Bei dem Gedanken diese Rezi zu schreiben, ging mir als erstes durch den Kopf, dass ich „Knietief im Dispo" nicht wie alle anderen es wahrscheinlich machen, mit deren früheren Alben vergleichen werde. Das war vor drei Tagen und da hatte ich sie erst einmal und dazu noch oberflächlich gehört.
Nach zahllosem Einsatz in meinem CD-Spieler ist mir jetzt klar, dass es so einfach nicht geht. „Scheiße, nichts mehr wie früher" hing an der einen Bühnenseite, als die FEHLFARBEN anlässlich der Popkomm ein einziges Konzert gaben.
„Scheiße, nix Neues" hing an der anderen. Mich würde nicht wundern, wenn beide Statements von Peter Hein abgefasst wurden, und dessen Sinn für tiefere Bedeutungen ist ja bekannt. Denn einerseits ist „Knietief im Dispo" Geschichtsunterricht der anderen Art, andererseits ist es dermaßen zeitgemäß, dass mit Stockhieben bestraft werden sollte, wage sich einer, Worte wie Comeback, Revival oder Retro auf seiner Tastatur zu tippen.
Ich maße mir an zu behaupten, dass ich nicht erst durch „Verschwende deine Jugend" einen tieferen Einblick in die musikalische Karriere Peter Heins hatte. Diese Platte ist MITTAGSPAUSE, sie ist „Monarchie und Alltag", sie ist FAMILY 5 und sie ist alles, was im Buch nur zwischen den Zeilen zu erkennen ist.
Dafür muss man nur „Das Leben zum Buch" anhören, oder auf all die Anspielungen achten, wie bei „Herzen gelandet", oder „Sieh nie nach vorn". Nichts geht mehr voran! Nun ist FEHLFARBEN nicht gleich Peter Hein.
Kurt Dahlke, alias der Pyrolator, seines Zeichens zwar kein echtes Originalmitglied der Urbesetzung, sondern damals nur bei „Paul ist tot" am Synthi, darf, genau wie sein damaliger Mitstreiter Frank Fenstermacher, auf mehr als ein nur geniales Werk seiner Vergangenheit zurückblicken, bis hin zu seinem Mastering der ersten VIBRAVOID-Platte.
In herausragendem Zusammenspiel mit den beiden Gitarren von Thomas Schwebel und Uwe Jahnke, treiben dessen elektronische Sounds, die Musik der FEHLFARBEN in die Gegenwart, ohne auch nur eine der Wurzeln, aus denen diese Band hervorgegangen ist, zu unterschlagen.
Unwichtig zu kategorisieren, ob es sich nun um Punk handelt, oder wirkliche Popmusik. Moderne Töne treffen auf 3-Akkorde-Riffs, Eigenständigkeit wird mit Zitaten versüßt. „Teenage Kicks" am Telefon.
Das Fundament dazu liefern Michael Kemners Bass und Saskia von Klitzings Schlagzeug, was mich gerade im Falle der beiden auch live in Begeisterung versetzte. Trotz alledem führt kein Weg an Peter Hein vorbei.
Wenngleich die Credits von Text und Musik sich laut Booklet auf die gesamte Band verteilen, wage ich zu behaupten, dass der Großteil der Worte von ihm stammt. Es gibt soviel Scheiße, dass man manchmal dauernd kotzen möchte.
Hein bringt es auf den Punkt, Rundumschlag nach allen Seiten, ohne jedoch die unerträgliche Betroffenheit vor zu heucheln, was aus Gründen der Gesellschaftskompatibilität bei anderen Bands nur allzu oft der Fall ist.
Wer sonst kann in einem einzigen kurzen Text, „Schnöselmaschine", punktgenau Weltpolitik, Religionsverlogenheit und Medienmanipulation zusammenfassen? Ernüchterung nach über 20 Jahren, oder einfach nur ein klareres Bild? Was der Himmel damals nicht nur erlaubte, sondern zum ehrlichsten Liebeslied machte, ist heute weniger romantisch verklärter Einsicht gewichen, alles nur Pornographie und von allein schon gar nicht mehr machbar.
Dennoch ohne Verbitterung geschildert, nur ehrlich, wie auch im wohl persönlichsten Text des Albums „Die kleine Geldwäscherei". Die FEHLFARBEN haben noch mal klargestellt, wer die Wegebereiter waren und tatsächlich auch immer noch sind.
Ach ja, die CD hat mit „Lebenslust" noch einen großartigen Bonustrack (48:06) 10/10
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