SEWER RATS

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Don’t want to grow up

Schon die RAMONES sangen davon, nicht erwachsen werden zu wollen. Diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch „Magic Summer“, das neue Album der Kölner Pop-Punk-Rocker THE SEWER RATS. Ein Album, das mit viel Aufwand und Herzblut produziert wurde, höchsten internationalen Ansprüchen gerecht wird und Werte wie langjährige Freundschaften, gemeinsame Roadtrips und jugendliche Unbekümmertheit hochhält. Mit Frontmann Chris Gin sprachen wir über das Älterwerden und warum die Band trotz der Einschränkungen durch COVID-19 am lange geplanten Release-Date Ende April festhielt.

Chris, die ersten Worte auf eurem letzten Album sind „Sippin’ on a corona“. Wie oft wurdet ihr in den letzten Wochen darauf angesprochen?

Tatsächlich nur einmal. Als die ganze Krise anfing, hat uns einer geschrieben, dass er davon nun einen Ohrwurm hätte.

Für alle, die euch noch nicht so gut kennen: Wer ist in der Band, was macht die SEWER RATS aus?
Dom Aqua an den Drums, Schorni Walker am Bass sowie Archi, unser neuester Zugang, an Rhythmusgitarre und Backing Vocals. Und ich bin zuständig für Songwriting, Leadgitarre und Leadvocals. Ich schreibe Songs, die geprägt sind von der Mucke, die ich mein ganzes Leben lang gehört habe, vor allem die ganzen Fat Wreck- und Lookout!-Bands der Neunziger. Bei den Texten geht es um persönliche Geschichten, oft auch um das Erwachsenwerden. Wir sind keine bierernste Band, haben aber auch etwas zu sagen. Live wollen wir unsere Songs mit Karacho rüberbringen, eine gute Zeit mit den Leuten haben und ehrlich sein. Uns ist auch das Networken wichtig, wir haben inzwischen weltweit viele Freunde, mit denen wir gerne touren.

Euer letztes Ox-Interview gab es vor drei Jahren. Was hat sich seitdem bei euch getan?
Wir sind mit unserem Album „Heartbreaks And Milkshakes“ getourt und haben viel live gespielt. Mit den JUKEBOX ROMANTICS aus New York haben wir eine Split-EP rausgebracht und waren gemeinsam zuerst in Europa und dann entlang der US-Ostküste unterwegs. Auf unserer Bucket-List haben wir viel abgehakt und uns damit einige langjährige Träume erfüllt, wie Shows beim Fest in Gainesville, beim Raduno Festival in Italien, eine Tour mit TIGER ARMY und viele coole Support-Shows, unter anderem mit den LILLINGTONS, mit den QUEERS und den MANGES. Und die BROILERS haben uns zweimal eingeladen, wir durften unter anderem in Kassel bei einem Open Air vor 7.500 Zuschauern für sie eröffnen.

Ihr habt in das neue Album sehr viel Zeit, Geld und Herzblut investiert, hattet für die nächsten Monate zahlreiche Konzerte und Festivals geplant, die aber zum Teil schon gecancelt wurden. Habt ihr auch mal in Erwägung gezogen, den Release aufgrund von COVID-19 zu verschieben?
Die Veröffentlichung war für den 30. April geplant, die beiden Release-Partys im Sonic Ballroom für Ende Mai. Die Daten haben wir zu einem Zeitpunkt festgelegt, als Corona lediglich ein mexikanisches Bier war. Wir haben schon überlegt, ob wir den Release verlegen sollen, haben uns aber dagegen entschieden. Wir haben das Album bereits im Sommer 2018 aufgenommen. Und dann willst du auch irgendwann mal, dass die Platte endlich raus und zu den Leuten kommt. Auf der anderen Seite sind viele jetzt zu Hause und haben auch gerade Zeit, wieder mehr Mucke zu hören. Musik hat auch mir schon dabei geholfen, nicht so geile Zeiten zu überstehen. Wir haben deshalb inzwischen sogar die Hoffnung, dass es am Ende des Tages ein ganz gutes Timing für den Release ist. Außerdem verschieben momentan viele Bands ihre Veröffentlichungen auf den Herbst. Da ist die Gefahr groß, in der zweiten Jahreshälfte in einen krassen Release-Stau zu geraten und darin unterzugehen.

Vielleicht hat die ganze Krise aber auch eine positive Seite, wenn es zu einem Umdenken kommt und das soziale Miteinander wieder stärker in den Fokus rückt?
Auf jeden Fall, das habe ich bereits in meinem eigenen Leben gemerkt. Manche Leute sind zwar einfach nur gestresst und noch abgefuckter als sonst, aber es gibt auch die, die herzlich, hilfsbereit und solidarisch sind. Und die Leute haben auch mehr Zeit, über Dinge nachzudenken. Es wäre auf jeden Fall zu wünschen, dass wir jetzt auch mal darüber reflektieren, wie wir mit diesem Planeten und insbesondere mit Tieren umgehen. Wir waren 2013 auf Tour in China und haben dabei auch in Wuhan gespielt. Ganz viele Länder gehen richtig scheiße mit Tieren um. Das ist in China extrem krass ausgeprägt. Das wäre auf jeden Fall auch eine Lektion, die wir aus der Krise lernen sollten.

Für euer neues Album habt ihr richtig Kohle in die Hand genommen und euch für die Produktion Top-Unterstützung gegönnt.
Stimmt. Wir haben 2018 beim Punk Rock Raduno in Norditalien gespielt und sind dann einfach noch zwei Wochen länger geblieben. Im T.U.P.-Studio wurde das Album mit Brown Barcella eingespielt, dort haben schon Bands wie die APERS oder die MANGES aufgenommen. Es ist schon eine Top-Adresse für europäischen Pop-Punk. Dann haben wir noch ein paar Extraspuren im Pulsar-Studio in Brühl bei unserem Freund Andi eingespielt. Dann ging das alles gebündelt in die USA. Dort wurden die Songs in Bill Stevensons legendärem Blasting Room von Andrew Berlin und Jason Livermore gemixt, gemastert und fertiggestellt. Dort wurden bereits viele „Big Names“ wie TEENAGE BOTTLEROCKET, die LILLINGTONS oder NOFX produziert. Das haben wir uns einfach mal gegönnt. Bill saß zwar nicht an den Reglern, aber mit ihm habe ich den ganzen Deal eingetütet. Das ist schon ein besonderer Moment, wenn du am Computer sitzt und plötzlich ist eine Mail von Bill Stevenson im Posteingang.

Diese Kosten sind rein über den Albumverkauf wohl kaum reinzuholen, oder?
Das können wir nicht schaffen, wir denken da aber ein bisschen anders. Das neue Album ist so etwas wie unsere Visitenkarte für die nächsten zwei Jahre. Und da ist es uns schon wichtig, dass sie top ist. Eine Visitenkarte, die wir so besser nicht hätten hinkriegen können. Das war für uns alle schon so ein „Teenage Dream“, da hinzugehen, wo auch viele unserer Lieblingsalben entstanden sind. Wenn uns jetzt jemand neu kennen lernt, dann vergleicht er uns vielleicht auch mit diesen ganzen großen Namen. Und um da mitmischen zu können, musst du eben auch mal etwas investieren.

Bei eurem neuen Album habt ihr im Vergleich zu früher eine Schippe Dynamik und Tempo draufgepackt, es gibt einige veritable Melodycore-Nummern.
Wir haben eine bunte Mischung auf dem Album. Es gibt nach wie vor die eingängigen Pop-Punk-Bubblegum-Songs wie „My sweet Chun-Li“ oder den Titeltrack „Magic summer“, eine Gute-Laune-Nummer mit dem melancholischen Unterton der Sehnsucht nach den guten alten Zeiten. Dazu einige schmissige Midtempo-Stücke wie „I don’t wanna go to the shrink no more“, aber auch ein paar härtere Skatepunk-Stücke, die richtig schön ballern wie der Opener „Rejuvenate“, „Down for life“ und „Choice“. Bei den ersten beiden geht es darum, sich treu zu bleiben und sich trotz der ganzen Veränderungen und des Erwachsenwerdens das innere Kind zu bewahren. „Choice“ ist mir superwichtig, ein eher politischer Song, in dem es um Tierrechte und Veganismus geht. Da passt dann auch der etwas härtere Dampfhammer-Sound besser als eingängige Schunkelmusik.

Songs über Veganismus sind für Pop-Punk-Bands eher untypisch.
In der Tat. „Choice“ ist ein Song mit einer wichtigen Botschaft, die mir sehr am Herzen liegt. Mit 17 bin ich durch PROPAGANDHI Vegetarier geworden, seit ungefähr vier Jahren ernähre ich mich komplett vegan. Und dazu wollte ich auch irgendwann mal einen Song machen. Dabei ist es mir wichtig, nicht mit dem moralischen Zeigefinger um die Ecke zu kommen. Ich glaube eben, dass man sein Leben selbst in der Hand hat, und dass man selbst jeden Tag die Möglichkeit hat, Entscheidungen zu treffen, um für bestimmte Sachen einzustehen und Dinge besser zu machen. Ich finde es immer befremdlich, wenn Leute Sachen sagen wie „so bin ich halt“. Ich finde es cool, wenn man offen ist für neue Inspirationen und Sachen ausprobiert. Niemand kommt als Veganer auf die Welt, ich bin dadurch auch nicht besser als andere. Jeder kann was machen und jeder Schritt zählt. Es gibt mit Sicherheit auch bei mir noch viele Sachen, die ich scheiße mache. Und ich bin dankbar dafür, wenn mich Leute darauf hinweisen.

Das Thema „Erwachsenwerden“ zieht sich durch das gesamte Album. Habt ihr ein Problem damit, älter zu werden?
Das Schlimmste am Erwachsenwerden ist, dass sich ganz viele Dinge ändern. Ich höre immer noch die gleiche Musik wie mit 17. Ich habe noch die gleichen Klamotten an wie früher. Mit zunehmendem Alter wird es nicht einfacher, eine Band zu haben und jährlich etwa sechzig Shows zu spielen und den Weg zu gehen, den man gehen will. Zeit wird einfach ein viel krasseres Gut im Leben. Dafür muss man Kompromisse eingehen, Opfer bringen und sich dadurch Freiräume erkaufen. Das standardmäßige Erwachsenwerden passt da nicht so gut. Ich bin Lehrer und wahrscheinlich der Einzige im Kollegium, der keinen Bausparvertrag hat. Mein Zuhause sieht immer noch aus wie eine abgefuckte Studentenbude. Es fällt schon auf, wenn Freunde plötzlich weniger Zeit haben. Dann denkt man sich schon, bist du jetzt auch einer von diesen verbitterten, älter werdenden Wichsern? Wenn man weiß, was man liebt und was man will, dann findet man auch einen Weg. Klar, Kohle ist auch ein Thema, wir können natürlich von der Band nicht leben, deswegen brauchen wir auch unsere Jobs. Dann kann es aber sein, dass du Dienstagabend in München vor TIGER ARMY spielst und nachts noch nach Köln zurückfahren musst, um am nächsten Morgen zu arbeiten. Das ist schon hart und lässt sich tatsächlich nur machen, wenn du das wirklich liebst. Man hat dann auch andere Sachen, mit denen man sich beschäftigt, als die Freunde von früher, die sich gerade ein Haus gekauft haben und das dritte Kind bekommen. Ich verstehe mich immer noch gut mit diesen Freunden, aber ich habe doch andere Gedanken im Kopf als sie.

Und wie sieht es mit Empfehlungen aus, um sich dem Älterwerden erfolgreich zu entziehen?
Dabei darf zunächst die körperliche Seite nicht vergessen werden. Da habe ich für mich auch den Sport entdeckt. Als Teenager war der einzige Sport, den ich betrieben habe, Skateboard zu fahren. Alle, die aktiv Sport betrieben haben, wurden von uns damals verachtet. Als ich mich dann im Rahmen meiner Magisterarbeit intensiv mit dem American Hardcore und Bands wie YOUTH OF TODAY oder CRO-MAGS beschäftigt habe, hat mir das noch einmal einen ganz anderen Zugang zu dieser Sportebene gegeben. Dann habe ich angefangen mit Joggen, inzwischen mache ich auch noch Yoga. Auf Tour morgens besoffen in Las Vegas in einer mexikanischen Gang-Wohnung aufzuwachen, ist cool. Aber es ist auch cool, Sonntagmorgen drei Stunden lang zu laufen, anstatt tot in der Ecke zu liegen. Eine korrekte Ernährung ist auch sehr wichtig. Es ist ja zum Glück inzwischen bekannt, dass vegane Ernährung nichts mit dem Klischee „dünn, bleich und schwach“ zu tun hat, und dass es nicht nur ethische Gründe gibt, sich vegan zu ernähren.

Und wie sieht es mit der mentalen Seite aus?
Es ist wichtig, im Kopf jung zu bleiben. Wenn du an alten Idealen festhältst und die Dinge abfeierst, hält dich das auf jeden Fall auch jung. Durch das ganze Touren bleibt man auch eher ein unkonventioneller Typ. Wenn du mal mit zehn Leuten gemeinsam in L.A. in einem Raum auf dem Boden gepennt hast, dann bist du auch abgehärtet und du siehst einige Dinge lockerer. Das Reisen, Rumkommen, die vielen Freundschaften auf der ganzen Welt, das ganze Networken, sich gegenseitig zu unterstützen, das ist dann irgendwie auch wie ein Jungbrunnen.

Auffallend ist, dass drei Songtitel auf dem neuen Album mit „I don’t wanna ...“ beginnen. Ein Zeichen von Rebellion und jugendlicher Verweigerungshaltung?
So ein bisschen schon. Aber ich stehe auch darauf, wenn Songtitel in alter RAMONES-Tradition schon eine gewisse Aussage beinhalten. Bei „I don’t wanna go to the dentist no more“ handelt es sich um einen Song, den ich geschrieben habe, als Archi bei der ersten oder zweiten gemeinsamen Probe gesagt hat, dass er noch zum Zahnarzt muss. Und um das dann noch ein bisschen aufzupeppen, habe ich im Text ein paar Zitate von AGNOSTIC FRONT eingebaut. Dann haben wir noch den Song „I don’t wanna go to the shrink no more“, dass ich also keinen Bock mehr habe, zum Seelenklempner zu gehen.

Wobei dies durchaus auch einen ernsteren Hintergrund hat, oder?
Richtig, genau wie auch der dritte Song „I don’t wanna leave my room no more“. Ich mache mir viele Gedanken über das Leben und ich finde das Leben nicht einfach. Und ich finde es schwer, gute Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden. Und das kann einen Nietzsche-mäßig auch schon mal zur Verzweiflung treiben. Dann denkst du dir, diese Welt da draußen ist einfach too much und hier in meinem kleinen Kabuff mit meiner verstimmten Akustikgitarre und meinem Plattenspieler ist die Welt noch in Ordnung. Das ist dann so eine gewisse Trotzreaktion. Beim Shrink-Song ist es so, dass in den USA das Thema, also zum Psychiater zu gehen, viel normaler ist als hier. Bei uns gibt es immer noch diese Macho-Klischees, dass du eine Schraube locker hast und komisch oder schwach bist, wenn du zum Psychiater gehst.

Euer Song „I don’t wanna leave my room no more“ hat durch die momentane Entwicklung eine erschreckende Aktualität gewonnen. Dazu habt ihr gerade auch ein Video rausgebracht.
Wir wurden in den letzten Tagen von der Realität quasi überrollt und hatten ursprünglich gar nicht vor, zu dem Song ein Video zu drehen. Aber wir waren uns einig, dass wir das unbedingt tun müssen, weil das so krass zur aktuellen Situation passt. Wir haben einen Aufruf gestartet, dass uns alle ein kleines Filmchen schicken sollen, was sie gerade zu Hause in Quarantäne machen. Für unser Video haben wir Clips aus der ganzen Welt bekommen. Aus Indonesien von der Band SATURDAY NIGHT KARAOKE, unsere Freunde JUKEBOX ROMANTICS sind mit dabei, Marien von WINDOWSILL, Stefan von Stardumb Records, viele von unseren deutschen Freunden. Die haben sich echt coole Sachen überlegt. Der Clip wird auch gerade richtig abgefeiert und viel geteilt. Und damit haben wir auch noch eine Charity-Aktion für den Sonic Ballroom verbunden.

Euer Song „I’m quitting my job“ ist keine fiktive Aussage, oder?
Stimmt, tatsächlich gilt hier „based on a true story“. Ich musste meinen Job kündigen, um auf die US-Ostküsten-Tour gehen zu können. Das war auch krass, weil das keiner meiner Kollegen so richtig verstehen konnte. Ich war an einer Schule angestellt und habe dort gekündigt beziehungsweise meinen Vertrag nicht verlängert. Die Kollegen haben sofort gefragt, ob ich denn von der Musik leben könnte. Als ich das verneinte, konnten sie das gar nicht fassen. Sich bei „passion versus money“ für die Leidenschaft und gegen das Geld zu entscheiden, ist doch sehr undeutsch. Aber die Tour war es auf alle Fälle wert, diesen Schritt zu gehen.