Die 2005 in Italien gegründeten OFFENDERS – nicht zu verwechseln mit der Achtziger-Hardcore-Band aus Austin – haben gerade ihr fünftes Album „Generation Nowhere“ veröffentlicht und stehen hier nicht nur für einen Mix aus 2Tone-Ska und starken CLASH-Einflüssen, sondern auch für Mod-, Soul- und Powerpop-Anleihen. Frontmann Valerio, der fast jedes Jahr die Band in einer neuen Besetzung präsentiert, sprach mit mir über „Generation Nowhere“ und sein besonderes Faible für die Achtziger.
Valerio, wann und wie hast du mit dem Musikmachen angefangen?
Ich habe mit zwölf angefangen Schlagzeug zu spielen, jetzt bin ich dreißig. Ich war dann bald in einer Streetpunk-Band aus Cosenza mit dem Namen LUMPEN, wir haben zwei Alben veröffentlicht und spielten oft im Vorprogramm von LOS FASTIDIOS. Als ich die Band verlassen habe, war ich 21. Ich habe dann die OFFENDERS gegründet, denn zu dieser Zeit wuchs mein Interesse an schwarzer Musik. Ich habe damals viel Ska gehört, dazu Powerpop und die ganzen Mod-Revival-Sachen.
Wann bist du dann vom Schlagzeug hinter das Mikrofon gewechselt?
Das war 2008 auf der zweiten Single „Wake Up Rebels“, nach dem ersten Line-up-Wechsel. Checco wurde Schlagzeuger und ist nach mir die wichtigste Person in der Band. Seit 2008 spielen wir zusammen und sind auch zusammen nach Berlin gezogen. Die richtige Geschichte der Band, mit einer Tournee durch Europa und so weiter, begann im Mai 2008.
Was hat euch nach Berlin verschlagen?
Der Grund war schlicht und einfach, dass wir alle neben der Musik etwas ganz anderes gemacht haben. Ich habe Pharmazie studiert, aber mein Schwerpunkt lag woanders, ich wollte keine Apothekerkarriere starten. Ich wollte lieber Musiker werden und habe, als ich merkte, dass die Band Aufmerksamkeit erregt, die Gelegenheit ergriffen. Der Titeltrack des ersten Albums, „Hooligan Reggae“, erreichte einige Aufmerksamkeit in der Szene, ganz besonders hier in Deutschland. Hier habe ich dann mit Muttis Booking zusammen gearbeitet, das zweite Album „Action Reaction“ wurde auf Grover Records veröffentlicht.
Sprechen wir über das neue Album. Wie seid ihr darauf gekommen, gerade „Pogo in Togo“ zu covern, einen alten NDW-Song von UNITED BALLS?
2010, als wir anfingen, Songs in Deutschland aufzunehmen, gingen wir immer in das Out-O-Space Studio von Tom Spötter. Dieser Typ tanzt auf vielen Hochzeiten und ist seit den Achtzigern in der Szene aktiv. Er hatte einige schöne Vinlysachen rumliegen, die er uns in den Pausen zwischen den Aufnahmen vorspielte. Eine von diesen Schallplatten war eben die von den UNITED BALLS. Dieser Song hat meine Aufmerksamkeit erregt. Ich meine, „Pogo in Togo“ hat keine Aussage, es bedeutet nichts, aber es hat den Beat! Das ist wirklich cool. Ich liebe auch das Gitarrenriff und habe es dann öfter beim Soundcheck gespielt, und eines Tages kam ich zu dem Entschluss, das aufzunehmen. Ich finde das faszinierend, ein Song ohne Aussage! In den Achtzigern war es etwas Besonderes, es mit Songs, die keine Bedeutung haben, bis in die Charts zu schaffen. Ich vermute, das gelang sonst nur Bands wie DIE TOTEN HOSEN und DIE ÄRZTE.
Hast du zu den Achtzigern eine besondere Beziehung?
Ja, ich wurde in den Achtzigern geboren und gefühlsmäßig fühle ich mich zu dieser Zeit hingezogen. Das war wirklich eine ganz seltsame Periode. Es war auch das letzte Mal, dass im Musikgeschäft versucht wurde, etwas Neues auf die Beine zu stellen. Es gab viele Experimente. Beim Sound wurde viel ausprobiert, es gab New Wave sowie Rap-Musik, auch wenn ich sie nicht mag. Dazu die Disco-Musik. Die gab es ja schon seit den Siebzigern, aber jetzt mit den ganzen Synthesizern. Was mich persönlich berührte, waren natürlich das Ska-Revival und das Mod-Revival. Diese ganzen neuen Sachen kamen auf und das wurde natürlich von alten Gruppen übernommen. An den Achtzigern gefällt mir dieses Reflektieren und Übernehmen. Das trifft auch auf meinen Sound zu, und dafür schäme ich mich nicht.
Mit „Crippled superstar“ hast du einen Song über Ian Dury geschrieben.
Auch hier gibt es eine Verbindung zu den Achtzigern und den späten Siebzigern. Es ist mir etwas peinlich, aber ich habe Ian Dury erst vor vier Jahren entdeckt. Auch wenn ich den Song „Sex & drugs & rock & roll“ kannte, so wusste ich doch nichts über ihn. Also habe ich angefangen, Informationen zu sammeln. Im Alter von sieben Jahren hatte er Polio, er überstand es. Als junger Mann sah er nicht besonders gut aus, aber hatte es geschafft, er war im Fernsehen – und: er hat viele, viele andere Künstler inspiriert! Heutzutage siehst du diese ganzen Wichser, diesen ganzen Mist im Fernsehen, was soll das? Was ist das für eine Zeit, wo ist das ganze Talent, wo ist die Begabung? Ian Dury war eines der letzten Talente im Musikgeschäft, auch was seine Texte betrifft. Das ist wirklich seltsam, Großbritannien ist eines der repressivsten Länder in Europa, dennoch entsteht dort immer etwas Neues. In den Siebzigern, vor Punk, da gab es diese ganzen nervigen Bands wie EMERSON, LAKE & PALMER, YES, CREAM, achtminütige Soli und solches Zeug. Und dann kam Pubrock, mischte Rhythm & Blues und Rock’n’Roll, und das hat die Musik wiederbelebt. Bands wie IAN DURY AND THE BLOCKHEADS, DR. FEELGOOD oder EDDIE & THE HOT RODS waren großartig, das ist für mich Punk.
Was willst du mit solchen Stücken auf „Generation Nowhere“ erreichen?
„Generation Nowhere“ ist ein Porträt unserer Zeit. Ich denke, viele Leute in meinem Alter oder jünger vermissen ihren Bezugspunkt. Sie wissen nicht, wo sie hingehören. Ian Dury repräsentiert, wie andere Künstler auch, ob nun Schriftsteller oder Filmregisseure, eine Kultur, die viele Leute vergessen haben. Anstatt auf sich selbst zu hören, greifen die Leute nach modernen Dingen. Für mich äußert sich das zum Beispiel so, dass viele Leute in meinem Alter in die Disco gehen und zu Fat Boy Slim tanzen, ohne zu wissen, dass er der Bassist der HOUSEMARTINS war. Die Leute wissen nichts. Das ist auch mit den Scheißdrogen so, die die Leute nehmen. Ich möchte ihnen sagen, haltet einen Augenblick inne. Schnappt euch ein Buch, denkt darüber nach, wo ihr herkommt, benutzt euren Kopf. In einem Zwei-Minuten-Song, in kurzen Textzeilen, versuche ich, das komplexe Leben von Ian Dury darzustellen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ganz viele aus der Skinhead-Szene kommen zu meinen Konzerten und einige hören wirklich schreckliche Musik. Denen möchte ich sagen: Kommt, brecht aus, hört auch etwas anderes. Das ist mein Wunsch – und vielleicht bin ich hier ein Vorkämpfer.
Was hat dich dazu veranlasst, über die Ausschreitungen am 1. Mai 1987 in Berlin zu singen?
Vor etwa eineinhalb Jahren, als wir den Vertrag mit unserem jetzigen Label Destiny Records unterzeichnet hatten, gingen wir abends aus und feierten. Ich weiß gar nicht mehr, wie die Diskussion begann, wir waren in der Milchbar in Kreuzberg, in der Nähe von dem Platz, wo der Supermarkt war, der damals angezündet wurde. Jakob, mein Produzent, erzählte mir von dieser Nacht, und auf dem Nachhauseweg hatte ich den Refrain im Kopf. Später bin ich dann auf die Geschichte von den Typen gestoßen, der festgenommen wurde – Norbert Kubat. Viele Leute sehen die OFFENDERS als eine politische Band, aber ich halte mich nicht für politisch. Ich bin natürlich links eingestellt, aber ich schreibe über das tägliche Leben. Ich finde es wichtig, solche Ereignisse zu erwähnen, zumal ich seit fünf Jahren in dieser Stadt lebe. Nach diesen Ausschreitungen hingen die Leute zusammen auf der Straße ab. Sie haben die erste Schlacht gegen die Polizei gewonnen und haben gefeiert. Norbert Kubat hat auch gefeiert, sich betrunken und wurde dann ins Gefängnis gesteckt. Von tausend Leuten, die Ärger gemacht haben, wurde er festgenommen, kam in U-Haft und wurde in den Selbstmord getrieben. Nach zwanzig Tagen in Haft wurde er für alles verantwortlich gemacht.
Wenn du über Ausschreitungen singst, könnten natürlich auch Leute glauben, du würdest Gewalt für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele halten.
Ende der Achtziger gab es in Deutschland eine Menge Gewalt. Gewalt ist nicht nur, wenn dir jemand ins Gesicht schlägt. Gewalt ist auch eine Medienkampagne, die eine Stadt spaltet, Leute, die Heroin nehmen, auch das ist Gewalt. Ein Aufstand ist für die Leute eine Möglichkeit zu sagen, wir haben genug, es reicht. Aber natürlich, wenn du mich heute nach den Ritualen zum 1. Mai fragst, ist meine Antwort: „Nein, ich bin nicht für ziellose Gewalt.“ Im Alltag heißt das natürlich nicht, dass ich Pazifist bin. Es gab und es gibt Zeiten in der Geschichte, in denen Aktion notwendig ist. Leider kann es natürlich auch eine Reaktion geben, die genauso schlecht ist. Ich vermute, damals war es nötig. Es waren diese kleinen Dinge, die sich angestaut haben. Die Lebenssituation war so schlecht, der alltägliche Druck, die Leute haben mir wirklich unglaubliche Geschichten erzählt. Das wollte ich verarbeiten und das findest du auch im Songtext wieder. „900 against thousands“ – es ist wirklich wahr, zu Beginn der Krawalle waren es weniger als tausend Leute gegen diese enorme Staatsgewalt. Ich sage aber auch „Fighter got no answers“. Und „I see reasons to kill“, wenn Menschen so behandelt werden und unter massiver Kontrolle stehen, wenn so unterschieden wird, dann sagst du irgendwann „Fuck you all!“
Wie stehst du zu Fußball?
Das fragen mich viele Leute, ganz besonders nach „Hooligan Reggae“. Ich war aber nie ein Ultra oder so. Ich gehöre zur Skinhead-Bewegung, seit ich 14 bin, und gehe gerne ins Stadion, aber ich war immer mehr daran interessiert, was auf den Rängen passiert. Ich habe mich nicht um den Ball gekümmert und um die Idioten, die hinter ihm herlaufen. Die Ränge im Stadion sind der einzige Ort, wo ein Arzt, ein Anwalt und ein Arbeiter nebeneinander stehen, es gibt keine soziale Ausgrenzung. Alle singen zusammen und unterstützen die Mannschaft, und diese Verbundenheit, die gefällt mir am Fußball.
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