Ich muss mich schon einer leicht angestaubten Ausgabe des Ox bedienen, und zwar die Nr. 98, um das letzte Interview mit dem Punk’n’Roll-Trio aus Köln zu lesen. Inzwischen sind fünfeinhalb Jahre vergangen, und das bedeutet im SEWER RATS-Universum eine Chinatour (2013) plus Gigs in Japan sowie drei US-Touren (2014, 2015). Sänger und Gitarrist Chris Gin und Bassist Schorni Walker geben Auskunft.
Euer neues Album ist optisch sehr farbenfroh gehalten. Sind die SEWER RATS weiterhin durch und durch Optimisten?
Chris: Wir sind sehr glücklich damit, wie das Album geworden ist. Archi hat als Produzent einen Bombenjob gemacht und Mario von Rockstar hat das Artwork geregelt, beide sind verdammte Genies. Und ja, wir sind tatsächlich Optimisten. Ich halte es mit der PMA der BAD BRAINS: Jeder Tag ist eine neue Chance, etwas Gutes aus seinem Leben zu machen, ob in El Garage mit den Jungs abhängen in Ehrenfeld, auf Japantour gehen oder „Kannentime“, also Bier trinken, mit Lemonhead und Zbilly in South Central.
Nach den richtig weiten Touren muss die Arbeit für euch im Studio eher ungewohnt gewesen sein. Wie schwer fiel sie euch?
Chris: Gar nicht schwer. Durch die vielen Touren im Ausland haben wir natürlich eine Menge Erfahrungen gesammelt, die wir dann in den Songs vertonen konnten. Besonders die ganzen Konzerte in den USA, vor allem an der sonnigen Westküste, haben sich definitiv auch im Sound der Platte niedergeschlagen. Der Opener „PCH 101“ thematisiert zum Beispiel unsere Touren an der Westküste 2014 und 2015. Der Übergang von Tour zu Studio ergab sich ganz von alleine. Wenn du krasse Sachen erlebst als Musiker, willst du über sie schreiben.
Schorni: Die Touren stecken einem wohl ein Leben lang in Hirn und Knochen, haha. Die ganzen Erfahrungen haben uns natürlich, vor allem im Songwriting, sehr geprägt. Wir konnten kaum abwarten, das alles auf Band zu ballern. Die Arbeit im Studio fiel uns überhaupt nicht schwer, zumal wir auch hinter den Reglern die geilsten Leute sitzen hatten.
Besonders beim Opener fällt die Ähnlichkeit mit RANCID auf, denen ihr auch einen Coversong widmet als Bonustrack auf der Vinylversion. Hört das Fan-Sein denn nie auf?
Chris: Witzig, dass du das sagst. Dasselbe meinte neulich ein guter Kumpel zu mir, dass „PCH 101“ wie RANCID und ich wie Tim klingen würde. RANCID sind eine meiner absoluten Lieblingsbands, Tim Armstrong schreibt so unfassbar gute Songs. Wir haben auf den drei US-Touren immer im 924 Gilman in Berkeley gespielt, wo OPERATION IVY und solche Leute groß geworden sind. Das war für uns eine Ehre. Der Laden wird von Tims Bruder Jeff Armstrong geführt, und als wir nach acht Stunden Fahrt endlich in Berkeley ankamen, stand er schon draußen und hat auf uns gewartet. Super netter Typ!
Auf dem letzten Album spielte Chris’ Bruder Kontrabass und ihr hattet zeitweise zwei Gitarren, nun geht der Weg vom Billy-Sound zurück zum Punk mit E-Bass. Welche Vorteile bietet der jetzige Stil?
Chris: Auf den US-Touren haben wir im Van viel oldschooligen US-Pop-Punk à la QUEERS, LILLINGTONS und RIVERDALES gehört, Tecate getrunken und Burritos gegessen. Das und die kalifornische Sonne hatten auf Jeden Fall einen Einfluss auf das Songwriting und im Proberaum haben wir dann gemerkt, dass die ganzen Songs am besten mit einem sexy Rickenbacker-Bass eingeknüppelt werden sollten. Also haben wir das Ganze dann bis auf zwei Songs mit K-Bass mit dem E-Bass reingeknorkt. Ich liebe Rockabilly und Country, aber ich bin mit Punk aufgewachsen und insofern war es das Zurück zum Rollbrett. Die Hauptsache ist für uns, dass die Songs – jenseits aller Genreschubladen – den Leuten und uns live Bock bringen und wir mit den Leuten feiern.
Schorni: Puck spielte auf der letzten Platte Kontrabass und ich war Rhythmusgitarrist. Nachdem er die Band verlassen hatte, spielte ich dann den Bass. Auf der letzten Platte waren auch schon zwei Songs mit E-Bass dabei und live haben wir auch oft im Set E- und Kontrabass im Wechsel gespielt. Bei der neuen Scheibe hatten wir Bock auf derben Bubblegum-Punk mit E-Bass-Action.
Rückblick, China 2013. Was ging da ab? Was würde Europäern im Alltag dort den Garaus machen, was hingegen sollten wir uns von den Chinesen unbedingt abschauen?
Chris: Abschauen sollten wir uns nicht Stinky Tofu. Das war das Perverseste, was ich je in meinem Leben gegessen habe. Und ich sage dir eins: Ich liebe Tofu!
Schorni: China war der Wahnsinn. Höhen und Tiefen am anderen Ende der Welt, von Afterworkpartys vor Yuppies über geile Clubs und Punkrock-Löcher bis hin zu riesigen Festivals mit einfach nur gutgelaunten Kids. Mein Highlight war es, SMZB, ROLLING BOWLING und GUM BLEED, drei der bekanntesten chinesischen Punkbands, in Deutschland wiederzusehen und mit den Jungs ein bisschen die gute Zeit aufleben zu lassen. Wir fahren auf jeden Fall noch mal hin!
In den USA liegen ja eure musikalischen Wurzeln, und jetzt werden ihr selbst gefeiert dort. Wie ordnet man das ein? Wer holt einen von Wolke Sieben wieder herunter, der bürgerliche Job?
Chris: In den Staaten zu touren war definitiv ein Traum von uns, der sich nach harter Arbeit erfüllt hat. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich es manchmal kaum fassen, was für crazy Sachen wir da erlebt haben. Ich sage es mal ganz vorsichtig: Viele der Leute, mit denen wir da abgehangen und bei denen wir gewohnt haben, und die jetzt teilweise auch unsere Freunde sind, sind nicht gerade Briefmarkensammler und Mauerblümchen, sondern eher mexikanische Gangster mit Shotgun und Gesichtstattoo oder Surf-Hooligans, hahaha! Wir haben dort die krassesten Partys und Geschichten erlebt, mit derben Höhen und Tiefen. Wenn du mit deinen Kumpels durch South Central läufst und die dir vorher gesagt haben, dass du dein rotes Flanellhemd besser zu Hause lässt, weil das hier Gangland ist und an dieser Ecke schon mal jemand vor deren Augen erschossen wurde, dann wird dir schon etwas heiß.
Schorn: Der erste Trip hat auf jeden Fall gut abgehärtet. Wir haben uns im Laufe der drei Touren dort immer ein bisschen mehr aufgebaut und haben jetzt super Partner vor Ort. Bei der zweiten Tour sind Chris und ich schon sechs Wochen im Voraus rübergeflogen, um unsere neugewonnenen Freunde wiederzutreffen und die anstehende Tour zu promoten.
Gibt es noch den Wunsch, in den Staaten vielleicht einmal leben zu wollen, oder ginge der Reiz flöten, wenn es Alltag wäre?
Chris: Ich mag Kalifornien. Sehr. Auch Chicago und NYC. Im Moment sind wir hier ganz glücklich mit unserer Homebase in Deutschland, aber wie Joe Strammer Max sagt: The future is unwritten.
Ist mit „I don’t like you when your girl’s around“ jemand Bestimmtes gemeint, oder ist das generell euer Eindruck, dass Männer, die mit ihren Freundinnen zu Treffen kommen, plötzlich recht bieder auftreten?
Chris: Auch dieser Song ist natürlich lustig gemeint. Jeder kennt es: ein guter Kumpel oder eine gute Freundin haben eine/n Neue/n und plötzlich benehmen sie sich trottelig-ulkig, obwohl das gar nicht nötig wäre, weil die Neuen total cool sind. Es ist also auf keinen Fall ein Anti-Freundinnen-Song, sondern nimmt einige Freunde/Freundinnen von uns auf die Schippe. Außerdem mag ich Songtitel, die interessant klingen. Der Titel muss den potenziellen Hörer dazu bringen, auf Play zu drücken. Ursprünglich wollten wir einen Refrain von Mädels singen lassen: „I don’t like you when your boy’s around“. Das werden wir dann live umsetzen!
Das Lied „Rocket to Usher“ ist wiederum ganz interessant, nicht nur weil hier der Kontrabass mal wieder zum Slappen kommt, sondern auch vom Inhalt her. Ihr wollt wieder Fats Domino und Chuck Berry im Radio hören und meint „Fuck German Radio“ ...
Chris: Ich liebe Wortspiele und finde, dass NOFX da echt die Kings sind. Ich hatte Bock darauf, so einen RAMONES-mäßigen Song zu schreiben und dazu einen RAMONES-Titel offzurippen. Als ich dann den Text geschrieben habe, wollte ich meiner Liebe zu altem R&B und Oldschool-Rap Ausdruck verleihen und deswegen haben wir da zum Beispiel NWA-Zitate eingebaut. Ich verstehe manchmal die deutsche Radiolandschaft nicht. In den USA gibt es für jedes Genre verschiedene Sender, wenn du Bock auf oldschooligen Country hast, schaltest du „99,7 HonkyTonkin“ ein und ab geht das.
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