Kaum eine andere Band, die ihre Ursprünge im Punkrock und Hardcore hat, stand in den letzten Jahren so stellvertretend für die Reinkarnation musikalischer Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung, kaum eine andere Band besticht so sehr durch ihre Konsequenz, Genregrenzen zu überschreiten. CEREMONY aus Rohnert Park, California scheinen viel von Fotosynthese zu halten, denn sie sind seit jeher darum bemüht, die verbrauchte Szeneluft zu recyclen. Wo andere Künstler Gefahr laufen, Eigenständigkeit mit Übermotivation und Verbissenheit zu verwechseln, wirkt das bisherige Schaffen von CEREMONY, als sei es mit großer Leichtigkeit vollbracht worden. Glichen „Violence, Violence“ und „Still Nothing Moves You“ noch einem Schlag in die Fresse, ließ „Rohnert Park“ bereits mit atmosphärischen Interludes und Intensität aufhorchen. Ohne sich durch irgendwelche Gesetze der Szenepolizei beirren zu lassen, scheint jeder Schritt trittfest gesetzt. Auf dem neuen Album „Zoo“ gibt sich die Band um Sänger Ross Farrar nun als Post-Punk-affine Truppe, inklusive Flashbacks in die Achtziger Jahre. Man fühlt sich wie auf einer Zeitreise in die Vergangenheit und freundet sich schnell mit dem Gedanken an, CEREMONY demnächst im Vorprogramm von JOY DIVISION zu sehen. Mit Matador Records wurde außerdem eine neue Labelheimat gefunden. Ross stand Rede und Antwort.
Ross, neues Label, neues Album. Im vergangenen Interview mit dem Ox spracht ihr unter anderem von „natürlicher Weiterentwicklung“ und/oder „Evolution“ und nach eigenem Empfinden sei der musikalische Sprung ähnlich groß wie der zwischen „Still Nothing Moves You“ und „Rohnert Park“. Inwieweit ist es hilfreich, sein musikalisches Umfeld zu ändern, wenn es zu solch einer Weiterentwicklung kommt?
Im Grunde genommen haben wir unser Umfeld nicht verändert. Das Studio, in dem wir aufgenommen haben, ähnelte den Aufnahmeplätzen der Vergangenheit sehr – mit dunklen Räumen, Gitarren, Klavieren und überall verrücktem Musikequipment. Der einzige Unterschied bestand darin, dass es außerhalb von Kalifornien lag – kein gutes mexikanisches Essen, viel Regen –, was, glaube ich, Auswirkungen auf die Stimmung des Albums hatte. Darüber hatte ich nur bislang nicht wirklich nachgedacht.
Matador Records hat viele Indie-Bands unter Vertrag. Glaubst du, dass die Resonanz auf euer Album deswegen anders ausfällt, als wenn ihr es über ein Hardcore- oder Punk-Label veröffentlicht hättet? Sind die Erwartungen andere?
Viele Leute werden sich weit aus dem Fenster lehnen: „Sie haben sich verändert, sie sind schwach, ihr Label vertritt keine schnelle, harte Musik – nur einen Haufen von Indie-, Hipsterscheiß.“ Aber jeder, der Musik schätzt, und offen dafür ist, neue Bands kennen zu lernen, offen dafür ist, etwas anderes kennen zu lernen, der wird den Wechsel mit offenen Armen begrüßen. Ich habe schon viele verschiedenen Meinungen gehört. Die meisten Leute sagen, dass sie äußerst begeistert seien. Die einzigen schlechten Reaktionen, die ich gehört habe, kommen von Leuten, die Sachen im Internet gelesen haben, und das ist schwierig zu deuten, denn das Internet hat ein ganz neue Art von „Person“ hervorgerufen. Jemand, der sich viele Alben in sehr kurzer Zeit anhört und für gewöhnlich nicht viel Zeit mit einer Platte verbringt – damit meine ich diejenigen Leute, die einer Platte keinen fairen Hördurchlauf geben. Alles ist total hyperaktiv. Oftmals führt das bei solchen Leuten zu negativen Reaktionen.
Was hältst du von Bands, die durchweg einem Label und ihrem Sound treu bleiben?
Ich mag es. Ich denke, dass es Bands gibt, die mit dieser Beständigkeit sehr gut fahren, und sich auch nicht verändern sollten. Ich mag es trotzdem zu sehen, wie sich eine Band mit der Zeit verändert, weiterentwickelt und wächst. Ich glaube, dass dies perfekt zu CEREMONY passt, weil wir niemals einen speziellen Stil besonders gut beherrscht haben. Der Versuch, etwas zu finden, wo wir hineinpassen, gestaltete sich äußerst schwierig. Das kannst du auf jedem Album hören – eine unangenehm sitzende Haut.
Treibt ihr euch selbst zu dieser Weiterentwicklung an? Ist es ein logischer Schritt, um Stagnation zu verhindern?
Ja, das kannst du auf jedem Album hören, jedes unterscheidet sich vom vorigen – hoffentlich positiv.
Habt ihr im Vorfeld schon eine grobe Vorstellung davon, wie ein Album klingen soll, oder passiert das dennoch durch Zufall?
Ich glaube, dass das alles davon abhängt, was wir zu dem Zeitpunkt selbst für Musik hören. Es passiert alles ziemlich zufällig.
Meiner Meinung nach sind CEREMONY eines der besten Beispiele dafür, dass musikalische Weiterentwicklung nicht erzwungen werden sein muss: da sind große Unterschiede zwischen den einzelnen Alben, aber zu jedem Zeitpunkt ist es stimmig und schlüssig. Was glaubst du, welche Faktoren dafür verantwortlich sind?
Das ist etwas, wo drüber ich zuletzt tagelang nachgedacht habe. Es ist sehr interessant, wie Leute über sich selbst denken, lass es ihre künstlerische Vision von was auch immer sein, auf die sie sich konzentrieren. Einige Menschen sind sehr unflexibel in Hinsicht auf das, was sie wollen, so dass die Sachen genau auf die eine Art und Weise laufen müssen, damit es für sie funktioniert. Es gibt Bands, für die alles sorgfältig durchdacht sein muss, damit alles richtig abläuft. Für CEREMONY aber, da wir alle total unterschiedlich sind – jeder für sich ist individuell –, heißt das, dass alles so abläuft wie ein Kaleidoskop. Falls du uns alle in verschiedene Räume setzen und mit jedem von uns über genau diese Fragen hier diskutieren würdest, du bekämest diese genau verkehrt herum wieder. Das ist der Grund, warum du eine solch merkwürdige Mischung von Sounds auf den Alben erhältst.
Wie ihr versprochen habt, macht ihr auf „Zoo“ abermals einen musikalischen Sprung nach vorn. Welche Bands hatten während des Entstehungsprozesses Einfluss auf euch?
Ich würde sagen: THE CRAMPS, THE FALL, THE KINKS, CRISIS, SUICIDE – viele „The“ Bands. Es ist wirklich verrückt, auf was für unterschiedliche Sachen wir so abfahren. Schau mal auf die Lieder der „Covers“-Platte, die wir auf Bridge Nine veröffentlicht haben – das erklärt vieles.
Definitiv, das macht schon einiges deutlich. Auf „Zoo“ wurden die von Hardcore beeinflussten Momente auf ein Minimum reduziert, gleichzeitig kommen dafür eine Menge hymnische Post-Punk-Hooklines ins Spiel – niemals zuvor wart ihr so eingängig wie in „Hysteria“.
Haha, ja. Das kommt wie gesagt daher, dass wir uns so viel verschiedenes Zeug anhören. Schon seit längerer Zeit hören wir auf alle Fälle eine Menge Post-Punk. Es gibt eine B-Seite auf der „Adult“-Single, die sehr nach GANG OF FOUR klingt, und viele schaurige, langsame Passagen enthält – Zeug, dass durch THE LINES oder vielleicht auch durch THE CHAMELEONS inspiriert ist.
Warum habt ihr „Hysteria“ als erste Single ausgewählt?
Das ist eine gute Frage. Jake und ich hätten lieber gewollt, dass es „Citizen“ oder „Repeating the circle“ wird. Aber so ist es dann passiert: Am Ende des Schreibprozesses sprachen wir ein wenig darüber, welche Songs live Spaß machen würden, und aufgrund der Drums am Anfang ist „Hysteria“ ein super Song, um eine Show zu eröffnen. Ich glaube, dass es deswegen war. Aufgrund der Energie wollten wir unsere Shows mit „Hysteria“ beginnen, also wählten wir jenen auch Song als erste Single aus.
Angefangen bei „Violence, Violence“ bis hin zu „Rohnert Park“ habt ihr allmählich immer mehr Intensität und Atmosphäre zugelassen. Nun ist dafür das beste Beispiel der letzte Song „Video“, welcher äußerst stark an JOY DIVISION erinnert.
Ja, das klingt haargenau wie JOY DIVISION. Ein extrem atmosphärischer Song. Es scheint so, als dass viele Frauen diesen Song aus irgendeinen Grund mögen.
Obwohl auf „Zoo“ kein konzeptionelles Arbeiten wie dem „Into the wayside I-III“-Thema von „Rohnert Park“ enthalten ist, dauert das Album mehr als 36 Minuten und enthält gegenüber vorherigen Platten nur einen 1:30-Minuten Song. Was denkst du, wie es dazu kommt?
Wir haben mehr Zeit in diese Songs investiert. Da wir ungefähr eineinhalb Jahre daran geschrieben haben, haben sich die Songs mit der zusätzlichen Zeit allmählich in die Länge gezogen. Ich wollte eh immer, dass wir lange Songs schreiben. Sachen wie „Something’s gone wrong again“ von den BUZZCOCKS – ich liebe solche Songs, mit ihrer Wiederholungshäufigkeit und ihrer Eingängigkeit.
Abgesehen von der musikalischen Weiterentwicklung, wie viel Gewicht haben die Texte?
Für dieses Album habe ich mehr Zeit mit dem Schreiben der Texte verbracht, als ich mir jemals zuvor für irgendwas Zeit genommen hatte. Ich saß spät in der Nacht in meinem Zimmer und probierte verschiedene Dinge aus, strich bestimmte Zeilen und ersetzte diese durch andere Zeilen. Es dauerte ziemlich lang. Ich glaube außerdem, dass ich unter Druck stand, weil dies hier unsere erste Veröffentlichung für Matador sein würde, und das war für mich schon eine große Sache. Manchmal ginge ich nicht schlafen, weil ich nach dem Schreiben wach blieb, um über verschiedene Kombinationen oder Änderungen nachzudenken – egal, was es war, das mich störte. Es müssen wohl 50, 60 Änderungen in dem ganzen Schreibprozess gewesen sein.
Inwieweit versuchst du dich hinsichtlich der Texte zu verbessern? Wagst du dich zum Beispiel auch an neue Themen heran?
Ja. Ich habe versucht, ein wenig optimistischer zu sein als sonst, also als auf den anderen Veröffentlichungen. „Repeating the circle“ ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist ein Song über den Kreislauf des Lebens, „Born from stars, rising from water and out the womb“. Ziemlich einfache Gedanken, aber Dinge, von denen du auf den anderen Alben nichts gehört hast. Die Themen auf „Zoo“ variieren ziemlich, es geht um verstorbene Familienmitglieder, darum, paranoid zu sein, um Beziehungskonflikte – grundlegende, menschliche Themen, mit denen wir alle hin und wieder umgehen müssen.
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