PENNYWISE

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Sei zufrieden mit dem, was du hast

Wenn die Rede vom großen Revival des Neunziger-Jahre-Punk ist, dann denken viele vor allem an Bands wie GREEN DAY oder THE OFFSPRING, die seinerzeit urplötzlich vom subkulturellen Club-Act zu Superstars wurden. Vielleicht laufen Namen wie BAD RELIGION oder NOFX noch irgendwie nebenher. Aber das war es dann auch, obwohl das natürlich Blödsinn ist. Denn das war es nicht. Schließlich gab es ja auch noch PENNYWISE. Die Kalifornier prägten durchaus einige Jahre lang das Genre des melodischen Hardcore, hatten mit „About Time“ 1994 ein respektables Erfolgsalbum am Start – und sie hielten bis heute durch, ohne je dem Ruf des großen Major-Geldes zu verfallen. Und ohne ihre Melodien, ihre Härte und ihre Attitüde des „Vieles läuft schief, also lasst uns das auch ansprechen“ zu verlieren. Im Gegenteil, jetzt veröffentlichen sie mit „Yesterdays“ ein richtiges PENNYWISE-Oldschool-Album. Wieder mit dabei: Jim Lindberg, der Frontmann, der zwischendurch mal im Streit ausstieg. Er sprach mit uns kurz vor dem Auftritt der Band beim Ruhrpott Rodeo – und machte dabei den Eindruck, motivierter und glücklicher zu sein als je zuvor.

Jim, wir unterhalten uns hier beim Ruhrpott Rodeo, wo PENNYWISE Headliner sind, und sitzen dabei in eurem komfortablen Nightliner mit Schlafkojen und Ledersofa. Wann hast du das letzte Mal bei einem Festival auf dem Zeltplatz übernachtet?


Oh, das ist lange her. Und ich habe das auch nie als Fan gemacht, sondern nur als Musiker. Außerdem war es in einem Wohnwagen, nicht in einem Zelt. Und es kam nur einmal vor, bei einem Festival vor Jahren in Australien. Ich war zwar schon bei vielen Festivals – habe aber nie dort gezeltet, keine Chance, haha. Schau doch nur mal nach draußen: Es hat heute geregnet. Es ist nass. Es ist kalt. Die Jungs und Mädels werden eine harte Nacht haben. Wenn es so weiter geht, müssen sie Traktoren holen und die Autos aus dem Schlamm ziehen.

Das Ruhrpott Rodeo ist ein klassisches Punk-Festival, das aus der Szene heraus gewachsen ist. Ihr seid in diesem Sommer aber auch Gast bei einem kommerziellen Riesen-Open-Air wie Rock am Ring. Ist das eine, das Rodeo, für euch Spaß und das andere, der Ring, eine gute Gelegenheit, viel Geld zu verdienen?

Nein. Weißt du, jede einzelne Show ist anders und hat ihren eigenen Reiz. Wir waren zuletzt zwei Wochen lang an der Westküste in den USA – zuerst in großen Hallen, danach in kleinen 200er-Clubs. Da war also auch alles dabei. Beim Ruhrpott Rodeo haben wir jetzt ein paar Tausend vor der Bühne. Am Ring werden es vielleicht 80.000 sein, weil wir fast direkt vor IRON MAIDEN auftreten. Aber letztlich spielt das Wo keine Rolle: Wir gehen jedes Mal raus und spielen unsere Songs – egal, ob da einer vor der Bühne steht oder ob das Zehntausende sind.

Es sei denn, ihr spielt nicht vor einer Band wie IRON MAIDEN, sondern zeitgleich mit ihr – dann gibt es ein Problem.

Das ist richtig. Diesbezüglich hatten wir aber über die Jahre sehr viel Glück. Nur einmal lief es nicht so gut. Ich weiß gar nicht mehr, wo und wann genau das war. Aber da spielten bei einem Festival zeitgleich mit uns RAGE AGAINST THE MACHINE. Da waren die Verhältnisse klar aufgeteilt: Wir und eine Handvoll Leute gegen die und den Rest, haha. Das war schlicht und ergreifend beschissen. So was werden wir niemals mehr tun. So etwas ist ein Desaster, haha.

Euer neues Album „Yesterdays“ ist das erste Album nach deiner Rückkehr zu PENNYWISE. War die Arbeit daran für dich direkt wieder so wie früher, vor deiner Auszeit 2009, oder war es jetzt eine gänzlich neue Erfahrung?

Dieses Problem ergab sich für mich glücklicherweise nicht, denn „Yesterdays“ ist tatsächlich ein neues Album, das ausschließlich alte Songs enthält. Die Hälfte davon hatten wir bereits geschrieben, ehe wir bei Epitaph unter Vertrag standen, beziehungsweise bevor wir überhaupt eine Platte veröffentlichten. Die Songs stammen aus unserer Anfangszeit als Band. Einige von ihnen waren meine ersten Erfahrungen als Sänger überhaupt. Diese Stücke sind also sehr authentische Dokumente einer Zeit, in der wir uns als Band selber noch nicht so ernst nahmen und eher in Hinterhöfen agierten als in Studios. Die andere Hälfte der Songs wiederum sind Outtakes aus unseren früheren Studiosessions. Und das ist genau das richtige Konzept für uns als eine Band, die wieder in der alten Besetzung zurückkommt: Wir wollten zurück zu den Ursprüngen gehen. Wir wollten den Original-Sound von PENNYWISE wiederherstellen. Und nicht zuletzt wurden wir von vielen Freunden, die uns immer und immer wieder nach alten, noch unveröffentlichten Songs fragten, dazu ermutigt.

Wäre es denn schwer für dich gewesen, nach vier Jahren Abstinenz sofort wieder neue Songs zu schreiben?

Nein. Ich hatte ebenso wie unser Gitarrist Fletcher sogar schon einige neue Songs fertig. Aber dann haben wir noch mal mit den Leuten von Epitaph geredet und überlegt, was man jetzt am besten tun könnte – und so kamen wir letztlich auf die Idee, eine Art Anthologie von PENNYWISE zu veröffentlichen. Es war einfach Zeit dafür.

Was auffällt: Mit „I can remember“ habt ihr jetzt einen weiteren Song in der Art vom bereits zweimal aufgenommenen „Bro hymn“ auf der Platte – eine lebensbejahende Hommage an Freunde, die zu früh gestorben sind.

Ja, das ist auch in der Tat ein Song, den ich zur Zeit unseres Albums „Circle Time“ und damit unmittelbar nach dem Tod von Jason, unserem Ur-Bassisten, geschrieben habe. Wir spielten das Stück seinerzeit auch mehrfach bei Konzerten und die Leute mochten ihn. Dennoch passte er meiner Meinung nach mit seiner gelösten Stimmung nicht auf „Circle Time“. Er passte nicht zur Intensität dieser Platte, auf der wir uns mit Jasons Tod auseinandersetzten. Außerdem wollten wir damals, nach dem bereits in zwei Versionen aufgenommenen „Bro hymn“ nicht gleich den nächsten Song veröffentlichen, in dem es um den Verlust eines Freundes geht. Das brauchte eine Weile.

„Bro hymn“ wird von Sportvereinen weltweit als Hymne vor und nach Spielen und nach Toren gespielt, obwohl es ja eigentlich ein sehr persönliches Stück von dir und der Band ist. Wie denkst du darüber?

Das ist eine sehr ambivalente Angelegenheit. Auf der einen Seite ist da natürlich dieser Refrain mit „Whoo whoo“, der einen hervorragenden Chant abgibt. Und wenn die Leute ihn auch genauso benutzen, ist das in Ordnung. Ich hoffe immer darauf, dass sich alle, die da mitsingen, irgendwann einmal kundig machen und genau hinhören, und dadurch entdecken, dass „Bro hymn“ eigentlich ein sehr sentimentaler Song ist, in dem es um tote Freunde geht und wie wir sie vermissen. Auf der anderen Seite habe ich schon Angst davor, dass „Bro hymn“ kommerziell ausgeschlachtet wird. Ich hätte zum Beispiel keine Lust, diesen Song in einem Werbeclip zu hören. Aber wie auch immer: Als wir ihn hier in Deutschland zum ersten Mal in einem Fußballstadion hörten – in Stuttgart war das – und die Fans alle mitsangen, war das schon ein tolles Gefühl. Und letztlich können wir ohnehin nicht kontrollieren, was mit „Bro hymn“ passiert.

Im Song „Thanksgiving“ singst du, man solle zufrieden mit dem sein, was man hat, und nicht immer darüber nachdenken, was man alles haben will. An welchem Punkt in deinem Leben hattest du selber diese Art der Erleuchtung und des Zufriedenseins?

Das hat sich einfach irgendwann so ergeben. Ich spiele in einer Band und bin Familienvater. Da gibt es so viele Dinge, über die man sich aufregen könnte. Da kann man manchmal schon den Überblick verlieren und vergessen, dass man einfach auch mal glücklich sein sollte. Es ist eben einfach, sich darüber zu ärgern, wenn deine Kinder mal wieder zu viel Zucker essen oder Blödsinn machen. Da kann man sich ja dranhalten, haha. Und darüber hinaus vergisst man dann eben sehr schnell, was für tolle Kinder das doch eigentlich sind. Wie wundervoll sie geraten sind. Und so ähnlich geht es in der Band: Wir hatten schon sehr schwierige Zeiten. Wir haben uns gestritten– und vergaßen darüber, dass wir doch eigentlich in der glücklichen Lage sind, jeden Abend vor 2.000 Leuten spielen zu können. Insofern war dieser Song „Thanksgiving“ schon immer einer der wichtigsten Songs überhaupt für mich. Auch weil Jason ihn geschrieben hat. Er ist tot. Wir leben noch. Es war also unumgänglich, ihn auf die Platte zu nehmen.

Wie bist du wieder zurückgekommen zu PENNYWISE – ein kurzer Anruf von Fletcher und du warst wieder dabei?

Tatsächlich war es wirklich so simpel. Ich wollte damals, als ich die Band verließ, bereits mit den Jungs über die Gründe sprechen, warum ich aussteige. Aber das hat nicht funktioniert. Da waren zu viele verletzte Gefühle im Spiel. Und einer aus der Band wollte gar nicht mit mir sprechen.

Lass mich raten: Fletcher?

Da könntest du richtig liegen, haha. Wie auch immer, wir haben drei Jahre nicht miteinander geredet – bis er mich anrief und wir ausmachten, uns auszusprechen und uns daran zu erinnern, dass wir mit PENNYWISE etwas Großartiges geschaffen hatten und wie wichtig diese Sache für uns alle ist. Die anderen Jungs empfanden das genauso. Und Hand aufs Herz: Als ich damals raus war und dann sah, wie jemand anderes meinen Part übernahm und Sänger wurde, dachte ich auch sofort: Das ist es nicht! Ich weiß ja auch ganz genau, wie Fletcher das nennen würde, wenn plötzlich eine andere Person an seiner statt Gitarrist würde – möchte das aber hier nicht sagen. Uns allen war klar, dass PENNYWISE nur in dieser Besetzung authentisch sind.

Warum hast du die Band seinerzeit überhaupt verlassen?

Oh, das ist eine sehr lange Geschichte. Um sie kurz zu machen: Für mich hatten wir damals aufgehört, wie eine Band zu funktionieren. Wie hatten die Fähigkeit eingebüßt, miteinander zu kommunizieren. Das passiert ja sehr vielen Bands – erst recht, wenn sie, so wie wir, über zwei Jahrzehnte zusammen sind. Die Demokratie und das Miteinander waren weg. Es war nur noch ein Kampf der persönlichen Interessen, ein Hauen und Stechen mit vielen Eifersüchteleien und Eitelkeiten. Zudem brauchte ich damals einfach eine Auszeit, eine Pause vom Touren. Das war ich auch meiner Familie schuldig.

Und das ist heute alles passé?

Ja. Heute sind wir wieder an dem Punkt, an dem wir wissen: Wir machen all das für Momente wie heute, bei diesem Festival. Für die Momente, in denen wir auf die Bühne gehen und loslegen können.

In einem früheren Ox-Interview sagte dein Kumpel Fletcher kurz nach deinem Ausstieg aus PENNYWISE allerdings, dass die Band gerade dann besonders gut funktioniere, wenn sich die Mitglieder im Studio in die Wolle kriegen.

Das ist wahrscheinlich ein eher persönlicher Standpunkt, mit dem er etwas übertreibt. Aber vielleicht wollte er auch nur sagen: Wenn du viele starke Persönlichkeiten in einer Band hast und jeder etwas zu sagen haben will, dann wird es kompliziert. Besser ist es, wenn man einen hat, der die Marschrichtung anzeigt und an dem sich die anderen reiben können. Da hätte er dann recht. Wenn ich zum Beispiel im Studio stehe und sich einer meiner Songs am Ende, wenn alle daran herumgewurstelt haben, nicht so anhört, wie ich es will, dann kommt der Punkt, an dem der Spaß für mich verloren geht. Daher hoffe ich, dass wir bei der nächsten Platte mit echten neuen Songs ins Studio gehen und etwas Gutes dabei herauskommt.

PENNYWISE gelten als Ikonen der Punk-Szene – auch weil die Band nie mit Majorlabels angebandelt hat. Wie schwierig war es für euch, sich dieser Seite des Geschäfts konsequent zu verweigern?

So schwer war es nicht. Es gibt auf der einen Seite Bands wie GREEN DAY oder THE OFFSPRING, die aus der Szene kommen und unglaublich erfolgreich geworden sind. Und trotzdem sind sie immer noch dieselben Bands. Sie haben eben nur einen Weg gefunden, ein größeres Publikum zu erreichen. Und dann gibt es Bands wie uns, wie BAD RELIGION, wie LAGWAGON, NOFX, die eben auf einem anderen Level populär wurden. Wir erreichen nicht so viele Menschen, haben aber ein weiterhin gutes Standing in der Szene. Da sind wir im Prinzip wieder an dem Punkt, über den wir eben geredet haben: Sei zufrieden damit, was du hast, und denke nicht daran, was andere haben. Neidisch zu sein auf GREEN DAY oder THE OFFSPRING ist Blödsinn. Das war für uns nie ein Thema. Wir haben damals, mit dem Album „About Time“, ja sogar mal versucht, noch mehr Leute anzusprechen und haben das auch geschafft. Aber schon mit den Alben danach ging es für uns eher wieder „back to the roots“. Wir sind glücklich damit, uns in der Gesellschaft von NOFX und Co. zu bewegen. Insofern hat sich die Frage nach einem Majorlabel auch nie gestellt.

Von euch wird es also keine Dreifach-Alben oder Rock-Opern wie im Falle GREEN DAY geben?

Nein, haha. Jeder hat seine eigene Definition von Erfolg. Wir auch. Da müssen wir nicht auf Teufel komm raus mit dem Kopf durch die Wand.

Du hast vor einer Weile das Buch „Punk Rock Dad“ geschrieben und damit den Grundstein zum Film „The Other F Word“ gelegt, in dem bekannte Punks in ihrer Rolle als Familienväter gezeigt werden. Wie denken denn deine Kinder über ihren Punkrock-Daddy Jim Lindberg?

Für sie ist es irgendwie ... seltsam. Als sie klein waren, haben sie dieses ganze Touren mit der Band und das, was ich mache, gar nicht so mitbekommen, geschweige denn verstanden. Als sie dann zu Teenagern wurden, stellten sie fest, dass die Kids aus ihrer Klasse auf Punkrock und auf PENNYWISE stehen, die Band ihres Daddys. Das finden sie cool. Gleichzeitig gab es seitdem immer wieder auch Phasen, in denen sie mich vermisst haben, wenn ich unterwegs war. Trotzdem: Vor einiger Zeit fragte ich meine beiden ältesten Töchter, wie sie mich so erlebt hätten in all den Jahren bisher: als Vater, der nie da war, oder als Vater, der immer bei ihnen, der immer greifbar war? Und sie antworteten: „Du warst eigentlich immer da.“ Und das ist etwas, was andere Väter von sich nicht behaupten können. Die gehen morgens raus zur Arbeit und kommen zum Abendessen zurück. Ich dagegen war natürlich auch mal länger weg, wenn PENNYWISE Konzerte gaben. Aber ansonsten? War ich morgens da, mittags, abends, an den Wochenenden ...

Haben dich deine Kinder je gefragt, was ihr Vater damit meint, wenn er „Fuck authority“ singt?

Haha, nein. Zumindest nicht direkt. Aber seit meine Töchter ins Teenageralter gekommen sind, reden sie eben so, wie Teenager reden, und ich mache ihnen hier und da mal klar: „Passt auf, was ihr da von euch gebt ... So was sagt man nicht.“ Und dann bekomme ich genau dieses „Fuck authority“ um die Ohren gehauen: „Gerade du musst uns da Vorschriften machen!“ Da gab es schon ordentlich Streit. Aber letztlich haben ich und meine Frau das immer gut hinbekommen, diesen Spagat zwischen Punkrock und Familie. Außerdem kann ich jederzeit ihr Smartphone einkassieren, wenn sie nicht hören wollen und die Grenzen überschreiten. Da sitze ich am längeren Hebel. Das ist das Schlimmste, was ihnen passieren kann, haha.

Und welche Musik hören deine Kinder – wandeln sie auf Daddys Spuren?

Nur soviel: Ich weiß heutzutage besser über Katy Perry, ONE DIRECTION oder Celina Gomez Bescheid als über irgendeine neue Punkband ...