BAYSIDE

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Reset and regret

Wer so viel in seiner 16-jährigen Bandgeschichte erlebt hat wie die Band um Anthony Raneri, wird wohl niemals aufhören, Platten zu veröffentlichen. Mit „Vacancy“ geben BAYSIDE einen Einblick in familiäre Probleme, Scheidung und abermaligen Neubeginn – selten klang eine Therapie so authentisch und fesselnd. Dass die Amerikaner dabei wieder mal ihr Gespür für fantastische Punkrock- und Pop-Punk-Songs beweisen, liegt eigentlich auf der Hand.

Anthony, seit du im Jahr 2000 BAYSIDE zusammen mit Gitarrist Jack O’Shea gegründet hast, habt ihr als Band weit mehr erlebt als der Großteil der anderen Musiker aus eurem Umfeld. Welche Bedeutung hat die Band für dich?

Ohne BAYSIDE wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Als Jack und ich mit der Band während unserer Schulzeit angefangen haben, wollten wir, wie jede andere Band auch, Konzerte spielen und Spaß haben. Damals hat wohl niemand von uns geahnt, dass wir BAYSIDE brauchen werden, um uns selbst zu therapieren. 2005 hatten wir einen sehr schweren Unfall, bei dem unser damaliger Schlagzeuger John Holohan gestorben ist. Wären wir anderen damals nicht füreinander da gewesen, wäre es für uns noch schlimmer gewesen, als es sowieso schon war. Mir hilft unsere Musik dabei, mich von den Dämonen zu befreien, die meinen Weg gekreuzt haben und mich belasten.

Du verarbeitest in der Musik auch das Scheitern deiner Ehe und die darauf folgende unerfreuliche familiäre Situation. Das sind doch recht private und traurige Themen, oder nicht? Wie fühlt es sich an, die neuen Songs vor einem Publikum zu singen?

Ich versuche mich beim Schreiben von neuen Songs immer von dem zu befreien, was mir auf der Seele liegt. Sobald wir auf eine Bühne gehen, singe ich ja auch nicht mehr nur noch für mich allein. Es ist unglaublich schön zu sehen, dass es Leute gibt, die unsere Musik bewegt. Wenn ich dann mit meinen Texten anderen Leuten dabei helfen kann, ähnlich Situationen, wie die, in denen ich mich befand, zu bewältigen, geht es mir direkt viel besser.

Welches Feedback geben dir die Leute, die wissen, um wen es in den Songs geht?

Ich achte sehr darauf, niemanden direkt anzusprechen oder gar zu beleidigen. Natürlich wissen die Menschen aus meinem Umfeld recht gut, wen ich in den Songs beschreibe. Aus diesem Grund bin ich auch so nervös gewesen, als wir die Songs das erste Mal unseren Freunden vorgespielt haben. Da gab es schon ein paar, die meinten, dass ich wohl einige Brücken abgebrochen zurücklassen werde. Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht der sein, der als derjenige gilt, der nun allein und frustriert zum Gegenschlag ausholt. Ich möchte ein guter Vater sein, auch wenn ich meine Kinder im Moment nicht so oft sehen kann. Sobald die Platte veröffentlicht ist, werde ich bestimmt den einen oder anderen wütenden Anruf bekommen. Aber da muss ich wohl durch.

Ihr habt euch bisher aus politischen Diskussionen herausgehalten und seit eher für sehr emotionale und persönliche Songs bekannt. Wann können wir mit einem politischen Statement eurerseits rechnen?

Als Band ein politisches Statement zu veröffentlichen, ist eine schwierige Angelegenheit. Natürlich haben wir alle einen Standpunkt, jedoch lagen uns im Moment gerade andere, sehr persönliche Dinge, am Herzen. Wenn wir einen politischen Song schreiben, sollte dieser sich mit der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft befassen. Wir haben immer wieder Organisationen mit auf Tour, die auf Missstände aufmerksam machen. Ich finde, dass vor allem wir Männer auf eine sehr arrogante Art an viele Dinge herangehen und Frauen immer noch viel zu oft diskriminieren. Sei es im Job oder grundsätzlich in unserem Alltag. Sehr wahrscheinlich würde ich dann auch eine Frau bitten, diesen Song zu singen. Wir Musiker haben schließlich die Möglichkeit, Menschen auf eine künstlerische Art zu inspirieren. Die Hauptsache ist, dass wir nicht unsere Augen vor dem verschließen, was gerade um uns herum passiert. Denn da läuft eine Menge verdammt schief.