LOIKAEMIE

Foto© by Mike Auerbach

Leben und leben lassen und nicht die Falschen hassen

LOIKAEMIE sind zurück. Neues Album, alter Spirit, neues Feuer, tougher und tighter – und relevanter als je zuvor. Dass mich diese Band noch einmal so packt, hätte ich nicht gedacht. Damals, und wir reden hier von mittlerweile fast drei Dekaden (!), lag es auch an dieser Band, dass wir uns im tiefen Osten sicher sein konnten, dass wir im wahrsten Wortsinn dagegenhalten konnten. Good night, white pride! Die ersten neuen Songs seit Jahren, „Lumpenmann“ und „Tief im Herzen“, ließen letztes Jahr kräftig aufhorchen. In der Szene rumorte es gewaltig, da war was im Busch, ist „Power from the eastside“ doch noch nicht Geschichte? Geht da etwa noch mehr als nur ein paar neue Songs?

In sehr, sehr ernsten Zeiten wie diesen braucht es Bands wie LOIKAEMIE. Bands, die es ernst meinen, die die Fahne hochhalten, die das mit dem „punkrock way of life“ durchziehen. Aus Überzeugung! Nun also „Menschen“ auf dem bandeigenen Label Fettfleck Records, das fünfte Album – das erste nach 16 Jahren! Und das präsentiert den Vierer als runderneuerte Einheit auf völlig neuem Niveau. Der alte Spirit ist noch da, das Feuer brennt noch, technisch und musikalisch liegen zwischen dem Debüt „Ihr für uns und wir für euch“ von 1996 und dem neuen Album aber Welten und die Band ist auf eine angenehme Art erwachsen geworden. Leitmotiv: gesunder Menschenverstand. Es passt jetzt – vielleicht sogar das erste Mal überhaupt – alles richtig zusammen. Das Ding hat Überraschungspotenzial und ist mein Album des Jahres. Punkt! Der richtige Arschtritt zur rechten (sic) Zeit! Dreißig Jahre LOIKAEMIE. Gibt’s doch gar nicht! Wo ist die Zeit hin? Und jetzt mit „Menschen“ einmal alles auf Neuanfang? Warum haben die Menschen nichts dazu gelernt? Ganz viele Fragen! Mit Bandleader Thomas (voc, gt) begebe ich mich auf Zeitreise – back to future. Oi!

Thomas, wir müssen reden! Ihr wollt es noch mal wissen und geht mit Vollgas in die Vollen, sprengt dabei alte Ketten und spielt frei auf. Hattest du, hattet ihr jemals Zweifel daran, ob das Comeback in diesem Maßstab funktioniert? Schließlich hat sich die Musikwelt zwischenzeitlich kräftig weitergedreht ...
Ehrliche Zweifel hatten wir nie. LOIKAEMIE sind ’ne Hausnummer. Da wären wir eher verwundert gewesen, wenn es anders gekommen wäre. Wir merken, dass die Leute nur auf Standby waren und uns nie vergessen haben. Diesen Elan haben wir aufgegriffen und das Bestmögliche daraus gemacht. Dass wir wieder voll eingestiegen sind, bedurfte einiger Vorbereitungen. Wir haben technisch enorm aufgerüstet und inzwischen eine tolle Crew hinter uns. Läuft!

„Menschen“ ist klare Kante, ist fetter Knock-Out-Sound, ist „große Fresse und ganz viel dahinter“. Woher das neue Selbstbewusstsein, was treibt euch an, was ist die zentrale Message des neuen Albums, welche Erwartungen habt ihr selbst daran?
Wir wollten eine Platte machen, die zeigt, wo wir stehen und wer wir sind im Jahr 2023. Nicht dass wir das nötig hätten, aber wir wollten mal schauen, was wir so alles aus uns herauskitzeln können. Das Album wird erst mal etwas für Verwunderung sorgen. Gepolter wie zu besten Zeiten aus dem Probekeller gibt’s nicht. Haudrauf-Texte sind auch Geschichte. Es gibt LOIKAEMIE erwachsen und gereifter. Die Erwartungen sind hoch. Unsere auch! Doch wir haben die Platte in Ruhe fertiggestellt und sind mit dem Ergebnis ausgesprochen zufrieden. Das bisherige Feedback war durchweg geil. Von daher schätzen wir, dass es eine Bombe wird. Unser Antrieb sind wir selbst. Wir machen seit dreißig Jahren ausschließlich das, was uns gefällt. Das hat uns erfolgreich gemacht und viel Anerkennung eingebracht. Das ist unser Motor, daraus schöpfen wir Kraft. Das sorgt auch für eine breite Brust. Wir haben nie aufgehört, wir selbst zu sein. Klare Worte mit entsprechend glaubwürdigem Background und Authentizität waren schon immer unser Markenzeichen. Das melden uns die Leute zurück und das merken wir selbst, gemessen an den Ergebnissen. Im Laufe der Zeit lernt man die Menschen gut kennen und lernt auch, mit ihnen umzugehen. Menschen sind scheiße. Menschen sind auch gut, sogar überwiegend, allerdings auch oft scheiße und dann wird’s schwierig für alle. Deshalb steht die zentrale Aussage der Platte vorne groß drauf: Menschen in all ihren Facetten.

„Menschen“ als Albumtitel, gute Wahl und sowohl Glück als auch Übel unserer schönen Welt. Gleich die Opener „Freie Rede“ und „Wenn wir alle so wären“ setzen hier ein klares Ausrufezeichen. Die Ansage kommt sicher nicht ganz von ungefähr ...
Na ja, schau dich um. Seit es Corona gibt, komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Ich bin Corona fast schon dankbar dafür, dass diese ganzen Idioten ihre Maske haben fallen lassen und ihr wahres Ich entblößt haben. Da fragt man sich doch ernsthaft, warum verpissen sich diese ganzen Nazis, Hippies, Esoteriker, Reichsbürger, „ganz normalen Bürger“ mit ihrer Wut nicht, wenn es hier so scheiße ist. Ich dachte immer, ich bin Anti. Scheiß-Bullen, Scheiß-Regierung, Skinhead Way of Life, Klassenkampf und so weiter. Alles mit einem subkulturellen Hintergrund. Aber was die breite Masse da seit drei Jahren abliefert, lässt mir die Kinnlade runterklappen. Da paktiert man mit Faschisten, lässt ohne mit der Wimper zu zucken Menschen im Meer ersaufen, scheißt auf das ganze Thema Klima, krasser Egoismus macht sich breit, die Menschen verrohen in ihrem Umgang miteinander ... Das schreit doch nach einem Song!

Auch szeneintern wird kräftig ausgeteilt. In „Nicht die Falschen hassen“ und „Meins und nicht deins“ lasst ihr ordentlich Dampf ab. Hier scheint Redebedarf zu bestehen, lass es raus!
In „Nicht die Falschen hassen“ geht es klar um die unterirdische Art und Weise der Kommunikation in Teilen unserer Szene. Ich sehe, dass die Leute nicht mehr miteinander reden. Heutzutage wird man angeschrien und angeschissen. Man muss sich den abstrusesten Vorwürfen stellen. Dialoge werden nicht zugelassen und mit Methoden, die in der Punk-Szene eigentlich undenkbar sein sollten, unterdrückt. Einige wenige geben den Takt vor und wer nicht folgt, wird ausgeschlossen. Auch wenn dies nicht primär uns betrifft, so bekommen wir doch in unserem Umfeld zur Genüge mit, dass Leute dem ausgesetzt sind. Bei aller Berechtigung aller Themen – wer etwas erreichen will, darf nicht alle verprellen. Reflektieren müssen sich immer beide Seiten in einem Konflikt, um dann auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch zu kommen, anstatt sich gegenseitig mundtot zu machen und zu canceln. Dies schließt allerdings auch mit ein, von den eigenen Positionen abrücken zu können und Kompromisse zu machen, sonst wird das nix mit DIY, Punkrock, Freiheit, bla bla bla. Dann sind wir nicht besser als die Spießer, die wir nicht sein wollen. Zu „Meins und nicht deins“ muss ich sagen, dass dieser Song schon auf das letzte Album von 2007 sollte, aber noch nicht fertig war. Dann lag er lange auf Eis und der Text entstand, in seiner jetzigen Fassung, bis zur Aufnahme. Das ist also eine lange Zeit für einen Text. Er ist gut abgehangen und bereit, auf die Leute, die sich selbst zu wichtig nehmen, oder die, die nix auf die Reihe kriegen, losgelassen zu werden. Oi!

Was mir an den „neuen“ LOIKAEMIE am besten gefällt, ist diese gewisse erwachsene und reflektierte Note, ohne in Selbstmitleid und „Früher war alles besser“-Plattitüden zu verfallen. Steht euch gut zu Gesicht!
Danke! Natürlich war früher alles besser, haha! Das sagte meine Oma schon und wahrscheinlich kann das jeder von sich sagen. In Wahrheit spielten uns unsere Erinnerung und Wahrnehmung einen Streich. Kämpfen und leiden muss man immer. Früher, heute und in Zukunft. Das gehört zum Leben und Erwachsensein dazu. Man muss nur seinen Scheiß auf die Reihe kriegen und nicht untergehen. Hört euch „Einer von vielen an“. Da geht’s genau darum.

Soundmäßig lasst ihr es krachen, ihr habt, du sagtest es, aufgerüstet – da ist Druck dahinter und das musikalisch-technische Niveau bedeutet einen Quantensprung im Vergleich zu eurem bisherigen Output Nach Altherren-Sound klingt „Menschen“ definitiv nicht. Wie lief das Songwriting, die Albumproduktion, wer hat an den Reglern gedreht und welchen Einfluss hatte euer direktes Umfeld auf den neuen Sound?
Angefangen hat es wie immer. Ich kam mit Texten und einem Grundgerüst an Musik in den Proberaum und dann das Übliche. Proben. Dann kam allerdings 2014 die Auflösung. Zwischenzeitlich schrieb ich weiter Songs. 2019 beschlossen wir, wieder eine Band sein zu wollen. Dieser Schwung und die schon vorhandenen Songs von mir sorgten für dieses Ergebnis. Jeder von uns ist, auf seine Art, besser geworden – außer Bruno, der war schon immer Bombe. Was hat das mit der Frage zu tun? Wir haben einfach alles auf den Prüfstand gestellt und verbessert, was verbessert werden konnte. Das hatte selbstverständlich Auswirkungen auf das Songwriting. Wir haben als Band gemeinsam im Proberaum Songs geschrieben. Wir haben uns Kurt Ebelhäuser und Michel Wern als Produzentenduo ins Boot geholt. Das ist für LOIKAEMIE neu und das Ergebnis kann sich hören lassen. Wir sind sehr zufrieden und stolz darauf. Unser Umfeld hatte insofern Einfluss darauf, dass wir uns auf unsere Arbeit als Band konzentrieren konnten und unsere Crew uns den Rücken freihält hinsichtlich Booking, Technik, Merch und Organisation.

Apropos Organisation: Fettfleck Records ist eure neue, eigene Labelheimat. Band ist das eine, aber Musik unter die Leute zu bringen, noch mal eine andere Nummer. Warum jetzt auch noch ein eigenes Label und was habt ihr damit noch so vor?
Die Begründung, ein eigenes Label zu gründen, ist eigentlich ganz simpel. Wir sind eine Band, wollen Musik veröffentlichen und dazu braucht man ein Label, zumindest wenn man alles selbst machen möchte. Das kam unserer Wahrnehmung nach dem DIY-Gedanken am nächsten und deshalb haben wir kurzerhand Nägel mit Köpfen gemacht. Wir mussten uns leider, aufgrund persönlicher und geschäftlicher Differenzen, von Knock Out Records trennen. Dann standen wir erst mal da. Einen sehr guten Vertrieb hatten wir mit Cargo schon im Boot. Dann braucht’s nur einen knackigen Namen und fertig ist die ganze Zaubershow. Das bringt mich schon zum zweiten Teil deiner Frage ... Wo geht die Reise hin? Ich möchte gar nicht so viel verraten oder vorwegnehmen, aber wenn man sich die Situation vieler Bands anschaut, wird deutlich, dass hier dringend Handlungsbedarf besteht. Die Idee ist, den ursprünglichen DIY-Gedanken wiederzubeleben und Bands mit unserem Netzwerk zu unterstützen. Es braucht keine „Zwischenstationen“, die alle das Geld der Bands verbrauchen, ohne dass sie etwas davon haben. Die zweite Veröffentlichung auf FFR ist die neue Platte der STAGE BOTTLES „We Need Each Other“. Yes!

Sauber, das sind gute Neuigkeiten. Ihr blickt nach vorn, habt Bock und geht in gewissem Maße „all in“. LOIKAEMIE heute und damals, das sind mittlerweile verschiedene Welten. Den ersten Reaktionen zufolge geht euer Plan voll auf, was aber, wenn nicht? Was, wenn sich die Fans der ersten Stunde abwenden? Die Kids von heute für Punkmugge zu gewinnen, ist kein Zuckerschlecken.
Wir haben natürlich keine Glaskugel und sehen die Dinge voraus, aber wir haben ja ein Gefühl für die Zeit und die Stimmung. Ob neue Hörer dazukommen oder sich alte Hörer abwenden, spielt für LOIKAEMIE keine Rolle. Wir wissen, dass wir eine Konstante darstellen und, wie schon so oft von uns beschworen, es muss vor allem uns gefallen – und das tut es – und dann läuft der Rest meistens auch. Fans der ersten Stunde zu verlieren, finde ich nicht schlimm, es bleibt aber schade. Ich kann es sogar nachvollziehen. Ich möchte aber auch verstanden werden. Wir sind eine Band. Wir gehen einem Hobby nach. Wir machen ausschließlich das, wo wir dahinterstehen können und was uns Spaß macht. Wir blicken aber auch nach vorn und sind nicht vor dreißig Jahren stehengeblieben. Die LOIKAEMIE von vor dreißig Jahren wird es nicht mehr geben. Wir entwickeln uns weiter. Wer da nicht mitkommen möchte, muss zwangsläufig stehenbleiben und verharren.

Ihr singt es in „Ewig“ selbst: „Wir sind die Großen, ihr seid die Kleinen, wir haben hier das Sagen“. Gibt’s da etwa einen kleinen Generationenkonflikt in der Szene, oder gar handfesten Zwist?
Den gibt es eigentlich nicht. Natürlich sehen wir Lücken und Abstände zur heutigen Generation, aber das ist normal und geht irgendwann jeder Generation so. Gemeint ist damit, dass, genau wie wir damals, die Jungen versuchen, alles zu verändern und zu verbessern. Das ist gut und bringt immer neuen Schwung. Laut meiner Wahrnehmung und Erfahrung ist es nicht immer von Vorteil, Vorhandenes vom Tisch zu wischen und den Fernseher neu zu erfinden. Große Welle machen ist das eine, kontinuierlich seinen Weg zu gehen das andere. Ich bin jetzt 48, bin verheiratet und habe drei Kinder. Natürlich sehe ich die Welt mit anderen Augen als ein Zwanzigjähriger. Allerdings wird der Zwanzigjährige auch mal älter und wird dann in der gleichen Situation stecken. Versteht es als reflektierten Ausruf. Wir wissen, was kommt, weil wir es genauso erlebt haben.

Da sagst du was. Das bringt mich aber direkt zurück in die späten Neunziger. Das war für uns im tiefsten Osten wahrhaftig kein Ponyhof. Du weißt, was ich meine. Aber da gab es plötzlich diese Bands mit „Oi!“ im Bandnamen und der richtigen Attitüde, und dann spielten die auch da, wo es wehtat. Das war wie Balsam und hat uns echt den Arsch gerettet, denn wir wussten jetzt, wir waren nicht allein und wir waren „die Guten“. Wie blickst du auf diese Zeit, die Anfänge im Hinterland, und auf die Bands, mit denen ihr unterwegs wart?
Das war schon eine bewegte Zeit damals. Ich erinnere mich an Konzerte in der Provinz, als Nazis in Regimentstärke aufliefen, um alles Linke wegzuhauen. Das war das eine. Nazis, Linke. Das andere war, dass Nazis angefangen haben, sich auf unseren Konzerten wohl zu fühlen, und es ein jahrelanger Kampf wurde, die wieder loszuwerden. Wenig hilfreich war, dass einige Teile der Skinheadszene, teilweise bis heute, nicht begriffen haben, dass man sich den Scum selbst heranzüchtet, wenn man dem keinen Riegel vorschiebt. Das war auch der Zeitpunkt, als ich angefangen habe, politische Texte zu schreiben. Sich Anfang der Neunziger Jahre gegen links und rechts gleichermaßen abzugrenzen, war okay. Es war nicht mehr okay, als rechte Tendenzen toleriert wurden und alles Linke verteufelt worden ist. Es gibt schon einige Bands, mit denen wir heutzutage nicht mehr spielen, dies aber früher getan haben. Die Gründe dafür nannte ich gerade. Wenn man dummes Zeug erzählt, darf man sich nicht wundern, wenn nur Dumme zuhören. Man könnte auch mit Lisa Simpson sagen: „Wer laut denkt, muss mit Antworten rechnen.“

Das sehe ich ganz genau so, und es kommt der Punkt im Leben, an dem man sich entscheiden muss. Ich selbst bin mittlerweile in vielen Dingen recht entspannt unterwegs. Leben und leben lassen ... Aber bei grundlegenden Themen gibt es keine Diskussionen mehr. Welchem Kodex folgt ihr als Band, welchen Spielraum lasst ihr euch und verquatscht ihr auch mal eine Probe, weil es eben „zu Diskussionen“ kam?
Innerhalb der Band müssen wir nichts diskutieren. Da sind wir, wie bei einer gut funktionierenden Ehe, immer auf einer Wellenlänge. Der Spielraum, den wir uns selbst und anderen gewähren, ist von der Person und anderen Faktoren abhängig. In den meisten Fällen reden wir erst mal mit den Personen und entscheiden dann, ob es Sinn macht, weiter zu kommunizieren oder es sein zu lassen. Wir wählen in der Regel den klügeren Weg, der auch zu einem vernünftigen Ergebnis führt.

Ihr feiert mittlerweile fast dreißig Jahre Bestehen und könntet es relaxt angehen lassen. Macht ihr aber nicht. Eine Band über einen so langen Zeitraum zusammenzuhalten, ist eine Aufgabe. Hast du hier paar Tipps für die „next generation“, vielleicht auch, was man als Band besser vermeidet?
Viele machen den Fehler, alles demokratisch entscheiden zu wollen. Das führt zu nix, viele Köche und so weiter ... Am Ende muss man sich gut organisieren und Aufgaben verteilen und gut miteinander kommunizieren. Auch mal einen Kompromiss eingehen zu können, ist ein Vorteil. Im besten Fall verbringt man auch Zeit außerhalb der Band miteinander. Paul und ich kennen uns seit 1986 oder 87. Eddie kenne ich seit Anfang der 2000er und Bruno auch schon seit 2011. Das ist konstant und gibt uns auch Sicherheit.

LOIKAEMIE im Osten: eine Hausnummer. Im Westen jedoch seid ihr immer noch diese Band aus dem Osten. Wurmt dich das? Wirkt sich das auf die Konzertplanung aus? Wo, in welcher Stadt, welchem Club, spielt ihr generell am liebsten? Spielt das Ost/West-Thema für euch überhaupt eine relevante Rolle?
Von diesem Ost/West-Ding spüren wir nichts. Das hat auch keine Relevanz für uns, genauso wenig wie die Farbe der Haut. Wer heutzutage, 34 Jahre nach dem Fall der Mauer, immer noch in diesen Kategorien denkt, kann einem leidtun. Anscheinend ist es einfacher, in Kategorien zu denken und permanent Schubladen zu öffnen und zu schließen. Wir tun es jedenfalls nicht! Das ist uns zu blöd. Unsere Konzerte sind im ganzen Land gut besucht, da spüren wir keine Unterschiede. Im Ausland übrigens genauso wenig! Einen aktuellen Lieblingsort gibt’s nicht. Früher waren das Cottbus, Torgau, Leipzig, Schweinfurt, Hamburg, Berlin, Plauen, Dresden – das könnte ich ewig weiterführen. Da sind wir Mitte/Ende der Neunziger Jahre sehr oft gewesen und ich erinnere mich an echt wilde Zeiten. Das lag aber auch an zum Teil heute noch bestehenden Freundschaften. Heutzutage spiele ich am liebsten an Orten, die ich zu Fuß oder mit der Straßenbahn erreichen kann und wo wir um 22 Uhr Feierabend machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, haha.

Punkrock ist leider auch nur ein – manchmal schmutziges – Business. Wenn’s läuft, läuft es. Wenn nicht, steht man schnell allein da. Ohne allzu konkret zu werden, aber davon könnt ihr doch sicher auch ein, zwei Lieder singen, oder?
Ich musste kurz nachdenken ... Nö, zum Glück nicht. LOIKAEMIE funktionierten vom ersten Tag an. Ich weiß aber, was du meinst, und da kommt die grundsätzliche Idee von FFR wieder aufs Tapet. Ja, es ist ein Business, und ja, es geht auch um Geld , etwa Konzerteinnahmen, Plattenverkäufe, Equipment, Fahrzeuge ... Es darf aber nicht nur etwas kosten, es muss auch einen Mehrwert haben und Gewinn abwerfen. Es kann nicht sein, dass die Existenz einer Band ausschließlich von Euros garantiert wird. Bands können schöne Platten machen, aber live total kacke sein. Umgedreht genauso. Ich als Konsument möchte das aber selbst herausfinden und mir das nicht von einem Algorithmus einer Plattenfirma vorgeben lassen. Klar, Minusgeschäfte will keiner. Das schränkt aber die künstlerische Freiheit ein und sorgt für Stress, den keiner braucht. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist die Königsdisziplin und nicht unbedingt von der jeweiligen Band abhängig, sondern auch von der Infrastruktur.

Ich muss auf das aktuelle Weltgeschehen eingehen. Was da in Nahost passiert, macht einen sprachlos. Ukraine und drumherum: Drama. Dazu die Wahlergebnisse hierzulande: ernüchternd. Menschheit, was ist los? Bringen der ganze Humanismus und Glaube an die gute Seite der Macht am Ende gar nichts? Ich habe auch den Eindruck, dass immer mehr Leute einfach wegzappen, die Außenwelt ignorieren und sagen: Nach mir die Sintflut.
Menschen. So sind sie. Wie im letzten Teil des Songs so treffend ausgedrückt: „Menschen müssen fühlen, Menschen wollen nicht hören.“ Die Folgen eines erschreckend guten Wahlergebnisses der AfD werden für jeden spürbar sein, auch für die, die sie gewählt haben. Das ist kein Protest, das ist Dummheit und hat Auswirkungen auf uns alle. Seit Corona hat der Egoismus sehr zugenommen und der Blick auf die Nachbarn um einen herum ist sehr getrübt. Mit dem Geschehen in der restlichen Welt ist es ja ähnlich. Wir wissen, in der Ukraine herrscht Krieg – die Ukraine ist aber weit weg. Palästinenser überfallen Israel – auch weit weg und ein generell schwieriges Thema. Da müsste man sich intensiver mit aktueller Politik beschäftigen. Menschen sterben vor unserer Haustür, weil sie vor Hunger, Krieg, Unterdrückung oder dem sich verändernden Klima flüchten. Was machen die Europäer? Dicht! Dass das alles viel und herausfordernd ist, ist mir klar. Ich habe Verständnis, wenn man mal „Puh“ macht und einem das alles in unserer heilen Welt zu viel wird. Mein Verständnis endet allerdings bei Ignoranz oder Verdrehung der Tatsachen und Fakten. Am dämlichsten finden wir, Politik und Subkultur strikt trennen zu wollen. Das ist schlicht unmöglich und das war bei Punk und speziell Oi! noch nie so. Es wäre für viele wünschenswert, aber diese heile Welt existiert nicht.

Und zack, direkt ins Wespennest gestochen, denn gerade in unserer schönen Subkultur tummeln sich genügend Typen, für die man im Zweifel nicht die Hand ins Feuer legen würde – bei einigen politischen Themen ahne ich da eher nichts Gutes, halte „unpolitisch“ generell für eine gefährliche Ausrede ...
Merkwürdigerweise existiert das Phänomen, dass Subkulturmann und -frau glaubt, dass es ein unpolitisches Leben gibt. Fußballer denken das auch und spielen dann Meisterschaften in Brasilien und Katar. Skinheads waren meiner Meinung nach noch nie unpolitisch. Allein schon das Hören von schwarzer Musik war damals ein politisches Statement. Politik sollte in der Subkultur keine Rolle spielen. Hier geht es vorrangig um Musik, Kleidung und Freundschaft. Politik spielt aber eine Rolle, denn reales Leben und Subkultur kann man nicht trennen! Eines noch: Wenn man genau hinschaut, erkennt man ein Muster. Die, die am lautesten schreien, dass Politik in der Szene nichts zu suchen habe, sind irrwitzigerweise die, die sie hereinbringen, indem sie links und rechts gleichsetzen, eher dumpfe Musik mit dumpfen Texten hören, die Antifa als das größte aller Übel ansehen und tendenziell konservativ sind.

Paradox, aber: isso. An euch liegt es jedenfalls nicht! Und mit „Menschen“ schärft ihr inhaltlich noch mal ordentlich nach. Kleinkarierte Subkultur hin, große Politik her, das „reale Leben“ zählt. Welche Maximen gelten hier für dich, für euch als Familie?
Gesunder Menschenverstand ist das Einzige, was zählt!

Zurück zur Musik! Was läuft aktuell so bei dir, eher „Oldies“, zu denen man als alternder Punkrocker gern mal greift, oder neuer Stoff? Und beeinflusst das euren Sound? Spielt ihr euch gegenseitig Musik im Proberaum vor?
Kurz und knapp: Bruno liebt Skatepunk und melodiösen US-Punk, Paul hört gern Metal und Hardcore, bei Eddie hörte ich letztens K.I.Z. im Auto und ich mag die aktuelle BUBONIX-Scheibe. Es geht lustig quer durchs Beet und kann sich täglich ändern. Das letzte TURNSTILE-Album rotierte hier wochenlang. Was wir wirklich sehr selten hören, ist klassische deutsche Oi!-Mugge. Da braucht es schon diese besondere Note, die leider oft fehlt. Dafür gibt es aber genügend Bands, wo es sich wirklich lohnt, länger hinzuhören. AKTION INDEX, FORNHORST, EAST END CHAOS, CURB STOMP, HARBOUR REBELS, SKINSECTS haben mich positiv überrascht. CHRISTMAS lohnen sich auch. Natürlich laufen auch Oldies. Meine Favs sind NOFX, SWINGIN’ UTTERS, VISION und und und. Zum Kochen gibt’s Mozart oder Jack Johnson. Oi!

Klingt geschmackvoll. Lass uns mal auf einige neue Songs eingehen. Was musste geschehen, dass du „Wieder der Alte“ bist?
In dem Song beschreibe und verarbeite ich das Ende einer Beziehung. Das sind meine ganz persönlichen Eindrücke und Sichtweisen auf alles, was zu so einer Situation gehört. Aber eben aus meiner Perspektive.

„Einer von vielen“ schlägt nachdenkliche Töne an, stellt die großen Fragen. Spricht hier der Familienmensch? Wie reagiert die Familie auf derart persönliche Texte?
Es sind tatsächlich einfache Fragen, die sich jeder jeden Tag stellen könnte. Die Antworten darauf sind selten einfach oder angenehm. Das sind Erfahrungen, die man im Laufe eines Lebens macht, und natürlich spricht da eine erwachsene Version von mir. Als Familienvater und Ehemann mache ich mir noch mal gesondert Gedanken, gerade in der heutigen Zeit, wo überall gezündelt wird und alle auf den großen Knall warten. Innerhalb der Familie, und da schließe ich mal Freunde mit ein, ist man eher erstaunt darüber, was so alles meinen Geist verlässt. Ich glaube, dass man stolz auf mich ist.

„Tief im Herzen“ darf als Manifest verstanden werden?
Oder als Zusammenfassung meines Lebens. Der Song soll Mut machen und zeigen, dass es einem nicht allein schlecht geht. Viele werden sich darin wiedererkennen, weil viele auch schwierige Biografien und eine „Immer wieder aufstehen“-Mentalität entwickelt haben. So gesehen ist es mein Manifest. Wenn es das für andere auch wird, freut mich das sehr.

Das neue Album schließt hymnisch und euphorisch. „Lasst uns rein“ dürfte zum Szeneliebling avancieren ... Alles wird wieder gut, es muss nur immer Musik da sein?
Ob alles gut oder schlecht wird, spielt in dem Fall keine Rolle. Lieder überleben immer und sie sind oft das Einzige, was neben den Erinnerungen bleibt. Herz, Ohr, Bein. Da muss Musik andocken und fast immer verbindet man eine Erinnerung damit. Wie gesagt, ob gut oder schlecht, spielt da keine Rolle.

Eben, und man sammelt über die Jahre so „seine“ Songs für gewisse Stimmungen. Vergleicht man jetzt euer erstes mit dem neuen Album, dann sind das zwar verschiedene Welten – vom Esprit und vom „Wir haben Bock“-Faktor her sind sie sich aber sehr ähnlich. Ähnliche Wahrnehmung? Ist das „Way of Life“-Ding doch noch nicht auserzählt?
Das ist erst auserzählt, wenn die Würmer kommen, haha. Den Esprit, den du meinst, sehe ich auch – nur mit dreißig Jahren Abstand. Ich kann mich noch sehr genau an die Stimmung damals erinnern und die ist tatsächlich mit heute vergleichbar. Es fühlt sich neu an. Damals die erste Platte und heute das neue Album.

Ich schätze mal, das mit dem dreißigsten Bandgeburtstag werdet ihr angemessen zelebrieren. Auf was dürfen wir uns freuen?
Das machen wir an zwei Tagen im Leipziger Conne Island. Dabei sind Gäste, mit denen wir uns als Band und privat verbunden fühlen. Es wird also keine Hochglanzveranstaltung, sondern eher ein Familientreffen. Infos dazu werden folgen. Eines noch: nächstes Jahr stehen noch andere, wichtige Bandgeburtstage an. STAGE BOTTLES, RAWSIDE, BROILERS, PUNKROIBER ... die werden alle dreißig!

Dann wissen wir ja, wer mit euch im Conne Island feiert, haha. Nicht ganz zufällig sind auch die STAGE BOTTLES im Heft. Wie kam es zu dieser Connection, wie habt ihr damals auf die „West-Skins“ geschaut, welchen persönlichen/subkulturellen Stellenwert haben STAGE BOTTLES für dich, vor allem bezogen auf die klar antifaschistische Haltung?
Ich habe Olaf am 27.06.1997 in Mettmann kennen gelernt. Wir spielten zusammen auf einem Festival. Den Bottles eilte damals ein Ruf voraus, in der Skinheadszene das zu tun, was woanders von der Antifa erledigt wird. Das habe ich sehr bewundert und ich war beeindruckt. Es gab natürlich auch direkt Stress und so nahm die Geschichte ihren Anfang ... Im Laufe der Jahre sind wir uns als Freunde erhalten geblieben und speziell Olaf war für mich immer ein Freund, Ratgeber und auch Mentor. Das, was die STAGE BOTTLES für die europäische Punk- und Skinheadszene getan haben, ist unbezahlbar und wird lange nachwirken!

Und weil du sie schon erwähnt hast, die BROILERS. Da kommt ’ne freche „Wessi“-Oi!-Punkband mit „Ossi“-Namen daher, mischt die Szene auf und ist dreißig Jahre später eine der besten und beliebtesten Bands des Landes. Hätte prinzipiell ja auch euch „passieren“ können ...
Hätte, ja, ist es aber nicht. Das, was die BROILERS geschafft haben, ist harte Arbeit, Fleiß, Kontinuität und die Einstellung, das so zu wollen. Der Unterschied zu LOIKAEMIE ist, unsere Band war immer ein Hobby und wird es auch bleiben. Ich möchte damit kein Geld verdienen, zumindest nicht meinen Lebensunterhalt. Ich möchte mich nicht dem Business unterwerfen, sondern dann Musik machen, wenn ich Lust dazu habe. Ich gönne es den BROILERS. Sie haben hart daran gearbeitet und der Erfolg gibt ihnen Recht.

Machen wir uns nichts vor, 2024 wird’s, vor allem im Osten, tiefblau beziehungsweise kackbraun. Dummheit kann man nicht verbieten und aus der Geschichte lernen ... schwierig. Wiederum legen speziell die subkulturell geprägten Bands den Finger in die Wunde und zeigen klar Flagge. Deutlicher als früher! Meinst du, die Subkultur hat hier das Potenzial, auch in die Breite zu wirken, oder bleibt es letztlich „in der Familie“?
Ich denke, dass die Subkultur schon längst keine Nische mehr ist. Ob gewisse Aussagen in die breite Masse wirken, bezweifle ich aber sehr. Als Vergleich kann man US-Wahlen vs. Positionierung amerikanischer Künstler nehmen. Es wird gehört, ja, aber die Wirkung bleibt oft in der eigenen Blase. Damit will ich sagen, dass gesunder Menschenverstand zählt. Das ist mein Maßstab. Was irgendeine Masse daraus macht, kann ich schlecht beeinflussen. Ich hoffe, dass viele einfach nur verwirrt sind und denken, das wäre Protest. Ich hoffe, dass die Menschen aufwachen und merken, dass man mit Faschisten keinen Preis gewinnen kann. Ich hoffe, dass wir aus der Geschichte lernen und dass Menschen in Menschen etwas Gutes sehen und nicht immer nur das Schlechte.

Thomas, danke für deine offenen Worte, und es müssen ja nicht wieder 16 Jahre bis zum nächsten Album vergehen ... Wenn dir noch was am Herzen liegt, raus damit!
Ich wünsche mir, dass die Menschheit wieder zur Vernunft kommt. Und immer daran denken ... LOIKAEMIE-Songs immer bis zum Ende hören. 2024 gibt es uns dreißig Jahre. Vielen Dank an alle, die uns hören und unterstützen. Das ist eine fantastische Reise!

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Die anderen

Das Comeback, neues Album, LOIKAEMIE überhaupt – aus der Sicht von Paul, Eddie und Bruno

Paul (Bass)

Manchmal führen Wege auseinander ... Und in unserem Falle seit 2019 auch wieder zusammen. Wir sind über die Jahre als Menschen, Musiker und auch als Freunde gewachsen und das hört man auch. So müssen LOIKAEMIE im Jahr 2023 klingen!

Eddie (Leadgitarre)
Es waren aufregende Tage Anfang Juli 2018, als ich plötzlich eine Nachricht von Bruno bekam, dass Thomas anfragte, ob wir nicht Lust hätten, spontan ein Konzert beim Back To Future-Festival zu spielen. What? Konzert spielen? LOIKAEMIE? Ich lese doch falsch ... Aus dem Konzert wurde nichts, aber das war für mich das Zeichen: Okay, es kann wieder was starten mit dieser Band! Eigentlich hatte ich auch immer gehofft, dass dieser Zeitpunkt kommen wird. Im Nachhinein betrachtet war diese Pause von vier, fünf Jahren gut, um sich selbst neu zu sortieren oder anderweitig auszuprobieren. Im Moment der Auflösung im Dezember 2014, fühlte es sich für mich auch irgendwie falsch an. Es hat mich schon sehr mitgenommen. Aber nun sind wir im Hier und Jetzt und ich denke, dass unsere Reunion das Beste war, was uns hätte passieren können. Wir haben viele alte Zöpfe, haha, abgeschnitten und uns unabhängig von Dritten gemacht. Wir haben unser eigenes Plattenlabel gegründet. Durch diese Reunion haben wir es auch geschafft, uns ein wirklich großartiges Team zusammenzustellen. Alles Menschen aus unserem Freundeskreis, die uns helfen, LOIKAEMIE zu dem zu machen, was die Band im Jahr 2023 ausmacht. DIY-Punkrock-Family!
Wenn ich hier schon von Unabhängigkeit schreibe, meine ich es auch so. Wir haben das eigene Label, wir machen das Booking selbst, wir machen den Online-Shop selbst, die Grafiken, die Bilder und Videos. Alles von uns, von unserer Crew oder aus dem direkten Freundeskreis. Das ist ein sehr schönes Gefühl! Die Kehrseite an der ganzen Eigenständigkeit ist natürlich auch, dass wir dadurch wesentlich mehr Arbeit haben und das auch mächtig anstrengend sein kann. Besonders in diesen Tagen, wo die ganze Plattenproduktion organisiert werden muss. Man ist natürlich jetzt auch für alles verantwortlich und muss sich um alles und jeden Gedanken machen. Das kann auch mächtig nerven und bringt einen ab und zu ganz schön in die Bredouille neben dem Job und der Familie. Die Reunion hat uns vier als Band auf jeden Fall ein großes Stück mehr zusammenwachsen lassen. Wir ziehen jetzt wieder gemeinsam an einem Strang und das mehr als je zuvor. Jeder ist bereit, alte Pfade zu verlassen, und springt über seinen Schatten, um neue Sachen auszuprobieren. Das macht echt viel Spaß! Natürlich verdienen wir auch Geld mit der Band, aber so gut wie jeden Taler, den wir verdienen, stecken wir auch wieder in die Band, um solche Projekte wie das eigene Label, Merch, Technik umzusetzen. Letztendlich auch das neue Album zu produzieren, aufzunehmen und zu veröffentlichen. Alles DIY. Am Ende finanziert durch dich!
Und jetzt kommt „Menschen“, unser neues Baby. Es ist mein zweites Studioalbum mit LOIKAEMIE und ich kann, auch wenn das jetzt abgedroschen klingt, getrost behaupten, dass das das Beste ist, was wir, was die Band, je gemacht hat. Jeder ist über sich hinausgewachsen und hat so viel Herzblut reingesteckt, dass wir einfach unwahrscheinlich stolz drauf sind. Musikalisch und textlich. Es gibt aber zwei Menschen die maßgeblich daran beteiligt sind, dass die Band so ist, wie sie im Jahr 2023 sein soll: Kurt Ebelhäuser und Michel Wern. Ohne dieses großartige Produzententeam hätte wir nie zu dieser musikalischen Zufriedenheit gefunden, wie ihr sie jetzt auf unserer neuen Platte hören könnt! Danke, Kurt. Danke, Michel. Und Danke, Crew! In diesem Sinne, lasst uns rein, in euer Herz, in euer Ohr, in euer Bein!

Bruno (Drums)
Schon vor der Auflösung 2014 haben wir an einzelnen Songfragmenten gearbeitet und natürlich war es ein ziemliches Scheißgefühl, diese Ideen zum damaligen Zeitpunkt nicht zu Ende zu bringen. In den vier Jahren ohne LOIKAEMIE habe ich mir oft die Frage gestellt, was daraus geworden wäre. Aber gut, manchmal ist es so und war im Nachgang auch gut. Nach der Pause, als wirklich völlig unklar war, wie und in welcher Form es weitergeht, stand jedoch schon fest, dass wir nur mit neuer Platte weitermachen können. Der Entschluss, zeitnah mit dem Songwriting anzufangen beziehungsweise weiterzumachen, war unumstößlich. Für mich war es natürlich eine riesige Befriedigung, meinen musikalischen Input in die neuen Songs einbringen zu können, nachdem ich so viele Jahre nur alte Songs nachgespielt habe. Wobei ich mich an dieser Stelle wirklich bei meinen Jungs bedanken muss. Sie haben mir bis heute musikalisch nie Vorschriften zu den alten Songs gemacht. „Menschen“ ist das erste Album mit veränderter Besetzung. Dabei die Freiheit zu haben, sich nicht verbiegen zu müssen und das neue Material nach einem bestimmten Schema zu schreiben, war perfekt. Wir konnten uns ausprobieren und es kam zu keinem Zeitpunkt zwischen uns die Diskussion auf, wie die Platte am Ende klingen muss. Es bedarf keiner Rechtfertigung für die Weiterentwicklung einer Band und eines jeden einzelnen Musikers, nach über zehn Jahren. Und es gibt erst recht keine Vorschrift, wie deutscher Oi!-Punk im Jahre 2023 klingen muss. Ich bin mir sicher, jeder von uns vieren ist wahnsinnig stolz auf die neue Platte. Ja, sie wird nicht jedem gefallen, und ja, es klingt anders als in den Neunzigern. Alles andere wäre aber auch schlimm. Lebt damit, wir haben uns nie wohler gefühlt. Prost!

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Olaf, STAGE BOTTLES

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit LOIKAEMIE erinnern? Was haben die damals für einen Eindruck gemacht und hinterlassen?

So genau kann ich das gar nicht mehr sagen, aber das erste Mal könnte auf dem Endless Summer Festival gewesen sein. Mosh von Knock Out Records nahm die ja unter Vertrag, uns auch – allerdings ohne Vertrag, haha. So lernten wir uns vermutlich durch Mosh kennen. In der Folge spielten wir auf vielen Festivals zusammen, und wir hatten und haben, was abhängen und feiern anging, einen gemeinsamen Nenner. So freundeten wir uns richtig an, was bis heute gilt.

Gab es und gibt es eine andere Tradition im Bezug auf die Szene, wenn man alte westdeutschen Skinhead- und Oi!-Hasen wie euch nimmt und dann eine Band wie LOIKAEMIE aus den „neuen“ Bundesländern? Ich denke, in den frühen Neunzigern sah sicher manches anders aus, was drei Jahrzehnte später zusammengewachsen ist.
Da wir früh mit dem gesamten STAGE BOTTLE-Umfeld auf ostdeutschen Festivals auch als Security eingesetzt wurden und uns mit diversen Veranstaltern dort anfreundeten, wuchsen wir da ganz natürlich rein. Außerdem war die politische Lage im Osten ja durch militante Rechte immer sehr prekär, so dass eine Band wie LOIKAEMIE, die klar Stellung bezog, allen Respekt und allen Support verdient hatte. Das gilt auch für manch andere Oi!-Band aus dem Osten. Ich habe ganz im Sinne meiner antirassistischen Haltung, oder wie man das in dem Zusammenhang auch immer nennen will, nie Ostdeutsche im Allgemeinen abgewertet oder sie generell als blöd empfunden. Für mich waren LOIKAEMIE gleich ein Teil der Szene, der immens wichtig war, damit die Faschos im Osten die Straße nicht übernehmen. Da haben LOIKAEMIE ganz sicher einen Anteil dran. Die Konzerte haben mir auch immer Spaß gemacht.

Was schätzt du heute an LOIKAEMIE – generell und bezogen auf das neue Album?
Das neue Album zeigt ein wenig eine parallele Entwicklung zu uns. Der Titel „Menschen“ bei ihnen ist ähnlich nachdenklich wie „We Need Each Other“ bei uns. Die Texte der Lieder versuchen, wie wir es auch mit den STAGE BOTTLES tun, reflektiert und nicht platt zu sein. Es wird auch mal die eigene Szene angepikst. Das Album ist musikalisch viel abwechslungsreicher. Die Lieder haben nicht nur meist Oi!-Atmosphäre wie früher, sondern es sind selbständige Songs. Mir wurde vor Monaten das Album zum Anhören zugeschickt, als wir noch mit dem Mixen und ständigen Anhören unseres neuen Albums beschäftigt waren. Ich war bis zur Oberkante überdosiert mit Zuhören. Ich hatte also gar keinen Bock, um ehrlich zu sein. Ich überwand mich dann, ich konnte das ja nicht ignorieren. Und völlig überraschend machte mir das ganze Album von Anfang bis Ende Spaß. Ich finde, dass unsere beiden Alben zusammen auch ein ganz gutes sich ergänzendes Bild abgibt bezüglich der Felder, die da thematisch beackert werden. Und auch musikalisch sind wir nun näher beieinander. Bin gespannt, wie andere das empfinden.
Joachim Hiller

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TIMELINE

1994/95
1994 treffen sich Micha und Ronny in Plauen, Sachsen. Thomas und Ralf kommen hinzu und LOIKAEMIE wird gegründet. 1995 kommt das erste Demotape.

1996 Ihr Debüt „Ihr für uns und wir für euch“ erscheint auf Knock Out Records. Es landet wegen der Lieder „Leichenschänder“ und „Perverse Sau“ bald auf dem Index.

1997 Die 7“ „Oi! That’s Yer Lot“ wird veröffentlicht. Später im Jahr muss Gründungsmitglied Ronny gehen, weil er inhaltlich nicht mehr tragbar ist.

1998 LOIKAEMIE bringen zusammen mit SMEGMA die 7“ „Oi! The Split!“ raus.

1999 Ihr zweites Album „Wir sind die Skins ...“ erscheint. Außerdem trägt die Band ein Stück zum Soundtrack des preisgekrönten Films „Oi! Warning“ bei.

2000 „Ihr für uns und wir für euch“ wird ohne die beiden indizierten Songs und mit anderem Cover wiederveröffentlicht.

2001 Eine Split-7“ mit MENACE erscheint.

2002 LOIKAEMIE veröffentlichen ihr drittes Album „III“.

2005 Zum zehnjährigen Bestehen bringt die Band „10 Jahre Power From The Eastside“ heraus, ein Live-Mitschnitt ihres Jubiläumskonzerts in Plauen.

2006 Schlagzeuger Micha verlässt die Band und wird durch Paul, vorher am Bass, ersetzt. Den Bass übernimmt dafür Eddie, vorher Gitarre.

2007 Nun zu dritt veröffentlichen sie ihr selbstbetiteltes viertes Album, unter anderem mit einer Coverversion des DIE FANTASTISCHEN VIER-Songs „MfG“.

2011 Nach längerer Pause ist die Band mit neuem Mitglied zurück. Bruno übernimmt das Schlagzeug, Paul und Eddie wechseln wieder an ihre früheren Instrumente.

2014 Die Band gibt ihr vorerst letztes Konzert im Leipziger Conne Island.

2016 Zum zwanzigjährigen Jubiläum wird das 3LP- oder 2CD-Paket plus DVD „20 Jahre. Das Fest. Der Abschied. Die Geschichte“ veröffentlicht, ein Live-Mitschnitt des 2014er Abschiedskonzerts in Leipzig.

2018 Die Band trifft sich erstmals wieder.

2019 LOIKAEMIE spielen ein Reunionkonzert beim Back to Future-Festival.

2022 Die Band findet wieder zusammen und veröffentlicht die 7“„Lumpenmann/Tief im Herzen“ und eine Picture Shape-4-Track-EP, auf der alte Songs zu finden sind.

2023 Es erscheinen die neuen Singles, „Was soll die ganze Scheisse?“ und „Lasst uns rein“. Am 24.11. veröffentlichen LOIKAEMIE ihr neues Album „Menschen“ auf dem eigenen Label Fettfleck Records.

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Diskografie
„s/t“ (MC, Self-Released, 1995) • „Ihr für uns und wir für euch“ (LP/CD, Knock Out, 1996) • „Oi! That’s Yer Lot“ (7“, Knock Out, 1997) • „Oi! The Split!“ (Split-7“ w/ SMEGMA, Knock Out, 1998) • „Wir sind die Skins ...“ (LP, Knock Out, 1999) • „s/t“ (Split-7“ w/ MENACE, Knock Out, 2001) • „III“ (2LP/2CD, Knock Out, 2002) • „10 Jahre Power From The Eastside“ (2LP/CD + DVD, Knock Out, 2005) • „s/t“ (LP/CD, Knock Out, 2007) • „20 Jahre. Das Fest. Der Abschied. Die Geschichte“ (3LP/2CD + DVD, Knock Out, 2016) • „Lumpenmann/Tief im Herzen“ (7“, Fettfleck, 2022) • „Picture Shape“ (12“, Demons Run Amok, 2022) • „Menschen“ (LP/CD, Fettfleck, 2023)