© by Neal McQueen

Verlegen, vertagen, verschieben

Interviews mit Peter Hein sind immer eine hochinteressante Angelegenheit. Hein ist nämlich nicht nur jemand, der Punk und Post-Punk hierzulande prägte, indem er dem Genre mit „Monarchie und Alltag“ einst ein Referenzwerk schenkte. Er ist auch ein Mensch, der beim Gespräch gerne mit subtilem, mitunter beinahe sarkastischem Humor arbeitet. Eigentlich sollte das Interview von Angesicht zu Angesicht im Düsseldorfer Proberaum der Band stattfinden. Peter Hein war eigens für die Interviews aus seiner langjährigen Wahlheimat Wien angereist. Doch dann kam Corona dazwischen und verlangte nach einem Gespräch am Telefon, in dem es natürlich vor allem um das neue FEHLFARBEN-Album „?0??“ geht, und das immer wieder von über den Proberaum hinwegrauschenden, am nahen Flughafen startenden Flugzeugen gestört wird.

Peter, euer neues Album heißt „?0??“. Das klingt nach: Wir wissen selbst nicht, welches Jahr wir gerade haben. Die vergangene Zeit der Pandemie hat uns alle durcheinandergebracht. Inklusive des Zeitempfindens. Es ist alles egal.
Also die Fragezeichen sehen zwar schon ein bisschen aus wie Zweien und man könnte durchaus sagen: Es ist immerhin dieses Jahrtausend, um das es geht. Aber ja, es geht durchaus ums Verlegen, Vertagen, Verschieben. Es ist alles dabei.

Inwiefern habt ihr als Band eine gewisse Orientierungslosigkeit gespürt in den vergangenen Lockdowns?
Also ich bin absoluter Fan von Lockdowns! Denn so viel habe ich noch nie zuvor verdient. Es war für freischaffende Musiker ja durchaus ein einträgliches Unterfangen.

Okay. Und ernsthaft?
Dann muss man sagen: Man konnte nichts spielen, nichts machen. Wenn man irgendetwas plante, war das zwei Wochen später schon wieder hinfällig. Also, im Winter haben wir es endlich mal geschafft, uns hinzuhocken und eine Woche mit Spielen und Schreiben zu verbringen. Eigentlich waren zwei Wochen geplant. Aber dann haben wir uns gegenseitig angesteckt und es wurde kürzer. Aber dieses Zusammenkommen war gut. Das ist besser, als wenn man irgendwelche Files rumschickt. Davon halte ich nix. Da heißt es dann ja immer: „Hier, ich schicke dir was! Das ist die superneue Gitarre! Hör mal!“ Und die hört sich dann für mich wie die alte Scheißgitarre an. Ich erkenne da keine Unterschiede.

So wie das für viele Menschen bei CD und Vinyl der Fall ist – Vinyl klingt ja angeblich immer besser. Auch wenn es dafür letztlich keinen Beweis gibt.
Richtig. Kann auch keiner beweisen. Auch wenn es natürlich so ist, dass Vinyl kratzt. Kratzer gehören dazu. Wobei ich niemals neues Vinyl kaufe.

Peter Hein, Punkveteran und aufgewachsen im Vinyl-Zeitalter, kauft kein neues Vinyl?
Nein. Wenn ich mir etwas Neues kaufe, dann auf CD. Und wenn ich mal etwas auf Vinyl geschenkt bekomme, dann höre ich es mir nicht an. Dieses neue Vinyl ist ja immer so schwarz, dick und flach. Das hat keinen Tiefgang mehr. Die alten Platten kannst du wenigstens noch knicken.

Das passt zu einem Interview, das wir beide vor ein paar Jahren führten. Damals sagtest du, du hättest auf deinem Handy keine Apps installiert. Ist das immer noch so?
Ja, habe ich immer noch nicht. Ich habe das alles stillgelegt. Ich bin auch kein Kunde bei Google. Nichts. Wir mussten ja im vergangenen Winter nur häufiger mal diese Zoom-Kacke machen. Gezwungenermaßen. Aber das ist gar nicht meins.

Wo wir gerade bei Apps sind: Es gibt eine App, mit der kann man die Flugzeuge am Himmel quasi scannen und sehen, welcher da gerade für welche Fluggesellschaft von wo nach wo fliegt. Zumindest diese App würde sich für dich während eurer Probewochen ja durchaus lohnen.
Ach, die hat unsere Schlagzeugerin Saskia auch. Als gestern ein Flugzeug hier vorbeikam, auf dem nichts draufzustehen schien, da dachte ich schon: „Das ist bestimmt vom Geheimdienst.“ Aber sie hat dann diese App aufgemacht und konnte uns sagen, dass das „Royal Jordanian“ oder so etwas in der Art war. Das Flugzeug war aber so klein ... Ich glaube ja immer noch, dass das vom Geheimdienst war. Oder irgendwas mit windigen Geschäften zu tun hatte. Hier im Rheinland werden ja immer windige Geschäfte gemacht.

Wie wird der Titel eures Albums „?0??“ eigentlich korrekt ausgesprochen?
Ich spreche da normalerweise immer von: „Zwanzigzweiundzwanzig“. Aber ich weiß nicht, was die Werbeabteilung dazu sagt. Beziehungsweise will die natürlich, dass man genau danach fragt. Und dann sollen wir am besten antworten: „Ja, also das musst du selber wissen. So wie es für dich ist. Das ist dann richtig.“ Haha!

Kommen wir mal auf ein paar Zeilen zu sprechen, die aus den neuen Songs herausstechen. In „Europa“ heißt es: „Wir können nicht ohne Altlasten leben“. Das klingt derzeit nach Gerhard Schröder. Eine Altlast, die schwerer und schwerer wird.
Ja, das stimmt. Aber das Prophetische war zum Zeitpunkt des Songwritings dieser Stücke ja noch nicht da. Das war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht evident. Die Sache mit der Altlast bedeutet eher, dass ich jetzt dem Altersstarrsinn huldigen werde.

Tatsächlich? Wie alt bist du gleich noch mal?
Ich bin 57 – aber als Jahrgang, haha.

Und da bist du altersstarrsinnig?
Das sagen zumindest einige Leute.

Na, dabei hört sich diese Platte doch eher nach jugendlichem Elan und nach Wut an. Nicht nach Altersstarrsinn.
Dass man mir das nicht so anmerkt, liegt womöglich daran, dass ich nicht twittere und so. Diesen Scheißdreck braucht man doch nicht. Würde ich das anders machen, wäre ich vielleicht so eine Art neuer, altersstarrsinniger Trump.

Du singst: „Ich fühle mich in die falsche Welt gestellt, ich fühle mich trotzdem eins mit ihr“. Das erinnert mich an die Berliner KOTZREIZ. In deren Song „Nüchtern unerträglich“ heißt es: „Immer wenn ich nüchtern bin, wird mir wieder klar, dass die Welt keinen Sinn ergibt, und trotzdem bin ich da.“ Was bedeutet: Man muss sich eben trotzdem mit dieser Welt arrangieren.
Das ist eines dieser üblichen politischen Beziehungslieder von uns: „Alles ist scheiße da draußen. Aber ich ziehe mich ins Private zurück. Zu Hause ist dann wieder alles okay. Oder ein bisschen zumindest.“

Gerade in Zeiten wie diesen wäre es aber doch auch gut und wichtig, wieder rauszugehen. Unter Leute! Oder?
Ja, das haben wir ja in einem anderen Lied gemacht.

„Tanz auf der Straße“?
Genau. Und das habe ich auch im Lockdown getan. Zumindest Spazierengehen und Ertüchtigung waren ja erlaubt. Überhaupt war ja Lockdown ohnehin nur für die Blöden und die Asis.

Ein schöner Seitenhieb auf die Schwurbler, Peter! Dazu passt ja auch gut, dass du im Song „Nachhaltig“ zwischen – angeblich – schlau und – wirklich – klug unterscheidest und singst: „Wie war es bequem, ohne Lösung zu leben.“ Ist das das Problem heutzutage? Dass die – vermeintlich – Schlauen auf alles einen Dreck geben und sagen „Lass einfach laufen“ und die Klugen dafür zu viel über Dinge nachdenken?
Das kann man genau so sehen.

Bist du denn ...
Ich bin nicht schlau. Ich bin blöd.

Also ich wollte jetzt eher fragen: Bist du jemand, der sich zu viele Gedanken macht?
Ich versuche, das zu vermeiden. Vor allem versuche ich, Panik zu vermeiden und mich nicht um jeden Scheiß zu kümmern.

Ohne Nachdenken würdest du als Songschreiber aber nicht weit kommen, oder?
Ja, obwohl ich ja nicht die Lieder an sich mache, sondern nur die Worte zu den Liedern.

Mag sein, aber funktionieren Lieder ohne gute Texte?
Wenn es Ohrwürmer sind?

Das stimmt. Leider. Siehe „Layla“.
Haha, genau. Aber es gibt auch andere Beispiele. Umgekehrt können DIE ÄRZTE das zum Beispiel ganz gut. Die machen Ohrwürmer mit guten Texten. Da finden sich die Volldeppen plötzlich scheiße, wenn sie mitgrölen.

Ein anderes Stück auf der neuen Platte dreht sich dem Titel nach um „Stolz“. Ist Stolz per se eine schlechte Sache?
Im Großen und Ganzen schon, vor allem der Nationalstolz. Denn wir sind ja alle nur durch Zufall hier. Und auch wenn man etwas Gutes hingekriegt hat, muss man nicht so viel Aufhebens darum machen. Klar: Wenn Karl Arsch irgendwas gewinnt, dann mag das noch gehen. Aber sonst? Nein, lieber nicht.

Dann frage ich mal ketzerisch: Bist du stolz darauf, mit „Monarchie und Alltag“ ein Referenzwerk des Punk aufgenommen zu haben, auf das sich viele andere Künstlerinnen und Künstler beziehen?
Sagen wir mal so: Ich nehme es zur Kenntnis. Denn das bringt mir ja nichts. Wenn es wenigstes dafür sorgen würde, dass ich dadurch immer etwas aufs Konto bekommen würde, dann wäre das vielleicht anders, haha. Aber so? Nein.

Na, das ist nun aber Understatement.
Natürlich haben die Leute irgendwie recht. Und tatsächlich ist vieles andere, was es damals und seitdem gab, noch viel beschissener als „Monarchie und Alltag“. Diese Platte ist besser als andere Dinge von damals. Aber das war ja trotzdem nur Zufall. Wir haben ja nicht damit gerechnet, dass das so groß wird. Wir waren ja nur kleine Großkotze.

Immerhin habt ihr kurz vor der Pandemie im Düsseldorfer Zakk beim dortigen „Lieblingsplatte“-Festival ein Konzert gegeben, bei dem ihr „Monarchie und Alltag“ durchgespielt habt.
Und wir haben im Anschluss daran eine Tour dazu gemacht.

Genau. Also ist es so, dass ihr nun auf jeden Fall noch ein weiteres neues Album aufnehmen musstet, damit es nicht heißt: Bei den FEHLFARBEN begann es mit „Monarchie und Alltag“ – und ehe Corona kam und alles kaputt machte, endete es auch damit?
Ja, das kann man so sagen. Das fand ich auf jeden Fall so. Und ich denke jetzt, nachdem das geklappt hat mit „?0??“, dass wir auch noch mal eine weitere Platte hinkriegen in Zukunft. Und damit meine ich kein beschissenes Live-Album!

Eine „Best Of“?
Das ist bei uns schwierig. Denn unsere Songs sind ja auf mehrere Plattenfirmen verteilt.

Oha, das böse und schnöde Vertragshickhack.
Genau. Da wären die Anwaltskosten wahrscheinlich größer als der Ertrag, wenn wir das als „Best Of“ rausbringen wollten. Man hat ja leider immer irgendwelche blöden Verträge, die man irgendwann mal unterschrieben hat. Ich kann das alles gar nicht mehr auseinanderhalten. Das ist alles ein Vertragswirrwarr. Damit möchte ich nichts zu tun haben. Das sollen andere machen.

Ein eigenes Label wäre vielleicht die Lösung. Endlich Unabhängigkeit.
Ach, mir ist es lieber, das macht eine Plattenfirma. Das ist besser, als wenn ich meine eigene Kohle dafür auf den Kopf haue wie einst bei Sneaky Pete Records. Das war damals ja bei FAMILY*5 zumindest eine Zeit lang auch das Problem. Aber ich könnte mir das auch nicht mehr leisten. Damals habe ich ja noch als Werktätiger gearbeitet. Heute als Künstler verdiene ich ja nichts mehr. Ich würde ja auch keine Schlafzimmerproduktion raushauen wollen, sondern etwas, das Qualität hat. Sonst macht das keinen Sinn. Ein Beispiel: Ich liebe Wrecklesse Eric. Aber seinen Lo-Fi-Enthusiasmus konnte ich noch nie teilen. Das wäre nichts für mich. So etwas müsste ich nicht rausbringen.

Ist das, was du in „Brot ohne Spiele“ besingst, der Status quo unserer Gesellschaft: Eine Kunst und Kultur, die inhaltsleer geworden ist? Irrelevant?
Alles, was nicht wir, sondern die anderen machen, ist für die Blöden gemacht. Nur wir machen etwas für die Klugen, haha. Aber ernsthaft: Ja, genau darum geht es. Aber das ist ja auch keine Erkenntnis, die wir erst seit kurzem haben. Das Thema findest du ja auch auf anderen Platten von uns.

Mag sein. Aber es wird dringender. Schau dir mal Plattformen wie TikTok an. Ein Musikvideo dauert fünf Sekunden, dann kommt das nächste. Wieder fünf Sekunden, wieder das nächste. Immer weiter. Du hörst Lieder nicht mal mehr annähernd am Stück. Nur in kleinen Dosen. In Snippets.
Und genau das ist auch der Grund, warum ich beispielsweise auch YouTube oder Spotify oder so ignoriere. Ich nehme lieber eine Platte, lege die auf und höre zu. Ich muss Musik schon etwas länger haben und hören – abgesehen davon, dass der Sound auf diesen Digitalplattformen immer so schrecklich ist.

Ist auch „?0??“ ein Album, das man zwingend am Stück hören sollte?
Das kann ich ja keinem vorschreiben. Und natürlich gibt es auch Alben, auf denen es einzelne schlechtere Songs oder eine ganze schlechte Seite gibt, die man dann überspringt. Aber ich bin selbst auch immer zu faul, um dann aufzustehen und weiterzudrücken oder so. Ich höre eine Platte entsprechend meist ganz durch.

In „Tanz auf der Straße“ zitierst du die BEASTIE BOYS und MOTÖRHEAD. Bei dir kann man da ja nie sicher sein: Ist das jetzt als Ironie oder als Hommage gemeint?
Sowohl als auch. Ein ganz entschiedenes „Jein“, haha. Das sind Sachen, denen man zu ihrer Zeit schlichtweg nicht entkommen konnte, die aber etwas hatten. Ich hätte mir beispielsweise nie ein MOTÖRHEAD-Konzert ansehen können. Das hätte ich nicht ausgehalten. Aber dennoch war der Typ, Lemmy, ja grenzgenial.

Zudem klingt der Song irgendwie nostalgisch. Bist du ein nostalgischer Mensch?
Hmm, ich halte es da mit den BUZZCOCKS: „Nostalgia for an age yet to come.“ Oder anders: Früher war alles besser, außer dem, was scheiße war.

Im Stück „Der letzte Traum“ gibt es die Zeile: „Das Ende naht. Wer braucht noch ein Kind?“ Das leitet über zu einer aktuellen Diskussion: Darf man eigentlich noch Kinder in diese verdorbene Welt setzen?
Also dieser Diskussion habe ich mich noch nie angeschlossen. Ich will diese Kackbratzen einfach nicht haben, haha. Ich bin der W.C. Fields unter den deutschen Ex-Punks. Ich bin gegen Kinder.

Aber Kinder könnten die Zukunft der FEHLFARBEN-Hörerschaft sein.
Darum kümmert sich ja der Rest der Truppe. Wir sind da mit Kindern reichlich versorgt.

Im Video zum Stück „Europa“ werden sehr viele Köpfe von bekannten Leuten aus allen Sparten des Lebens gezeigt. Welche sind deiner Meinung nach die prägendsten Köpfe Europas?
Das ist jetzt schwer ... Campino vielleicht? Oder Sebastian Vettel? Ich weiß nicht ... Ich kenne die doch alle nicht mehr. Ich schaue ja nie Fernsehen. Zudem wohne ich ja in Österreich. Und die haben ja wie die Italiener jede Woche eine neue Regierung und Namen, die alle gleich klingen. Da komme ich nicht mehr mit. Außerdem: Europa? Das liegt doch irgendwo da im Ruhrpott! Und die sind an allem schuld! Und deswegen bin ich dafür! Auch weil man ohne Passkontrolle nach Holland kann.

Verstehe. Fliegst du gerne, wenn du aus Österreich nach Düsseldorf reist?
Ich fahre gerne mit dem Zug. Habe ich gestern auch gemacht. Nur wurde ich da irgendwann stinkig, weil es in zwei Zügen kein Restaurant gab, das geöffnet hatte. Da wurde ich mal kurz ausfällig. Und später fiel ein Zug ganz aus. Da stand ich dann und mir wurde gesagt: „Der Zug fällt wegen Schaden aus. Sehen Sie zu, wie Sie nach Köln kommen.“ Das ist nicht schön.

Könnte dich das je zu einem Song inspirieren?
Nein. Mir wurde ja auch schon häufig gesagt: „Mach doch mal ein Lied gegen die Kirche!“ Aber warum? Die stellt sich doch selbst ins Abseits. Was soll ich dazu also noch beitragen?