ENVY sind die japanischen Götter des düsteren Post-Hardcores. Seit Ende der Neunziger sind sie aktiv, haben bislang fünf Alben veröffentlicht, davon die letzten vier inklusive „Recitation“ von 2010 auf MOGWAIs Rock Action-Label. Interviews mit ENVY sind schwierig, da die Band kaum des Englischen mächtig ist und man so auf die Hilfe eines Übersetzers angewiesen ist. Und so war es der in den USA lebende Tourmanager Katsu, der zwischen Sänger Tetsuya Fukagawa und mir übersetzte.
Tetsuya, du verstehst etwas Englisch, sprichst es aber kaum. Wie geht ihr mit der Sprachbarriere um, wo doch Kommunikation für Bands ein zentrales Thema ist? Ersetzt in eurem Fall die Kommunikation mittels Musik die durch Sprache?
Erschwert wird die Sache in unserem Fall noch dadurch, dass wir ja auf Japanisch singen, keine englischen Texte haben. Da finden wir es umso erstaunlicher, dass wir es bei Konzerten im Ausland immer wieder erleben, dass das Publikum unsere Texte mitsingt, ohne zu verstehen, was sie da singen. Klar, die ahmen die Laute eher nach, als dass sie „richtig“ Japanisch singen, dennoch finde ich das beeindruckend. Richtige Kommunikation ist das aber auch nicht, es ist mehr der Ausdruck von Gefühlen, also der Versuch, mittels Gefühlen zu kommunizieren.
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat der Philosoph Paul Watzlawick einst festgestellt.
Eigentlich ist das alles doch ganz einfach: Indem wir all diese Länder bereisen, auf Tour gehen, unsere Lieder spielen und darauf Feedback bekommen, kommunizieren wir ja mit unseren Fans – wenn auch nicht über die Sprache.
Ist die Reaktion auf eure Musik und Texte in Japan, wo diese wie auch die Ansagen verstanden werden, eine andere als im Ausland?
Die Konzerte in Japan sind generell anders, aber das hat weniger etwas mit der Kommunikation als mit kulturellen Unterschieden zu tun. Dass die Reaktionen andere sind, liegt meiner Meinung nach nicht daran, dass die Texte verstanden werden, die Menschen in Japan amüsieren sich auf Konzerten einfach auf eine andere Weise als im Westen.
Und worin liegt der größte Unterschied, den ihr als Band beispielsweise in Europa wahrnehmt?
Ich erinnere mich an Konzerte in Italien, wo die Menschen sehr aggressiv reagierten, wir beinahe das Gefühl hatten, angegriffen zu werden. Oder an ein Konzert in einem Squat in Frankreich, das auch etwas völlig anderes war als alles, was wir aus Japan kennen. Solche Konzertorte gibt es in Japan einfach nicht, und wir finden es durchaus interessant, diese neuen Erfahrungen zu machen.
Man hört immer wieder, das Publikum in Japan sei generell zurückhaltender. Trifft es das?
Japaner sind generell ruhiger und schüchterner – bis zu dem Moment, wo einer im Publikum loslegt und alle anderen mitmachen. Sie warten also irgendwie immer auf diese eine Person. Woran das liegt? Ich denke, das hat wirklich was mit dem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund zu tun. Jenseits aller kultureller Unterschiede ist die Musik von ENVY dann aber doch wieder so universell, dass sie Menschen weltweit verbindet.
In der Tat ist Post-Rock/Hardcore ein weltweit existierendes Genre, aber würdest du sagen, dass sich in der Musik ein spezielles japanisches Element findet, mal abgesehen von den Texten?
Ich denke schon, aber mir fällt es schwer zu definieren, was das ist. Die Tatsache allein, dass wir in Japan leben und vor diesem Hintergrund unsere Musik entsteht, ist ein Einfluss, aber der ist schwer zu beschreiben. Mir fällt es genauso schwer, das speziell Deutsche an einer deutschen Band auszumachen. Um ehrlich zu sein, habe ich dafür kein besonderes Bewusstsein.
Nun war Japan in den letzten Monaten wegen der Reaktorkatastrophe von Fukushima medial sehr präsent. Hat dieser Unfall euch als Band wie auch persönlich getroffen, jenseits der allgemeinen Betroffenheit aller Japaner?
Fukushima ist ein immenses Ereignis, das sich auf alle Aspekte meines Lebens ausgewirkt hat. Ich hatte wirklich für einen Moment Todesangst. Ganz besonders schlimm ist es natürlich für die Menschen in der Region Fukushima, wo ich Verwandte habe. Um den Betroffenen zu helfen, haben wir einen Song aufgenommen, dessen Erlöse wir an die Opfer spenden – wie viele anderen Musiker und Bands auch.
Nun gibt es in Europa von jeher eine gewisse Verbindung von der seit den Siebzigern aktiven Anti-Atom-Bewegung zur Punk- und Hardcore-Szene. Ist in Japan etwas Ähnliches zu beobachten, im Sinne einer Politisierung?
In Japan gab es bis zur Fukushima-Katastrophe eigentlich keine politischen Demonstrationen, doch seitdem finden regelmäßig Demos mit zehntausenden Menschen statt. Bis zum 11. März hatten die Menschen, die gegen Atomkraft sind, keine Stimme in Japan, doch jetzt können sie ihre Meinung äußern und werden gehört. Und natürlich interessieren sich auch viel mehr Menschen für das Thema, während es vorher den meisten egal war. Ich denke auch nicht, dass sich das so schnell wieder ändern wird und sich auch wirklich die Einstellung zur Atomenergie dauerhaft ändert. Die Regierung war bislang nicht wirklich ehrlich zu den Menschen, was die Ereignisse von Fukushima und ihre Auswirkungen betrifft, wir wissen einfach nicht, was wahr ist und was nicht. Die Regierung und ihr Handeln steht seitdem unter sehr genauer Beobachtung der Bürger, die die Wahrheit wissen wollen, und das ist eine große Veränderung für Japan. Ich denke, das atomare Zeitalter ist in Japan vorbei, die Menschen werden ein immer stärkeres Bewusstsein entwickeln für die Risiken. Ob sich in politischer Hinsicht etwas ändert, wage ich zu bezweifeln. Die Regierung in Japan ist wirklich total abgefuckt. Übrigens sprechen wir in Japan von Fukushima als „3/11“.
In Analogie zum „9/11“ der USA, also den Terroranschlag auf das World Trade Center in New York?
Ja, genau! Für uns ist das ein ähnlich einschneidendes Erlebnis, und seit 3/11 ist das Misstrauen gegenüber der Politik nur noch gewachsen. Wer immer auf die Regierung noch Hoffnung gesetzt hat, tut das nun nicht mehr.
Zu so einer niedergedrückten Stimmung passt auch die Musik von ENVY, die sehr düster und schwermütig ist. Sieht so auch euer Blick auf die Welt aus?
Ja, schon. Die Musik ist eine Reflexion meines Blicks auf die Welt, meiner Persönlichkeit?
Und das nächste ENVY-Album wird noch düsterer?
Oh ja! (grinst) Nein, so anders als die bisherigen Sachen wird das nicht werden.
Nun hast du eben gegrinst. Was macht dich glücklich, ganz allgemein?
Auf Tour gehen zu können, on the road zu sein, Menschen treffen, im Studio an neuen Songs arbeiten. Und natürlich meine Familie. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die wichtig sind und die mich zum Lächeln bringen.
Besten Dank für das Interview.
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