SLEAFORD MODS

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Welcome to Planet Angry

Bevor Jason Williamson mit den SLEAFORD MODS erfolgreich wurde, hat er alle möglichen Jobs gemacht – in einer Hühnerfabrik, auf dem Schrottplatz und sogar im Arbeitsamt. Er weiß also, wie die „einfachen“ Leute abseits von Business Class und Uni-Café denken und fühlen. Er spürt die Wut der Straße und das macht die Songs des Elektro-Punk-Rap-Duos aus Nottingham, der Heimat von Robin Hood, so wütend. Mit „Spare Ribs“ haben Jason Williamson und sein Laptop-DJ Andrew Fearn nun ihr elftes Studioalbum veröffentlicht. Und es ist kein Deut weniger zornig als die vorherigen Veröffentlichungen.

Jason, wie ist die Situation im zweiten Lockdown in Nottingham?

Es unterscheidet sich schon etwas vom ersten Lockdown, weil die Leute deutlich entspannter sind. Viele verstehen aber die Regeln nicht so genau, was erlaubt ist und was nicht. Die Leute gehen weitgehend ihren normalen Beschäftigungen nach und versuchen, andere Leute nicht anzustecken. Man spürt aber ganz deutlich, dass viele Menschen zunehmend genervt und müde sind von der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen.

Die Situation in Deutschland ist ähnlich. Auch die Idioten, die jedes Wochenende auf die Straße gehen, um gegen die Regeln zu protestieren.
Solche dummen Arschlöcher gibt es hier leider auch. Am meisten beunruhigt mich, dass einige Prominente und Menschen aus dem öffentlichen Leben auch diesen Verschwörungsmist glauben und die Proteste unterstützen. Das ermutigt immer mehr Leute, ebenfalls so zu denken und auf all diese Geschichten, die im Umlauf sind, zu vertrauen. Dadurch wächst auch die Gruppe der Impfgegner leider tagtäglich.

Ich kann mir vorstellen, dass es gerade eine Menge Dinge gibt, über die sich eine Band wie SLEAFORD MODS aufregen kann. Auf dem neuen Album gibt es mit „Out here“ und „Top room“ auch zwei Songs über die Corona-Pandemie.
Die beiden Songs sind aus der Frustration im Lockdown entstanden. Motiviert vom Groll, der Angst und der Langeweile in der aktuellen Situation. Jeden Morgen steht man auf und macht die gleichen Dinge. Man muss irgendwie die Kinder bei Laune halten, aber auf Dauer ist das natürlich unmöglich. Am Ende sind wir zu einer mehrköpfigen Einheit verschmolzen, die bewegungslos im Haus verharren muss. In „Out here“ geht es darum, während des Lockdowns aus dem Haus zu gehen, um Lebensmittel einzukaufen. Was man erlebt, wenn man in der Schlange steht. Die Stimmung der Leute, die von Masken bedeckten Gesichter, die Angst vor Berührungen. Diese Zeit wird in die Geschichte eingehen, die Leute werden das nicht so schnell vergessen. Deshalb wollte ich das Thema unbedingt auf dem Album haben. Es ist wie in einem Film, oder? Wie ein Katastrophenfilm oder so. Jeder erwartet, dass gleich Tom Cruise um die Ecke kommt. Man kann auch sehen, warum die konservative Partei bei den Wahlen einen Erdrutschsieg in diesem Land errungen hat. Die Leute geben Ausländern die Schuld für das Corona-Virus. Obwohl es offensichtlich aus einem fremden Land stammt, denke ich, dass es etwas tiefer geht. Aber offenbar ist die Ansicht weit verbreitet, dass Einwanderer das Virus eingeschleppt haben, was einfach dumm ist. In „Top room“ geht es um die tagtäglichen Herausforderungen des Lockdowns zu Hause. Die Schulen sind geschlossen, die Kinder sitzen jeden Tag da und versuchen, sich zu beschäftigen. Das ist ganz schön stressig. Auch ich habe angefangen, mich selbst zu hinterfragen. Die Art, wie ich spreche, meine Einstellung zu Menschen, einfach alles. Einiges davon ist auch absurd, es sind nur Bilder, mit denen ich herumspiele.

Ich habe mich mit der Maske im Supermarkt anfangs wie in einem Science-Fiction-Film aus den Siebzigern gefühlt.
So ging es mir auch. Ich musste an einige Science Fiction- und vor allem Horrorfilme denken. Wie in einem Zombie-Streifen von George A. Romero. Die Gefühlslage während dieser Pandemie wandelt sich aber ziemlich schnell. Die Songs, die wir für das Album geschrieben haben, sind jetzt fast schon wieder veraltet. Es passiert so viel und man gewöhnt sich auch sehr schnell an die neue Situation.

Du hast auch zwei Songs über deine Kindheit geschrieben. „Mork n Mindy“ und „Fish cakes“. Sie wirken sehr autobiografisch.
Ich habe mich im Sommer am Rücken verletzt, weil ich im Hinterhof zu viel trainiert habe. In dieser Zeit musste ich viel an meine Kindheit denken. Denn ich hatte ein großes Problem mit meinem Rücken, als ich ein Kind war. Ich litt damals unter Spina Bifida, einer angeborenen Spaltung der Wirbelsäule, außerdem musste ein Tumor entfernt werden. Als ich zwölf Jahre alt war, musste ich mich einer riskanten Operation unterziehen. Es bestand eine Fifty-fifty-Chance, dass ich vielleicht nie wieder laufen kann. Aber zum Glück hat einer der besten Wirbelsäulen-Spezialisten des Landes die Operation durchgeführt und sie ist gut ausgegangen. Er konnte mich heilen. Ohne ihn wäre ich wohl seitdem gelähmt gewesen. Meine aktuelle Rückenverletzung hat mich an diese Zeit erinnert, denn das waren natürlich sehr emotionale Jahre für mich. Deshalb habe ich versucht, meine frühe Kindheit in den Siebzigern auf einem Landgut in einer kleinen Stadt zu schildern. „Mork n Mindy“ habe ich im Januar geschrieben. Der Song erzählt davon, wie farblos meine Teenie-Zeit im Alter von 13 bis 15 war. Ich wollte versuchen, das in einem Song zu vermitteln. Ich liebte und hasste es gleichzeitig. Ich bin wirklich stolz auf dieses Lied. Außerdem konnten wir Billy Nomates für einen Gastauftritt gewinnen. Sie hatte mit ihrem Beitrag großen Einfluss auf den Song. Es war das erste Mal überhaupt, dass wir mit jemandem zusammengearbeitet haben.

Ihr hattet ja sogar zwei Gäste im Studio. Neben der sehr talentierten britischen Newcomerin Billy Nomates hat auch Amy Taylor von den australischen AMYL & THE SNIFFERS mitgewirkt.
Andrew hat Billy übers Internet kennen gelernt und sie hat ihm immer wieder Songs zugeschickt. Er hat mir dann ihre Tracks immer wieder vorgespielt. Sie haben uns wirklich gut gefallen, wir konnten eine Verbindung dazu aufbauen. Dabei habe ich mich entschlossen, ein bisschen souliger zu singen. Das habe ich aber nicht alleine hinbekommen. Es hat mir wirklich geholfen, als ich ihre Songs immer wieder gehört habe, die mich an die R&B-Sachen erinnert haben, die ich früher gehört habe. Es hat sich also für uns total selbstverständlich angefühlt, sie zu einer Kollaboration einzuladen. Ich hatte vorher außerdem schon einen Refrain zum Song „Supermarket sweep“ auf ihrem Debütalbum eingesungen. Was Amy Taylor betrifft: Wir sind große Fans von AMYL & THE SNIFFERS. Sie hat in ihrem Gesang einen ähnlichen Ansatz wie wir und ich schätze ihre Texte sehr. Wir haben also beide auf unser Album eingeladen und wir sind sehr glücklich mit dem Ergebnis.

Ich finde, der Sound von SLEAFORD MODS ist über die Jahre immer weniger aggressiv und rauh geworden. Woran liegt das?
Wir haben uns einfach weiterentwickelt. Wir wollen uns nicht ständig wiederholen. Es hätte sich einfach falsch angefühlt, die Aggression der frühen Alben zu konservieren, denn wir haben uns einfach verändert. Wir sind als Künstler gewachsen. Wir befinden uns nicht mehr in derselben Lebenssituation wie noch vor einigen Jahren. Deshalb hat es sich einfach richtig angefühlt, in uns hineinzuhören und den Wandel zuzulassen.

Verändern sich mit dem Sound auch die Inhalte? Typisch für euch waren ja bislang stark sozialkritische Texte über Arbeitslosigkeit, Frustration, soziale Ungerechtigkeit oder das Lebensgefühl der Working Class.
Nein, auf keinen Fall. Es bleibt dabei, dass wir von unseren eigenen Erfahrungen berichten. Ich singe natürlich nicht über die gleichen Dinge, über die ich früher gesungen habe, weil ich keinem normalen Job mehr nachgehe. Ich bin kein „Jobseeker“ mehr. Aber diese Dinge werden immer eine Rolle in meinen Texten spielen, denn das ist meine Geschichte, da komme ich her. Mir ist es wichtig, so wahrhaftig und ehrlich wie möglich über mich und meine Umwelt zu erzählen. Texte über Liebe oder Partys sind für mich einfach Müll, das würde mich depressiv machen. Deshalb bleiben meine Songs natürlich auf eine gewisse Weise aggressiv und damit relevant, aber die Themen haben sich geändert. Die Güteklasse der Aussagen ist geblieben, wir wollen nicht beliebig werden.

Hat der Erfolg der letzten fünf Jahre auch dazu beigetragen, dass sich eure Musik und Texte verändert haben?
Natürlich hat das einen gewissen Einfluss. Die Herausforderung ist eben, diese Veränderungen wahrzunehmen und damit umzugehen. Wenn man das einfach ignoriert, verliert man sich selbst und das will ich nicht. Wir gehen also sehr bewusst damit um, wer wir sind und wo wir uns hinbewegen. Es wäre aber dumm zu glauben, wir müssten uns komplett neu erfinden, nur weil wir erfolgreich sind. Das wird nicht passieren.

Spielt der Brexit und seine zähe Geschichte eine Rolle auf dem Album?
Direkt spielt das auf diesem Album keine Rolle, aber die ganze Situation schwingt natürlich immer mit. Ich halte diese Entscheidung immer noch für unglaublich dumm. Für mich ist es eine Form von Selbstmord. Wir werden sehen, was in den nächsten Monaten passiert. Ich gehe davon aus, dass es jede Menge Schwierigkeiten geben wird. In meinen Augen ist der Brexit eine riesige Verschwendung von Zeit und Geld. Für unser Land ist das alles ziemlich peinlich. Die EU ist natürlich nicht perfekt, aber das ist noch lange kein Grund, sie zu verlassen. Ich habe damals dagegen gestimmt, die EU zu verlassen. Viele Leute haben für den Brexit gestimmt, weil sie Idioten sind. Für solche Leute gibt es kein anderes Wort. Scheiß Idioten einfach.

Was ändert sich durch den Brexit für dich persönlich?
Keine Ahnung, das werden wir sehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass er für uns Nachteile bringt, aber nicht so viele wie für kleinere Bands. Künstler, die nicht so etabliert sind wie wir. Ich denke, es wird wirklich schwierig, in Europa noch auf Tour zu gehen.

Vor ein paar Jahren warst du selbst noch Mitglied der Labour Party. Du bist aber nach kurzer Zeit wieder rausgeflogen. Wie kam es dazu?
Ich wurde vor etwa vier Jahren rausgeschmissen, weil ich den Labour-Abgeordneten Dan Jarvis auf Twitter als „Fotze“ bezeichnet habe. Etwa ein Jahr zuvor war ich der Partei beigetreten, um Jeremy Corbyn im Wahlkampf zu unterstützen. Mir hat damals gut gefallen, was er über Sparmaßnahmen und die absolute Hölle gesagt hat, die viele Menschen durchmachen. Zu dieser Zeit hat die Labour Party aber jede Menge Mitglieder rausgeworfen, die den Kurs von Jeremy Corbyn mitgetragen haben. Massen von Mitgliedern wurden damals aus völlig unsinnigen Gründen entfernt. So ging es mir auch. Sie wollten damit einfach den Einfluss von Jeremy Corbyn in der Partei schwächen. Diese Leute warfen ihm eine verfehlte Brexit-Politik und eine linksradikale Agenda bei der Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik vor. Inzwischen bin ich von der Labour Party nur noch enttäuscht.

Ich habe auch einen sehr lustig klingenden Song auf dem Album gefunden. Geht es in „Thick ear“ um einen Satz heiße Ohren, wie man bei uns sagt?
„Thick ear“ ist ein surrealer, absurder Song. Mein Vater hat das immer zu mir gesagt, als würde er mir ein dickes Ohr geben, einen Schlag aufs Ohr oder was auch immer. Das macht man heute natürlich nicht mehr mit seinen Kindern, aber damals war es völlig akzeptabel.

Warum habt ihr euer neues Album eigentlich „Spare Ribs“ genannt? Damit ist doch sicher nicht das Gericht gemeint, oder?
„Spare Ribs“ steht symbolisch für die einfachen Menschen in unserem System. Du kannst aus einem Körper Rippen entfernen und trotzdem kann der Körper weiterleben. Für mich sind die Rippen die einfachen Arbeiter und der Körper ist der Kapitalismus. Vom Kapitalismus werden also die Arbeiter einfach entfernt, wenn dadurch der Körper im Großen und Ganzen erhalten bleibt. Es ist eine Beobachtung über das Hier und Jetzt. Über die Obdachlosen, die auf den Straßen direkt vor unserer Haustür leben. Wir kennen einige von ihnen, sie schlafen in Kirchen oder wo auch immer, nehmen nur Drogen und es gibt nicht viel mehr zu tun für sie. Das ist einfach trostlos. Diese Menschen befinden sich in einem Kreislauf, aus dem sie nicht herauskommen. Gerade in dieser Corona-Pandemie macht sich unsere Regierung vor allem Gedanken um die Wirtschaft, anstatt dieses Virus wirkungsvoll zu bekämpfen. Aus der Perspektive des Kapitalismus sind wir also alle ersetzbar, um das System aufrecht zu erhalten. Für das Überleben der Geldmaschine werden jede Menge Menschenleben geopfert. Auch dank Boris Johnson.

Boris Johnson ist ja immer noch an der Macht, aber Donald Trump in den USA wurde inzwischen abgewählt. Glaubst du, dass sich jetzt irgendwas verändern wird?
Um ehrlich zu sein, erwarte ich von keinem Präsidenten irgendetwas. Die sind in meinen Augen alle mehr oder weniger korrupt. Die meisten sind zu feige, um aus ihrer vorgegebenen Rolle auszubrechen. Wenigstens hat Joe Biden ein bisschen Erfahrung mit Politik, Donald Trump hatte ja keine Ahnung von nichts. Er hatte keine Vision und war nicht mal intelligent. Er hatte zum Glück nicht das Format von Diktatoren wie Hitler oder Stalin. Er ist einfach nur ein Idiot, deshalb war es total verrückt, dass er zum Präsidenten gewählt wurde. Ich bin sehr froh, dass er jetzt weg ist. Er war nicht gesund für die ganze Welt. Ein chaotischer Faschist. Jetzt kann es eigentlich nur besser werden. Biden hat versprochen, dem Pariser Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels wieder beizutreten. Das ist in meinen Augen ein absolut notwendiger Schritt. Ich erwarte aber nicht, dass er radikale Änderungen herbeiführen kann.

Euer neues Album „Spare Ribs“ wird nicht auf eurem eigenen Label Extreme Eating Records erscheinen wie das letzte Studioalbum „Eton Alive“. Ihr seid jetzt wieder bei Rough Trade, warum?
Wir haben uns zur Rückkehr entschlossen, weil wir erkannt haben, dass die Trennung ein Fehler war. Wir brauchen einfach die Infrastruktur, die sie uns bieten. Wir brauchen PR-Leute, wir brauchen Vertriebsexperten. Das war für uns alleine einfach nicht zu stemmen. Es war besser für uns, zu einer Organisation zurückzukehren, die Kontakte in der ganzen Welt hat, die uns an Orte bringen kann, wo wir es alleine nie hinschaffen würden. Die neue Platte ist wirklich gut geworden und wir wollen damit so viele Leute wie möglich erreichen. Um unabhängig weiter existieren zu können, wäre es für uns einfach viel zu viel Arbeit gewesen. Vor allem für unseren Manager. Wir sind extrem glücklich, dass sie uns wieder in die Arme geschlossen haben.

Und was passiert jetzt mit eurem eigenen Label?
Das liegt erst mal auf Eis. Vielleicht werden wir es irgendwann aus dem Dornröschenschlaf erlösen. Wer weiß. Momentan habe ich überhaupt kein Interesse daran, ein eigenes Label zu betreiben.

Hast du eine besondere Beziehung zu Spinnen? Weil zwei meiner liebsten SLEAFORD MODS-Tracks haben mit Spinnen zu tun. „Kebab spider“ und „Tarantula deadly cargo“.
Auf keinen Fall. Ich habe riesige Angst vor den Mistviechern, haha. Die sind wirklich furchtbar und voll eklig. Das mit den Songtiteln ist eher Zufall, haha.

Hat eigentlich auch Punkrock den Sound von SLEAFORD MODS maßgeblich beeinflusst?
In unseren frühen Jahren hat Punk unseren Sound sogar sehr stark beeinflusst. Jetzt höre ich kaum noch Punk. Aber früher habe ich mich viel damit beschäftigt. Bands wie ENGLISH DOGS, DISCHARGE, SEX PISTOLS oder THE METEORS haben mich damals sehr geprägt, also frühe britische Punkbands und auch die zweite Welle des britischen Punk. Aktuell höre ich gar keine britischen Bands. Am liebsten höre ich gerade die neuseeländische Songwriterin Aldous Harding oder den Australier Alex Cameron. Die beiden schreiben in meinen Augen wirklich sehr interessante Popmusik.