GIVER

Foto© by Sebastian Igel

Etwas Hoffnung in schweren Zeiten

GIVER hätten sich für die Veröffentlichung ihres neuen Albums „The Future Holds Nothing But Confrontation“ keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Kriege, der Klimawandel und die gesellschaftliche Spaltung bestimmen das Weltgeschehen und spitzen sich immer weiter zu. Die Band ist seit eh und je für ihre direkte und politische Art bekannt – auch über die Musik hinaus. Wir sprachen mit den Bandmitgliedern Chris und Benedikt darüber, wie man es in diesen schwierigen Zeiten hinbekommt, hoffnungsvoll zu bleiben.

Beim ersten Hören eurer neuen Platte hatte ich den Eindruck, dass sie eine sehr bedrückende Stimmung erzeugt. Mit was für einem Gefühl seid ihr damals ins Studio gegangen?

Benedikt: Für uns hat sich das alles wie eine logische Schlussfolgerung von dem angefühlt, was vorher passiert ist. Es war uns nochmal wichtig, mit voller Ernsthaftigkeit eine neue Platte zu machen. Dabei hatten wir eine konkrete musikalische Vorstellung und wollten uns von dem wegbewegen, was unsere früheren Sachen geprägt hat. Wir wollten einfach schauen, welche Türen sich noch öffnen lassen.
Chris: Unser letztes Album „Sculpture Of Violence“ ist noch vor Corona rausgekommen und wir hatten damals eine Menge geplant. Dann hat sich Holy Roar Records aufgelöst und wir haben uns gefragt, was wir jetzt machen sollen. Wir haben uns gezielt vorgenommen, dass wir uns noch mal ästhetisch weiterentwickeln und neue Elemente mit einfließen lassen wollen. Deshalb ist auf der neuen Platte zum Beispiel viel Black Metal und Post-Punk zu hören.

Der Sound, der Albumtitel, das Cover – all das bildet einen sehr stimmigen Rahmen, ein gutes Gesamtprodukt. Alles wirkt sehr düster und vermittelt eine gewisse Hoffnungslosigkeit. Inwieweit kann man dem Ganzen auch etwas Hoffnungsvolles abgewinnen?
Chris: Wir haben darüber tatsächlich eine Menge geredet. Themen wie Rechtsruck, soziale Ungerechtigkeit und Klimakatastrophe machen das natürlich nicht einfach. Uns ist klar, dass wir uns als Band in der Szene politisiert haben. Und auch neben der Musik haben wir uns viel engagiert. Unsere Zeile „Hope is not an attitude“ fasst das ziemlich gut zusammen. Wenn man Hoffnung als etwas Religiöses definiert, das draußen auf einen wartet, dann ist es schwer, Hoffnung zu haben. Für uns ist es einfach wichtig, dass wir den Mund aufmachen und uns positionieren. Denn dadurch zeigen wir, dass wir hoffnungsvoll sind. Letzten Endes können Verhältnisse nur besser werden, indem Konfrontationen passieren. Und auch wenn Hardcore nicht unbedingt das Genre für hoffnungsvolle Songs ist, sehen wir unser neues Album trotzdem als hoffnungsvolle Platte.
Benedikt: Und die Antithese zu Konfrontation wäre ja, etwas hinzunehmen.

Ihr habt geschrieben, dass euer Album in einer Zeit entstanden ist, in der immer weniger Menschen mit Hoffnung in die Zukunft blicken. Das ist bei dem aktuellen Weltgeschehen nicht verwunderlich. Woher zieht ihr eure positive Energie?
Chris: Mir hat es sehr geholfen, aktiv zu werden. Als ich gecheckt habe, wie schlimm die Klimakrise ist, hatte ich richtig depressive Phasen. Das habe ich sonst so nicht. In dieser Zeit hat es mir gutgetan, mich als Teil einer Lösung zu fühlen und mit anderen auf die Straße zu gehen. Es gibt ein passendes Zitat von der Philosophin Lea Ypi: „Es muss nichts Gutes in der Welt geben, damit wir Hoffnung haben.“

Verspürt ihr bei den Themen, die ihr in eurer Musik ansprecht, gesellschaftlichen Druck?
Chris: Es ist auf jeden Fall richtig schwer, Texte zu schreiben, ohne Phrasen zu dreschen. Wir haben uns im Albumprozess auch immer wieder gefragt, was man beisteuern kann und was für ein emanzipatorisches Potenzial in Subkulturen steckt. Deshalb haben wir uns entschieden, zur Platte ein Zine mit vielen Referenzen zu veröffentlichen, um den Leuten ein bisschen was mitzugeben. Die gute alte Punk-Praxis!
Benedikt: Ich finde es schön, dass du unser Album vorhin als gutes Gesamtprodukt bezeichnet hast. Und das spielt da am Ende auch mit rein. Die Musik ist für viele der erste Kontaktpunkt und anschließend können alle frei entscheiden, wie tief sie eintauchen möchten. Das Ganze ist eher ein Angebot und man muss nicht bis zu einer bestimmten Ebene durchdringen.
Chris: Am Ende macht man ja einfach Mucke, weil es Bock macht. Und trotzdem hat man als Band natürlich auch eine gewisse Reichweite, die man nutzen kann. Kultur kann Identität geben und Menschen können dadurch an gewisse Themen herangeführt werden. Auf dem neuen Album haben wir uns viel mit wirtschaftlichen Aspekten beschäftigt. Ganz nach dem Motto: Die Reichen werden immer reicher. Bei „Sculpture Of Violence“ stand dagegen viel mehr das Individuum im Fokus.

„Gravitational pull“ ist ein Song, der mir zum Thema „Die Reichen werden immer reicher“ extrem im Kopf geblieben ist. In dem heißt es: „No love for the landlords in town / No love for the king and his crown / No love for the church and its priests / No love for the police“. Warum habt ihr euch für einen solchen Rundumschlag entschieden?
Chris: Am Ende ist das natürlich ein etwa vierminütiger Song, in dem alles verkürzt dargestellt ist. Aber vor allem die soziale Frage wird immer krasser und ist in der Punk- und Hardcore-Szene total unterrepräsentiert. Die hohen Mieten machen es zum Beispiel schwer, durch den Alltag zu kommen. Das wurde durch die Pandemie noch mal verstärkt und die Klimakrise wird das Ganze weiter beschleunigen. Zum Thema Polizei: Man muss sich einfach mal anschauen, wer in Deutschland im Knast sitzt. Da sind viele Leute, die schwarzgefahren sind, während steuerhinterziehende Milliardäre keine Sau interessieren. Und damit hängt auch der Rechtsruck zusammen. Viele Leute, die die AfD wählen, fühlen sich ökonomisch abgehängt und wissen nicht mehr, wohin mit sich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das mehr Raum auf unseren Shows haben sollte.

Was mir noch bei dem Song und generell auf dem Album auffällt: Ihr wechselt immer wieder ins Deutsche. Hat das einen stilistischen Hintergrund?
Chris: Irgendwann hatten wir einfach die Idee dazu und ich habe den Text für „Nieder“ geschrieben. Als Hardcore-Band orientiert man sich normalerweise viel an amerikanischer Musik und wir dachten uns, dass wir ein bisschen Deutsch mit reinbringen können, wenn wir es fühlen. Wir haben uns das nicht wirklich strategisch überlegt.

Ihr seid als deutsche Band auch immer wieder in England unterwegs. Man hat das Gefühl, dass dort die politische Einstellung zu bestimmten aktuellen Themen etwas polarisiert. Hat das bei euren Shows dort schon mal für Schwierigkeiten gesorgt?
Benedikt: Wir bekommen das gerade vor allem über Social Media mit. Der Nahostkonflikt ist innerhalb der Szene ein großes Thema. Mit GIVER hatten wir bislang noch keine Probleme, aber wir waren seit Kriegsbeginn auch nicht mehr drüben.
Chris: Mich haben tatsächlich schon Leute aus Bands oder Booker angeschrieben und gefragt, wie das Conne Island in Leipzig so drauf ist, weil das Kulturzentrum aktuell so krass in Verruf geraten ist. Die Leute in England sehen oft den Rechtsruck in Sachsen nicht und können nicht wissen, was für ein wichtiger Ort das Conne Island für die linke Szene ist. Die deutsche Sozialisation ist in diesem Fall eine krass andere. Ein anderes Beispiel ist das Booze Cruise Festival in Hamburg. Dort haben in diesem Jahr alle englischen Bands abgesagt wegen der Haltung des Veranstalters zum Nahostkonflikt. Bevor wir mit unserem neuen Album nach England kommen, sollten wir uns aber auf jeden Fall noch mal Gedanken machen.

Seht ihr eine Möglichkeit, wie man sich innerhalb der Szene wieder etwas annähern kann?
Chris: Man muss miteinander reden. Das Allerschlimmste ist dieser Diskurs via Social Media, den Benedikt erwähnt hat. Anstatt dass man über diesen komplexen Konflikt ein Gespräch führt, werden Leute blockiert und outgecalled. Man kann die Meinung einer anderen Person richtig scheiße finden und sich auch mal streiten. Trotzdem muss man diskutieren können, ohne sich direkt zu canceln. Wären die Bands aus England zum Booze Cruise Festival gekommen, dann hätte man sich viel besser austauschen können.
Benedikt: Man muss sich ja nicht direkt den Konsens als Ziel setzen. Es reicht erst mal, wenn man sich etwas annähert und sich mit Menschen beschäftigt, auch wenn sie komplett andere Ansichten haben.
Chris: Das Traurige ist ja, dass uns gleichzeitig mega viel verbindet. Natürlich ist der Nahostkonflikt unglaublich schlimm, aber deswegen darf sich die Szene nicht spalten lassen.