IGNITE

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Neues Kapitel

Nach dem Ausstieg ihres langjährigen Sängers war zunächst nicht klar, ob es die 1993 gegründeten IGNITE im Jahr 2022 überhaupt noch geben würde. Jetzt melden sie sich zurück und haben nicht nur ein brandneues Album, sondern auch einen neuen Sänger im Gepäck. Als einziges verbliebenes Gründungsmitglied hat Bassist Brett Rasmussen die Geschichte seiner Hardcore-Band von Anfang an miterlebt. Uns erzählt er, wie die Kalifornier in einem Jahr knapp vierzig Songs schrieben und – allen Veränderungen zum Trotz – zu ihren Wurzeln zurückkehrten.

Ihr habt euch 2019 von eurem Sänger Zoltán Téglás getrennt. Kannst du kurz erklären, wie es dazu kam und wie sich das für euch angefühlt hat?

Offen gestanden hatten wir schon eine Weile gemerkt, dass es nicht mehr passte. Das war komisch, weil wir eigentlich genau das machten, was uns immer viel Spaß gebracht hatte, in genau der Konstellation, die lange so gut funktioniert hatte. Aber irgendwann war es der logische Schritt, getrennte Wege zu gehen. Als Zoli weg war, fühlte es sich noch komischer an. Da saßen wir plötzlich nur noch zu viert. Aber geblieben war unsere Liebe für Musik, Songwriting und Konzerte.

Stand es jemals zur Debatte, IGNITE aufzulösen? Es gab ja Gerüchte ...
Wir haben uns natürlich gefragt, ob es so noch funktionieren könnte. Aber wir haben schon 2012, als Zoli für ein paar Konzerte nicht dabei war, festgestellt, dass unsere Musik viel wichtiger ist als jede einzelne Person in dieser Band. Wir wollten aber weder einen einfachen Ersatz für Zoli noch die Band komplett neu erfinden, wir wollten einen Mittelweg. Das war nicht einfach. Wir haben uns dann darauf geeinigt: Wenn wir bis Ende 2020 keinen neuen Sänger gefunden haben, hören wir auf.

Und dann kam Eli Santana auf euch zu, der nun euer Frontsänger ist. Woher kennt ihr euch und wieso passt er so gut zu IGNITE?
Tatsächlich ist Eli ein Freund unseres Drummers Craig Anderson und wir mochten auch die Bands, in denen er spielte, zum Beispiel HOLY GRAIL. Wir alle dachten allerdings, dass er nur Gitarrist ist. Als wir dann nach einem neuen Sänger suchten, schlug Eli einfach sich selbst vor. Wir waren mächtig irritiert und es muss ein unangenehmer Moment für ihn gewesen sein, als wir ihn fragten, ob er überhaupt singen könne. Jedenfalls passte es vom ersten Moment an, nicht nur auf musikalischer Ebene, auch auf persönlicher. Wir haben die gleiche Arbeitseinstellung und den gleichen schrägen Humor.

Ist das jetzt ein neues Kapitel für IGNITE?
Ja, definitiv. Es ist aber bestimmt das vierte oder fünfte Kapitel in der Geschichte von IGNITE. Gerade in den Neunzigern hatten wir ein paar Besetzungswechsel und das macht natürlich immer etwas mit einer Band. Dieses neue Kapitel fühlt sich richtig gut an und ich bin unfassbar dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, nach all den Jahren noch mal ein neues Album aufzunehmen, auf Tour zu gehen und die Geschichte der Band weiterzuerzählen.

Dann lass uns über eure neue Platte sprechen. Was sofort auffällt, ist, dass es ein selbstbetiteltes Album ist. Das machen Bands oft bei ihrem ersten Werk. Wieso habt ihr euch gerade jetzt dafür entschieden?
Das alles fühlt sich wie eine Neugeburt der Band an, deshalb ist es in gewisser Weise auch ein Debüt und, wie du sagst, das wollten wir damit ausdrücken. Wir haben aber lange hin und her überlegt, ob es die richtige Entscheidung ist – ich hoffe, das ist es.

Eure neue Platte klingt auch tatsächlich anders als eure letzten Sachen. Man hat das Gefühl, ihr kehrt ein wenig zu euren Wurzeln zurück, mehr Nineties-Vibes, aber auch moderne, frische Klänge. Wie würdest du „Ignite“ beschreiben?
Das trifft es gut. Wir wollten eine energetische und temporeiche Platte machen, eine, mit der sich auch unsere ursprünglichen Fans identifizieren. Das Ganze haben wir mit einer zeitgemäßen Energie gemixt. Für mich ist es das Beste aus beiden Welten.

Kannst du den Prozess dahinter ein bisschen genauer beschreiben?
Anfangs waren wir etwas verloren, haben viel ausprobiert. Wir haben vierzig komplette Songs geschrieben, Musik, Texte, alles drum und dran. Die meisten davon sind im Jahr 2020 entstanden, nur wenige hatten unser Gitarrist Nik Hill und ich bereits vorher angefangen. Vielleicht hat uns dabei auch die Pandemie in die Karten gespielt, weil wir kaum etwas anderes zu tun hatten, als in unseren Zimmern zu sitzen und uns Song-Fragmente hin und her zu schicken. Aus den vierzig Titeln haben wir dann die stärksten ausgewählt. Das war unglaublich kompliziert: Stell dir vor, du darfst nur ein Viertel deiner Songs auf das Album bringen, nach welchen Kriterien wählst du sie aus? Das war enorm kräftezehrend, aber hat uns letztendlich auf den richtigen Weg gebracht. Es hat aber unheimlich gutgetan, einfach drauflos zu schreiben. Für mich als Songwriter ist es das Größte, neue Musik zu schreiben und am Ende sagen zu können: Ja, das ist wirklich das Beste, was ich in den letzten Jahren zustande gebracht habe.

Neu sind auch eure Inhalte, die wirken persönlicher ...
Ja, Zoli hat in den letzten Jahren sehr viel Politisches in seinen Texten verarbeitet. Diese Themen gibt es noch immer, zum Beispiel geht es bei „The river“ um Immigration und das riesige Problem, das die USA mit ihrer Grenzpolitik haben, dass es vielen Familien unmöglich ist, nach Amerika zu kommen, um hier ein sicheres Leben zu führen. Noch immer ist uns wichtig zu fragen, was die richtige Antwort darauf oder gar die Lösung sein kann. Aber der Großteil unserer Songs ist nun viel privater. Ein Beispiel ist „On the ropes“: Sollte es irgendwo eine höhere Macht geben, richtet sich dieser Song an sie und schreit ihr all die Frustration entgegen, die wir in unserem Alltag mit uns herumtragen. Wieso sind manche Situationen so brutal und überwältigend? Der Song ist unserem Freund Jon Bunch von SENSE FIELD gewidmet, der 2016 verstarb. Müsste man die Themenwelten auf eine Waage legen, wäre diesmal wohl etwas mehr Gewicht auf der persönlichen Seite als auf der politischen.

Was glaubst du, woher der Wechsel zu persönlicheren Themen kommt?
Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir nun mehrere Songwriter haben. Zoli war immer sehr überzeugt von seinen politischen Ansichten und den Organisationen, die er unterstützt, so dass er diese Inhalte extrem gefördert hat. Nun verteilt sich das Songwriting auf mehrere Köpfe und jeder steuert sein persönliches Päckchen bei.

Apropos: Ihr habt in der Vergangenheit Sea Shepherd unterstützt, euren CDs und LPs sogar Spendenformulare beigelegt. War das Zolis Einfluss und wie ist aktuell eure Verbindung zu Sea Shepherd?
Tatsächlich stammte diese konkrete Idee von Zoli. Durch ihn haben wir Sea Shepherd vor zwanzig Jahren kennen und schätzen gelernt. Ich habe bis heute den höchsten Respekt vor dem, was sie leisten. Aber nun sind wir breiter aufgestellt, wir würden gerne weitere Organisationen unterstützen, die für uns im aktuellen Setup Sinn ergeben. Welche genau das sind, finden wir gerade noch heraus.

Und was sind eure Pläne für dieses Jahr?
Wir haben drei Touren geplant, eine bereits im Mai in Europa gemeinsam mit PENNYWISE. Im Sommer stehen dann ein paar Festivals an. Und danach weitere Club-Shows ... Dieses Album vor Publikum zu spielen, wird so unfassbar viel Spaß machen – ich kann es kaum erwarten!

Zum Abschluss: Was fällt dir in der Musikwelt aktuell positiv auf?
In jedem Fall das neue Album von COMEBACK KID, „Heavy Steps“, das höre ich rauf und runter. Und mich hat die BEATLES-Dokumentation auf Disney+ total fasziniert. Da sitzen einfach vier Jungs in ihren Zwanzigern und sind genauso eine Band, wie wir es sind, streiten sich über die gleichen Themen und machen die gleichen blöden Witze. Ich bin schon seit meiner Kindheit ein Fan der BEATLES, habe mir damals „Magical Mystery Tour“ bei meinen Eltern geklaut und dann war es um mich geschehen. Aber zu sehen, dass diese vier unerreichbaren Legenden eigentlich ganz normale Menschen sind, hat mich meine Verbindung zu ihnen aus einer ganz neuen Perspektive entdecken lassen.