RED CITY RADIO

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Punkrock von Herzen

Dass die Objektivität beim Hören einer Band wie RED CITY RADIO als Erstes über Bord geht, steht für mich außer Frage. Dass ich jede Zeile der EP und des Vorgängeralbums „The Dangers Of Standing Still“ mitsingen kann, ist selbstverständlich. Dass bei ihrem neuen Album „Titles“ wieder die Fäuste in der Luft sind und selbst die trinkfestesten Punkrocker vom Mitgrölen heiser werden, darf mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Dass Paul Pendley, Garrett Dale, Jonathan Knight und Dallas Tidwell nun aber die Zutaten dafür ein wenig variiert haben und auch noch andere Seiten zeigen können, davon erzählt uns Gitarrist und Sänger Paul im folgenden Interview.

Die wichtigste Frage zuerst: Wo sind auf eurem neuen Album „Titles“ die vielen Ohs und Ahs der Background-Chöre geblieben, die man so hervorragend mit erhobener Faust mitsingen konnte?


Wir haben das Glück, dass Dallas und John fantastische Musiker sowie Sänger sind, so dass wir sie beim Verfassen der Texte noch mehr beteiligen wollten. Sie sollten die Background-Vocals selbst schreiben und so kam eins zum anderen. Dabei war es aber nicht so, dass wir unbedingt verhindern wollten, dass sich „Titles“ wie der Vorgänger „The Dangers Of Standing Still“ anhört.

Es ist nicht das einzige Stilmittel, das sich geändert hat. Die ganze Platte klingt verspielter und stellenweise sogar mehr nach Rock als Punkrock.

Ich könnte jetzt darüber philosophieren, dass man ja als Musiker immer reifer klingen möchte. Wir wollen ja alle Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben, auch ausschöpfen. Ein Gitarrensolo zum Beispiel mag im Punkrock vielleicht fehl am Platz sein. Bei der Musik, die wir in uns haben, hat es seinen Sinn und auch seine Berechtigung. Natürlich wollten wir unserem Stil treu bleiben, aber warum sollte man sich nicht mal vornehmen, ein wenig über den Tellerrand hinaus zu schauen? Das Schönste an der Sache ist, das es sich in diesem Moment für Paul und mich ganz natürlich angefühlt hat. Wenn es den Leuten auffällt, dass sich etwas an unserer Musik verändert hat, werte ich es auf jeden Fall als Kompliment.

Ihr seid aber auch eine Band, deren Fans sich sehr über die Texte mit euch verbunden fühlen. Wenn wir schon bei Veränderungen oder Neuerungen sind, was hat sich in dem Bereich getan?

Es mag vielleicht nicht jedem sofort auffallen, aber auf „Titles“ sind die Texte so persönlich wie noch nie. Eigentlich will ich nicht im Einzelnen über ihre Bedeutung sprechen, da sie eine sehr subjektive Sichtweise vermitteln. Wie sollte jemand in einer wie auch immer gearteten Situation das Gleiche empfinden wie ich? Darüber will ich mir keine Gedanken machen müssen. Die besten Texte haben meiner Meinung nach auf jeden Fall eine andere Wirkung. Je weniger der Künstler als Erklärung vorgibt, umso mehr kann man die Musik fühlen. Garrett singt zum Beispiel über einen Traum, den er mal hatte, und durch den er die Welt jetzt wieder etwas romantischer sieht. Ich verarbeite den Tod meines Großvaters, der mich in manchen Dingen sehr geprägt hat. Seit wir Musik machen, nutzen wir die Möglichkeit, damit unsere Gefühle zu verarbeiten. Manchmal sind das positive, manchmal aber auch eher traurige Momente, die wir aber so am besten rauslassen können.

Wie fühlt es sich denn für euch an, wenn hunderte Fäuste in die Luft gereckt und eure Songs mitgeschrien werden?

Es gibt nichts Schöneres für uns. Weniger deswegen, weil ich denke, dass uns die Leute tatsächlich verstanden haben. Es geht eher darum, dass wir sehen können, wie wir die Leute bewegen und dass sie wirklich Spaß mit uns haben. Den Song über meinen Großvater haben wir bis jetzt noch nicht live gespielt, aber und ich denke, es wird eine einmalige Erfahrung sein, wenn die Leute meine Gefühle teilen.

Hast du Unterschiede im Publikum im Umgang mit euren Texten wahrgenommen? Muttersprachler gehen doch sicher anders damit um als die, die vielleicht nicht jede Redewendung verstehen.

Anscheinend hat die ganze Welt gut genug im Englischunterricht aufgepasst, zumindest in den Gegenden, die wir bis jetzt gesehen haben. Wir haben uns wirklich überall gut aufgehoben gefühlt. Egal, ob es bei einem Festival in Amerika, einem Konzert in Belgien oder einer Clubshow in Deutschland gewesen ist.

Zwei Zeilen, die beim Hören von „Titles“ sicher hängenbleiben, findet man im Song „The silence between“: „Hit the road as far as I can / Standing still was never part of the plan.“ Denkt man außerdem an den Titel eures Debütalbums, „The Dangers Of Standing Still“, kann man darin wohl eine Art Leitspruch entdecken, oder?

Wir haben als Band die Möglichkeit, viele Orte zu sehen, die nicht jeder besuchen kann. Dazu kommt, dass wir Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern kennen lernen. Also ist dies schon eines unserer Leitprinzipien. Wir saugen alles auf, was wir zu sehen bekommen. Uns ist natürlich klar, dass wir einmaliges Glück haben, so weit über den amerikanischen Tellerrand schauen zu können. So lange wir die Gelegenheit haben, sollte es keine örtlichen Beschränkungen geben. So wächst unser Horizont. Es steckt aber noch eine andere Bedeutung darin, nämlich dass es immer weiter gehen muss, wenn man mal gerade in einer ungemütlichen Situation steckt. Ich möchte nicht altklug klingen, aber im Grunde haben wir doch fast alle unser Leben selbst in der Hand und können zumindest versuchen, es so zu gestalten, wie wir wollen.

Gab es für dich je eine Alternative zum Musikmachen?

Eigentlich nicht, und glücklicherweise muss ich mir darüber im Moment keine Gedanken machen. Ich kann mich aber noch genau daran erinnern, als wir zusammen angefangen haben, Musik zu machen. Jeder von uns war der Fixpunkt in seiner eigenen Band und wir haben irgendwann gemerkt, dass wir wohl alle auf der gleichen Wellenlänge liegen und es mal zusammen versuchen sollten. Wir hatten nie den Anspruch, die beste Band der Stadt, des Landes oder der Welt zu sein. Wir wollten uns nur musikalisch auf dem für uns interessantesten Niveau bewegen. Dass wir dabei noch über die gleichen Themen sprechen und sie zusammen verarbeiten können, ist mit das Wichtigste bei RED CITY RADIO. Wir haben eine Menge Spaß bei dem, was wir machen und ich denke, dass kommt auch so rüber.

Welche Rolle spielte Stephen Egerton von den DESCENDENTS und ALL als Produzent bei der Entstehung von „Titles“?

Stephen ist eine unheimlich inspirierende Persönlichkeit, die dir aber auch zur rechten Zeit einen Tritt in den Hintern geben kann. Nicht, dass wir das heraufbeschworen hätten – zuzutrauen ist es ihm auf jeden Fall. Dazu kommt, dass er schon mit vielen unserer Helden zusammengearbeitet hat und deren Sound bedeutend beeinflusst hat. Wir haben sehr von ihm und seinen Erfahrungen profitiert.

Seit der Veröffentlichung eurer EP „To The Sons & Daughters Of Woody Guthrie“ und von „The Dangers Of Standing Still“ seid ihr so was wie das Aushängeschild des melodischen Punkrocks geworden. Gibt es Momente, in denen euch diese Ausnahmestellung bewusst wird?

Einer der abgefahrensten Momente in unserer kurzen Karriere war sicherlich unser Auftritt auf dem Groezrock 2012. Wir waren als eine der ersten Bands des Tages angesetzt und sind dazu noch die ganze Nacht durchgefahren. Unsere Erwartungen wurden dann so was von übertroffen: Das ganze Zelt war voll mit Leuten, die uns unsere Texte entgegenschrien. Eine wirklich intensive Erfahrung.

Steckt man nach so einer Erfahrung nicht auch automatisch seine eigenen Ziele höher?

Es geht nichts über eine intensive Clubshow. Wir haben außerdem noch keinen Grund, uns wie Rockstars zu fühlen. Wir machen Punkrock, der aus unseren Herzen kommt und den wir so gut es geht rüberbringen. Solange das jemand gut findet, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Dazu bin ich auch dankbar für die schöne Zeit, die ich hatte, und freue mich über jeden, den ich kennen lernen durfte.