SEWER RATS

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Message from the gutter

Aufmerksam geworden bin ich auf die SEWER RATS als Vorband eines sehr miesen KING KURT-Reunion-Konzertes, bei dem sie mir den Abend gerettet haben. Die für mich bis dahin ungewöhnliche Mixtur, als Punkrock-Band mit einem Standbass zu spielen, war nur einer der Punkte, weswegen ich damals sofort ein Interview mit der Band machen wollte (Ox #66). Der andere Grund war, dass mich die ungestüme und vor allem frische Art, mit der sie an dem Abend als junge lokale Band den Laden gerockt haben, die auf sehr angenehme Art an die frühen CLASH erinnert hat – ohne Scham und trotzdem nicht als lächerliche Kopie auftretend. Nunmehr war es wieder an der Zeit, über die letzten Jahre und das neue Album zu sprechen.

Chris, aktuell erscheint jetzt euer zweites Album „Wild At Heart“ und außerdem gab es 2010 noch das Minialbum „Drunken Calling“. Als ich euch vor fünf Jahren das erste Mal interviewt habe, befandet ihr euch damals quasi noch in den Kinderschuhen. Auf meine Frage, wohin es mit der Band gehen soll und was ihr für Ansprüche habt, hast du mir geantwortet: „... damit so weit zu kommen wie möglich“. Wo seht ihr euch selbst heute und wie geht der Weg weiter?

Chris: Meine Mutter erzählte mir, dass ich wohl als Teenager gesagt haben muss, alles, was ich mit Musik erreichen wolle, sei eine CD bei Saturn stehen zu haben. Meine Ziele haben sich seitdem ziemlich verändert. Ich sehe uns als festen Bestandteil der europäischen Rock’n’Roll-Szene und in Deutschland als eine aufstrebende Band. Wir haben wirklich hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo wir heute stehen. Wenn es nach mir geht, kann der Weg gerne so weitergehen. Also sich eine solide internationale Fanbase aufbauen, gute Shows spielen, gute Platten mit guten Songs rausbringen und viele nette Leute in vielen coolen Städten kennen lernen.

Was hat sich für euch als Band mit höherem Bekanntheitsgrad geändert? Stichwort: „Pay-to-play“ – was wohl bei den Unmengen an Konzerten, die ihr bislang gegeben habt, kaum noch der Fall sein dürfte, oder?

Chris: Das hat sich zum Glück geändert und es gibt auch in Köln mittlerweile coole neue Läden, wie den Club Äther, wo wir unsere Release-Party machen werden. Es hat sich auf alle Fälle einiges getan. Es ist cool, wenn du irgendwo in einer fremden Stadt in einem Club spielst und die Kids in der ersten Reihe können deine Texte mitsingen. Das ist für mich wirklich etwas ganz Besonderes und ich sage mir dann immer: „Don’t take it for granted!“

Puck: Trotzdem gibt es dieses Pay-to-play-Prinzip natürlich immer noch. Das scheint so ein Kölner Ding zu sein. Es gibt Ausnahmen, Club Äther, Sonic Ballroom, aber viele der anderen Clubs verlangen immer noch unrealistisch hohe Summen. 300 Euro an einem Mittwoch und um 23 Uhr muss Schluss sein, damit die noch ihre Indie-Party machen können. Das hatte für uns zur Folge, dass wir selten in Köln gespielt haben, und war für mich einer der Gründe, warum ich nach Berlin gezogen bin, dort gibt es eine lebendige Rock’n’Roll-Szene, was unter anderem mit der Clubpolitik zusammen hängt. Support your local scene, anstatt sie im Keim zu ersticken.

Chris: Generell ist live zu spielen wichtiger denn je. Eine Platte rauszubringen ist dabei das Ticket, um wieder auf Tour gehen zu können. Außerdem kann man mit Merch ein paar Euro machen. Generell ist es jedoch sehr schwer, wenn man auf einem professionellen Niveau arbeiten will, von der Band zu leben. Wenn du eine Platte in einem guten Studio mit einem guten Produzenten aufnehmen willst, dann kostet das richtig Asche. Und wenn du den Kids nicht den letzten Ramsch als Merch verkaufen willst, dann haben für dich ordentliche Shirts auch ihren Preis.

Puck: Das ist ein fortlaufender Prozess, du produzierst Platten, um Auftritte zu bekommen, von den Gagen zahlst du den Bus oder den Designer fürs nächste T-Shirt. Aber es wird im Laufe der Zeit besser. Zuerst gab es nicht mal genug, um den Sprit und die Busmiete zu zahlen, und wir haben immer auf dem Boden gepennt. Das war aber okay.

Auf CD beziehungsweise Platte seid ihr bislang immer als klassisches Trio aufgetreten. Live seid ihr nunmehr zu viert.

Chris: Das hat sich immer durch Zufall so ergeben. Vor der „Rat Attack“-CD waren wir zu viert, kurz bevor wir die Platte dann aufgenommen haben, ist unser Rhythmusgitarrist ausgestiegen und wir waren ein Trio. Nach den „Rat Attack“-Aufnahmen haben wir uns für die Release-Tour einen vierten Mann mit ins Boot geholt, der jedoch direkt danach auch wieder ausgestiegen ist. Auf dem Boden zu pennen ist halt nicht jedermanns Ding. Aktuell sind wir wieder zu viert: Puck am Stand-up-Bass, Jetson an den Drums, Schorni, Rhythm Guitar, und ich, Guitar und Vocals. Generell hat ein Trio die Vorteile, dass alles etwas unkomplizierter ist, aber live machen zwei Gitarren eben um einiges mehr Alarm als eine.

Euer erstes Album „Rat Attack“ erschien ja noch bei Bitzcore, jetzt seid ihr bei Rookie. Gibt es da nennenswerte Unterschiede? Als Stichworte nenne ich mal Wohlfühlfaktor, die Labelarbeit für die Band ...

Chris: Das mit Bitzcore was damals schon cool für uns. Auf einmal waren wir Labelmates von TURBONEGRO, PETER PAN SPEEDROCK oder den TURBO AC’s. Als für uns das zweite Album anstand, lag Bitzcore schon auf Eis, und so haben wir uns nach einem neuen Zuhause umgeschaut. Der von dir angesprochene Wohlfühlfaktor ist bei Rookie wirklich kaum zu toppen. Jürgen ist ein Top-Typ, der ganz genau weiß, was er tut, und der die Szene kennt. Er macht für uns wirklich einen sehr guten Job!

Bei „Drunken Calling“, was ja noch nicht so lange her ist, hatte ich das Gefühl, dass dort die Songs etwas stärker von Rockabilly/Country beeinflusst sind als jetzt bei „Wild At Heart“. Hier sehe einen deutlicheren Bezug zu sehr melodischen Punkrock-Sachen und vor allem zu Bands wie SOCIAL DISTORTION.

Chris: Ich stimme dir absolut zu. „Drunken Calling“ war fast so etwas wie ein Konzeptalbum. Textlich handelten vier der sechs Stücke vom Trinken beziehungsweise davon, damit aufzuhören. Optisch ist das Cover natürlich eine CLASH-Hommage und das Wortspiel „Drunken Calling“ schlägt die Brücke von der textlichen zur optischen Ebene. Die Mucke war in der Tat sehr von Rockabilly/Country beeinflusst, das war aber kein Zufall. Die Platte sollte vor allem Spaß machen, nicht nur den Leuten, sondern auch uns im Studio. Wir haben das Ding in 24 Stunden eingespielt, was für unsere Verhältnisse wirklich unfassbar wenig Zeit ist. „Wild At Heart“ hingegen hat Monate in Anspruch genommen und der Sound ist in der Tat ein ganz anderer.

Bei unserem ersten Interview hatte mir besonders gefallen, als ihr gesagt habt, ihr findet es lächerlich, dass die meisten Bands immer auf ein sehr individuelles Image bedacht sind und so tun, als seien sie unabhängig von Einflüssen. Ihr steht dazu, geht auch recht kompromisslos damit um und genau darin habt ihr einen viel individuelleren Stil als andere. Wie ist denn euer Verhältnis zu euren „Idolen“?

Chris: SOCIAL DISTORTION ist eine meiner Lieblingsbands, und dass du sie als Vergleich heranziehst, freut mich natürlich. Ich habe nie einen Hehl aus meinen Idolen und Einflüssen gemacht. Es gibt nichts Schlimmeres, als Bands, die sagen, sie machen etwas komplett Neues, und nachher hörst du es dir an und es ist total gelogen. Ich stehe zu meinen Einflüssen und ich weiß, dass man sie in unseren Songs heraushört. Das ist auch gut so, ich liebe meine Idole! Ohne sie würde ich keine Musik machen. Wenn ich mir alte Fotos von CLASH angucke, kann ich oft kaum fassen, wie viel Style die Jungs damals hatten. Genauso die STRAY CATS in den frühen Achtzigern, die sahen alle cool aus. SOCIAL DISTORTION – schau dir die Fotos auf dem Album „Somewhere Between Heaven And Hell“ an. Die hatten alle Ray Ban Wayfarer auf und trugen weiße T-Shirts. Ich liebe diesen Style optisch wie musikalisch. Ein Mix aus Punkrock und Rockabilly. Ich könnte dir stundenlang erzählen, wie geil ich RANCID oder eben SOCIAL D. finde. Tim Armstrong ist ein unfassbar guter Songwriter und es hat mir echt viel bedeutet, als Mike Ness im Ox erzählt hat, er wäre Vegetarier geworden. Das hat natürlich einige Leute in der Bier-Titten-BBQ-Fraktion angepisst. Das fand ich geil!

Puck: Wenn man seine Idole kopiert, geht das schief, aber ich finde es gut, sich von Leuten inspirieren zu lassen und dazu zu stehen. Als Musiker inspirieren mich andere Musiker, nur darf es halt nicht darauf hinauslaufen, dass man wie eine CLASH-Coverband mit eigenen Stücken rüberkommt.

Angenehm finde ich auch, dass ihr euch bei euren Coversongs dann aber bei Leuten wie Willie Nelson oder Doc Pomus bedient, die innerhalb der „Punk-Szene“ ja nicht die typischen Vorlagen liefern. Kommt hier eventuell Pucks Background etwas stärker zu tragen?

Chris: Du hast Recht, das sind wohl für eine Punkrock-Band recht untypische Cover. Aber gerade das macht für mich ein gutes Cover aus. Den Song „I gotta get drunk“ von Willie Nelson fand ich schon immer geil, sowohl die Musik als auch den Text. Er hat diesen Country-typischen Gegensatz von unbeschwerter fröhlicher Musik und textlicher Tragik, wobei Letztere hier durchaus mit einem Augenzwinkern erleichtert wird. „Magic moment“ habe ich zum ersten Mal nicht in der Original-Fifties-Schnulzenversion gehört, sondern in der Version von Lou Reed, auf dem Soundtrack von „Lost Highway“. Die Szene, in der er vorkommt, ist meine Lieblingsszene und Definition von Liebe auf den ersten Blick.

Chris, du pendelst wohl auch zwischen Köln und Berlin hin und her, bezeichnest das Wild at Heart in Berlin als ein zweites Zuhause. Somit darf man den aktuellen Albumtitel wohl auch als Hommage verstehen?

Chris: Das Wild at Heart in Berlin ist wirklich meine zweites Zuhause, weil ich direkt dahinter ein Zimmer bewohne! Der Titel für das Album entstand auf Tour, und es gibt außerdem noch den David-Lynch-Film, unzählige coole Songs und eben den Laden, der so heißt und von uns immer liebevoll „das Zentrum des Rock’n’Roll“ genannt wird. Aber vor allen Dingen fanden wir, dass die Bedeutung des Titels perfekt zu den Songs und Lyrics vom Album passt. „Wild At Heart“, das klingt nach Rock’n’Roll und coolen „juvenile delinquents“ mit Springmessern und Lederjacken.