastruktur nicht gab, und so mussten wir uns von unserem Manager trennen. Wir hatten Rough Trade voreilig verlassen und mussten dann in kurzer Zeit alles selbst organisieren und das war ganz schön anstrengend. Ich weiß jetzt schon, dass die Albumveröffentlichung unter all dem leiden wird, und das pisst mich an. Ich will, dass das Album so gut chartet wie das letzte, denn ich finde, wir haben das verdient und hart dafür gearbeitet. Wegen der Enttäuschung mit unserem Manager und all den folgenden Komplikationen fürchte ich aber, dass das Album zumindest in England kommerziell nicht so gut abschneiden wird. Insgesamt freilich läuft es mittlerweile wieder ganz gut und ich habe auch Rough Trade gegenüber mein Bedauern ausgedrückt, wie blöd das gelaufen ist, und mittlerweile kommen wir wieder klar, nachdem die zunächst natürlich echt sauer gewesen waren, dass wir gegangen sind. Ich konnte denen erklären, dass unser Abgang erfolgte in einer Wolke von Fehlinformationen. Wir suchen jetzt einen neuen Manager, in der Zwischenzeit ist meine Frau eingesprungen und hat den Job echt gut gemacht, zusammen mit unserem Vertrieb Cargo UK. Von daher läuft jetzt alles – und meine Wut über all das, was schieflief, hatte eben viel damit zu tun, dass ich überzeugt bin, dass das Album echt gut ist. Und die Trennung von unserem Manager war echt schwer, wir haben von Anfang an zusammengearbeitet, das nahm mich wirklich mit.

Ist der Albumtitel „Eton Alive“ – ein Wortspiel auf „eaten live“, „bei lebendigem Leibe verspeist“ – auch eine Anspielung auf das Elite-Internat Eton, wo die Kinder reicher Eltern hingeschickt werden, die dann zur „Elite“ des Landes werden?

Genau, es ist eine Anspielung auf Eton College, wo viele jener Politiker einst waren, die heute die politische Landschaft bestimmen und die unser Land zerstört und vergiftet haben und das immer noch tun. Das ist eine anhaltende Kampagne des Separatismus, der Isolation, des Nationalismus, die von jenen Politikern verursacht wurde. Und all diese Typen, alles Männer, kennen sich aus Privatschulen wie Eton. Das britische Parlament hatte nie einen höheren Anteil weißer Männer mit so einem Internatshintergrund als jetzt. Hinter der Zwei-Mittelfinger-Attitüde, mit der die Punks der Siebziger die britische Aristokratie angriffen, steckte zwar eine gewisse Naivität, aber mir gefällt sie dennoch. Und davon steckt auch was in diesem Album.

Großbritannien befindet sich durch den Brexit in einer gewaltigen Krise, deine Texte waren immer schon wütend. Wie viel Wut angesichts des Brexit steckt in diesem Album?

Es ist eine neue Art der Wut. Sie ist anders als auf dem letzten Album, da war die Wut eher gedämpft. Die Wut ist jetzt zielgerichteter, wir sprechen die Stimmung, die Atmosphäre in England an. Es fühlt sich an wie eine Niederlage, die Menschen sind irgendwie teilnahmslos angesichts der ganzen Situation, nichts schockt einen mehr, und genau darüber wollte ich sprechen. Andere Bands in England setzen gerade darauf, mit Spaß und Fröhlichkeit einen Kontrapunkt zu setzen, aber das fühlt sich falsch an, kapitalistisch – als wolle man sich an dieser Situation bereichern. Negativität halte ich für das ehrlichere Gefühl derzeit, das gibt mir mehr. Und es entspricht der Realität, es ist nichts Positives an der aktuellen Situation. Jetzt über Glück und Freude zu singen ist totaler Bullshit, womit ich nicht sagen will, dass es keinen Sinn macht, sich im Privatleben mit Zuversicht zu bewegen, motiviert, konstruktiv und selbstbewusst zu sein. Und deshalb wollte ich diesmal eine andere Art von Wut zum Ausdruck bringen, eine, wie man sie verspürt, wenn man geschlagen und gedemütigt wurde.

Du verstehst es dich zu artikulieren, hat es dich da nie gereizt, dich mal politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, jenseits einer Band?

So was kann man heute mit Gewalt machen, und wie man bei den Gelbwesten in Frankreich sieht, ist das durchaus riskant, da haben Menschen Augen und Zähne verloren, denen wurden von der Polizei Knochen gebrochen. So sieht die Realität aus, wenn man sich gegen das System stellt. Die andere Weise ist mit Intelligenz, mit Worten. Ich sehe mich nicht als jemand, der Mitglied einer Organisation wird, um zu versuchen die Dinge zu ändern. Nein, das will ich nicht. Ich konsumiere gern, ich bin Kapitalist, ich genieße mein Leben, ich will meine Kinder aufwachsen sehen, ich will morgens mit meiner Familie Kaffee trinken, fernsehen – ich mache all das gerne, was man gemeinhin als die Fallen ansieht, die einem die Gesellschaft so stellt. Gleichzeitig bin ich mir natürlich bewusst, was für eine Erosion am eigenen Bewusstsein das verursacht. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, so eine Art von Engagement kam nie für mich in Frage. Wirklicher Lobbyismus müsste gewaltsam erfolgen, und damit kommt man nicht davon, denn die Kontrollmechanismen sind zu stark.

Diese Ox-Ausgabe erscheint Anfang April. Willst du eine Vorhersage wagen, wie der Brexit verlaufen sein wird?

Wer kann das schon sagen? Ich glaube aber nicht, dass dieses Katastrophenszenario eintreten wird, das derzeit durch die Medien geht. Ich glaube nicht, dass es ein zweites Referendum geben wird. Es wird zum Brexit kommen, entweder mit einem gepfuschten Deal oder als No Deal. Es wird nicht dazu kommen, dass der Notstand ausgerufen wird, nicht in einem Land, das an sich reich und gesund ist. Aber wer weiß das alles schon. Nur eines sollte man sich merken: Nicht die Konservativen wählen, they’re fucking cunts!

Kümmert diese Diskussion die Menschen eigentlich noch oder ist das eher eine Sache, die in der medialen Berichterstattung stattfindet?

Also ob darüber in den Pubs diskutiert wird, das weiß ich nicht, ich bin da ja nicht mehr, seit ich nicht mehr trinke. Die Mittelklasse ist besorgt, jene Menschen, die gut bezahlte Jobs haben, weil die oft mit Europa in Verbindung stehen, weil die viel reisen. Die Leute am unteren Ende des Einkommenspektrums kümmert das alles eher nicht, die haben für den Austritt gestimmt, die haben sowieso nichts zu verlieren. Wenn du einen Scheißjob mit Scheißbezahlung hast, ist doch alles willkommen, was die Verhältnisse durcheinander bringt, das ist dann doch fast schon unterhaltsam. Die einen sind betroffen, die anderen haben das alles satt, alle hassen die Medien, die BBC, und tja, wer weiß, was passiert.

Sprechen wir über die Band, das Album. Grundsätzlich klingt ihr wie immer, aber was ist anders, was ist neu?

Es gibt diesmal mehr Pop-Kompositionen. Und es gibt mehr richtige Songs, „When you come up to me“, „Firewall“ und „Negative script“. Ich habe mich diesmal mehr von meiner Vorliebe für Mittachtziger-R&B und -Soul beeinflussen lassen, etwa Alexander O’Neal, Chaka Khan und so weiter, und ich wollte diesen Einfluss ins Album bekommen. Das war eine echte Herausforderung, so was mit unserem Sound zu verbinden, aber ich finde, es ist bei diesen Songs gelungen, auch wenn sie mich selbst ehrlich gesagt nicht an Achtziger-Soul erinnern, haha. Aber es sind gute Songs und sie unterscheiden sich von unserer normalen Formel.

Mal mit einer „richtigen“ Band auf die Bühne zu gehen, das wäre auch ein Abweichen von der normalen Formel – oder kommt so was keinesfalls in Frage?

Nein, das ist keine Option.

Und was wird dieses Jahr sonst so bringen?

Mehr Konzerte, mehr Auftritte auf Festivals. Das hat sich nach „English Tapas“ schon gut entwickelt und jetzt hoffe ich, dass sich das fortsetzt. Und dann planen wir ja auch schon für nächstes Jahr. Und wir müssen die Manager-Situation lösen. Und uns Gedanken machen, wo wir als Band hinwollen. Wollen wir kommerzieller und vermarktbarer werden? Wollen wir größer werden? Über all das müssen wir uns Gedanken machen.

Deine Offenheit ist erstaunlich.

Ich finde den Business-Aspekt der Band eben interessant, darüber kann man durchaus auch philosophisch werden. Man muss sich da nicht wie ein Idiot verhalten. Man kann die Strukturen auch zu seinen Gunsten manipulieren. Wir sind bislang keine Kompromisse eingegangen und werden das auch künftig nicht tun. Und jetzt schauen wir mal, wie weit wir damit kommen. Die Musik- und die Unterhaltungsindustrie verändert sich massiv, man kann es alleine weit bringen. Das Ganze ist jetzt mein Job und ich habe keinen Grund, mich dafür zu schämen, dass ich bei dem, was ich tue, auch die Business-Seite im Blick habe. Damit meine ich nicht Gier und Profit, auch wenn natürlich der Profit eine Rolle spielt. Ich möchte herausfinden, wie wir als SLEAFORD MODS wachsen können, und darüber zu reden finde ich nicht falsch. Wenn andere Bands darüber nicht reden, hat das ja vielleicht auch was damit zu tun, dass sie gar nicht selbst die Kontrolle über ihr Schicksal haben. Und wenn man seine Band auf einem professionellen Level betreibt, dann kann man auch über seine geschäftlichen Vorstellungen sprechen.