Frontmann Will Gould spült den Frust über abgesagte Touren und die Verschiebung des zweiten Albums „Sex, Death & The Infinite Void“ mit ein paar frühen Drinks am Nachmittag herunter und genießt die Sonne in seinem Garten in Manchester. Tatsächlich bleibt im Gespräch mit ihm keine Zeit, die Folgen eines dahergelaufenen Virus zu erörtern, denn seine Band war, ist und bleibt eine spektakuläre, theatralische Inszenierung, die ihr Publikum gleichzeitig umarmen und herausfordern möchte. Schließlich gelingt es Gould und CREEPER, musikalisch wie auch menschlich, britischen Charme mit dem amerikanischen Traum zu vermischen.
PROLOG
Die musikalischen Anfänge sind noch keine Ewigkeit her, aber vielleicht fühlt es sich künstlerisch so an. Was kommt dir als Erstes in den Kopf, wenn du zurückblickst?
Ich erinnere mich an meine erste Band, die ich in der Schule hatte. Wir hatten zwei Gitarristen. Einer von ihnen war technisch sehr begabt, aber nicht der talentierteste Songwriter. Der andere hingegen konnte auf seinem Instrument keine Kunststücke vollbringen, aber wiederum tolle Songs kreieren. Ich denke, viel von meinem Verständnis, wie man Musik macht, basiert auf dem Zusammenspiel dieser beiden Personen.
Dann habt ihr das erste Mal mit CREEPER Musik veröffentlicht. Woran erinnerst du dich spontan?
Ich denke an unsere erste EP. Ich weiß noch, dass es sich anfangs eigentlich gar nicht so sehr von früheren Veröffentlichungen unterschied, weil ich ja immer noch mit Freunden Musik gemacht habe und niemand sich vorstellen konnte, dass es zu der Sache eskaliert, die es jetzt ist. Dass das, was wir da machten, eine gewisse Strahlkraft besaß, haben wir erst realisiert, als gleich drei Majorlabels sich für uns interessierten und das eben schon recht früh.
Wie weit weg fühlt sich diese Zeit mittlerweile für dich an?
Das ist eine interessante Frage, mit der ich mich in letzter Zeit häufiger auseinandergesetzt habe, weil der Charakter, den ich auf den älteren Veröffentlichungen vermittle, sich grundsätzlich von dem auf dem neuen Album unterscheidet. Natürlich haben wir immer noch einen ähnlichen Ansatz, wenn es darum geht, einen Song zu schreiben, und auch was unsere Ambitionen betrifft, aber der Sound hat sich eben geändert so wie auch die Gefühle, die wir einbringen. Tatsächlich fühlt es sich wie eine Art Reise an, von einer Person zu einer anderen. Ich komme mir mittlerweile schon ein bisschen weiser vor, aber vielleicht auch nur, weil ich dümmer geworden bin, haha.
DER ERSTE AKT
2017 erschien dann „Eternity, In Your Arms“, euer erstes Album. Was poppt da als Erstes vor deinem geistigen Auge auf?
Die erste Erinnerung ist, wie unglaublich stressig alles war. Wir haben uns regelrecht daran aufgerieben, aufregend und einnehmend zu sein. Wir haben uns immer vorgestellt, selbst unser Publikum zu sein, und überlegt, was es spannend finden könnte. Außerdem sollte da plötzlich unser Album sein und niemand sollte mitbekommen haben, dass wir überhaupt im Studio gewesen waren. Also haben wir es heimlich zwischen der ganzen Tourerei aufgenommen. Am Ende war ich komplett durch, speziell mein Hals und meine Stimme. Wir gingen mental und physisch am Stock. Trotzdem waren wir aber auch stolz, dass die Rechnung aufgegangen war und wir die Leute mit dem Album und unseren eigenartigen Geschichten wirklich überraschen konnten.
Wenn du von einer Phase großen Drucks sprichst, wie betrachtet du denn heute das Resultat? Hörst du dir „Eternity, In Your Arms“ noch gerne an?
Kurz nach der Veröffentlichung hat es mich natürlich wahnsinnig gemacht, das Album zu hören. Alles war einfach noch zu präsent. Mit etwas Abstand kann ich mich aber sehr gut mit der Sache abfinden und akzeptieren, wie meine Vision die von jemand anderem wird. Dann betrachte ich mit Interesse, was auch immer aus ihr wird. Aktuell habe ich noch keine Probleme damit, mir ältere Sachen anzuhören. Ich denke aber auch, dass man sich das alte Zeug nicht immer wieder anhören sollte, weil man sonst Gefahr läuft, sich zu wiederholen, und das wäre natürlich langweilig. Eine Falle, in die nicht wenige Bands immer wieder hineintappen.
Nach der Veröffentlichung von „Eternity, In Your Arms“ seid ihr auch auf der Warped Tour mitgefahren. Mit Sicherheit ein einschneidendes Erlebnis für eine junge Band.
Ich muss gestehen, dass ich nicht der größte Fan der Warped Tour war. Mit diesen ganzen tollen Bands unterwegs zu sein, war im Grunde natürlich großartig, allerdings befand ich mich zu diesem Zeitpunkt in einer Phase, in der ich sehr von Ängsten geplagt war. Ich bin eigentlich ein geselliger Mensch, damals fiel es mir aber schwer mich einzufügen. Also habe ich nur in meiner Koje gelegen und war in meinen Gedanken gefangen – was aber auch dazu führte, dass ich mich da schon viel mit dem neuen Album beschäftigt habe. Der Rest von CREEPER hatte allerdings einen Mordsspaß, nur ich eben nicht so sehr. Natürlich hat es mir jeden Tag große Freude bereitet, aufzutreten und nach den Shows die Fans zu treffen. Was zu der Zeit nicht so meins war, warwn die kumpelige Atmosphäre und diese Highschool-Mentalität. Eine dreimonatige Tour, gewöhnungsbedürftige Zeiten für Shows und die Parkplätze, die wirklich jeden Tag gleich aussahen, haben mir nach ungefähr der Hälfte einfach nicht mehr gutgetan. Aber zu dieser Zeit ist eben auch das Fundament unseres neuen Albums entstanden. Alles in allem tatsächlich eine prägende Zeit.
Am 1. November 2018 habt ihr die Band schließlich, im Stil von David Bowie und seiner Figur Ziggy Stardust, live vor Publikum begraben. Am Ende der Show habt ihr die Lederjacken, die ihr bisher bei jeder Show anhattet, auf einen Haufen geworfen und die Bühne verlassen.
Es war dramatisch und löst immer noch viele Gefühle in mir aus, wenn ich daran zurückdenke. Alles war von langer Hand geplant, tatsächlich länger als ein Jahr. Ziel war es, dass die Bühne zum Friedhof wird, und bevor jemand registriert, was gerade passiert ist, sind wir längst von der Bildfläche verschwunden – und sollten es für einige Zeit auch bleiben. Die Logistik war ein wenig kompliziert, nur wenige Leute wussten wirklich, was passieren würde. Letztendlich war alles ein totales Chaos und so ziemlich das Dramatischste, an dem ich jemals beteiligt gewesen bin. Außerdem war es auch sehr emotional. Und ja, manche Leute werden uns das wohl niemals vergeben, haha. Aber mal ganz im Ernst, wer bietet heutzutage denn noch so eine Show? Selbst das Label flehte uns an: Tut das bitte nicht! Nun, letztendlich hat es funktioniert und durch unseren Abgang haben wir uns eher ein Stück unsterblicher gemacht.
DER ZWEITE AKT
Auf dem neuen Album „Sex, Death & The Infinite Void“ lasst ihr nun ein weitaus größeres Spektrum an Einflüssen zu. Es klingt nach Glam, es klingt nach Amerika und so vielem anderen. Was definiert CREEPER inmitten dieser Einflüsse?
Unsere Absicht war es tatsächlich, ein echt amerikanisches Album zu machen, es sollte unsere Hollywood-Platte werden. Das war auch der Grund dafür, dass wir es in Los Angeles aufgenommen haben. Auf der anderen Seite sollte es aber auch Facetten enthalten, die unbestreitbar britisch sind. Das erste Album hatten wir in Southampton aufgenommen, wo wir damals auch gewohnt haben. Dann haben wir aber viel Zeit in den USA verbracht und die neue Platte sollte repräsentieren, was uns in der Zwischenzeit widerfahren ist. Also sind wir nach Amerika gegangen und haben dieses Gefühl noch einmal in uns aufgesogen. Für Briten beziehungsweise Europäer sind die USA wirklich ein merkwürdiger Ort und eine entsprechend wirre Kombination ist nun hoffentlich auch das neue Album. Es gibt diesen krassen Glam-Einschlag mit all dem Pomp, gemischt mit der totalen amerikanischen Breitseite und einem Elvis- oder Las Vegas-Vibe. Auf gewisse Art und Weise haben wir tatsächlich unsere Punk-Haut abgestreift, weil wir es dahingehend auf unserem letzten Album auf die Spitze getrieben hatten. Für uns geht es darum, uns weiterhin herauszufordern und vorwärts zu kommen. Wenn man sich bis zu dem Punkt pusht, an dem man Angst bekommt, weiß man, dass man auf dem richtigen Weg ist.
Betrachtest du „Sex, Death & The Infinite Void“ im Vergleich zum ersten Album als etwas komplett anderes oder nur als den nächsten logischen Schritt?
Um das zu erreichen, was wir mit der neuen Platte erschaffen haben, mussten wir nicht weniger tun, als die Band zu zerstören und alles vergessen, was wir bis zu diesem Punkt getan hatten – und dann haben wir sie wieder neu erschaffen. Wenn wir das nächste Album angehen, werden wir es wieder genauso machen. Wir werden alles niederbrennen und neu aufbauen. Es erscheint mir einfach als ein wesentlich interessanterer Ansatz. Ich bin ja auch nicht jemand, der immer nur dieselbe Musik hört. Ich höre so unterschiedliche Dinge, da wäre es doch absolut langweilig, im Gegenzug selbst immer nur das Gleiche zu machen.
Die bisher veröffentlichten Singles haben das wahre Gesicht des Albums bisher nur sehr zögerlich offenbart. Wie nervös blickst du auf den Tag, an dem eure Fans das gesamte Werk hören können?
Ich erinnere mich daran, wie mir unser Produzent in L.A. von der Theorie erzählte, dass eine Band sich maximal um zwanzig Prozent von einem Album zum nächsten verändern sollte. Ich denke, das ist ziemlicher Bullshit. So arbeitet doch kein Künstler, so arbeitet nur ein Business. Ich habe mich aber nie als Geschäftsmann, sondern immer nur als Künstler gesehen. Gleichzeitig beleidigt so eine Sichtweise auch das Publikum, weil sie nahelegt, dass die Leute nicht imstande sind, eine Herausforderung zu bewältigen. Ich denke, wir sollten das Publikum deutlich mehr wertschätzen. Also ja, wir geben unsere neue Welt erst nach und nach preis, aber ich kann es im Grunde kaum erwarten, bis endlich alles erschienen ist – ich bin sehr stolz darauf und habe hart dafür gearbeitet. Noch viel mehr würde mich aber interessieren, ob unser Album Auswirkungen auf die Plattensammlung von jemandem haben wird. Ob jemand es hört und sich daraufhin ein Album von SUEDE zulegt oder irgendwas Poppiges. Das ist doch die klassische Art, wie jemand neue Dinge oder neue Lieblingsbands entdeckt. Natürlich wird es auch Leute geben, die von uns erwartet haben, dass wir dieselbe Platte noch einmal aufnehmen, aber die hat und wird es zu jedem Zeitpunkt geben. Bei dieser Diskussion kannst du nicht gewinnen, haha, es ist ein endloses Spiel. Man muss einfach immer weiter seinen Weg gehen.
Wenn man mit ansieht, wie diese Diskussionen immer wieder aufs Neue entstehen, überrascht es tatsächlich, dass manche Menschen noch immer ihr Mitspracherecht an der Kunst anderer einfordern.
Wenn man sich auf diese Diskussion einlässt, bleibt man als Künstler zwangsläufig auf der Strecke und die Kunst geht vor die Hunde. Unsere alten Platten werden ja immer da sein, man wird sie immer hören können, wenn sie einem besser gefallen als unsere anderen. Deswegen überrascht mich die Diskussion immer wieder, weil doch niemand etwas verliert. Es gibt nur die Chance, etwas Neues hinzuzugewinnen.
EPILOG
Werfen wir zuletzt noch einen Blick in die Zukunft, wenn euer drittes Album erscheint. Hast du schon eine Idee von dieser Zeit oder ist das noch zu weit weg?
Nein, nein, da war ich schon vor einer ganzen Weile. Sobald ich ein Werk abgeschlossen habe, beginne ich umgehend mit dem nächsten. Die Sache ist die, dass es sich jedes Mal um unglaublich viel Arbeit handelt. Es bleibt einem im Prinzip gar nichts anderes übrig, als direkt wieder weiterzumachen. Man muss nur mal in Betracht ziehen, dass wir für die neue Platte allein dreißig bis vierzig Songs geschrieben haben, die es nicht aufs Album geschafft haben. Wir mussten einfach sehr viel ausprobieren, um dahin zu kommen, wo wir hinwollten. Für mich gilt ebenfalls, dass es immer weitergehen muss. Wenn das nicht mehr gegeben ist, geht es mit mir schnell bergab, haha.
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Inszenierung vs. Virus
Nicht nur der vermeintliche Abgang von CREEPER 2018 war akribisch vorbereitet und wurde mit viel Pathos inszeniert, auch die Ankündigungen der beiden Alben und die Geschichten darum waren teils minutiös geplante Episoden, welche die Band im Netz streute. So wurden die Bandmitglieder kurz vor dem Release von „Born cold“, der ersten Single des neuen Albums, laut ihrer Instagram Stories von Außerirdischen entführt, während die Geschichte um das erste Album sogar so weit ausgeschmückt wurde, dass sie schließlich als Buch erschien. In der Folge der Corona-Krise, in der nicht nur die anstehende Release-Tour, sondern schließlich auch das Album verschoben wurde, kam die Band mit ihrer Dramaturgie verständlicherweise gehörig ins Straucheln, setzte aber auch weiterhin alles daran, das Publikum mit Aktionen und neuer Musik zu unterhalten und mit den Fans in Verbindung zu bleiben.
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