MARITIME

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Smells Like Victory

Es muss in den Herbstmonaten des Jahres 2002 gewesen sein, als sich die Mitglieder einer der ganz großen Emo-Bands dazu entschieden, nach vier Alben dem gemeinsamen Schaffen unter dem Namen THE PROMISE RING ein Ende zu setzen. Rund sechs Monate später ereilt das gleiche Schicksal die in Washington DC beheimatete Indie-Band THE DISMEMBERMENT PLAN. Doch bereits kurze Zeit später finden sich Bassist Eric Axelson (ex-DISMEMBERMENT PLAN), Schlagzeuger Dan Didier (ex-PROMISE RING) und der Sänger als auch Gitarrist Davey von Bohlen (ex-PROMISE RING) zusammen, um ihrer gemeinsamen Leidenschaft ein neues Leben zu geben. MARITIME ist geboren. Davey von Bohlen, der nach seiner Hirntumoroperation vor wenigen Jahren wieder voll und ganz genesen ist, hatte einiges über die Entstehung von MARITIME, dem Debüt Album „Glass Floor“ und eigenwilligen Reunion-Theorien zu erzählen.
Erst mal Gratulation zu eurem überaus gelungenen Debüt „Glass Floor“. Steckt eigentlich eine tiefere Bedeutung hinter dem Albumtitel oder passt der Name einfach nur gut zum dem Coverartwork?

„Eigentlich basiert die Idee für den Albumtitel auf einer Passage eines Songtextes. ‚Glass Floor‘ wird in der Mitte des Stückes ‚We‘ve got to get out‘ erwähnt. Im Englischen gibt es eine Redewendung, die das Leben unter einem gläsernen Dach beschreibt. Im übertragenen Sinne beschreibt das den durchschnittlichen Amerikaner, und besagt, dass es egal ist, wie hart und wie gut du beispielsweise in deinem Job arbeitest, da du dein Middle-Class-Leben nicht ändern kannst. Du siehst zwar all die tollen Dinge durch das gläserne Dach, aber erreichen wird man sie doch nicht. Der Title ‚Glass Floor‘ soll als Ablehnung gegen diese Einstellung verstanden werden. Nachdem mich einige Menschen darauf angesprochen haben, muss ich gestehen, dass der Name der Platte auch falsch verstanden werden kann. Wir sind natürlich nicht die Leute, die herablassend nach unten durch den Glassboden blicken. Es geht vielmehr um die Umkehrung der Bedeutung des Glassdaches aus dieser Redewendung.“
Wie entstand MARITIME? War es deine Idee?
„Die Gründung von MARITIME war anfangs keine bewusste Entscheidung. Dan und ich wollten nach der Auflösung von THE PROMISE RING weiterhin zusammen Musik machen und sehen, ob es immer noch wichtig für unser Leben ist. Wir haben hier ein kleines Studio und verbrachten dort die ersten beiden Monate nach dem Ende von THE PROMISE RING. Wir spielten einfach zusammen vor uns hin. Ich denke, dass mit dem Song ‚Someone has to die‘ erstmals wieder das Gefühl aufkam, etwas mit Potenzial zu machen, was eine gewisse Spannung in uns erwachen ließ. Das muss irgendwann im Januar gewesen sein. Als sich im März dann THE DISMEMBERMENT PLAN auflösten, war schnell klar, dass Eric der richtige Bassist für uns ist, mit dem wir zu einer echten Band wurden.“
Warum habt ihr den Bandnamen von IN ENGLISH zu MARITIME geändert?
„Der Grund war der, dass Dan und ich, nachdem wir ‚Someone has to die‘ und andere Stücke geschrieben hatten, schnellstmöglich einen Namen brauchten. Wir wollten ein paar Demos an Bekannte schicken und hören, ob wir uns mit dem Material irgendwo blicken lassen können. Dafür brauchten wir einen Namen, möglichst schnell. Da wir zu dieser Zeit noch zu zweit waren, hatte alles mehr einen Projekt-Charakter und machte nicht den Anschein einer wirklichen Band. In der Nacht, bevor wir die Demos verschickten, einigten wir uns auf IN ENGLISH, aber als dann Eric hinzukam, dachten wir, dass wir einen neuen Namen finden sollten. IN ENGLISH war kein wirklich toller Bandname, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob MARITIME besser klingt. Es ist eine nervenaufreibende Sache, einen Namen für die eigene Band zu finden, ich hasse es, und bin sehr froh, wenn dieses leidige Namensfindungsproblem vom Tisch ist.“
Da ein Name gefunden wurde und ihr euch als Band bezeichnet, kann man annehmen, dass es noch weitere Alben von MARITIME geben wird.
„Es wird definitiv ein zweites MARITIME-Album geben. Was danach passiert, keine Ahnung, aber es ist richtig, dass wir uns nicht nur als Projekt sehen, sondern auf längere Sicht zusammen arbeiten wollen.“
Was ist deiner Ansicht nach der größte Unterschied in der Musik von MARITIME zu THE PROMISE RING?
„Ich weiß nicht ... Ein wirklicher Unterschied existiert nicht, oder? Mir ist es sehr wichtig, als Songwriter besser zu werden. Ich denke, dass man einige der MARITIME-Stücke durchaus für ein PROMISE RING-Album hätte verwenden können. Bessere Musiker zu werden, ist für uns sehr wichtig, und ich hoffe, dass das auf ‚Glass Floor‘ zu hören ist. Vielleicht macht genau diese Entwicklung in der Musik von MARITIME den Unterschied zu unseren früheren Bands aus.“
Sind die Stücke auf „Glass Floor“ alle nach der Auflösung von THE PROMISE RING entstanden, oder ist auf dem Album doch der eine oder andere ursprünglich für eine PROMISE RING-Platte geschriebene Song zu hören?
„‚King of doves‘ und ‚Souvenirs‘ habe ich noch zu Zeiten von THE PROMISE RING geschrieben. Wir hatten damals noch keine Verwendung dafür, aber ich denke, dass sie durchaus auf der nächsten PROMISE RING-Platte hätten landen können. Alle anderen Stücke auf ‚Glass Floor‘ sind danach entstanden.“
Wie würdest du die Musik von MARITIME in einem Satz beschreiben?
„Ich hasse diese Frage, haha. Solche Definitionen sind scheinbar wichtig für Leute, die darüber schreiben und darüber lesen, was ja auch durchaus Sinn macht. Wahrscheinlich ist es irgendwas zwischen Pop und Rock‘n‘Roll, aber in der gegenwärtigen Zeit gibt es dafür sicherlich 57 verschiedene Beschreibungen, die ich als Musiker glücklicherweise nicht kennen muss.“
Steht die Textzeile „I can‘t live my life like a pop song anymore“ aus dem Stück „Sleep around“ in einem Zusammenhang mit den momentanen Ereignissen in der Welt, oder spiegelt sie gar deinen gegenwärtigen Lebenszustand in Amerika wider?
„Je mehr mit einer Textzeile ausgesagt werden kann, umso besser ist sie. Als Songwriter ist es ein Teil meines Jobs, ein Maximum an Inhalt zu erreichen. Ich mag es eigentlich nicht, wenn Texte überinterpretiert werden, denn man verprellt Leute sehr schnell, wenn sie hören, dass ihre Deutung des Textes nicht mit deiner eigentlichen Absicht in Zusammenhang steht. Allerdings stimme ich dieser Interpretation zu. Sie trifft in gewisser Weise durchaus ein allgemeines Gefühl, das ich wohl in mir trage. Meine eigentliche Intention bestand zwar darin, zu sagen, dass du mit einem gewissen Alter nicht mehr so Leben kannst wie früher, und nicht nur alleine deswegen, weil der Kater am nächsten Tag mit wachsendem Alter immer größer wird, haha. Die globale Tragweite dieser Strophe ist mir bis vor kurzem noch nicht wirklich bewusst geworden. Vielleicht ist es eine bessere Umschreibung, anstatt zu sagen, ich hasse George W. Bush, denn so würde sie nur auf diese eine Sache beschränkt werden. Je mehr Dan, Eric oder ich mit Menschen außerhalb der Band über das Album sprechen, umso häufiger bekommen wir zu hören, dass eine Menge unterschwelliger politischer Aussagen in den Texten zu finden sind – obwohl das nie unsere Absicht war. Was ich damit aber eigentlich sagen will, ist, dass es schon irgendwie amüsant ist, wie sehr man von den Weltereignissen beeinflusst wird, ohne es wirklich wahrzunehmen. Normalerweise versuche ich, mehrdeutige Texte über unterschiedlichste Emotionen zu schreiben. Oft sitzen wir zusammen im Studio und die anderen sagen mir, dass sie zu einem bestimmten Schluss gekommen sind, was die eine oder andere Textzeile wohl bedeuten kann. Für mich ist es lustig und gleichzeitig inspirierend, denn oft hatte ich bei dem Schreiben der Stücke an etwas ganz anderes gedacht. Leute zum Nachdenken anzuregen, ist einfach wichtig.“
Gab es einen besonderen Einfluss für dieses Album?
„Die einzige Band, die ich vielleicht als Inspiration nennen kann – obwohl wir nicht versuchen, ihren Stil zu kopieren –, sind die SUPER FURRY ANIMALS. Sie schreiben so simple und zugleich perfekte Popsongs, um sie anschließend mit einem riesigen Vorschlaghammer kurz und klein zu schlagen. Eine solche Missachtung von Popstrukturen finde ich unglaublich beeindruckend, aber leider will mir so etwas nicht gelingen. Es gibt sicherlich noch andere Bands, die den einen oder anderen Hörer an eine bestimmte Gruppe erinnern, weil ich irgendwo vielleicht unbewusst eine Songstruktur von Paul Simon verwendet habe, aber die SUPER FURRY ANIMALS sind meine größte Inspirationsquelle.“
Wie kam der Kontakt zu Grand Hotel van Cleef überhaupt zustande? Neben DEATH CAB FOR CUTIE seid ihr ja die einzige Band auf dem Label, die nicht aus Deutschland kommt.
„Ich habe festgestellt, dass wir noch nie zuvor so viel Zuspruch aus Deutschland erhalten haben wie im Moment. Es sieht wirklich so aus, als würden die Leute bei Grand Hotel sehr hart für uns arbeiten und trotzdem weiß ich nicht mehr, wie wir mit ihnen in Kontakt gekommen sind, haha. Eric hält die Verbindung mit ihnen, und ich denke, dass er es angeleiert hat. Es ist unglaublich, denn Eric kennt scheinbar jede Person auf dieser Welt. Ob letztendlich der Kontakt über DEATH CAB FOR CUTIE, THE DISMEMBERMENT PLAN oder auf anderen Wegen zustande kam, keine Ahnung ...“
Können wir in naher oder ferner Zukunft mit einer Re-Union von THE PROMISE RING rechnen oder denkst du, dass dies nicht passieren wird?
„Jason ist auch heute noch ein Freund von mir, ich schätze ihn immer noch sehr, aber halte es derzeit für äußerst unwahrscheinlich, dass wir in naher Zukunft wieder etwas mit THE PROMISE RING aufnehmen werden. Eigentlich finde ich Reunions ziemlich albern, würde es aber nicht gänzlich ausschließen.“
Was können wir von den MARITIME-Shows im September erwarten? Habt ihr die Bläser und Streicher von der Platte in eurem Live-Programm eingeplant?

„Nein, leider nicht. Ich würde liebend gerne mit Bläsern und Streichern auf Tour gehen, aber die Kosten dafür sind einfach zu hoch. Aber wenn wir eines Tages vielleicht mal in den Top 40 landen, dann müssen wir uns nur noch schnell auflösen, und ein paar Monate später eine Reunion-Tour starten. Ich denke, dass wir unter diesen Umständen genügend Geld für Bläser und Streicher hätten, haha.“

Foto: Sarah Eva Krancic