DIRTY NIL

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Hail Rock’n’Roll!

Mit dem Debüt-Album „Higher Power“ von 2016 konnten sich THE DIRTY NIL aus Dundas, Ontario nicht nur in Kanada einen Namen machen. Diverse Einflüsse verschiedener Genres waren es, die THE DIRTY NIL einzigartig machten. 2017 fassten sie ihre zahlreichen Singles auf „Minimum R&B“ (Fat Wreck) zusammen und 2018 folgte mit „Master Volume“ ihr zweites Album. Ende Januar 2021 erscheint ihr neues Album „Fuck Art“, dessen unverwechselbarer Rock’n’Roll-Sound Anlass ist, mal wieder mit ihnen zu reden.

Auf Twitter habt ihr geschrieben: „Gott ist tot. Lang lebe der Nil“. Was würde der Nil tun, was Gott nicht tut?

Luke: Wahre Erlösung anbieten, natürlich elektrisch. „Hail Rock’n’Roll“.

Immer mehr Veranstaltungsorte in Deutschland gehen aufgrund von Corona die Mittel aus. Besonders kleine Locations können es nur mit Hilfe schaffen. Wie ist die Situation in Kanada?
Kyle: Wir haben hier das gleiche Problem. Wir haben einige staatliche Gelder, um die Veranstaltungsorte am Leben zu erhalten. Es gibt auch einige großartige Initiativen und Wohltätigkeitsorganisationen wie „Save Our Stages“, die hart daran arbeiten, dass die Clubs die Pandemie überleben. Wir haben auch gesehen, dass einige Locations, die wir lieben, geschlossen wurden, was wirklich traurig ist. Ich hoffe, dass bis nach der Pandemie einige Konzertorte erhalten bleiben.

Ich habe gelesen, dass ihr alle zusammenlebt und deshalb eine Menge Zeit für eure Musik habt. Wegen Corona geht viel Geld durch fehlende Shows und Merchverkäufe verloren. Wie haltet ihr euch über Wasser? Kehrt ihr jetzt wieder zu euren erlernten Berufen zurück?
Kyle: Musik ist ehrlich gesagt der einzige Beruf, den jeder von uns gelernt hat. Aber wir sind kreativ und haben Wege gefunden, Geld zu verdienen und am Leben zu bleiben. Wir sind sehr dankbar, dass die kanadische Regierung einige Hilfsgelder für Leute wie uns zur Verfügung stellt, die ebenfalls arbeitslos sind. Viele wären ohne diese Unterstützung völlig am Ende. Ich arbeite derzeit für eine Anwaltskanzlei. Wir sind auch gerade dabei, die „Dancing 2 Thrash Tour“ zu machen, die eine komplette Livestream-„Tour“ ist. Es läuft echt gut und bringt auch etwas Geld rein. Ein großes Lob an unseren Manager für diese Idee und an „NoonChorus“, dass sie diese Plattform zur Verfügung stellen.

Verglichen mit eurem Debüt „Higher Power“ hatte euer letztes Album „Master Volume“ eine andere Energie. Auch wenn das Feedback darauf überwiegend positiv war, schien es hier und da Kritik zu geben. Inwiefern hat das die Arbeit an „Fuck Art“ beeinflusst?
Kyle: Wir achten nicht wirklich darauf, was die Leute über unsere Musik sagen, also hatte das auch keine Auswirkung auf die Entstehung von „Fuck Art“. Es gab Dinge bei „Higher Power“, mit denen wir unglücklich waren, was dazu führte, dass wir bei „Master Volume“ noch intensiver auf die Produktion geachtet haben. Insgesamt waren wir zufriedener damit. Die Leute werden immer eine Meinung haben, ob negativ oder positiv. Als wir an „Fuck Art“ arbeiteten, merkten wir, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem wir tun können, was wir wollen, und das war ein befreiendes Gefühl. Es gibt definitiv neue Farben auf unserer Palette, und ich kann es kaum erwarten, dass unser Publikum sie entdeckt.

Die beiden vorigen Platten waren doch eher soft. Wie würdet ihr „Fuck Art“ im Vergleich dazu beschreiben?
Kyle: Ich schätze, das hängt davon ab, was du mit „soft“ meinst. Ich denke, „Fuck Art“ ist eine solide Mischung aus allem, was wir bisher gemacht haben, mit einigen neuen Elemente. Wir können darauf sehr laut und heavy sein, zeigen aber auch unsere empfindsame Seite. Es ist in gewisser Weise eine Erweiterung dessen, was wir auf „Master Volume“ gemacht haben. Also ja, es ist verdammt soft.

In dem Song „Done with drugs“ heißt es: „At 17 I had a dream I’d never die / But now I’ve got responsibilities / And that is why I’m done with drugs“. Die Zeile und der Rest des Liedes scheinen ein bisschen wie das klassische Adoleszenz-Dilemma. Wie passen Rock’n’Roll und das Erwachsenwerden zusammen?
Luke: Für mich geht es bei Rock’n’Roll nicht darum, jung zu bleiben, es geht um die Wahrheit. Wahrhaftiger Ausdruck und echte Gefühle, positive und negative. Ich denke, dass die Leute die Jugend mit Rock’n’Roll assoziieren, weil man sich, wenn man jung ist, eher ehrlich ausdrückt. Solange du das dein ganzes Leben lang tust, kannst du unter dem Banner der Wahrheit und Schönheit fliegen.

Es gibt kein Lied über den Lockdown oder Corona. Habt ihr euch bewusst entschieden, euch nicht auf die Pandemie zu beziehen?
Luke: Nein, die Platte wurde vor der Pandemie geschrieben. Wir hatten gerade erst mit den Aufnahmen begonnen, als das Virus die Welt lahmgelegt hat. Wir haben die Arbeit daran unter seltsamen und unsicheren Umständen beendet. Es war ein wilder Ritt und ich würde daran nichts ändern. Für mich macht es das zu einem Corona-Album.

Es macht einen sehr persönlichen Eindruck mit Texten wie „Hello jealousy“. Ist bei euch im Moment viel los?
Luke: Im Leben gibt es immer Hölle und Honig. Es ist schön, sich etwas davon rauszupicken und mit seinen Jungs laute Songs darüber zu schreiben. Im Moment fühle ich mich verdammt gut.

Der Titel „Fuck Art“ ist eine ziemlich starke Aussage ...
Luke: Es ist eine gewaltige Aussage, ja, aber für mich geht es um das Feiern, nicht um Zynismus. Es ist auch so etwas wie ein Kommentar zu der Banalität, die sich selbst Kunst nennt. Aber hauptsächlich soll er Freude bringen.

Wenn dieses Interview im Ox veröffentlicht wird, ist euer Album noch nicht erschienen. Jetzt habt ihr die Chance, den Leuten zu sagen, warum sie es kaufen sollten. Was macht es besonders und wie könnt ihr die wenigen, die noch nicht von euch abgeholt wurden, damit überzeugen?
Luke: Ich bin kein Verkäufer, aber ich spiele in der besten Band der Welt. Ich kann nur sagen, dass „Fuck Art“ das Beste ist, was wir jemals gemacht haben, und ich bin extrem stolz darauf. Es ist gleichzeitig das härteste und schönste Sammlung von Songs, die wir je zusammengestellt haben. Außerdem gibt es keine billigen Nummern über die Pandemie, nur Songs, die das Leben und seine Absurditäten feiern. Schmeiß dein Handy in die Ecke, dreh die Musik auf, lass uns deine „Doom Boys“ sein. „Fuck Art“ ist für die Kids.

Mehrere Songs auf dem Album handeln von Träumen. Ist das der einzige Weg, diesen Alptraum namens Corona zu ertragen, oder reicht es, sein Handy wegzuwerfen und rauszugehen?
Luke: Zerschlag dein Handy und geh an die frische Luft.

Im Laufe eurer Karriere hattet ihr oft die Gelegenheit, vor großartigen Bands wie THE WHO zu spielen. Falls 2021 wieder Konzerte stattfinden können, bei wem würdet ihr gerne dabei sein und wen würdet ihr gerne als Support mitnehmen? Und ist trotz allem schon etwas geplant, auf das ihr euch freuen könnt?
Kyle: Wir würden absolut gerne wieder mit Bands wie AGAINST ME! und WHITE REAPER spielen. Wir mögen sie so sehr und es wäre eine wahre Freude, wieder mit ihnen auf Tour zu gehen. Ich würde auch gerne mit IDLES, DRUG CHURCH oder sogar QUEENS OF THE STONE AGE spielen. Wir haben bislang noch kein richtiges Live-Konzert geplant, aber hoffentlich wird es früher oder später wieder gehen.

Die Pressemitteilung zu „Fuck Art“ beginnt mit der Aussage, dass 2020 die Chance hat, das schlimmste Jahr des Jahrzehnts zu werden. Heftige Waldbrände, eine globale Pandemie, in den Medien werden Rassisten immer lauter, globale Aufstände, enorme Arbeitslosigkeit ... Die Liste ist lang. Steht das Ende der Welt kurz bevor?
Kyle: Es könnte sehr gut sein ... Aber hey, dann kannst du genauso gut bei deinen Lieben bleiben und lachend mit dem Schiff untergehen. Das Leben ist kurz, also genieße, was du hast, solange du kannst.