RED CITY RADIO

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Die THIN LIZZY des Punkrock

Wer sich das Cover von „Paradise“, dem neuen Album der Band aus Oklahoma anschaut, muss sich eigentlich die Frage stellen, auf welchem Trip die Band wohl war. Es ist auf jeden Fall etwas Fantastisches dabei entstanden. Vielleicht sogar das beste Album einer Band, die seit ihrer Debüt-EP „To The Sons & Daughters Of Woody Guthrie“ den hymnischen Punkrock einmal durchgespielt hat. Nun sind sie mit den zwölf neuen Songs endlich im Rock’n’Roll angekommen. Wenn diese im Jahr 2020 auch noch Titel tragen wie „Why is the world on fire?“, „Apocalypse, please!“ oder „Where does the time go?“, besteht Gesprächsbedarf. Gitarrist Ryan bringt ein bisschen Licht ins Dunkel.

Ryan, euer neues Album „Paradise“ ist auf mehreren Ebenen interessant. Was sollte man deiner Meinung nach auf jeden Fall mit der Platte in Verbindung bringen?

Spaß! Ganz spontan würde ich sagen, dass es ein spaßiges Album geworden ist, das sehr viele schöne und positive Momente hat. Natürlich gibt es auch emotionale Höhen und Tiefen, aber wenn wir uns allein die Energie anschauen, die in den Melodien und Rhythmen der Songs steckt, kann einen „Paradise“ eigentlich nur pushen. Was die Texte angeht, hat Garrett zum Teil aber sehr dunkle Gedanken ans Tageslicht geholt, wie zum Beispiel bei „A thousand candles“. „Why is the world on fire?“ handelt von seinen Angstzuständen. Dazu kommt aber auch noch, dass wir mit Derek einen neuen Bassisten dabei haben. Er ist ein phänomenaler Typ. Zusammen mit ihm sind wir unterm Strich aber einfach Punks, die immer älter werden und trotzdem noch Spaß daran haben, Rockmusik zu machen. Und das zeigt das Album auch. Es war für RED CITY RADIO eine lange Reise von „We Are The Sons Of Woody Guthrie“ bis hierher. Ich würde mir wünschen, dass die Leute diese Entwicklung genauso feiern wie wir. Schließlich gibt es genug andere Bands, die sich menschlich bestimmt entwickelt haben, aber nicht mehr authentisch klingen. Und das hört sich dann meistens nicht so gut an.

Dann lass uns doch direkt mal über „Where does the time go?“ sprechen, den ersten Song der Platte. Wenn einem etwas Spaß macht, vergeht die Zeit doch gefühlt viel schneller, oder nicht?
Vor allem in diesem Jahr mussten wir ja auf sehr viele Dinge verzichten. Wie die Energie, die einem ein Festivalbesuch mit Freunden gibt. Oder wie es ist, in einem kleinen Club eine Show zu sehen. Für mich als Booker, der den Bereich Vereinigte Staaten und Nordamerika abdeckt, waren und sind das im Moment sehr unbequeme Zeiten. Wir mussten so viele Termine verschieben. Erst ans Ende des Jahres, dann in die Mitte des kommenden Jahres und mittlerweile schon nach 2022. Ich möchte niemandem die Laune verderben, aber wir werden noch sehr lange mit den Auswirkungen dieser Pandemie zu kämpfen haben. Das Ganze kann auf der anderen Seite aber auch dazu führen, dass wir enger zusammenrücken. Vielleicht nehmen wir uns ja die Zeit, um Freundschaften zu vertiefen und holen uns so die Emotionen und die Energie, die wir sonst nicht bekommen würden. Es werden vielleicht ein paar Jahre vergehen, aber sobald die Clubs wieder aufmachen, werden wir da sein und uns fragen, wo die ganze Zeit dazwischen nur hin ist. Wir haben uns andere Dinge gesucht, um uns zu unterhalten. Wenn wir hoffentlich bald wieder zum Rock’n’Roll zurückkehren, was wird sich bis dahin verändert haben? Ich kann nur hoffen, dass wir die Zeit nur so gut es eben geht, nutzen, um uns zu entwickeln. Probiert ein Hobby aus, für das ihr vorher keine Zeit hattet! Und wenn es nicht im Moment so unverantwortbar wäre, macht einen Roadtrip!

Und flüchtet euch ins „Paradise“?
Für mich persönlich funktioniert es im Moment sehr gut, einen großen Bogen um Social-Media und alles, was darin passiert, zu machen. Natürlich ist das auch immer ein zweischneidiges Schwert. Aber was da auf vielen Plattformen derzeit abgeht, kann einen echt krank machen. Und obwohl Social Media uns gerade jetzt ja eigentlich super miteinander verbinden könnte, scheint es so, als würde da eher ein Keil zwischen uns getrieben. Social Media ist wie eine Droge und jeder, der RED CITY RADIO irgendwie kennt, weiß, dass wir mit Drogen sicherlich keine Probleme haben. Wenn man weiß, wie man sie nutzen kann, ist es was anderes. Aber wenn du es nicht schaffst, dein Smartphone den ganzen Tag auch nur eine Sekunde aus der Hand zu legen, dann bist du abhängig. Und Social Media zieht dich da immer tiefer rein. Es kommt auf die eigene Balance an. Es kommt darauf an, dass du dein Leben auch ab und zu mal reflektierst und feststellst, was da gerade so abgeht. Ich meine, wir spielen die ganze Zeit irgendwelche Rollen. Wir sind Töchter, Söhne, Eltern, Onkel, Tanten, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Musiker oder auch einfach Fans von etwas. Ich würde alles in so ein Kreisdiagramm packen und zusehen, dass die Teile, die mir am meisten Spaß machen, auch den größten Anteil an meinem Leben haben.

Wie kam die Idee zustande, „Love a liar“ mit einer Rede des spirituellen Gurus Ram Dass zu beginnen?
Wir haben Ram Dass und Alan Watts immer beim Autofahren gehört. Sie kommen beide aus der Zen-, Hinduismus- sowie Buddhismus-Ecke und haben uns sehr inspiriert. Bei ihnen geht es viel darum, wie wir unser eigenes Handeln und Leben zu verstehen haben. Es geht darum zu realisieren, dass wir immer etwas fühlen und dass jedes Gefühl seine Berechtigung hat. Ich kann dir eine Situation beschreiben, in der wir gerade ein paar psychedelische Drogen genommen haben und ich mir meine Hand mal genauer angesehen habe. Während dieses Trips passierten so abgefahrene Dinge. Ich habe meine Hand in den schönsten Farben leuchten sehen. Gleichzeitig hatte ich aber auch riesige Angst vor ihr. Ram Dass geht es um das Bewusstsein, dass wir uns alle wohl am meisten davor fürchten zu sterben und es viele gibt, die es bedauern, älter zu werden. Dabei lernen wir in der Zwischenzeit so viel über uns selbst, entwickeln Empathie oder bestimmte Leidenschaften. Wenn wir uns aber immer von der Angst vorschreiben lassen, was wir besser nicht tun sollten, verpassen wir etwas im Leben.

Mit diesem spirituellen Ansatz verstärkt sich der ganze Siebziger-Jahre-Vibe, den „Paradise“ sowieso schon versprüht. Sind RED CITY RADIO überhaupt noch eine Punkrock-Band?
Die Entwicklung geht auf jeden Fall mehr in die Rock’n’Roll-Richtung. Dallas, unser Drummer, hat vor kurzem bei der Vorstellung unseres neuen Biers in Denver erzählt, dass er uns für die Punkrock-Version von THIN LIZZY hält. In „Apocalypse, please“ werfen wir zwischendurch auch ein paar „Doo-doo-doos“ ein. Mit vier Sängern sind wir in unserem Bereich auch eher eine Ausnahme. Aber gerade so was hat die Band immer ausgemacht. Wir wollten das auf „Paradise“ noch mehr in den Vordergrund stellen. Also haben wir viel ausprobiert, aber immer das gemacht, was uns am meisten Spaß bringt. So ist auch eine Hommage an ein Riff aus Ozzy Osbournes „Crazy train“ in „Young, beautiful and broke“ versteckt.

In eurem Video zu „Baby of the year“ ist der Protagonist auf einem Drogentrip. Welche Rolle spielen Drogen in der heutigen Zeit, etwa bei der Bewältigung der momentanen Situation?
Ich denke, dass die richtigen Drogen den Leuten auf jeden Fall dabei helfen könnten, zu entspannen und sich und ihre Mitmenschen ganz anders wahrzunehmen. Musik und Drogen können Mitgefühl erzeugen. Die richtige Mischung macht es. Für mich sind auch Festivals ganz entscheidend. Dabei fällt mir gerade eine Geschichte vom Southside Festival ein: Garrett und ich haben uns ein paar Trüffel gesnackt und uns dann unter die Bühne geschlichen, auf der gerade CHVRCHES spielten. Dort lagen wir also und spürten die Vibration des Basses. Ich muss auch eine Sonnenbrille mit roten Gläsern aufgehabt haben. Irgendwie ist meine Erinnerung daran rot eingefärbt. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Sex, Drugs und Rock’n’Roll sind ja irgendwie schon immer Hand in Hand gegangen und haben für Ablenkung gesorgt, oder?

Lass uns über deine Entwicklung bei RED CITY RADIO und deine Zeit davor bei NOTHINGTON sprechen, wo du Bass gespielt hast. Hättest du mal gedacht, sagen zu können, dass du eine Rock’n’Roll-Platte geschrieben hast?
Bei RED CITY RADIO bin ich dafür auf jeden Fall nicht allein verantwortlich. Garrett und ich stehen unter anderem total auf THIN LIZZY und Dallas ist mit KISS sowie MÖTLEY CRÜE aufgewachsen. Da kam diese Entwicklung also nicht wirklich überraschend. Ich finde, dass wir durch die Melodien, den Groove, die Riffs, Gitarrensoli und die Back-up-Harmonien aber noch eine weitere Ebene eingezogen haben. Aber ja, alles in allem haben wir alle große Fortschritte gemacht und sind die beste RED CITY RADIO-Variante, die es bis jetzt gab.

Kannst du den Aufnahmeprozess bei RED CITY RADIO und NOTHINGTON miteinander vergleichen?
Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Als ich bei RED CITY RADIO den Platz von Paul, dem ehemaligen Gitarristen und Hauptsänger, übernommen habe, musste ich den Jungs klipp und klar sagen, dass ich ihn nicht einfach so ersetzten kann. Ich fühle mich selber auch nicht als Sänger. Das war für die Jungs aber damals kein Problem. Auch nicht, dass ich ja eigentlich Bassist war, der noch nie vorher in einer Band Gitarre gespielt hat. Bei NOTHINGTON war ich in den vier Jahren nie so integriert, wie ich es jetzt hier bin. Die Jungs haben mich aufgenommen wie eine Familie.

Inwieweit haben die Konzerte mit HOT WATER MUSIC im letzten Jahr, als ihr auch in Deutschland unterwegs wart, einen Einfluss auf euch gehabt?
Es hatte definitiv einen Effekt auf uns. Vor der Jubiläumstour mit HOT WATER MUSIC waren wir schon zwei Monate ununterbrochen mit TAKING BACK SUNDAY unterwegs gewesen. Am Abend vor unserem Abflug nach Europa haben wir noch ein Konzert in Philadelphia gespielt. Morgens ging es ins Flugzeug nach London, direkt zum Venue und auf die Bühne, um zu spielen. Danach waren wir wirklich kaputt. Und das war erst der erste Abend. Das Konzert im Palladium in Köln war das größte, dass RED CITY RADIO je außerhalb der USA gespielt haben, vor allem in Deutschland. Und das wischt die ganzen Zweifel wieder weg, ob es wirklich sinnvoll ist, vierzig Shows am Stück zu spielen. Das Ding wird mir immer in Erinnerung bleiben. Dass der „WDR-Rockpalast“ dabei auch noch mitgefilmt hat, war die absolute Krönung. Wir sind HOT WATER MUSIC wirklich dankbar. Ebenso MUFF POTTER und SPANISH LOVE SONGS. Das war eine gute Reise. Das hat Spaß gemacht.

Ihr seid in den letzten Jahren auf jeden Fall nicht untätig gewesen. Was hat es mit dem bandeigenen Bier auf sich, das man auch im Video von „Baby of the year“ sehen kann?
Haha, mittlerweile haben wir ja zwei unterschiedliche Biere entwickelt. Zum einen ist da das „If you want blood orange“-IPA, das wir mit einer Brauerei in Denver herausgebracht haben. Es schmeckt, wie der Name schon sagt, nach Blutorange. Im letzten Jahr haben wir dann zusammen mit Leuten aus San Diego ein „Sky Tiger“-Cerveza entwickelt. Es trinkt sich wie ein Armadillo Negro, wie ein Bohemian Style Lager und passt fantastisch zu Tacos oder mexikanischer Küche. Und wir wollen noch mehr davon machen.

Habt ihr zwischendurch überlegt, die Veröffentlichung von „Paradise“ zu verschieben?
Ja, darüber haben wir nachgedacht. Aber vielleicht würde die Platte dann niemals erscheinen. Wir werden schon die Shows nachholen müssen, die dieses Jahr ausgefallen sind und verschoben werden mussten. Wir mussten das Album einfach veröffentlichen. Schließlich waren die Aufnahmen ebenso fertig wie das Artwork. Warum sollten wir darauf noch länger sitzenbleiben? Mir ist klar, dass in der Musikwelt ein paar ungeschriebene Gesetze gelten, die vorgeben, was du tun sollst, wenn du etwas veröffentlichst. Aber die ganze Welt steht in Flammen. Wir müssen mit dieser Situation neu umgehen und dürfen uns nicht fertigmachen lassen. Nach der Veröffentlichung können wir uns auch wieder auf neue Sachen einlassen und die dann auf der nächsten Platte unterbringen.

Sind RED CITY RADIO eine politische Band geworden?
Ich halte eher Bands wie ANTI-FLAG für politisch. Wir haben aber alle die Möglichkeit, etwas zu verändern. Jeder, der dagegen ist, dass diese Welt offener wird, dass wir uns gegenseitig mehr unterstützen oder andere bei uns aufnehmen, ist ein Stück Scheiße. Wir müssen alle für Gerechtigkeit einstehen und uns gegen jede Ungerechtigkeit zur Wehr setzen. Wer damit ein Problem hat, kann sich auf jeden Fall verpissen.