Im Herbst 2022 hatte ich das große Vergnügen, THE DARTS live zu erleben, und schon lange hatte mich keine Band mehr so mitgerissen. Die Garage-Punk-Combo von der US-Westcoast legte einen Auftritt solcher Vehemenz hin, dass einem echt die Spucke wegblieb. Kein „Love tsunami“ – so der Titel ihrer letzten 7“ – war das, sondern ein Farfisa-Fuzz-Garage-Punk-Hurricane mit enorm viel Bühnen-Action. Nun ist nach „I Like You But Not Like That“ (2019) das „Snake Oil“-Album auf Alternative Tentacles erschienen, das damals im Herbst schon fertig war. Ich sprach mit Christina und Nicole vor ihrem Konzert im Solinger Waldmeister über Jello Biafra, der die Studioaufnahmen begleitete, über die bewusste Entscheidung, eine reine Frauenband zu sein, und die Vereinbarkeit von Beruf und Band.
Wenn das Interview erscheint, ist euer neues Album „Snake Oil“ gerade raus. Das habt ihr bei Alternative Tentacles veröffentlicht, und Jello Biafra war als Produzent mit im Studio. Wie ist es, mit Jello im Studio zu arbeiten?
Christina: Du fängst gleich mit einer schwierigen Frage an ...
Nicole: Jello ist ein sehr intensiver Mensch. Er ist sehr gut ist in dem, was er tut. Und er ist sehr intensiv bei der Sache.
Christina: Er weiß, was er will. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von uns. Wir wissen nie, was wir wollen. Wir schmeißen Sachen an die Wand und schauen was hängenbleibt.
Nicole: Und wir sind sehr spontan, und so war das eine ganz besondere Dynamik. Er hat uns immer wieder gesagt: Macht langsamer, überarbeitet das noch mal, arbeitet härter. Macht es besser, macht es besser, macht es besser. Ein guter Rat, aber schwer umzusetzen. Es war hart.
Christina: Jello ist jemand, der sehr präzise Ansichten hat und diese auch äußert. Aber wir haben wirklich das Gefühl, dass er uns als Band schätzt und alles respektiert, was wir tun wollen. Natürlich hatte er zu allem eine klare Meinung, aber er ließ uns machen, wie wir wollten. Es war eine intensive Erfahrung, mit ihm zu arbeiten.
Nicole: Für mich klingt das neue Album etwas voller und dunkler als unsere vorherigen Platten. Und in gewisser Weise reifer.
Inwiefern reifer?
Nicole: Nun, während der Pandemie hatten wir nichts zu tun. Wir konnten nicht viel machen als Band. Also habe ich einfach Songs geschrieben, gefühlt eine Million Lieder. Ich schickte Jello vor unserem Studiotermin 25 Entwürfe und er sagte, dass er neun davon mag.
Christina: Was nicht stimmte, er mochte fast alle.
Nicole: Aber er schrieb das in seiner ersten Mail. Und er gab mir Ratschläge: Nimm den Refrain von diesem Song und kombiniere ihn mit jener Strophe und versuch mal, diesen Text in jenen Song zu packen. Hab keine Angst, etwas zu riskieren! Mach langsam, nimm dir Zeit, denke nicht, dass ein Song einfach schon fertig ist, sondern versuche, ihn so gut wie möglich zu machen. Das war Neuland für mich, denn bis dahin war ein Song sozusagen mein Baby und das willst du nicht verändern. Aber Jello hatte recht und die Songs sind jetzt einfach besser.
Es gibt also verschiedene Wege, ein Album anzugehen. Und Jello macht das schon seit über 45 Jahren. Ein Album richtig zu produzieren, ist eben schon noch mal was anderes, als mal eben ein paar Punk-Nummern live im Studio einzuspielen.
Christina: Normalerweise gehen nur Nicole und ich ins Studio, und wir nehmen im Grunde alles selber auf, ohne die Sachen überhaupt vorzubereiten. Die Hälfte der Band lebt ja auch in einer anderen Stadt, zu weit weg, so dass wir nicht wirklich proben können. Also haben wir jeweils unsere Parts gelernt, sie aufgenommen und zusammengefügt und das war’s. Bei diesem Album haben wir die Songs tatsächlich mehrere Monate lang geübt, Details ausgearbeitet, Demos gemacht, sie an Jello geschickt, haben sie alle zusammen live im Studio geprobt. Es war ein ganz anderer Prozess. Mir gefiel es, wie wir es früher gemacht haben, aber ich mag auch diese neue Arbeitsweise.
Nicole: Du wirst definitiv einen Unterschied zu unseren vorherigen Platten bemerken. Es wirkt alles ein bisschen ausgefeilter.
Ich habe mir euer letztes Album „I Like You But Not Like That“ von 2019 vorhin noch mal angehört. Es hat einen sehr knackigen, klaren Sound.
Nicole: Das ist auch Jello zu verdanken. Wir haben das Album fertig aufgenommen und ganz am Ende kam Jello und unterhielt sich mit unserem Produzenten Bob Hoag. Er wünschte sich einen helleren, weniger unscharfen Gesangssound. Er und Bob verstanden sich ausgezeichnet und arbeiteten gut zusammen. Jello mag es, wenn der Klang strahlend und luftig ist. Was kaum jemand von Jello weiß: Er hört sich Musik für sein finales Urteil nur auf seiner eigenen Stereoanlage bei sich zu Hause an. Nur dann vertraut er seinem Eindruck von einer Aufnahme wirklich. Und ich glaube, dieses Vorgehen verlangt einen etwas anderen Mix. Und das ist es dann auch, woran man erkennen kann, dass Jello an einem Album beteiligt war. Für die neue Platte sind wir sogar so weit gegangen, das Vinylmaster in einem bestimmten Studio in Nashville machen zu lassen, nur um einen klareren Klang zu bekommen. Und dann musste es ein bestimmtes Presswerk sein. Es war ein komplexer Prozess, um genau diesen Sound zu erreichen.
Christina: Es war das erste Mal, dass wir viele Aspekte der Albumpropduktion anderen überlassen haben. Aber wir haben immer noch das letzte Wort. Und es ist das erste Mal, dass wir uns von anderen Leuten sagen ließen, wie unser Album klingen soll. Diesmal standen also gleich mehrere Köche in der Küche, außer uns unser Produzent Bob und eben auch Jello. Wir vertrauen den beiden und wollten einfach mal sehen, was passiert.
Nicole: Jello hat sich wirklich sehr stark eingebracht. Er hat sich jedes einzelne Master noch mal angehört, nachdem er den Mix bereits abgesegnet hatte. Er hatte einige Änderungswünsche, und dann ging das Ganze wieder zum Mastering zurück. Er weiß genau, was er will.
Darf ich eine sehr direkte Frage stellen? Ihr seid eine reine Frauenband – ist da „Mansplaining“ ein Thema?
Christina: Nein, so was lassen wir nicht zu. Wir machen immer das, was wir wollen. Wenn wir irgendwo spielen und in den Laden reinkommen, gehört der Laden uns. Wenn Leute anfangen, uns wie kleine Mädchen zu behandeln, erklären wir ihnen, dass wir ganz genau wissen, was wir tun, und am Ende entschuldigen sie sich bei uns.
Nicole: Christina und ich spielen seit fast zwanzig Jahren zusammen, wir haben viel erlebt.
Christina: Es klang gerade vielleicht so, als stünde es im Widerspruch dazu, wenn wir erzählen, dass wir Jello und Bob die Kontrolle über die Aufnahmen überlassen hätten.
Nicole: Genau, das taten wir nicht. Beide sind sehr umsichtige Menschen, sie sind sehr nett, sie lieben uns und es ist ihnen wichtig, was wir denken. Wir schätzen uns gegenseitig, wir arbeiten schon ewig mit Bob.
Christina: Es war das Gegenteil von Mansplaining. Sie machten uns Vorschläge, auf die wir eingehen konnten, wenn wir uns gut damit fühlten.
Nicole: Was anderes wäre es, wenn uns jemand erklären wollte, dass wir doch keine richtige Band seien, wenn wir in verschiedenen Städten leben und fast nie proben. Ach ja? Wir machen das schon seit zwanzig Jahren so. Wir wissen, was wir tun. Einer der Gründe, warum es die DARTS in dieser Form gibt, ist der, dass wir beide in vielen anderen Bands waren, mit Männern, mit anderen Frauen ...
Christina: Ja, mit zickigen Männern! Mit Männern, die dachten, sie wüssten alles über Musik, und die der Meinung waren, wir würden es ohne sie niemals schaffen. Ach ja? Dann spiel doch weiter in einer Band mit deinen Kumpels!
Ich habe in einem Pressetext von euch gelesen, dass ihr die Entscheidung, eine reine Frauenband zu sein, ganz bewusst getroffen habt.
Nicole: Ja, Christina und ich haben uns das genau überlegt. Wir sind beide Fans von TRASHWOMEN, von THEE HEADCOATEES. Wir mögen diesen Girl-Group-Sound und haben immer wieder darüber geredet, mal selbst so eine Band zu gründen. Und als wir die Dynamik in unseren alten Bands endgültig satt hatten, machten wir, was wir schon immer mal vorhatten: Wir gründeten eine All-Girl-Band. Es war also eine ganz bewusste Entscheidung. Allerdings merkten wir, dass es ganz schön schwer ist, eine wirklich gute Punkrock-Schlagzeugerin zu finden. Und eine überzeugende Rock’n’Roll-Bassistin. Es ist sogar schwer, eine wirklich gute Gitarristin zu finden.
Warum?
Nicole: Genau das ist die Frage: Warum ist das so schwer? Das frage ich mich jeden Tag! Wir Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Da muss doch eine Menge Talent vorhanden sein.
Christina: Wir haben lange darüber geredet, bevor wir Nägel mit Köpfen gemacht haben. Wir wollten eine Girl-Band haben, die besser ist als unsere bisherigen Bands mit Jungs, es sollte einfach nur Spaß machen. Die Idee war, eine Band ohne dieses ganze Drama zu haben, mit Frauen, die gut auf ihren Instrumenten sind.
Nicole: Ja, Spaß zu haben war das Hauptziel. Der Spaß war bis dahin oft auf der Strecke geblieben, die Bandprojekte waren sehr ehrgeizig, wir waren ständig beschäftigt und tourten die ganze Zeit.
Wenn Jungs eine Band gründen, dann gründen sie einfach eine Band, nicht explizit eine „Boy Band“.
Christina: Ja, oder? Das ist so dumm, dass es da diesen Unterschied gibt. Sobald Frauen ins Spiel kommen, wird das zum Thema, dann ist das eine „Half Girl, Half Boy“- oder eine „All-Girl“-Band.
Nicole: Ich weiß auch nicht, warum das wichtig sein sollte. Aber ich kann eines sagen: Wir sehen, dass überall auf der Welt junge Frauen zu unseren Konzerten kommen. Wir bekommen mit, wie sie sich über uns unterhalten, und sie fragen uns nach der Show nach einem Drumstick oder einem Gitarrenplektrum, sie sind begeistert. Und nimm nur mal eine Band wie THE LINDA LINDAS, wie toll ist das! Ich hoffe, dass viele Mädchen jemanden wie Mary Rose trommeln sehen und sagen: Ich will das auch machen!
Christina: So ging es mir einst mit den TRASHWOMEN. Wegen denen wollte ich in einer Band sein. Und wegen Poison Ivy von THE CRAMPS.
Nicole: Mir fällt jetzt gerade keine Keyboarderin ein, hahaha. Aber es ist schon so, wenn du eine Person siehst, die großartige Musik macht, die du bewunderst, dann verändert das irgendwie deine Welt und es gibt dir das Gefühl, dass das auch für dich möglich ist. Und in einer Frauenband zu sein, ist wirklich das Beste überhaupt, wir können einfach so schamlos weiblich sein, wie wir nur wollen. Wir müssen uns nicht verbiegen, um mit den Kerlen mitzuhalten und wie harte Rocker rüberzukommen. Wir können einfach nur Mädchen sein, das ist cool und macht Spaß und jede in dieser Band liebt das.
Was waren für euch musikalische Vorbilder bei der Gründung der Band?
Nicole: Wie schon gesagt, zuallererst TRASHWOMEN und THEE HEADCOATEES. Und ich bin ein sehr großer Fan der DEATH VALLEY GIRLS und ihrer Sängerin Bonnie Bloomgarden. Besonders in ihr Album „Glow In The Dark“ habe ich mich verliebt. Das kam 2016 raus, als wir uns gerade gegründet hatten. Es ist fuzziger als ihre anderen Platten, und diesen Einfluss kann man in unserem Sound hören.
Christina: Durch unsere früheren Schlagzeugerin Rikky, die jetzt bei DEATH VALLEY GIRLS spielt, gibt es eine Verbindung.
Nicole, was für eine Orgel spielst du? Ist das eine Farfisa?
Nicole: Ja. Es gibt da ja verschiedene Modelle, und meine ist ziemlich einzigartig und sehr schwer zu finden.
Deshalb „verprügelst“ du die so hart auf der Bühne?
Nicole: Die ist unzerstörbar. Ich habe vier von denen, eine in Europa, eine in den USA und zwei als Ersatzteillager, wobei ich noch nie was ersetzen musste.
Du bist also auch werksgeprüfte Farfisa-Technikerin?
Nicole: Wir sind über die Jahre alle zu Technikerinnen geworden, hahaha. So kompliziert ist das gar nicht. Die Farfisa ist ein erstaunliches Instrument. Als wir mal wieder in Italien auf Tour. waren, spielten wir auf einen Festival und da standen einige ältere Typen in der ersten Reihe und gingen voll ab. Sie kamen nach der Show auf mich zu und sagten, dass sie früher in der Farfisa-Fabrik gearbeitet hätten. Die war damals quasi direkt vor der Stadt. Sie hatten im Internet gesehen, dass wir in die Stadt kommen und eine Farfisa spielen, und waren neugierig, was wir mit dem Instrument anstellen. Sie haben sich dann noch mit uns fotografieren lassen. Sie waren allerdings nicht so ganz begeistert davon, wie hart ich mit der Farfisa auf der Bühne umgehe, hahaha! Ich habe ihnen gesagt, dass sie großartige Arbeit geleistet hätten, denn das Ding ist nicht kaputtzukriegen. Das Problem ist nur, dass die Farfisa, die aus den Sechzigern stammt, keine hohe Temperaturen verträgt. Die Kondensatoren sind mit so was wie Kerzenwachs befestigt, und wenn es zu heiß wird, schmilzt das.
Du gehst sehr, hm ... körperlich damit um.
Nicole: Da kann ich nichts dafür. Mein Körper macht das.
Christina: Wir sagen auch immer zu ihr, pass auf, du machst die noch kaputt!
Nicole: Das Instrument liebt mich. Wir stehen uns sehr nahe. Es fühlt sich an wie ein Körperteil von mir.
Instrumententechnikerinnen seid ihr ja wohl nur auf Tour. Was seid ihr im „richtigen“ Leben?
Christina: Ich übernehme seit einer Weile nur noch Teilzeitjobs, um möglichst viel mit der Band machen zu können.
Nicole: Bei mir ist das eine sehr spezielle Geschichte. Einen richtigen Job hatte ich bis letzten Donnerstag. Ich war Strafrichterin. Am Donnerstag bin ich in den Ruhestand gegangen, und am Freitag auf Tour.
Du hast also Leute in den Knast geschickt?
Nicole: Leider, wenn ich es tun musste. Oder ich habe sie freigelassen, wenn ich sie freilassen musste. Ich war, als ich anfing, mit 27 Jahren eine der jüngsten Richterinnen in Arizona. Und so konnte ich bereits jetzt in den Ruhestand gehen. Ich arbeitete in einer Stadt außerhalb von Phoenix, die damals noch eine Kleinstadt war, mittlerweile aber riesig geworden ist.
Arizona ist als besonders liberaler, die Demokraten wählender Staat bekannt ...
Nicole: Nein, genau das Gegenteil ...
Ich weiß, ich weiß.
Nicole: Als Richterin durfte ich die ganze Zeit kein Wort über Politik sagen. Und das zu einer Zeit, als ich schon in einer Punkband spielte und mit Leuten wie Jello diskutierte. Als ich Jello kennen lernte, war ich noch Anwältin, das war unsere erste Verbindung. Wann immer etwas passierte in der Politik, bekam ich eine SMS von ihm: Was hältst du davon? Sag mir, wie das rechtlich aussieht! Und ich musste es ihm erklären.
Christina: Nicole konnte ja nie was öffentlich sagen, denn in ihrer Position musste sie unparteiisch sein.
Nicole: Ja, ich durfte nie öffentlich meine Meinung äußern. Aber das Wunderbare bestand darin, dass ich so entscheiden konnte, wie ich es für richtig hielt. Als Richterin bin ich nur dafür da, Gerechtigkeit zu schaffen. Punkt. Es ist also ein wunderschöner Beruf, weil du dir im Wortsinne zwei Seiten einer Geschichte anhören kannst, dann darüber nachdenkst, dir Zeit nimmst und dann sagst, was du für richtig hältst. Und dann kannst du ruhig schlafen.
Christina: Es hat nichts mit Politik zu tun.
Nicole: Nein, wirklich nicht. Und es ist der perfekte Job für Punkrocker, denn du kannst tatsächlich das tun, von dem du denkst, dass es richtig ist.
Hat das Amt wirklich nichts mit Politik zu tun? Was ist, wenn es um das Recht auf Abtreibung geht?
Christina: Es geht hier zunächst um Gesetze. In Arizona ist dazu gerade eine Regelung aus dem 18. Jahrhundert wieder in Kraft getreten, weil es das einzige war, das dort zu dem Thema existiert.
Nicole: Als der Oberste Gerichtshof letztes Jahr das bisherige Recht auf Abtreibung kippte, kamen die Gesetze der jeweiligen Bundesstaaten wieder ins Spiel, egal, von wann sie sind und wie sie lauten. Im Fall von Arizona ist das ein altes Gesetz, das keine Abtreibungen erlaubt – zu keinem Zeitpunkt. Letzte Woche hat in Arizona ein Richter in einer unteren Instanz entschieden, dass eine Abtreibung zulässig ist, indem er eine Neuinterpretation des Gesetzes vornahm. Das ist die einzige Entscheidung, die im Moment offiziell ist. Niemand weiß, was da passieren wird, weil dagegen sicher Berufung eingelegt wird, und das gilt dann auch nur in diesem Fall. Also weiß niemand, woran er ist. Es ist sehr, sehr verwirrend, es ist ein Chaos.
Einer eurer Songs wurde in der britischen Serie „Peaky Blinders“ verwendet. Wie kam das?
Nicole: Wir haben eine Agentur in Großbritannien, die sich um so was kümmert, und die haben es geschafft, uns da zu platzieren. Ich war schon vorher ein großer Fan.
Christina: Der Soundtrack zu dieser Serie ist fantastisch, aber ich hatte sie vorher tatsächlich nie gesehen. Unser Song läuft in einer wirklich dramatischen Szene, etwa dreißig Sekunden lang, und es ist echt abgefahren, Netflix zu schauen und dann zu sehen, wie dein Songtext in den Untertiteln auftaucht.
Ist so was finanziell interessant, wenn ich das fragen darf?
Nicole: Es war okay. Ich war in der Vergangenheit mit anderen Bands schon mal in Werbespots zu hören, das hat sich wirklich gelohnt. Hier fanden wir das jetzt cool wegen der Aufmerksamkeit, die es uns gebracht hat. Über die Jahre, das ist das Schöne, kommt dann auch immer wieder mal etwas Geld rein von so was.
Ihr habt vorhin diesen „James Bond“-Song gespielt und in deiner Ansage, Nicole, hast du was von Männern erzählt, die um euch herum sterben. Das klang seltsam ...
Nicole: Hahaha, ja, das hat was mit meinem Leben zu tun. Ein paar Männer, mit denen ich Dates hatte, sind plötzlich gestorben.
Aha.
Nicole: Nein, ich hatte nichts damit zu tun! Aber ich hatte auch schon ein paar Ehemänner mit Herzproblemen. Ich weiß auch nicht, es gibt da irgendwie ein Muster. Ich habe kein Glück mit Männern. Bei Christina ist das genauso. Ich glaube, wir haben beide einen beschissenen Männergeschmack und deshalb immer wieder alle möglichen Probleme. Entsprechend handeln viele unserer Songs davon.
Und deshalb habt ihr einen Song geschrieben über James Bond und seine toxische Männlichkeit.
Christina: Ja, genau! Aber er ist ja so cool! Wir halten miese Typen für cool, das ist wohl unser Problem. Das ist das ultimative Problem damit, eine Frau zu sein: Wir werden darauf trainiert, uns in diese üblen Kerle zu verlieben. Deshalb haben wir auch diesen Hashtag #TheNoLoveTour.
Lasst uns doch zum Schluss mal euer Album durchgehen. Was hat es mit „Snake Oil“ auf sich? „Schlangenöl“ hat meines Wissen etwas zu tun mit Typen, die einst durch den Wilden Westen reisten, den Leuten nutzlose Mittelchen verkauften und dann schnell aus der Stadt abhauen mussten, bevor die Leute merkten, dass das Wundermittel nichts taugte.
Nicole: Die standen auf der Ladefläche ihres Planwagens, hielten eine Flasche von irgendwas hoch und verkündeten, dass dieses Mittel alle Wehwehchen heilen könne. Die perfekte Medizin. Die ganze Geschichte dazu kannst du auf Wikipedia nachlesen, auch warum es Schlangenöl genannt wurde. Die andere Hintergrundgeschichte zu dem Text ist, dass ich vor Jahren das Trinken aufgegeben habe. Für mich ist Snake Oil ein Synonym für Alkohol, der uns als das wunderbare Elixier verkauft wird, das all deine Probleme löst, obwohl er die Lage manchmal sogar noch schlimmer macht.
Als Strafrichterin wirst du das oft genug gesehen haben.
Nicole: Ich habe da eine Menge gesehen, ja, und ich habe auch in meinem eigenen Leben erfahren, dass Alkohol eine Menge kaputtmachen kann. Das ist unser heutiges Schlangenöl.
Christina: Man kann Snake Oil auch als Synonym für Männer verwenden. Es hat also eine doppelte Bedeutung: der Song, der Begriff, der Albumtitel. Von Schlangenöl spricht man ganz allgemein auch dann, wenn irgendwer versucht, uns eine einfache Lösung für alle unsere Probleme zu verkaufen.
Und während der Pandemie hat Donald Trump ganz wortwörtlich für Snake Oil geworben, diese Mittelchen, die angeblich gegen COVID-19 helfen sollten, was aber völlig unbewiesen war.
Nicole: Fake News sind das ultimative Schlangenöl.
Was steckt hinter dem Song „Intersex“?
Nicole: Ich wollte den LGBTQ+-Menschen Tribut zollen. Ich habe Zwillingstöchter, und obwohl sie heterosexuell sind, sind sie beide sehr aktiv in diesem Bereich und helfen Menschen mit Beratung, Therapien und so weiter. Sie setzen sich dafür ein, sie sichtbarer zu machen. Das ist ein wirklich wichtiges Anliegen für mich und meine Töchter. Wir haben Menschen, die uns sehr nahe stehen und die wirklich sehr leiden unter ihrer Situation. Ein schöner Aspekt an meinem Beruf als Richterin war, in der Position zu sein, eine Person fragen zu können, mit welchem Pronomen und welchem Namen sie angesprochen werden will. Ich hatte Fälle, da haben Menschen geweint, weil sie das noch nie jemand gefragt hatte. Das mag banal erscheinen, aber es geht eben darum, Menschen zu respektieren. Und genau davon handelt der Song. Um Menschen, die nicht in eine gängige Kategorie passen, die nicht binär sind, die „intersex“ sind.
Aller guten Dinge sind drei ...
Nicole: Okay, dann verrate ich dir jetzt noch, dass es einen Hidden Track gibt. Er heißt „Bring it back“. Es ist eine Ballade und alle die sie bislang gehört haben, sind absolut begeistert. Es ist ein wirklich epischer Song. Es geht darum, dass die Liebe deines Lebens sich von dir trennt, so dass deine ganze Welt in Stücke fällt und die Sonne für immer untergeht.
Christina: Es ist der beste Song, den Nicole je geschrieben hat.
Nicole: Also wenn du denkst, dass das Album vorbei ist, hör einfach weiter zu. Du wirst reich dafür belohnt werden.
Eurem letzten Album „I Like You But Not Like That“ lagen leider keine Songtexte bei.
Nicole: Dieses Mal schon. Wir wurden oft nach den Texten gefragt, deshalb gibt es nun ein Textblatt. Das hat unter anderem etwas damit zu tun, dass ich jetzt keine Richterin mehr bin. Manche meiner Texte sind auch eher direkt und ich wollte nicht, dass meine Mutter sie liest. Aber jetzt bin ich an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich sage, fuck it, das sind meine Worte, das sind meine Gedanken! Also gibt es jetzt die Texte und es gibt viel zu lesen. Die Zeit der Selbstzensur ist endlich vorbei. Es ist jetzt eine neue Welt für mich.
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