PRESS CLUB

Foto© by Nick Manuell

Rastlos und wütend

Eine dieser Bands, denen Corona einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht hat, sind PRESS CLUB aus Melbourne, Australien. Mit ihren Alben „Late Teens“ und „Wasted Energy“ waren sie gerade auf dem Weg, sich in die Herzen all derer zu spielen, die rohen und frenetischen Punkrock lieben. Dass die Zwangspause am Ende jedoch auch „positive“ Effekte hatte, kann man jetzt auf „Endless Motion“ hören. Die Band hat allen Hindernissen zum Trotz einen riesigen Schritt nach vorne gemacht und hatte Zeit, ein fantastisches Album über Stagnation und das Immer-weiter-Machen zu schreiben. Welchen Einfluss die verheerenden Waldbrände in Australien auf die Platte hatten und wie es war, sich als Band einmal komplett auseinanderzunehmen, erzählt uns Frontfrau Natalie Foster.

Bevor ich dir zu „Endless Motion“ gratulieren möchte, müssen wir unbedingt über eure Show im Rahmen der Booze Cruise in Hamburg sprechen und wie heftig ihr da alles abgerissen habt.

Die Show war so krass. Vielleicht war das sogar eine der besten Shows, die wir je gespielt haben. Nicht nur auf dieser Tour, sondern generell.

Du hast dich ins Publikum begeben, um dort mit den Leuten zu feiern. Nachdem die Booze Cruise mehrfach wegen der Pandemie abgesagt werden musste, konnte man merken, wie viel Energie sich da angestaut hatte und wie sich der ganze Druck entladen hat.
Dieser spezielle Moment, von dem du sprichst, war wirklich unglaublich. Ich weiß noch, dass ich meine Earplugs herausgenommen habe, weil ich die Band nicht mehr hören konnte. Die Leute waren so unfassbar laut und es war einfach ein total intensiver Moment nach der ganzen Zeit, in der nichts normal war.

War das eine spontane Aktion oder machst du das bei jeder Show?
Ich mache das eigentlich schon regelmäßig. Bei welchem Song ich ins Publikum gehe, hängt vom Set ab, und ob ich etwas finde, auf das ich raufklettern kann.

Kommen wir zu eurer neuen Platte, die passenderweise „Endless Motion“ heißt. Darauf geht es darum, dass man Dinge hinter sich lassen musst, aber auch dass wir alle scheinbar ständig unterwegs sind. Warum ist es für dich wichtig, dass wir nicht stehen bleiben und uns immer weiterentwickeln?
Als vor zwei Jahren auf einmal alles zum Stillstand kam, haben sich die Dinge gleichzeitig dennoch weiterbewegt. Wir wollten die Zeit nutzen, um uns selbst auf ein anderes Level zu bringen. Da war dieser Drang, als Band den nächsten Schritt zu gehen, doch unter normalen Umständen hätten wir das sicher viel früher geschafft. Tatsächlich war es für uns natürlich ein heftiger Einschnitt, als wir alles, was wir vorhatten, erst mal über den Haufen werfen mussten. Kaum einer der Songs, die wir aufnehmen wollten, hat es jetzt auf „Endless Motion“ geschafft. Das ist im Nachhinein echt irre. Ich finde es sowieso total wichtig, Stagnation zu vermeiden. So bleibt auch mein Interesse an Musik und Kunst erhalten.

Nicht nur persönliche Veränderungen spielen eine Rolle in den Texten. Du greifst auch die verheerenden Brände in Australien auf und sprichst über unsere Verantwortung im Zuge des Klimawandels.
Ja, das stimmt. Eigentlich waren wir keine besonders politische Band und sprechen solche Themen normalerweise nicht in unseren Songs an. Als wegen Corona auf einmal alles zum Stehen kam, ist mir klargeworden, dass wir diese Lasten, die wir uns durch den Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Homophobie aufbürden, irgendwie schultern müssen. Zu Beginn des Jahres 2020 gab es in Australien die schlimmsten Waldbrände ever, so dass du auch in allen größeren Städten die Auswirkungen zu spüren bekamst. Es gab eigentlich keine Stadt, in der du wegen des Qualms, der in der Luft lag, noch etwas sehen konntest. Und das, obwohl die Feuer nicht mal annähernd in der Nähe wüteten. Was man vorher noch halbwegs ignorieren konnte, weil es einen vielleicht nicht direkt betroffen hat, war auf einmal sehr präsent. So als hätte dir jemand eine geknallt, damit du endlich wach wirst.

Hat „Endless Motion“ trotz der ernsten Themen eine positive Grundhaltung oder ist das Album durch und durch verzweifelt und wütend?
Das hält sich tatsächlich irgendwie die Waage. Aus einem Teil der Platte spricht die reine Wut. Andererseits gibt es auch Songs, die weitaus positiver sind als vieles, das wir in der Vergangenheit geschrieben haben. „I can change“ ist zum Beispiel ein Stück, das sich damit beschäftigt, dass ich eine Zeit lang große Probleme hatte, wirklich zur Ruhe zu kommen. Wir waren ständig auf Tour und ich war nie richtig zu Hause. Als dann auf einmal alles gestoppt wurde, ist mir klargeworden, dass ich diese Rastlosigkeit enorm wichtig finde. Mir wurde klar, wie viel mir das Musikmachen bedeutet und wie positiv es mein Leben beeinflusst. Oh, das klingt doch irgendwie negativ gerade, wenn ich mir so zuhöre.

Ich wollte es eigentlich vermeiden, schon wieder über das Corona-Virus zu sprechen. Aber es scheint, als hätte die Pandemie doch große Auswirkungen auf euch und die Produktion von „Endless Motion“ gehabt.
Wir wollten definitiv kein Corona-Album schreiben. Und eigentlich wollten wir auch nicht so viel darüber sprechen. Es geht nicht um das Virus. Aber die Emotionen und Entwicklungen, über die ich singe, korrelieren nun mal sehr stark mit der ganzen Sache.

Eigentlich hattet ihr geplant, das Album 2020 in Berlin aufzunehmen. Kannst du mir erzählen, was euch ausgerechnet nach Deutschland verschlagen hätte?
Wir hatten schon alles vorbereitet, die Studiozeit gebucht und waren total aufgeregt, unsere Platte in Europa aufzunehmen. Dann konnten wir aber auf einmal nicht mal mehr in Australien zusammen proben, geschweige denn, neue Songs schreiben. Wir mussten improvisieren und einen komplett neuen Ansatz finden, wie wir neues Material entwickeln konnten. Dazu kam auch noch, dass ich zu der Zeit auf einmal keine Inspiration mehr hatte. Ich wusste nicht, worüber ich zur Hölle schreiben sollte. Außer diesem dummen Virus gab es nichts mehr, was mein Leben bestimmt hat. Das führte dazu, dass ich mich hartnäckig mit Themen auseinandergesetzt habe, die nichts mit der Pandemie zu tun hatten. Erstaunlicherweise folgte eine sehr positive Zeit für mich. Ich habe um sechs Uhr morgens, direkt nach dem Aufstehen, einfach alles wahllos aufgeschrieben, was mir durch den Kopf ging. Einhundert oder zweihundert Wörter, über die ich zunächst nicht nachdenken wollte. Mein Gehirn sollte erst mal nicht die Chance haben, dazwischen zu schießen und die Dinge zu zerdenken. Daraus sind wirklich viele Ideen entstanden, die in komplett andere Richtungen gingen. Ich habe mich mit Momenten in meiner Vergangenheit beschäftigt, obwohl ich mich gar nicht bewusst auf diese Reise gemacht habe. Auf das Ergebnis bin ich schon recht stolz.

Ist der Autounfall, über den du in „Cancelled“ singst, wirklich passiert?
Der ist gegen Ende 2019 tatsächlich passiert. Die Lyrics in dem Song sind echt ziemlich authentisch. Zwar ist das mit dem Unfall, und dass ich mir einen Zahn abbreche und mich mit einem Buttermesser geschnitten habe, nicht alles an einem Tag passiert. Aber ich mochte die Idee, darüber nachzudenken, wie unterschiedlich wir im Laufe unseres Lebens mit solchen Ereignisse umgehen. Als ich als Teenagerin mal einen Unfall mit dem Auto hatte, konnte ich meine Eltern anrufen und die haben mir dann bei dem ganzen Kram geholfen. Ich konnte die Konsequenzen irgendwie abladen. Jetzt ist es nicht mehr so einfach und ich muss das Geschehen und den ganzen Stress, der damit verbunden ist, allein bewältigen. Früher habe ich noch mit der Narbe geprahlt, wenn ich mich mal in den Finger geschnitten hatte. Mit dreißig Jahren ärgere ich mich einfach nur noch über mich selbst und denke, dass es verdammt teuer ist, sein Auto zu schrotten oder ins Krankenhaus zu müssen, weil irgendwas Blödes passiert ist.

Ihr habt das Album schlussendlich im Alleingang in eurem eigenen Studio in Australien aufgenommen. Wieso sollte es zunächst ausgerechnet Berlin sein?
Wir haben Freunde in Berlin und waren gerade dabei, eine Tour abzuschließen. Es passte einfach gut in unseren Terminplan und klang wie eine aufregende Sache. Wir wollten so viel Neues ausprobieren, wozu ich heute aber sage, dass ich froh bin, dass wir es nicht durchziehen konnten. Die Platte hätte sich wahrscheinlich sehr gehetzt angehört und wäre nicht halb so ausgereift, wie sie es jetzt erfreulicherweise ist. Wir wären einfach noch nicht bereit gewesen, das Ding vernünftig anzugehen. Eigentlich war es auch angedacht, mit einem Produzenten zu arbeiten. Am Ende hatten wir dann deutlich mehr Zeit, uns mit unseren Songs intensiv auseinanderzusetzen und das, was wir vorhaben, zu analysieren. So kritisch, wie wir auf „Endless Motion“ an unsere Musik herangegangen sind, waren wir bisher nie. Und ich bin wirklich stolz auf uns und das Ergebnis. Ich würde sogar sagen, dass wir alles in die Waagschale gelegt haben und vielleicht sogar an diesem Album und den Umständen, unter denen es entstehen sollte, zerbrochen wären. Es war nicht so einfach, manche der sehr persönlichen Texte, an denen ich hing, zu verwerfen, weil wir als Band festgestellt haben, dass sie nicht mehr zu dem passen, was wir uns vorstellen. Die Tatsache, dass wir uns aber so intensiv mit unserer Musik auseinandergesetzt haben, und dass es am Ende doch sehr harte Arbeit für uns war, macht das Ergebnis noch schöner.

Bedeutet das, dass ihr beim nächsten Mal genauso vorgehen werdet?
Das weiß ich nicht. Wir schauen einfach, wie wir uns fühlen, und entscheiden dann situationsabhängig. Der Aufnahmeprozess zu „Endless Motion“ ist jetzt übrigens wortwörtlich abgeschlossen. Wenige Tage nachdem wir das Album dort aufgenommen hatten, ist der Studiokomplex abgerissen worden. Wir werden es beim nächsten Mal also definitiv nicht wieder exakt genauso machen können.

Ist es bei einer vierköpfigen Band nicht schwierig, Entscheidungen zu treffen? Schließlich gibt es keine absolute Mehrheit, wenn es darum geht, in welche Richtung sich der Sound entwickeln soll oder ob ihr sonst etwas verändern wollt.
Manchmal kann das tatsächlich schwierig sein. Andererseits haben wir uns vorgenommen, alle Ideen zu akzeptieren und zu verwerten. Richtige Pattsituationen gab es nur ganz selten. Dennoch kam es vor, dass einer meinte, dass gewisse Songs nicht auf das Album gehören. Wir haben dann versucht herauszufinden, warum die jeweilige Person so denkt, und konnten meist einen Kompromiss finden. Dazu mussten wir aber vieles aufschlüsseln, umbauen und verwerfen. So ging es mir bei sehr vielen Lyrics, von denen die anderen fanden, dass sie nicht das aussagen, was eigentlich beabsichtigt war. Das war so, als würde jemand auf etwas, in das ich meine ganze Seele gesteckt habe, herumtrampeln und mir sagen, dass es auch irgendwie besser ginge. Alles in allem war das aber ein unfassbar spannender Prozess, in dem wir als Band enorm viel über uns selbst gelernt haben.

Ist dir bewusst, dass es Leute gibt, die zu dir aufschauen, und beeinflusst das in irgendeiner Weise dein Verhalten auf der Bühne oder im Zusammenhang mit PRESS CLUB?
Mir ist das schon bewusst, aber ich muss sagen, dass das zu 99% nicht mein Verhalten beeinflusst. Ich nehme aber schon wahr, dass manche Menschen anders mit der Tatsache umgehen, dass ich als Frau heftige und laute Musik mache, und das nicht unbedingt das ist, was von mir erwartet wird. Als ich jünger war, kannte ich kaum Bands mit einer Sängerin. Da waren nur Männer. Umso schöner ist es, dass mir ein paar Frauen erzählt haben, dass ich sie dazu inspiriert habe, eine Band zu gründen oder zu singen. Dass ich tatsächlich einen so positiven Einfluss auf andere Menschen habe, ist schon sehr schön und macht PRESS CLUB auch für mich immer wieder zu etwas Besonderem.