DARTS

Foto© by Per Ake Warn

Lebe deinen Traum

Nur ein Jahr nach „Snake Oil“ vom Frühjahr 2023 haben THE DARTS aus Kalifornien ihr neues Album „Boomerang“ herausgebracht – und das trotz Dauertour. Wie schafft man das? Sängerin und Farfisa-Expertin Nicole Laurenne verrät das im Ox-Interview. THE DARTS, die bevorzugt im Leopardenfell-Look auf der Bühne stehen, haben derzeit einen guten Lauf, ihre Shows all over Europe sind gefeiert, wobei sie immer noch die kleinen Clubshows bevorzugen – sie sind eine Band, an der man nah dran sein muss, um diese Garage-Punk-Power mit Orgeltupfen wirklich erfahren zu können.

Nur ein Jahr nach „Snake Oil“ kam gerade euer neues Album – wie kommt das?

Als ich „Snake Oil“ schrieb, hatte ich Jello Biafra eine Menge Demotracks vorgelegt – etwa dreißig oder so –, die er für die Platte in Betracht ziehen konnte. Er wählte die Songs aus und dann buchten wir die Studiozeit. Aber genau an dem Morgen, an dem wir mit den Aufnahmen beginnen wollten, rief Jello an und sagte: „Kannst du vielleicht noch ein paar Songs mit auf die Platte packen? Denn ‚Your show‘ und ‚Hang around‘ sollten unbedingt drauf sein.“ Wir hatten damals einfach nicht genug Zeit, um noch weitere Stücke aufzunehmen. Also haben wir versprochen, so schnell wie möglich wieder ins Studio zu gehen und es nachzuholen. Dann hatten wir erst mal eine Million Konzerttermine, außerdem war es kurz nach der Pandemie und es gab Verzögerungen in der Lieferkette beim Pressen des Vinyls, und so dauerte es ewig, bis „Snake Oil“ endlich erscheinen konnte, das war etwa ein Jahr, nachdem wir es aufgenommen hatten. Während wir auf Tour waren, ergab sich die Gelegenheit, mit dem Produzenten Mark Rains aufzunehmen, von dem ich schon lange Fan bin. Ich war so aufgeregt, dass ich einen Haufen fertiger Songs zusammentrug, darunter auch die beiden, die Jello ausgesucht hatte, und wir fuhren für drei Tage nach Los Angeles, um „Boomerang“ einzuspielen, noch bevor „Snake Oil“ überhaupt raus war. Das Timing war sicher etwas bizarr, aber die Songs waren fertig, wir waren bereit, nachdem wir ein Jahr lang nichts mehr aufgenommen hatten, und Mark war verfügbar. Das Ergebnis ist „Boomerang“, unser Schnellschuss-Album.

Bei dem Album war also alles etwas mehr DIY?
Während der „Snake Oil“-Tour haben wir gemerkt, dass wir als Band zusammenkommen müssen, um monatelang vor den Augen des anderen zu überleben. Wir haben gelernt, dass wir ein stärkeres Team werden, wenn wir viel miteinander reden und uns gegenseitig sagen, was wir fühlen, und unserem Instinkt vertrauen, anstatt zu sehr auf äußere Einflüsse zu hören. Das Aufnehmen von „Boomerang“ war also eine Chance, das in die Praxis umzusetzen. Wir haben die Arbeit mit Jello und Bob sehr genossen, und „Snake Oil“ ist unserer Meinung nach ein episches Album. Aber dieses Mal hatten wir das Gefühl, dass wir die Welt einfach abschließen und das machen mussten, was die Band in unseren Köpfen hörte, nicht mehr und nicht weniger. Mark Rains hat ein wunderbares Gespür dafür, ein Album atmen zu lassen, die Musik für sich selbst sprechen zu lassen, und hat für seine Fähigkeit, diese Qualitäten einzufangen, Grammys gewonnen. Also ja – es ist nicht gerade DIY, da Mark einen großen Anteil am Ergebnis hatte –, aber es ist definitiv die Band, die versucht, das zu schaffen, was wir, und nur wir, in unseren Köpfen gehört haben.

Mir fällt gerade auf, dass im dem Titel der Begriff „Boomer“ steckt, der heutzutage vor allem von der Generation Z benutzt wird, um Leute im Alter 50+ zu beschimpfen. Gibt es eine Geschichte dahinter?
Daran habe ich nie gedacht! Ehrlich gesagt, wie Tina Turner einmal sagte, bist du nur so alt wie deine Beine. Oder so ähnlich. Jedenfalls treten meine immer noch ganz ordentlich auf der Farfisa herum, also kann die Generation Z gerne mal die Klappe halten. Der Titel bezieht sich darauf, wie schnell wir das Album nach „Snake Oil“ gemacht haben, aber auch auf eine Zeile in „Hang around“, „You’re a fucking boomerang“, die sich auf toxische Menschen bezieht, die einen einfach nicht in Ruhe lassen, obwohl man sich bemüht, sie loszuwerden.

Als wir uns das letzte Mal unterhielten, hattest du dich gerade von deinem Job als Richterin zurückgezogen. Wie fühlt es sich an, in diesen Post-Pandemie-Zeiten hauptberuflich Musikerin zu sein?
Es ist ein Traum! Ich lebe meinen Traum, endlich, nachdem ich so viele Jahre versucht habe, den juristischen Beruf, Mutterschaft, meine Ehen und, wenn ich ganz ehrlich bin, auch einige Depressionen unter einen Hut zu bringen. Es war ein unglaublich verschlungener Weg bis hierher, aber jetzt bin ich endlich im Reinen mit mir selbst, mit der Welt und mit der Musik. Jeder Erfolg, den wir jetzt damit haben, ist nur ein Bonus, ganz ehrlich; solange ich dieses Leben Tag und Nacht leben kann, bin ich glücklich. Natürlich ist nichts, was sich lohnt, einfach, und natürlich ist permanent zu touren, sich zu vermarkten und irgendwie damit Geld zu verdienen, eine große Herausforderung, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Ich bin schon dankbar, wenn überhaupt irgendjemand die Sachen hören will, die ich schreibe. Ich bin jedes Mal verblüfft, wenn ich einen Veranstaltungsort betrete und dort Zuschauer sehe. Ausverkaufte Shows in Städten wie Madrid, London und Edinburgh, ausverkaufte erste Vinylpressungen von „Boomerang“, noch bevor das Album überhaupt richtig veröffentlicht wurde – das übersteigt alles, was ich mir je hätte vorstellen können.

Du hast bis vor kurzem in Arizona als Richterin gearbeitet. Im April 2024 wurde bekannt, dass Arizonas höchstes Gericht ein Gesetz aus dem Jahr 1864, das Abtreibungen fast komplett verbietet, bestätigt hat. Was denkst du darüber – als ehemalige Richterin, aber auch als Mitglied einer Band mit einer feministischen Agenda?
Prinzipiell kann ich natürlich die juristische Argumentation nachvollziehen, mit der das Gericht zu seiner Entscheidung gekommen ist. Aber meine Angst um meine Freund:innen und Kolleg:innen – und die Freund:innen meiner Kinder, die ebenfalls dort leben – ist sehr real. Wir sind alle so traurig darüber, wohin sich die Diskussion in unserem Land bewegt; so viele Menschen leiden und werden ignoriert. Wir sind viel in Europa unterwegs und sehen, dass dort viele Dinge besser geregelt sind. Ich weiß natürlich, dass es auch in Europa besorgniserregende Entwicklungen gibt, aber es scheint doch insgesamt ein besseres System zu sein. Meine Mutter war Physikerin und eine Pionierin auf ihrem Gebiet, und die Welt sah zu, wie ihre Generation eine Hürde nach der anderen einriss, um uns den Weg zu ebnen. Jetzt zu sehen, wie sich die Grenzen langsam wieder schließen, ist erschreckend. Ich bin so wütend! Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass alles ganz anders aussehen würde, wenn es die Männer wären, die schwanger werden. Ich hoffe nur, dass die Wählerinnen und Wähler in Arizona jetzt aufstehen und die Gesetze geändert werden. Die Abtreibungsfrage ist nur eine von vielen, die uns hier im Moment bedrücken.

Ihr seid in den letzten anderthalb Jahren ständig auf Tournee gewesen. Wie anstrengend und erfüllend ist das?
Wir waren vier Mal in Europa unterwegs und auch einige Male in den USA. Touren ist alles, was wir machen wollen. Das Tourleben ist nicht für jeden etwas. Wir mussten uns Mitte letzten Jahres als Band zusammensetzen und über gewisse Dinge sprechen und ein paar Kompromisse aushandeln, denn es ist wirklich nicht einfach. Christinas Sohn kam einen Monat lang mit uns, aber wir haben ständig Abschlussfeiern und Schulkonzerte verpasst. Bei meinem Vater wurde im April letzten Jahres, einen Tag vor unserer Abreise nach Europa, ein Hirntumor diagnostiziert, und als er im September starb, saß ich schon wieder im Flugzeug zurück nach Europa. Ich hatte das Glück, im Sommer für eine gewisse Zeit zu Hause und bei ihm sein zu können. Außerdem werden wir alle immer wieder krank, ich war in Spanien sogar mal in der Notaufnahme. Unser Booker dort hat eine riesige Tüte Medikamente, die er zusammen mit meiner Farfisa bis zur nächsten Tour bei sich aufbewahrt, für den Fall, dass wir im Sommer eine Erkältung bekommen. Aber am Ende ... wenn wir auf die Bühne gehen, wenn die ersten Fuzz-Basstöne den Song beginnen, wenn sich eine Schlange am Merchstand bildet, sind wir so selig, wie ein Mensch nur sein kann. Das ist buchstäblich alles, was wir tun wollen. Wenn wir länger als einen Monat zu Hause sind, fühlen wir uns irgendwann gereizt und ruhelos. Bei mir war das schon immer so und ich hoffe auch, dass sich das nie ändert.

Täusche ich mich oder läuft es für euch in Europa tatsächlich besser?
Du hast zu 200% recht. In Europa hat man unsere Musik schon immer besser verstanden als in den USA, denke ich. Selbst meine letzte Band, THE LOVE ME NOTS, lief in Europa viel besser. Ich kann nicht genau erklären, woran das liegt. Ich glaube, die Europäer kümmern sich nicht so sehr um Genres, Labels, Alter, Aussehen, Popularität, kommerziellen Erfolg ... Stattdessen haben wir das Gefühl, dass wir immer vor lauter Leuten spielen – jedes Alter, jeder Stil, jeder Hintergrund –, die einfach nur auf gute Musik stehen. Sie hören wirklich zu, mit ihren Ohren, und glotzen nicht nur wie viele Amerikaner mit ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Sie sagen mir am Merchtisch die aufschlussreichsten Dinge. Sie scheinen die Musik wirklich zu verstehen und sie wirklich zu mögen. Das Gleiche passierte in Großbritannien, wo wir letztes Jahr zum ersten Mal auf Tour waren. Wir haben auch das unglaubliche Glück, dass unsere Booking-Agentur Adrenalin Fix Music uns so tatkräftig unterstützt, weil sie an uns glaubt und diese riesigen Touren möglich gemacht hat. Wir können es kaum erwarten, ab Juni wieder zu kommen.

Was versetzt dich beim Touren in Europa immer noch in Erstaunen?
Das Essen ist ein großes Thema. Wenn du in Spanien sagst, dass du Vegetarierin bist, bekommst du eine Pizza mit Thunfisch drauf. In Frankreich gibt es den ganzen Tag und die ganze Nacht Brot und Käse, aber keinen einzigen Bissen Broccoli. Und wer hätte gedacht, dass indisches Essen in Deutschland so gut ist? Während unseres Soundchecks in Norwegen haben sie an der Bar selbstgemachte Waffeln gebacken. Je weiter nördlich du kommst, desto besser werden die veganen Optionen. In Spanien und Belgien mögen sie Crowdsurfing und den allgemeinen Wahnsinn, in Frankreich und Italien sind sie etwas zurückhaltender, kaufen dann aber wie verrückt das ganze Merch, in Deutschland sind sie sehr unverblümt in ihren Bemerkungen nach der Show – „Das war fantastisch, du siehst nur furchtbar erschöpft aus“ –, aber haben tolle Bandwohnungen. Clem Burke kam zu unserer Show in London! Wir haben auf zwei Partybooten in Deutschland gespielt, die uns umgehauen haben. Die verschwitzten Shows in unterirdischen Höhlen in Frankreich waren surreal. Wir haben in Genf unglaubliche Fotos gemacht, einige kannst du auf der „Boomerang“-Hülle sehen. Wir haben auf einer Skipiste in Frankreich jemandem den nackten Hintern signiert. Und überall, wo wir hinkamen, gab es so viel Liebe, Umarmungen und pure Freude am Merchstand nach den Shows, dass es schwer zu beschreiben ist, ohne jetzt emotional zu werden. Wir haben Menschen kennen gelernt, die mittlerweile ein wichtiger Teil unseres Lebens geworden sind. Und wir haben noch gar nicht darüber gesprochen, wie es ist, wenn unsere französische Gitarristin Louise auf der Rückbank stundenlang versucht, sich mit unserem Chicagoer Schlagzeuger Beef auf der Rückbank zu verständigen, und keiner ein Wort von dem versteht, was der andere sagt. Es gibt ständig was, worüber wir uns totlachen.

Wie geht es deiner Farfisa? Nach jeder Show sieht es so aus, als hättest du das arme Ding gerade umgebracht ...
Der Orgel geht es gut, danke. Ich klopfe auf Holz, aber sie braucht auch nach all der Zeit und dem übermäßigen Gebrauch nicht wirklich viel Pflege. Vor ein paar Jahren haben wir in Italien gespielt und Leute von der Farfisa-Fabrik kamen zur Show. Ich habe Fotos gemacht, auf denen sie Teile meiner Farfisa in der Hand halten. Ich glaube, sie waren ziemlich beeindruckt, wie gut sie gemacht war – ich bin es jedenfalls. Letzten Sommer haben wir das Farfisa-Werksgelände in Italien besucht, aber sie stellen keine Orgeln mehr her, sondern nur noch Türklingeln und Gegensprechanlagen, glaube ich. Ich bin mir sicher, dass sie ein wenig verwirrt waren, warum ich all diese Fotos neben ihrem Firmenschild gemacht habe. Aber meine Farfisas – ich habe eine in Europa und drei in den USA – haben noch alle Originalteile, abgesehen von einer modernen Buchse, die wir für die Kabel eingebaut haben, und einer Stahlstange zur Verstärkung der Frontplatten. Sie haben sogar noch die originalen Lederriemen aus den 1960er Jahren, mit denen die Beine zusammengehalten werden, wenn ich sie zusammenklappe. Diese Art von Qualität kann man heute nirgends mehr kaufen, egal, worum es geht.

Kannst du mir zum Schluss was über die Texte folgender Songs erzählen? Fangen wir an mit „Pour another“ ...
Ich habe vor ein paar Jahren mit dem Trinken aufgehört und mich von vielen Dingen und Menschen gelöst, die mir nicht guttaten. Dieser Song erinnert mich an all die Gründe, wegen denen ich früher getrunken habe – von Flugreisen über Ängste, wenn ich einen Raum voller Menschen betrete, bis hin zu Wutausbrüchen gegenüber Autoritätspersonen, die mich geärgert haben, und der Wunsch, mir die Menschen schönzusaufen, um sie erträglicher zu machen. Aber ich mag es, dass viele Leute denken, es sei ein Trinklied. Du kannst aus dem Stück das herausziehen, was du brauchst.

Und „Hell yeah“ ...?
Im Juli 2022 haben wir uns einen Traum erfüllt, nämlich live beim legendären Radiosender KEXP in Seattle zu spielen. Es war inmitten der Pandemie und zwei von uns hatten sich in der Woche vor der Session mit Corona angesteckt. Wir hatten große Angst, dass wir nicht auftreten dürfen. Aber wir haben uns am Tag vor dem Abflug negativ getestet und im Studio noch einmal, sie waren sehr streng. Und nachdem wir die Session gemacht hatten, ging ich raus und hörte Meliza sagen: „Hell yeah!“ Und in diesem Moment nahm der Song in meinem Kopf Gestalt an, als Hommage an diese unglaubliche Erfahrung. Vielleicht spielt KEXP den Song ja eines Tages im Radio.

Zuletzt „Night“ ...
John Carlucci, ein DJ des Sirius XM-Senders Underground Garage, hat früher bei THE FUZZTONES und THE SPEEDIES Bass gespielt und schickt mir gelegentlich Basslinien. Von ihm stammen zum Beispiel die Basslinien für unsere Songs „The cat’s meow“ und „My heart is a graveyard“. Diesmal diente mir eine als Grundlage, um „Night“ zu schreiben. In den letzten Jahren habe ich gelernt, auch solo glücklich und zufrieden zu sein. Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben war ich nicht in einer Beziehung, und ich habe gemerkt, dass das Leben auch so wirklich gut sein kann. Mehrere Songs auf „Boomerang“ handeln vom Alleinsein. Ich habe keine Angst mehr vor der Nacht, keine Angst vor der Einsamkeit oder davor, die Dinge allein anzupacken. „Night“ ist eine Liebeserklärung an dieses Gefühl.