Das sechste Album von CEREMONY scheint eine Diskussion über die Entwicklung einer Punkrock-Band zu entfachen, die sich selber nie wirklich Grenzen gesetzt hat. „In The Spirit World Now“ ist, wie schon sein Vorgänger „The L-Shaped Man“, eine New-Wave-Platte geworden. Na und? Sind alle Vorurteile abgeschüttelt, ist endlich Zeit, über die besten Songs zu sprechen, die CEREMONY je geschrieben haben. Zumindest wenn es nach Gitarrist Anthony Anzaldo geht.
Zum Start des Interviews würde mich interessieren, mit wem du im Moment lieber über „In The Spirit World Now“ sprechen würdest: mit einem eher traditionellen Punkrocker oder jemand, der sich stark für Wave-Punk begeistert?
Für uns als Band ist es wichtig, dass unsere Musik in einer Art Gesamtkontext wahrgenommen wird. Songs, die wir zu Beginn unserer Karriere geschrieben haben, sind für uns immer noch genauso wichtig wie unsere neuen Sachen. Die Entwicklung, die wir eigentlich permanent durchgemacht haben, kam für uns ganz natürlich und war nie so, dass wir etwas hinter uns gelassen haben. Es ging immer darum, das Beste aus dem Moment zu machen, und das ist jetzt dieses Wave-Punk-angehauchte Zeug, zu dem ein paar Leute vielleicht keinen einfachen Zugang finden. Ich möchte niemanden davon überzeugen, unsere Musik zu mögen, und deshalb würde ich im Moment eher mit dem Wave-Punker sprechen und hören, wie „In The Spirit World Now“ aufgenommen wird.
Würdest du sagen, dass das neue Album ein noch größerer Schritt in Richtung eurer Idee von CEREMONY ist, als es „The L-Shaped Man“ war, bei dem ihr zum ersten Mal einen krassen Stilbruch vollzogen habt?
So genau lässt sich das gar nicht beantworten. „The L-Shaped Man“ stellte sich als Riesensprung in unserer Entwicklung als Band heraus. Wir haben dies als Ausgangspunkt genommen, um noch mehr von den Dingen auszuprobieren, die uns im Kopf herumschwirrten, wie der verstärkte Einsatz von Synthesizern oder andere Performance-Techniken. Ich würde schon sagen, dass wir uns gerade auf unserem Höhepunkt als Songwriter befinden.
In welcher Gesellschaft befindet ihr euch mit „In The Spirit World Now“ und eurer Idee von Musik denn genau?
Mit diesem Album würde wir sehr gut ins New Wave-Genre passen. Eher von der Musik her und nicht von der Attitüde. Ich würde es vielleicht beschreiben als „Synth-driven Alternative Rock“, gespielt von einer subversiven Band.
Welche Rolle hat euer Produzent Will Yip dabei gespielt? Schließlich hat er schon Bands wie TITLE FIGHT, QUICKSAND und CODE ORANGE stellenweise zu einem neuen Sound verholfen.
Will ist ein unheimlich begabter Produzent, der ein Gespür dafür hat, wie er die Chemie einer Band nutzen kann, um nahezu perfekte Songs ans Tageslicht zu befördern. Er versteht sich gut darin, das Optimum aus dir herauszuholen, weil er die Fantasie besitzt sich vorzustellen, wie dein Song am besten klingen könnte. Wir haben genau solch einen Einfluss gebraucht, da wir bei „In The Spirit World Now“ zum ersten Mal fast über das ganze Land verstreut waren und die Songs nicht wirklich in einer Art Proberaum entstanden sind. Wir haben uns im Vorfeld dreimal für insgesamt anderthalb Wochen getroffen und die Songs geschrieben. Ein für uns völlig neuer künstlerischer Ansatz. Dazu kam, dass wir plötzlich zeitlich unter Druck standen, so dass wir eigentlich nur die Blueprints der Songs mit ins Studio brachten. Will ist dafür bekannt, sehr geduldig mit den Bands umzugehen, mit denen er arbeitet. Es war dann schlussendlich auch das gegenseitige Vertrauen in die Stärken des jeweils anderen und dass seine Vision sehr nah bei unserer lag.
Was ging in der Zeit, in der „In The Spirit World Now“ entstand, in euch vor?
Ich weiß, dass sich unser Sänger Ross viel mit Selbstbeherrschung beschäftigt hat. Mir selbst ist dabei bewusst geworden, dass ich als Künstler mit dem, was ich gerade produziere, die Chance habe, meine Bestimmung zu erfüllen. Ich bin der Meinung, dass du es dir nicht aussuchst, Künstler zu sein, du folgst stattdessen einem Instinkt. Wenn du tatsächlich die Möglichkeit bekommst, das umzusetzen, ist das sehr erfüllend.
„In The Spirit World Now“ klingt, wie du es ja selber schon angesprochen hast, nach New Wave. Worum geht es inhaltlich?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Bedeutung des Albumtitels, der Lyrics oder des Gesamtbildes einer Platte nicht durch eine konkrete Vorgabe beeinflusst sein sollen. Ein Album oder auch ein Song kann sich erst dann richtig entfalten, wenn du als Hörer dabei deine eigenen Ideen und Gefühle entwickelst. So wird Musik viel persönlicher und spannender.
Was hat es mit dem Gedicht auf sich, das in „I“, „II“ und „III“ auf der Platte verteilt ist?
Es ist ein Gedicht, das Ross geschrieben hat. In „III“ beschreibt er zum Beispiel die Idee, wie es ist, wenn dir plötzlich der Gedanke kommt, im Auto bei voller Fahrt einfach mal das Steuer loszulassen.
Ross scheint sich auch viel mit Sehnsüchten und dem freien Willen beschäftigt zu haben. Waren das Vorgaben, nach denen ihr euch musikalisch für „In The Spirit World Now“ ausgerichtet habt?
Für Ross waren diese Themen immer sehr präsent. Dieses Mal haben sie aber seinen Umgang mit den neuen Songs dominiert. Musikalisch hatte dies jedoch keinen großen Einfluss auf die Entwicklung des gesamten Albums. Wir haben in den letzten Jahren einen großen soundtechnischen, aber auch persönlichen Sprung gemacht. Es ist eine neue Idee von CEREMONY in unseren Köpfen gereift, die wir jetzt so gut wie erreicht haben. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen.
Dann lass uns doch über die Entwicklung sprechen, die ihr als Band seit eurer Gründung im Jahr 2005 gemacht habt. Kannst du den wachsenden Einfluss von Wave-Elementen auf eure Musik auf ein bestimmtes Event zurückführen? Wie war es, als ihr das erste Mal bewusst Synthesizer eingesetzt habt?
Ich kann mich leider nicht mehr an einen bestimmten Moment erinnern, aber irgendwann hat sich beim Schreiben einiger Songs einfach herausgestellt, dass Synthesizer sehr gut passen würden. Das hat sich dann relativ schnell so weit entwickelt, dass Gitarrenparts oder Melodien durch Synthies ausgetauscht wurden. Uns war immer wichtig, dass sich nichts an unserem Gefühl für unsere Musik ändern sollte. Ich habe immer gerne TALKING HEADS, DEVO und Bands wie INXS gehört. Die haben das typische Schlagzeug-Bass-Gitarre-Gerüst auch immer aufgebrochen und neue Ansätze verfolgt. Diesen Einfluss habe ich immer stärker auf die Musik von CEREMONY übertragen.
Es ist erstaunlich, dass CEREMONY diese krasse Entwicklung als Band mitgemacht haben. Du hättest schließlich auch einfach ein New-Wave-Projekt gründen können und ihr hättet weiter Musik wie auf „Rohnert Park“ gemacht.
Schon auf „Rohnert Park“ kann man, meiner Meinung nach, die Entwicklung hören, die wir schlussendlich vollzogen haben. Wir sind über die Jahre eine Band geworden, die sich den Spaß an dem, was sie macht, nicht nehmen lässt. Zwischen uns herrscht eine gute Chemie, was viele Sachen einfacher macht. Wir ergänzen uns sehr gut und sind uns bewusst, wo wir mit CEREMONY hin wollen. Wenn wir mal ehrlich sind, ist diese Entwicklung auch gar nicht so krass. Vielleicht ist sie es auch nur für Leute aus der Punkrock- und Hardcore-Szene. Sich als Band zu entwickeln, ist für uns eine Selbstverständlichkeit und nur so bleibt die Sache für uns auch anspruchsvoll und spannend.
Würdest du sagen, dass ihr euch gut mit Bands wie JOY DIVISION verstehen würdet, angenommen, ihr wäret zur gleichen Zeit aktiv?
Vielleicht wenn wir ungefähr gleich alt wären. Soweit ich weiß, hat sich Ian Curtis ja sehr schwergetan, persönliche Beziehungen zu Leuten aufzubauen und war auch sonst ein depressiver Mensch. Aufgrund dieser Eigenschaften hat er Songs schreiben können, die zu den Besten zählen, die jemals geschrieben wurden. Ich bewundere ihn auf der einen Seite und bedaure ihn gleichzeitig. Ohne Frage hätte ich ihn gerne kennen gelernt. Ob wir als Bands gut miteinander klargekommen wären, kann ich gar nicht so genau sagen. Dafür weiß ich zum Beispiel zu wenig darüber, wie das Leben auf Tour damals so war. JOY DIVISION würden auch heute noch genauso gut funktionieren, wie sie es damals getan haben, und wenn sie mit uns auf Tour hätten gehen wollen, wären wir alle wohl direkt an Bord.
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