PROTOMARTYR

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Detroit & beyond

Wer wie PROTOMARTYR ein Album „Under The Color Of Official Right“ nennt und damit nach einem Passus des Hobbs Act, dem Gesetz zur Politikerbestechlichkeit, muss mit einer politisch ausgerichteten Interpretation seiner Texte rechnen. Dass PROTOMARTYR aus Detroit stammen, schon seit Jahren eine der US-Städte mit der höchsten Kriminalitätsrate, tut diesbezüglich das Übrige. „Political thought isn’t really our bag and it is extremely rare for a crap musician to speak eloquently about it“, hat PROTOMARTYR-Sänger Joe Casey allerdings erst kürzlich in einem Interview mit dem Online-Magazin Frontier Psychiatrist verlauten lassen. Also doch nicht politisch? Joe sagt uns, worum es eigentlich geht.

Joe, du bist gerade quer durch die Staaten getourt, wie ist es, wieder zurück in Detroit zu sein?


Einfach nur gut. Während der Tour haben wir ja ständig unter Strom gestanden, hier kann ich wieder entspannen.

Bist du in Detroit, also der Rust Belt genannten ältesten und ehemals größten Industrieregion der USA, aufgewachsen?

Ich selbst habe mein ganzes Leben in Detroit verbracht, die anderen Bandmitglieder stammen aus den Vorstädten drum herum. Für mich war das eine ganz gewöhnliche Kindheit. Ich habe erst gemerkt, dass ich in einer für Fremde angsteinflößenden Stadt lebe, als ich älter wurde. Als ich Kinder aus den Vorstädten kennen gelernt habe, die mich nicht in Detroit besuchen durften. Auf der Highschool war ich auf einer reinen Jungenschule und wenn ich ein Mädchen aus der Vorstadt kennen lernte, durfte es nicht für ein Date zu mir nach Detroit kommen. Ich musste deswegen immer in die Vorstädte fahren, das war schon eine harte Erfahrung. Viele Leute wollten einfach nicht in diese Stadt kommen, das ist auch noch immer so.

Gab es da auch spezielle Orte, die dich in irgendeiner Form beeinflusst haben?

In musikalischer Hinsicht nicht. Aber sonst gab es die schon. Ich habe direkt neben einer Fabrik in Detroit gewohnt, aber es gab eine Menge Raum um das Gelände herum. Das war, wie auf dem Land zu sein – ein schöner Ort. Ich habe eigentlich erst in der Highschool angefangen, mich für Musik zu interessieren, und andere Leute hatten da sicherlich einen besseren Musikgeschmack als ich. Durch sie bin ich auch schon mal über Punk gestolpert. Sonst hatte ich echt immer einen beschissenen Geschmack, habe viel Ska gehört. Das finde ich heute ein wenig peinlich. Aber ich hatte damals ja noch kein Internet. Und irgendwie bin ich schon auch immer noch davon beeinflusst.

Du hast dann auch erst relativ spät angefangen, selbst Musik zu machen.

Na ja, ich mache ja gar keine Musik. Ich singe oder versuche besser gesagt zu singen. Erst als es 2006 mit PROTOMARTYR losging, habe ich überhaupt damit angefangen. Greg Ahee habe ich auf der Arbeit getroffen, er hatte davor schon in ein paar Bands gespielt und da auch schon mit Alex Leonard, unserem Drummer, zusammengearbeitet. Ich bin nach der Arbeit was mit ihnen trinken gegangen, es hat sich nach Spaß angehört und wir haben beschlossen, gemeinsam ein paar Shows zu spielen.

Im Moment wird ganz gerne darüber berichtet, dass so viele gute Bands und Künstler in Detroit unterwegs sind.

Wir sind ja gerade erst durch die USA getourt und es gibt wirklich überall gute Bands. Es gibt wohl eine Tendenz, Detroit ein bisschen zu romantisieren. Es gibt hier auch noch immer einen ganzen Haufen Scheißbands – wie überall. Die Leute mögen Bands aus Detroit eben derzeit. Aber ich beschwere mich nicht darüber, es hilft uns ja, da auch mal rauszukommen, haha. Ich selbst spiele aktuell gerne mit den Detroiter Bands TYVEK, TURN TO CRIME, HUMAN EYE oder FRUSTRATIONS. Wir kommen eigentlich mit jedem gut aus, mit dem wir zusammen auftreten.

Einige Leute behaupten, Detroit sei gerade im Begriff gentrifiziert zu werden.

Also sie versuchen gerade, die Downtown-Gegend, die flächenmäßig recht überschaubar ist, ein bisschen aufzuräumen und sicherer für Vorstädter und Touristen zu machen. Allein das ist schon eine große Aufgabe und es wird wohl noch lange dauern, bis es hier auch so weit ist. Detroit ist eine verdammt große Stadt. Jedem Detroiter, den ich kenne, ist das Auto schon mal aufgebrochen oder ganz geklaut worden. Und du musst wirklich vorsichtig sein, wenn du zu Fuß unterwegs bist, das kann manchmal schon ziemlich furchteinflößend sein. Ich habe Englisch und Film an der Universität von Michigan in Ann Arbour studiert, das ist etwa vierzig Minuten von Detroit entfernt. Eigentlich ist das nicht wirklich weit weg, aber doch irgendwie eine ganz andere Welt.

Deinen Fächern nach zu urteilen bist schon ein wenig künstlerisch veranlagt.

Ein bisschen, ich mache auch den ganzen Artwork-Kram für die Band, Coverartwork und die meisten Poster für unsere Detroit-Gigs. Größtenteils arbeite ich mit Collagen, ein bisschen zeichne ich auch. Das habe schon immer gemacht, schon lange bevor ich in einer Band gespielt habe. Damals waren es noch frei erfundene Poster für Fake-Bands. Und das war dann auch eine Sache, die ich sofort an mich gerissen habe, nachdem die Band gegründet worden war, um die Kontrolle darüber zu haben.

Und so vermittelst du dann auch eine eigene Botschaft.

Ja, schon. Wenn du dir die Cover-Innenseite des neuen Albums anschaust, siehst du eine Zeichnung von Detroit als so eine Art Stadt des Todes. Ich mag es, wenn das Artwork die Inhalte nochmals auf andere Art und Weise wiedergibt.

Deinen Texten nach zu urteilen scheinst du ein wenig wütend über ein paar Dinge zu sein.

Ich denke, das kommt daher, dass unterschwellig immer das Gefühl da ist, dein Schicksal nicht mehr selbst kontrollieren zu können. Egal, ob das jetzt persönlicher Art ist oder auf die Stadt bezogen. Jobs, Drogen und Rock, schlechte Väter ...

Wie kommen deine Texte zustande?

Das ist eher so eine Art „stream of consciousness“, ich schreibe das nicht wirklich auf – das heißt in letzter Zeit mache ich das allerdings häufiger doch, weil ich echt vergesslich bin. Ich versuche auch, so viele Ideen von den anderen einzubauen wie möglich. Das ist schon eine große Aufgabe. Die Songtitel jedoch behalte ich grundsätzlich bis zum Schluss bei. „Scum, rise!“ zum Beispiel war von Beginn an als Titel vorhanden, aber ob es eine Ballade oder etwas ganz anderes wird, wusste ich noch gar nicht, als ich ihn mir ausgedacht habe. Auch „Stare at floors“ spukte als Titel schon ganz lange in meinem Kopf herum, jetzt habe ich ihn endlich verwendet. Das verwirrt dann oft, weil die Titel als Schlagworte ganz andere Assoziationen hervorrufen, als die Texte dann wirklich liefern. Man sollte sich ja auch nicht immer 100% ernst nehmen ... Bei den Texten an sich habe ich natürlich schon auch einen bestimmten Hintergedanken im Kopf, aber ich bin immer offen für neue Sichtweisen. Ich mag neue Interpretationen, manchmal sind die viel besser als meine eigenen.

Was war das ursprünglich von dir intendierte Grundthema auf „Under The Color Of Official Right“?

Das eigene Schicksal nicht kontrollieren zu können, das ist die Grundaussage. Ich würde gerne sagen: „Das ist ein Detroit-Album“, aber die Stadt ist nur einer von mehreren Schauplätzen. Dass es ausschließlich von Detroit handelt, ist nur der Eindruck, den es bei den meisten Hörern hinterlässt. Bei dem Song „Violent“ zum Beispiel ist es so einfach zu sagen: „Ja, klar, Gewalt, hier geht es um Detroit.“ Das kann ich nachvollziehen, aber darum ging es mir in dem Zusammenhang eigentlich gar nicht. Gewalt gibt es überall, auch außerhalb von Detroit.