Mit dem achten Studioalbum ist plötzlich alles anders bei den Berliner Exil-Italienern THE OFFENDERS. Zum typischen Offbeat-Sound gesellen sich starke Streetpunk- und Folk-Einflüsse. Neben der Gitarre drängt neuerdings eine Mandoline nach vorne. Und auf der Rückseite des neusten Albums „Class Of Nations“ steht nicht mehr wie auf den letzten vier Scheiben Destiny Records, sondern Long Beach Records. Und auch vom heiß geliebten Club Sound-n-Arts in Bamberg mussten sich THE OFFENDERS verabschieden, wie Sänger Valerio im Ox-Interview erklärt.
Irgendwie ist plötzlich alles anders bei den OFFENDERS. Woher kommt diese Lust auf Veränderung?
Wir waren nicht gezwungen, etwas zu ändern. Ich bin einfach offen für neue Dinge. Ich habe schon mit 14 Jahren angefangen, Punkrock-Songs zu schreiben, lange bevor wir mit den OFFENDERS diesen 2Tone-Sound entwickelt haben. Ich will nicht, dass wir auf ewig die „Hooligan Reggae“-Band sind. Unsere Fans stehen immer noch hinter uns und ich hoffe, sie werden uns auch bei diesem neuen Abenteuer begleiten. Ich mache einfach die Musik, auf die ich gerade Lust habe. Natürlich wird sich das immer im Punk- oder Ska-Bereich abspielen – Techno wirst du von OFFENDERS wohl nie hören.
Woher kommen diese Streetpunk- und Folk-Einflüsse?
Ich höre schon eine ganze Weile Musik von Bands wie STREET DOGS oder DROPKICK MURPHYS. Ich liebe aber auch die POGUES. Außerdem gibt es noch meine Freundschaft mit den REAL McKENZIES. Das alles hat mich beim Songwriting beeinflusst. Die Mandoline war zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Thema. Ich habe alle Songs mit der Gitarre geschrieben. Erst dann habe ich erste Versuche mit der Mandoline gemacht und es hat einfach auf Anhieb gepasst. Alle Songs wurden also als Gitarrensongs geboren und sind später mit den Mandolinen-Riffs gereift.
Welche Rolle hat dabei deine Zweitband BREW 36 gespielt, das Streetpunk-Projekt mit OFFENDERS-Drummer Checco und Vlad, dem früheren Bassisten von REAL McKENZIES?
Schwer zu sagen, ich schreibe ja die Songs für beide Bands. Ich kann schlecht Einfluss auf mich selbst ausüben, haha. Ich schreibe einfach Songs, die ich gerade cool finde. Das ist natürlich der Vorteil, wenn man sich im musikalischen Underground bewegt. Wir können machen, was wir wollen, solange die Fans uns noch folgen. Aber viel wichtiger als der Sound der Musik ist mir diesmal eigentlich der Inhalt. „Class Of Nations“ ist das politischste Album, das OFFENDERS je gemacht haben. Wir versuchen, möglichst genau Stellung zu nehmen zu der Welt, in der wir leben, zu der Situation, in der sich Europa gerade befindet. Die erste Single „Rose thorn“ ist zum Beispiel eine Bestandsaufnahme, wie es den Menschen in der Arbeiterschicht heute geht. Damit meinen wir nicht nur Arbeiter in Fabriken, sondern auch ganz normale Leute in Call-Centern, Restaurants oder städtischen Bauhöfen. Alle beklagen sich über schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen. Vor allem in einer Stadt wie Berlin kann man sehen, wie solche Menschen ausgebeutet werden. Wir sind also von unseren sonst eher privaten Texten abgerückt und mehr in die soziale Richtung gegangen.
Warum war euch das gerade jetzt so wichtig?
Europa befindet sich gerade in einer massiven Krise. Nicht nur durch den Brexit, sondern vor allem durch das Erstarken extrem rechter Bewegungen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Das ist nicht mehr das Europa, von dem wir geträumt haben. Es ist längst ein Europa der Banken geworden. Ich kann das als Italiener, der seit elf Jahren in Berlin lebt, ganz gut beurteilen. Es gibt kaum noch Dinge, die uns verbinden, und deshalb wehren sich auch so viele Menschen gegen die EU. Sie projizieren all ihre Probleme auf Europa und die Flüchtlinge. Das hat mich dazu gebracht, Songs darüber zu schreiben. Wir haben schon immer über soziale Ungerechtigkeiten geschrieben und gesungen, aber jetzt erschien mir ein klares Statement noch dringender.
Und wofür steht der Albumtitel „Class Of Nations“?
Mit Klasse meine ich die unterste Bevölkerungsschicht, die den Motor der Gesellschaft am Laufen hält. Die Arbeiter. Es gibt eine Verbindung zwischen diesen Menschen, jenseits aller politischer Ausrichtung, Nationalität, Religion oder Gender-Fragen. Menschen, die alle schlecht behandelt werden und etwas Besseres verdient hätten. Soziale Gerechtigkeit ist eine sehr wichtige Sache und sollte auf der Agenda der Politiker ganz oben stehen. Gerade in der jetzigen Zeit. Denn es gibt eine Handvoll Menschen, die immer reicher werden und der Rest weiß bald nicht mehr, wie er seine Miete bezahlen soll. Das ist einfach nicht fair. Die frühere Mittelschicht ist längst zur Unterschicht geworden. Und alle betrachten sich gegenseitig mit Wut und Frustration. Dieses Phänomen kann man in vielen Ländern beobachten. Wie wir aus der Vergangenheit gelernt haben, können solche Entwicklungen schlimme Folgen haben.
Wolltet ihr mit eurem neuen Album also Working-Class-Hymnen wie „Bella ciao“ schreiben?
„Bella ciao“ ist ja eine Hymne der Partisanen aus dem Italien des Zweiten Weltkriegs. Wir haben einen Song namens „Marché“ geschrieben, der sich mit den Vorfällen im spanischen Bürgerkrieg beschäftigt. Ein Krieg, in dem antifaschistische Gruppen aus ganz Europa versucht haben, den Kampf gegen den rechtsgerichteten General Francisco Franco zu unterstützen. Leider haben sie verloren, aber damals ist viel Hoffnung gewachsen. Das war ein starkes Zeichen des Widerstands, während zeitgleich in Italien und Deutschlands die Nazis ihre Macht zementierten. Und diese Hoffnung auf Widerstand kann man auf unsere heutige Zeit übertragen. Das heißt für mich nicht automatisch Gewalt oder Waffen, sondern vor allem, sich der Macht entgegenzustellen. Wir müssen einfach etwas tun, aber wir sind natürlich keine Partisanen. Und ich werde es hoffentlich auch nie werden.
Es geht aber nicht nur um Politik. Es geht auch um private Dinge, zum Beispiel in den Songs „Evils cry sometimes“ oder „Chaos FM“. Worum geht es in diesen Songs?
Im Song „Evils cry sometimes“ beschreibe ich einen Typen, den ich kenne, der äußerlich sehr hart und unerbittlich ist, aber im Inneren sehr weich und verletzlich. Nach außen ist immer alles in Ordnung, aber zu Hause zerfällt er regelmäßig in Stücke. Selbst wenn jemand also in der Öffentlichkeit den Harten markiert, kann es in seinem Inneren ganz anders aussehen. Ein Hund, der laut bellt, ist niemals derjenige, der als Erster zubeißt. Ich habe immer mehr Angst vor den leisen Leuten. Das habe ich aus meinem Leben gelernt. Im Song „Chaos FM“ erzähle ich von meinen ersten Erfahrungen mit Punkrock. Als ich das Album „¡Adios Amigos!“ zum ersten Mal gehört habe, hatte ich keine Ahnung, wer die RAMONES sind. Ich war elf oder zwölf Jahre alt und habe sie im italienischen Fernsehen gesehen. Damals haben sie ihr Tom Waits Cover „I don’t want to grow up“ präsentiert. Natürlich wusste ich damals auch nicht, wer Tom Waits war.
Ich vermisse einen deutschsprachigen Song auf dem Album wie „Kotti is not L.A.“, „Alles muss raus“ oder „Wie geht’s?“. Was war los?
Immerhin haben wir mit „Marché“ einen Song mit französischem Titel auf dem Album und es könnte sein, dass wir nach dem Album eine Single mit spanischem Titel veröffentlichen. Das steht noch nicht fest, aber ich arbeite daran. Und natürlich spielen wir live immer noch Songs wie „Alles muss raus“ oder „Wie geht’s“.
Wie bist du auf die Mandoline als Lead-Instrument für OFFENDERS gekommen?
Vor sieben Jahren habe ich mal das Konzert einer Band namens FLATFOOT 56 aus Chicago gesehen. Die haben damals im Clash gespielt, wo wir auch oft aufgetreten sind. Ich habe erst später erfahren, dass diese Jungs sehr katholisch und ein bisschen komisch sind. Auf jeden Fall hat da ein riesengroßer Typ diese winzige Mandoline gespielt und jede Menge Klänge aus dem Instrument herausgeholt. Das war faszinierend. Es gibt nicht viele Bands, die als Quartett auf der Bühne stehen und die Mandoline als Lead-Instrument haben. Viele Bands wie die DROPKICK MURPHYS verwenden auch Mandolinen, aber sie stehen zu acht auf der Bühne, wir sind nur zu viert. Außerdem sind wir Italiener, das passt einfach. Für manche Songs wäre es sogar noch besser, eine irische Bouzouki zu verwenden. Das ist die größere Variante der Mandoline. Vielleicht auf dem nächsten Album.
Musstest du das Mandoline spielen erst lernen oder ist das wie Gitarre spielen?
Das ist schon ein Unterschied. Ich habe eine ganze Weile alleine zu Hause gejammt. Das einzige Instrument, das ich in einer Musikschule gelernt habe, war Schlagzeug. Ich war 13 Jahre lang Drummer. Gitarrespielen habe ich mir selbst beigebracht, genauso war es bei der Mandoline. Die RUMJACKS haben mir schon Komplimente gemacht, dass ich nicht spiele wie ein Anfänger. Der erste Song übrigens, den ich auf der Mandoline spielen konnte, war „Losing my religion“ von R.E.M. – der erste wirklich erfolgreiche Popsong mit einer Mandoline. Den konnte ich spielen, bevor ich meine eigenen Stücke beherrschte. Ich liebe diesen Song.
2020 feiern OFFENDERS ihr 15-jähriges Bandjubiläum. Was ist geplant?
Der genaue Geburtstag ist irgendwann im Oktober 2020. An diesem Tag werden wir wohl eine große Party in Berlin schmeißen. Vorher sind wir erst mal mit „Class Of Nations“ unterwegs. Die Tour startet im Januar. Wir werden in ganz Europa unterwegs sein und im Tourbus werden wir uns dann überlegen, was wir anlässlich unseres 15. Jubiläums machen werden. Vielleicht laden wir ein paar befreundete Bands ein. Und wir wollen noch einmal zwei oder drei Songs veröffentlichen, die nicht auf dem Album sind.
Wenn wir schon in die Zukunft schauen: Ist der neue Sound ein einmaliges Experiment oder die neue stilistische Richtung für die nächsten Alben? Wird die Mandoline euer neues Erkennungszeichen?
Keine Ahnung. GREEN DAY zum Beispiel waren bekannt für diesen ruppigen Pop-Punk-Sound und kamen 2000 mit ihrem Album „Warning“ um die Ecke, auf dem Akustikgitarren dominierten. Dieser Wechsel hat mir damals gut gefallen. Der Mut, auch mal etwas anderes zu machen. Wenn du einen guten Song hast, hab keine Angst, hau ihn einfach raus. Solange ich selbst happy mit der Musik bin, ist das voll okay. Wir warten einfach mal ab, wie unsere Fans auf den neuen Sound reagieren. Keiner von uns ist ein Rockstar oder verspürt Druck, Unmengen Tonträger zu verkaufen. Wir sind eine Underground-Band und haben keine Plattenfirma, die uns das Messer auf die Brust setzt. Wir können also machen, was wir wollen.
Der Bamberger Club Sound-n-Arts musste im Sommer wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. Ihr habt ja ein besonderes Verhältnis zu dem Club. Was sagt ihr dazu?
Das Aus vom Sound-n-Arts hat uns natürlich schwer getroffen, weil wir mit dem lokalen Promoter Frank Keil gut befreundet sind. Immerhin haben wir in diesem Club zehn Konzerte gespielt, so viele wie nirgendwo. Als uns Frank davon erzählt hat, waren wir geschockt. Aber wir wussten schon lange von dem Problem. Diese Gerüchte gab es schon seit vier oder fünf Jahren. Es stand sogar in unseren Verträgen, dass die Show vielleicht nicht stattfinden kann, aufgrund von baulichen Problemen. Und zwar schon seit 2014. Es war also keine völlige Überraschung für uns. Wir hoffen, die Jungs werden neue Räume finden.
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