CEREMONY

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Sign o’ the times

CEREMONY, aufgewachsen nördlich von San Francisco in Rohnert Park und heute in der Bay Area ansässig, haben sich mit ihrem dritten Album „Rohnert Park“ (2010) gegenüber dem „Still Nothing Moves You“ (2008, ebenfalls Bridge 9) und dem Debütalbum auf Malfunction/Deathwish („Violence, Violence“, 2006)erheblich weiterentwickelt, sind musikalisch weit entfernt vom „typischen“ Hardcore, scheinen sich abarbeiten zu wollen an den Helden von vor 25, 30 Jahren wie BLACK FLAG, die hier zwangsläufig in den Sinn kommen angesichts der Komplexität der Songs, die aber auch in einer Tradition stehen, wie man sie von Alternative Tentacles in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern mit ALICE DONUT oder VICTIM’S FAMILY kennt und heute mit den FLESHIES oder GIT SOME. Ihre Konzerte sind verstörende, expressionistisch anmutende Erlebnisse, weil hier erst nichts zu passen scheint und dann doch alles Sinn macht. Nach dem Auftritt im Kölner Underground sprach ich mit Gitarrist Anthony Anzaldo über ihre Heimatstadt, Prince und den Wechsel zu Matador Records.

Anthony, mir fiel bei eurem Konzert eben auf, wie nicht-metallisch und nicht-rock’n’rollig euer Auftreten ist. Das ist erstaunlich.

So sind wir eben – und wir sind weder eine Metal- noch eine Rock’n’Roll-Band. Wir sind eine Hardcore-Punk-Band, und entsprechend sind die Reaktionen des Publikums bei unseren Shows. Da lädt nichts zu Metal-typischem Verhalten ein, und auch nicht dazu, sich zu benehmen wie bei einer Stadion-Rockband. Wir spielen stripped-down Punk-Musik, und unsere Shows reflektieren das.

Das ist heutzutage selten. Auch im Hardcore scheint die Einstellung vorzuherrschen, dass es beeindruckend ist, wenn ein Gitarrist komplexe Metal-Riffs beherrscht. Steckt hinter eurem Verhalten eine bewusste Entscheidung?

Von der ersten Sekunde an hatten wir eine klare Vorstellung vom Sound unserer Band. Das mag jetzt so klingen, als sei alles bei uns im voraus bedacht, doch so stimmt das nicht. Wir schreiben die Songs, mit denen wir uns wohlfühlen, das passiert einfach. Es gab nie den ausgeklügelten Plan, dass unsere Shows so und so sein sollen, wie diese oder jene Band. Nein, wir machen die Musik, die wir mögen, und der Rest ist einfach so passiert.

Und in welchem Verhältnis zu euch stehen die Bands, die ihr auf eurer jüngsten EP auf Bridge 9 gecovert habt?Da finden sich Songs von URBAN WASTE, PIXIES, CRISIS, EDDIE AND THE SUBTITLES, VILE und WIRE.

Das sind alles Bands und Songs, die wir lieben und die irgendwie reflektieren, was wir tun – und wo wir wussten, dass wir sie gut rüberbringen können. Wir nahmen die zusammen mit den Stücken des „Rohnert Park“-Albums auf, in einem Rutsch.

Erst kürzlich habe ich mich mit WIRE über ein paar ihrer Songs unterhalten und war beeindruckt, wie detailliert deren Erinnerung zu jedem ist.

Sie sind eine faszinierende, eigenständige und einflussreiche Band, keine andere klingt wie sie. Vor ihnen gab es keine Band, die so klang – wie bei den ROLLING STONES. Im Gegensatz dazu gibt es unzählige Bands wie unsere, die schnellen, aggressiven Punkrock spielen.

Gibt es etwas, das euch einzigartig macht?

Hm ... kommt darauf an, wen du fragst. Es gibt sicher Leute, die uns für überhaupt nicht einzigartig halten. Wir haben Songs, die auch vor über 20 Jahren von Greg Ginn hätten geschrieben worden sein können. Wir alle haben einen breiten, guten Musikgeschmack und versuchen, die verschiedensten Einflüsse in unsere Musik zu packen, mit bekanntem Ergebnis. Wir versuchen eigenständig zu sein, aber wir sind nicht besessen davon und legen genauso viel Wert darauf, simple Drei-Akkord-Punk-Songs zu schreiben. Macht uns das einzigartig? Das müssen andere entscheiden.

Ich habe euch mal mit ALICE DONUT und VICTIMS FAMILY verglichen, weil das beides ebenfalls sehr eigenwillige Bands innerhalb des Hardcore-Genres waren beziehungsweise sind.

Wir sind eine Punkband und die meisten unserer Einflüsse stammen von Punkbands, und so ist es nur natürlich, dass die Nicht-Punk-Einflüsse es sind, die deinen Sound „frisch“ klingen lassen. Dabei kann man aber auch grandios scheitern – was man über uns hoffentlich nicht sagen kann. Meine Lieblingsbands sind THE CURE, DEPECHE MODE und Prince ...

... deshalb auch dein Achtziger-Jahre-Haarschnitt?

Haha, ja. Die Platten dieser Bands und Musiker stecken ganz tief in mir drin, in meinem Unterbewusstsein.

Prince hat gestern in Köln gespielt und es soll furchtbar gewesen sein.

Echt!? Ich habe ihn vor nicht allzu langer Zeit drei Abende nacheinander in Oakland gesehen und er war großartig. Und das gilt für alle elf Konzerte, die ich bislang von ihm gesehen habe. Das erste Mal war 1997, mit elf. Seitdem bin ich Fan.

Faszinierend finde ich an Prince seine Verbindung zur durchaus auch Punk-affinen Paisley Underground-Szene im Los Angeles der frühen Achtziger.

Oh ja! Punk war er zwar nie, aber speziell seinem dritten Album „Dirty Mind“ von 1980 und dem Nachfolger „Controversy“ kann man durchaus einen gewissen Punk-Einfluss anhören. Er hatte immer auch eine Schwäche für gitarrenbasierte Musik. Und hör dir mal frühe Chuck Berry-Songs an, das ist schneller Blues-Rock, und da ist kein so großer Unterschied zu einem RAMONES-Song erkennbar, das ist eine ganz ähnliche Formel.

Sehr aufschlussreich in dieser Hinsicht ist Kris Needs zweiteilige Compilation „Dirty Water – The Birth Of Punk Attitude“ – der stellt da genau diese Beziehungen her.

Punk ist sehr simple Musik, und das macht es leicht, sie zu ihren Wurzeln zurückzuverfolgen – das finde ich spannend.

Apropos Wurzeln: Ihr stammt aus der nordkalifornischen Kleinstadt Rohnert Park, die in den frühen Sechzigern auf dem Reißbrett geplant und dann hochgezogen wurde. Ihr habt sie im Titel eures letzten Albums verewigt. Warum?

Wir sind alle dort aufgewachsen, aber dann gleich nach der Highschool von da weg gezogen. Ross, unser Sänger, ist vor den Aufnahmen zu diesem Album aber wieder nach Rohnert Park zurückgezogen, und das, sowie die Tatsache, dass die Stadt so etwas wie ein Fixpunkt für uns als Band ist, führte zu diesem Albumtitel.

Wie lebt es sich in Rohnert Park?

Es ist eine typische amerikanische Vorstadt-Region, eine reine Wohngegend, Haus an Haus, dazwischen mal eine Schule und ein Einkaufszentrum. Es entspricht in jeder Hinsicht dem amerikanischen Vorstadtklischee. Aber es liegt nur 40 Minuten nördlich der Golden Gate-Brücke, San Francisco und Berkeley lagen für uns also quasi vor der Haustür und wir fuhren da ständig hin, sobald wir den Führerschein hatten. Der Albumtitel stammt von Ross, und es ist eine Mischung aus Nostalgie und der Faszination für den Kontrast zwischen San Francisco und unserer Heimatstadt, die Ross auf diese Idee brachten. Der Titel passt einfach zu uns.

Und gehst du heute gerne dorthin zurück?

Durchaus, meine Familie lebt da, ebenso Ross und Jake. Früher waren unsere Gefühle gegenüber unserer Heimatstadt vielleicht andere, aber wir sind jetzt erwachsene Punks und wissen, dass es Wichtigeres gibt, gegen das es sich zu rebellieren lohnt, als die Kleinstadt, aus der du kommst. Irgendwie ist das so eine Hassliebe, aber andererseits ist das auch schon wieder ein viel zu starker Ausdruck.

CEREMONY waren bislang bei Bridge 9, doch eure Cover-EP ist die letzte Platte für das Hardcore-Label aus Boston. Euer nächstes Album wird bei Matador erscheinen, ein renommiertes Indie-Label, auf dem zwar mit FUCKED UP auch eine andere Hardcore-Band unter Vertrag ist, was aber dennoch im Gegensatz zu Bridge 9 nicht wie eine logische Wahl erscheint. Wie kam es dazu?

Die Macher von Matador haben ja auch einen Punk-Background, und wir haben uns im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung lange mit Patrick Amory unterhalten, dem Matador-Geschäftsführer. Der versteht absolut, was wir machen, der hat zu Hause die erste MINOR THREAT-7“, und die hat er nicht bei eBay ersteigert, sondern seinerzeit auf einem Konzert gekauft. Matador ist ein großartiges Label, und wir wissen natürlich, dass wir auch durch die Platten auf Bridge 9 tief in der Hardcore-Szene verwurzelt sind. Wir hoffen, dass uns mit dem nächste Album sowohl diese Fans treu bleiben werden, wir aber auch neue Fans finden. Unser Sound auf „Rohnert Park“ hatte sich im Vergleich zu den vorherigen Platten ja schon ein gutes Stück weiterentwickelt, und ich glaube, die Leute bei Matador haben das erkannt und sich gefragt, was wir wohl als Nächstes tun werden. Die hatten uns schon seit einer ganzen Weile auf dem Schirm, bevor sie uns dann endlich ansprachen. Wenn du unser neues Album hörst, wirst du wissen, warum Matador so an uns interessiert ist.

Es wird also „anders“ sein als die bisherigen Platten ...?

Nennen wir es „natürliche Weiterentwicklung“ oder „Evolution“. Der Schritt wird ein genauso großer sein wie der von „Still Nothing Moves You“ zu „Rohnert Park“. Die Punk-Wurzeln werden weiterhin klar erkennbar sein, aber wir erkunden auch viel neues Terrain. Nach derzeitiger Planung wird es im Frühjahr 2012 erscheinen. Was nun die Gründe für die Entscheidung pro Matador betrifft, so sind die simpel: es ist ein cooles Label, sie sind independent, sie können uns eine Menge bieten, und sie gehen sehr leidenschaftlich mit Musik um. Die wissen natürlich, dass wir nicht so viele Platten verkaufen werden wie INTERPOL oder CAT POWER, aber das stört die nicht. Sie sagten zu uns, dass sie uns nicht verändern oder sich irgendwie in unsere künstlerische Arbeit einmischen würden, wir sollten einfach weiterhin tun, worauf wir Lust haben – und das war für uns ausschlaggebend, bei ihnen zu unterschreiben, denn solch eine Aussage hört man als Band nur selten von einem Label.

Das letzte Album wurde mit dem legendären Dan Rathbun im Polymorph-Studio aufgenommen – und das neue?

Dan ist mittlerweile ein guter Freund, aber bevor wir bei ihm aufnahmen, waren wir uns gar nicht bewusst, wer er ist. Wir hatten uns immer gewundert, wer TRAGEDY diesen unglaublichen Sound verpasst hat, dann schauten wir nach und stellten fest, dass der bei uns um die Ecke sitzt. Und so landeten wir bei ihm im Studio. Für das neue Album haben wir uns aber John Goodmanson ausgesucht, der unter anderem BIKINI KILL aufgenommen hat, der mit PAVEMENT, DEATH CAB FOR CUTIE und zig anderen Bands gearbeitet hat. Wir wollten nie einen klassischen Produzenten haben, aber finden es jetzt doch okay, einen Außenstehenden dazu zu holen, der an den entscheidenden Stellen auch mal einen Tip gibt, was anderes auszuprobieren.

Worin siehst du ganz klassisch die Rolle eines Produzenten?

In der Rolle eines extra Paares Ohren, die nicht zur Band gehören. Einem, der nicht Teil der kleinen Bandwelt ist, in der man sich sonst ständig bewegt. Wenn man immer nur mit den gleichen Leuten aus seiner Band arbeitet, kann es vorkommen, dass man sich irgendwann nur noch im Kreis bewegt. Du schreibst zusammen Songs, du weißt genau, was kommt, wie der Song enden wird, jeder kennt die Stärken und Schwächen des anderen, du bist sehr vertraut mit dem Stil jedes anderen. Da macht es Sinn, jemanden ins Spiel zu bringen, der musikalisch sehr gebildet ist, der Musik liebt, der nicht vertraut ist mit jedem Aspekt deiner Arbeit, und das kann sehr gute Ergebnisse hervorbringen. John sieht das genauso, aber wir haben ihm auch gesagt, dass es dennoch unser Album sein muss. Sein Anteil ist der tatsächliche Sound des Albums, denn ich bin ja kein Toningenieur. Ich weiß, mit welchem Verstärker ich gerne arbeite, aber wenn es darum geht, dass man zu jemandem sagen kann: „Hey, ich will, dass das genau so und so klingt, was muss ich dafür tun?“, dann bringt einen das weiter. Und das ist die Rolle eines Produzenten. Der darf sich auch ins Songwriting einmischen, wenn es auf der Basis dessen passiert, dass jemand Externes von uns eine Leistung abfordert, die wir von uns aus nicht erbracht hätten. Ein Produzent hat also Beraterfunktion in Situationen, wo man selbst nicht mehr weiter weiß, er ist so was wie ein Coach.

Es gibt aber auch Bands, die sich konsequent selbst produzieren.

Ja, die gibt es, aber es sind nur wenige, die das wirklich durchhalten. Sogar Prince, mein absoluter Lieblingsmusiker, war nur die ersten zehn Jahre seiner Karriere richtig gut darin, sich selbst du produzieren, und ich ertappe mich dabei, ihm sagen zu wollen, er solle doch mal was Neues ausprobieren. Man muss also schon wirklich ein außergewöhnlich guter Songwriter sein, um auf Dauer alleine klarzukommen.

Verrate mir doch zum Schluss des Interviews noch deine liebsten Prince-Songs.

Also das wechselt, doch derzeit zählt dazu „Purple rain“ – ich glaube, das ist sogar mein allerliebster Prince-Song. Ich war neun oder zehn, als ich den das erste Mal hörte, und ich war so hingerissen, dass ich alles über das Lied wissen wollte: den Text, wann und wo aufgenommen, wer spielt da, und so weiter. Das war das erste Mal, dass ich in Bezug auf Musik so starke Gefühle hatte. Es ist einer der größten Hits von Prince, der hat für mich aber einfach auch große nostalgische Bedeutung. Der andere wichtige Prince-Song ist derzeit „Forever in my life“, das ist der letzte Song auf der zweiten Seite vom „Sign O’ The Times“-Album. Ein wunderschöner, minimalistischer Love-Song. Was ist dein Prince-Lieblingssong?

Eindeutig „When doves cry“.

Eine gute Wahl, dagegen kann man nichts sagen. Prince hat damals den Film „Purple Rain“ gedreht, und der Regisseur sagte zu ihm, er brauche einen Song für diese eine bestimmte Szene, und gleichzeitig wollte das Label von ihm eine erste Single für das Album. Er stand also unter doppeltem Druck, und er hat dann über Nacht dieses Lied geschrieben – der Mann ist einfach ein Genie!

Anthony, besten Dank für das Interview.