CITY AND COLOUR

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Fighting The Blues

Wenn wir wollen, können wir immer überall sein. Wir haben 200 Freunde und sind nie allein. Das Internet verändert uns zu funktionierenden Maschinen – gut informiert und doch unwissend. Im Netz werden wir sicherlich Antworten auf die Frage finden, wie man mit dem Tod oder dem Verlust eines engen Freundes umgehen kann. Mut machen und zeigen, dass es immer weitergehen muss, kann das Internet nur dann, wenn man auch etwas von sich preisgeben möchte. CITY AND COLOUR, also Dallas Green, ist viel mehr als das alles: Der Kanadier singt auch auf seinem dritten Album nicht über schöne Landschaften oder ausschweifende Partys. „Little Hell“ ist eine Platte, die dem ALEXISONFIRE-Gitarristen und -Sänger geholfen hat, seine Dämonen zu besiegen und nun stellt er seine Hilfe zur Verfügung. Für jeden und überall, dafür sehr persönlich.

Sprechen wir von CITY AND COLOUR, kann man getrost sagen, dass es sich hier um ein Phänomen handelt. Und dieses Phänomen wirft vor allem eine Frage auf: Wie?

Wie schafft es Dallas Green, die Leute so in seinen Bann zu ziehen, dass sie ihm anscheinend alles begierig aus den Händen reißen, was er ihnen anbietet? Und wie schafft er es, mit all dem Trubel um seine Person umzugehen? Binnen weniger Stunden sind seine Konzerte in Deutschland ausverkauft und auch sein Name ist anscheinend in aller Munde. Sicherlich hat er mit seinem Beitrag zu ALEXISONFIRE den Weg geebnet, jedoch dürfte dies nicht die einzige Erklärung für diese Erfolgsgeschichte sein.

Schließlich gibt es auch Beispiele dafür, dass ein Soloprojekt nun mal nicht an den Status einer richtigen Band herankommt und im wahrsten Sinne des Wortes ein Projekt bleibt. Nehmen wir Dustin Kensrue, hauptamtlich Sänger der sich stetig entwickelnden THRICE mit seinem bluesigen Soloprojekt. Auch Kensrue schlägt viel ruhigere Töne an, wenn er, nur mit seiner Gitarre bewaffnet, seine emotionalen Texte an den Mann bringt.

Offenbar sind die Unterschiede hier jedoch in der Person begründet. „Ich bin immer jemand, der offen auf seine Mitmenschen zugegangen ist“, sagt Green, „und sicherlich habe ich auch jede Chance genutzt, um mit den Jungs irgendeine witzige Aktion durchzuziehen.“ Wo Kensrue erscheint wie der verkopfte und damit unnahbare Künstler, zeigt sich Dallas Green als Spaßvogel.

Vielleicht hört man ihm deshalb so gerne zu, wenn er mit seiner wirklich einzigartigen Stimme über seine Gefühle singt – er ist einer von uns. „Mir würde gar nichts anderes einfallen, als ehrlich mir selbst gegenüber zu sein, vor allem dann, wenn ich Musik mache.“ Die Kombination aus nahezu zerbrechlichen und anmutig intensiven Songs und den in der letzten Zeit oft sehr traurigen Texten bewegt immer mehr Menschen. Es ist die Intensität, aus der Green so viel Potenzial schlägt, und davon hat er auch noch jede Menge zu geben. „Wenn ich Musik mache, lasse ich mich nur von meinen Gefühlen leiten. Ich habe nicht vor, Songs zu schreiben, die sich anhören, als hätte sie ein bestimmter Künstler gemacht. Ich brauche meine Musik, um mit den verschiedensten Dingen fertig zu werden und sie zu verarbeiten.“

Verlust und Tod sind zwei herausstechende Themen im textlichen Kosmos von CITY AND COLOUR. „Mein letztes Album ,Bring Me Your Love‘ habe ich wegen der besonderen Akustik in einer umgebauten alten Kirche aufgenommen, die ein Freund von mir zu einem Aufnahmestudio umfunktioniert hat. Leider ist dieser Freund, Dan, vor kurzem gestorben. Ich habe mich jedoch wieder in dieser Kirche eingemietet, um die besondere Atmosphäre mit den Gefühlen zu verbinden, die ich zu der damaligen Zeit empfunden habe und die zweifellos durch seinen Tod enorm verstärkt wurden. Die emotionale Intensität auf ,Little Hell‘ ist wirklich spürbar.“

Neben der persönlichen Beziehung zum Aufnahmestudio kann Green jedoch auch noch andere Vorteile nennen: „Du musst in diesen Räumen wirklich aufpassen, dass alle während der Aufnahme mucksmäuschenstill sind. Sonst ist alles im Arsch. Das verlangt der Crew viel Disziplin ab und hat mich auch immer wieder zum konzentrierten Arbeiten angespornt.“ Das Ergebnis ist ein Album, das dem Hörer immer wieder das Gefühl gibt, mit Green in ein und demselben Raum zu sein.

Je ehrlicher und direkter Green über seine Gefühle singt, umso mehr verrät er uns über seine Person. „Ich sehe keine Gefahr darin, zuviel von mir preiszugeben. Schließlich singe ich in den Songs zwar über Situationen, mit denen ich mich beschäftigen musste, doch Namen oder detaillierte Beschreibungen von Personen kommen bei mir nicht vor. Ich habe in den letzten Jahren sehr oft erlebt, dass sich die Leute sehr intensiv mit CITY AND COLOUR auseinandersetzen und dass das, worüber ich singe, auch im Leben anderer Leute stattfindet. Es ist für manche Menschen wichtig, jemanden zu haben, der ihnen sagt, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind. Bei mir ist es doch genau das Gleiche. Dadurch dass ich mein Innerstes nach außen kehren, muss ich mich mit diesen Dingen auch auseinandersetzen. Nur so konnte ich zum Beispiel mit dem Tod eines Freundes fertig werden.“

Wie geht man jedoch damit um, dass die eigene Musik von anderen eher mit melancholischen und traurigen Situationen assoziiert wird? „Ich will in meinen Texten nie zu direkte Anspielungen machen. Ich will schon Spielraum für die eigene Interpretation lassen und bin sehr zufrieden damit, dass die Leute sich so weit mit meinen Songs beschäftigen, dass sie ihnen irgendwie helfen. Sicherlich ist die Grundstimmung nicht die positivste. Jedoch singe ich aber auch nicht davon, wie schlecht es mir geht, sondern versuche in den Songs Dinge abzuschließen, Lösungen zu suchen. Vielleicht drückt das ja auch Hoffnung aus und verleitet einen zum Aufstehen und Weitermachen.“

Das verflixte dritte Album wird zur Bewährungsprobe werden. Kann Green auch auf „Little Hell“ mit Gitarre und Stimme überzeugen? „Über solche Sachen darf man sich als Musiker eigentlich keine Gedanken machen. Und schließlich hat sich auch der Sound von CITY AND COLOUR verändert. Ich habe mehr Drums und Raum in meinen Songs. Vielleicht erweitere ich das Spektrum bald auch um ein paar Bläser. Ska wird man jedoch nie von mir hören. Ich hasse Ska.“

Ob er sich seinen Erfolg erklären kann? Green antwortet nach einer kurzen Pause: „Ich habe die schöne Möglichkeit, mit meiner Leidenschaft mein Leben zu finanzieren. Anfangs hätte ich nicht zu träumen gewagt, jemals in einer solchen Situation zu stecken. Natürlich ist es jetzt umso schöner, wie sich die Dinge entwickelt haben.“

Wie jedoch sieht es mit Green als Sänger und Gitarrist von ALEXISONFIRE aus? Die beiden Projekte scheinen sich immer weiter voneinander zu entfernen. Mit der Veröffentlichung ihres aktuellen Releases, auf dem ungewohnt brachiale und wenig harmonische Töne dominieren, macht es den Eindruck, als habe Green den cleanen Gesang outgesourcet. „Natürlich profitiere ich davon, dass wir mit ALEXISONFIRE Alben veröffentlicht haben, die in der Szene gut aufgenommen worden sind, und dass wir zu einer Zeit durchgestartet sind, als das Feld noch nicht so übersättigt von Geschrei/Gesangs-Bands war. Und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich es schön finde, immer mit ALEXISONFIRE assoziiert zu werden. Will ich jedoch über persönliche Dinge, und ich meine hier wirklich persönliche Dinge wie den Verlust eines Freundes, singen, muss ich das für mich alleine tun. Es würde auch nicht in den Kontext von ALEXISONFIRE passen, wenn solche Themen behandelt werden. Denn das Schöne an der Band ist, dass wir fünf starke Persönlichkeiten sind, die sich alle auf ihre Art einbringen. Da würde es auch nicht passen, ein Thema aufzugreifen, das nur einen von uns betrifft. Diese strikte Trennung ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass keiner seiner Bandkollegen auf den bisherigen drei Alben von CITY AND COLOUR als Mitmusiker aufgetaucht ist.

Auf die Frage, ob er bei seinen Konzerten das Gleiche erlebe wie Chris Carraba von DASHBOARD CONFESSIONAL, bei dessen Auftritten jeder einzelne Zuschauer voller Leidenschaft die Texte mitsingt, geht Green in seiner gewohnt entspannten Art ein: „Ich glaube nicht, dass die Leute zu mir kommen, um meine Songs laut mitzusingen. Viele wollen einfach nur die tolle Atmosphäre genießen, die entsteht, wenn viele Leute wegen der gleichen Sache da sind, jedoch im Vorfeld auf ganz andere Art mit der Musik umgegangen sind und ganz andere Geschichten erlebt haben. Das, was Chris damals erlebt hat, war zwar unglaublich, jedoch hat man das von seinen Konzerten dann irgendwie auch erwartet. Ich möchte, dass alle etwas von dem Konzert haben: Die, die mitsingen wollen, können mitsingen, aber die, die sich die Geschichten von mir noch mal erzählen lassen wollen, sollen auch dazu die Chance bekommen. Auf Deutschland bin ich auf jeden Fall total gespannt. Bisher habe ich ja nur einmal als CITY AND COLOUR in Berlin gespielt. Mal sehen, wie der Rest mit meiner Musik umgeht.“

Die Begeisterung, die Green auch hier in Deutschland entgegenkommt, ist riesig. „Ich versuche, so schnell wie möglich neue Termine für Deutschland zu finden, damit auch die Leute, die jetzt keine Karten mehr bekommen haben, eine Chance haben vorbeizukommen.“ Der Rahmen wird dann jedoch sicherlich ein größerer sein.