Man stelle sich folgendes Szenario vor: Feierabend, entspanntes Stöbern im Plattenladen des Vertrauens und hey, das Cover sieht aber gut aus! Gekauft – ohne auch nur einmal reinzuhören. Was so ansprechend aussieht, kann sich ja wohl auch nur gut anhören. Natürlich kann so etwas schon mal gepflegt nach hinten losgehen, manchmal entdeckt man auf diese Weise aber auch wahre Perlen. Um die Aufdeckung der Geheimnisse hinter letztgenannter Plattenspezies geht es in dieser Rubrik. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang zunächst einmal Bilder sprechen, bevor der Mensch dahinter zu Wort kommen darf.
Musik, Videoclip, Cover – bei dem Kanadier Chad VanGaalen stammt alles aus einer Hand. Als ehemaliger Schüler des Alberta College of Art and Design ist er auch in Sachen visueller Gestaltung vom Fach. Ein direkter Zusammenhang zwischen Musik und Optischem ist in diesem Falle also unbedingt zu erwarten. Was aber das in seinem Videoclip zu „Peace on the rise“ versteckte Eiersalatsandwich mit den insekten- bis quallenartigen Monstern und indianerähnlichen Außerirdischen zu tun hat, gibt erst mal Rätsel auf. Über Sinn und Nichtsinn hinter den Bildern klärt der Meister höchstselbst auf und macht meine eigenen – zugegebenermaßen platten – Deutungsversuche schnell zunichte.
Chad, gib doch zu Beginn erst mal eine kleine Einführung in die Welt von „Diaper Island“.
Eigentlich geht es schlicht und einfach darum, wie du dir selbst die Welt als solche zusammenbastelst.
Okay, du willst das Mysterium also noch nicht preisgeben ...
Nein, noch nicht. Später vielleicht, haha.
Es scheint eine Verbindung zwischen Coverart und dem Videoclip zu bestehen. Was von beiden war zuerst da?
Tatsächlich habe ich zuerst das Cover entworfen. Es ist eine Zeichnung der Fletcher Falls in British Columbia. Der Rest hat sich dann nach und nach aus einem Fluss heraus zu dem großen zusammenhängenden Ganzen entwickelt. Da hat auch nicht immer System dahintergesteckt. Manches ist halt einfach fürs Auge gedacht.
Oh, dass da irgendetwas auch tatsächlich existiert, hätte ich an sich gar nicht erwartet.
Ja, doch, die Wasserfälle gibt es wirklich. Insgesamt verbringe ich sehr viel Zeit in der Natur und zeichne dort alles Mögliche, das ist eine große Inspirationsquelle für mich. Ich wandle einfach die Farben ein wenig ab, um die Dinge etwas surrealer erscheinen zu lassen. Auf diese Weise habe ich die gesamte Landschaft für den Videoclip aus der Natur „übersetzt“: Ich habe einfach Farben, Bäume, Dinge, die ich tatsächlich gesehenhabe, leicht verändert. Na ja, ich wollte damit eigentlich schon die Welt abbilden, aber sie sollte dabei gleichzeitig fremd wirken. Die Welt kann schließlich auch sehr befremdlich sein und mit der Aufgabe, uns wieder in diese physische Welt einzugliedern, kämpfen wir doch eigentlich gerade. Ich habe zumindest das Gefühl, dass wir das Ganze inzwischen sehr weit abgewandelt haben. Oftmals sogar zu weit, um uns noch darin wohlfühlen zu können. So sieht’s jedenfalls in Kanada aus.
Ja, Deutschland steht dem in nichts nach. In den letzten Jahren ist ja im Grunde länderübergreifend eine Art virtuelle Ersatzwelt entstanden.
Genau. Und dadurch hat man irgendwie das Gefühl, schon überall gewesen zu sein. Es ist inzwischen tatsächlich sehr schwer, sich einfach an einem Ort zu verlieren, an dem es keinerlei menschlichen Hinterlassenschaften beziehungsweise keine Möglichkeit zur Kommunikation gibt.
Eigentlich habe ich das Video ja wesentlich oberflächlicher interpretiert. Ich habe diese Pilze gesehen, die da in einigen Szenen überall aus dem Boden schießen, und dann eher an einen klassischen Drogentrip gedacht als daran, sich von der Welt ausgestoßen oder in einer Parallelwelt gefangen zu fühlen.
Ja, das führt ein wenig in die Irre. Das ist so eine Art Geschichte in der Geschichte. Wie dem auch sei, ich will das jetzt jedenfalls unbedingt so weit wie möglich entschlüsseln und habe deshalb im Vorfeld versucht, die Knackpunkte des Videos ausfindig zu machen.
Bitte verliere doch einfach ein paar Worte zu jedem Punkt, den ich nenne, unabhängig davon, ob er tatsächlich etwas bedeuten soll oder nicht. Fangen wir doch mit den beiden Hauptpersonen des Clips an, was steckt dahinter?
Die beiden Hauptpersonen sind Weltraumtouristen, bewaffnet mit diesem handstaubsaugerartigen Teil, das eigentlich ein Gefühlsapparat sein soll. Sie reisen einfach als Touristen von Planet zu Planet und saugen die Persönlichkeit verschiedener Organismen auf.
In welcher Verbindung stehen diese insektenähnlichen Unterwasserwesen dazu?
Die Außerirdischen jagen nach diesen Tieren, um sie mit dem Gefühlsapparat aufzusaugen. Dazu müssen sie zuerst den Vogel finden, der diese Wesen frisst. Der Vogel ist einfach größer, bunter und deswegen leichter zu finden, und diese Insektenkreaturen sind eigentlich immer irgendwo in seiner Nähe.
Auf den Vogel wollte ich eigentlich auch noch zurückkommen, das hat sich ja jetzt erledigt. Also geht es auch um Überlebensstrategien beziehungsweise fressen und gefressen werden. Das ist vielleicht ziemlich abwegig, aber hat das irgendetwas mit dem Eiersalatsandwich zu tun?
Nein, das ist einfach ein kleiner Gimmick, den ich eingebaut habe, damit ich zum Schluss noch eine Verlosung draufsetzen kann. Ich verstecke immer ein paar Gegenstände in meinen Videos und veranstalte dazu eine Art Schatzsuche. Ich mache passend dazu dann ein paar T-Shirts mit den Motiven der versteckten Dinge von Hand als Giveaway, das finde ich ganz witzig. In dem Clip zu „Peace on the rise“ konnte man beispielsweise außer dem Eiersalatsandwich noch einen Schraubenzieher, eine Kaffeetasse, Zigarettenstummel, eine Weinflasche, einen Türknopf und noch ein paar andere Dinge mehr finden.
Nette Idee. Wahrscheinlich muss man aber sehr früh dran sein, um in den Genuss eines T-Shirts kommen zu dürfen.
Ja, schon. Die sind ziemlich schnell vergriffen.
Wie hast du es, rein technisch gesehen, hinbekommen, diesen 3D-Effekt zu erzeugen?
Ich habe mit dem Programm „Toon Boom“ gearbeitet. Damit kannst du einzeln gezeichnete Layer in eine Cross-eyed-3D-Umbegebung aufteilen beziehungsweise zusammenführen und so diesen Effekt erzeugen. Das ist eigentlich eine ganz alte Technik, die Disney schon in den Fünfzigern entwickelt hat. Mehrere verschiedene Schichten übereinander zu legen, ist dabei das Wichtigste. Dann musst du noch ein bisschen Platz zwischen den einzelnen Schichten lassen und fertig ist die räumliche Panorama-Illusion. Tatsächlich ist aber alles noch immer 2D.
Damit liegen deine zeichnerischen Einflüsse wahrscheinlich auch eher im Comicbereich.
Ja, große Einflüsse sind beispielsweise René Laloux und Moebius, beides französische Zeichner, die in den Sechziger Jahren ziemlich erfolgreich waren. Robert Crumb natürlich auch. Außerdem viele andere aus dem Bereich Underground-Comics und -Zines, Jeff Daro und so weiter.
Wo liegt dabei die Verbindung zwischen deiner Musik und deiner optischen Gestaltung?
Na ja, ich weiß nicht so recht, es ist eigentlich sehr schwer für mich, zu bestimmen, wo das eine aufhört und wo das andere anfängt, weil beides irgendwie zusammenhängt und zusammengehört. In meiner Musik arbeite ich manchmal mit einer Geschichte, manchmal ist es eine rein instrumentale Angelegenheit. Bei den Visual Arts sieht es genauso aus: Manchmal arbeite ich mit Farben und Formen und kümmere mich gar nicht um eine Geschichte, ein anderes Mal erzähle ich gezielt etwas. Eigentlich ist beides natürlich nicht exakt identisch, aber ich kann sie einfach nicht voneinander trennen. Ich denke, sie treffen sich in der Mitte bei meinen Animationen. In einem Clip können Musik und Zeichnung gleichzeitig an ein und demselben Ort existieren, das ist eine wirklich feine Sache.
Eine Sache sollte noch unbedingt geklärt werden: Hat der Albumtitel „Diaper Island“ etwas mit deiner Rolle als Vater einer kleinen Tochter und Windelwechsler vom Dienst zu tun?
Hm, interessant, dazu möchte ich aber nichts verraten ... Hier sollte jeder seine eigene Interpretation finden.
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